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GUTE-NACHT/3045: Immer der Letzte (SB)


Gute Nacht Geschichten


Es war einmal ein kleiner Hund, der wurde Donny genannt. Er lebte in einer großen Familie. Da gab es den Vater, die Mutter, die vier Kinder und das Baby. Außerdem lebten noch Oma und Opa mit im Haus. Auf all diese Menschen hatte der kleine Hund Rücksicht zu nehmen. Fressen konnte er erst, wenn Mutter ihm den Napf gefüllt hatte. Lange Spaziergänge kamen nur in Frage, wenn der Sohn von der Schule und später der Vater von der Arbeit nach Hause kamen. Gespielt wurde ausschließlich, wenn die Zwillinge dazu Lust hatten, und gekämmt wurde Donny, wenn die ältere Tochter Zeit dafür fand. Selbst das Baby hatte noch mehr zu sagen als er. Denn sobald es losschrie, drehte sich alles um den Säugling und keiner beachtete mehr den Hund.

Diese Abhängigkeit wollte Donny nicht mehr hinnehmen. Eines morgends, als die Schulkinder vergaßen die Haustür zu schließen, lief Donny zur Tür hinaus und verschwand.

Zum Flußufer machte er sich auf, dorthin wo der Sohn oder der Vater immer mit ihm spazieren gingen. Endlich konnte er einmal ohne Leine laufen. Was war das für ein Spaß. Er konnte springen, er durfte rasen und er konnte Purzelbäume schlagen. Auch konnte er hinter den Enten herrennen, um sie zu erschrecken. Doch plötzlich hatte es damit ein Ende. Aus dem Schilf am Ufer trat ein Mann hervor und warf einen Stein nach dem Hund. "Ich will dich lehren, mir die Enten bei ihrer Brut zu stören. Hau ab!" Das ließ sich der Hund nicht zweimal sagen und rannte davon in Richtung Marktplatz.

Dorthin ging Mutter stets zum Einkaufen. Meist nahm sie ihren Donny mit. Auf dem Marktplatz standen viele Wagen und waren Stände aufgebaut. Mutter kaufte jedesmal Obst, Gemüse und einen Strauß Blumen. Weiter vorn auf dem Platz holte sie noch Käse und Wurst ein. Am Fleischerwagen bekam der kleine Hund, wenn er schön Sitz machte, stets eine Scheibe Wurst extra, nur für sich allein. Mutter war dann sehr stolz auf ihren kleinen Hund.

An diesem Tag hatte Donny noch kein Futter bekommen. Deshalb lief er gleich zum Wurstwagen hin. Selbst wenn er den Weg vergessen hätte, anhand der Gerüche hätte er den richtigen Standort sofort gefunden. Artig setzte sich Donny vor den Wurststand in Positur und legte sein freundlichstes Gesicht auf. Er wußte, daß er so stets am schnellsten ein Leckerchen bekam. Was aber jetzt geschah, damit hatte der kleine Hund nicht gerechnet. Eine Kundin fragte den Fleischer in abfälligem Ton, ob dieser Hund der seine wäre. Der Fleischer kannte seine Kundin nur zu gut, um ein überwältigendes Nein hervor zu bringen. Er schrie seinen besten kleinen Kunden sogar an: "Mach, daß du fortkommst. Hier hast du nichts zu suchen!" Als das nicht half und der kleine Hund aus Verzweiflung sogar Platz machte, trat der Fleischer aus seinem Wagen heraus und gab dem Hund durch seine Körperbewegungen eindeutig zu verstehen, daß er hier unerwünscht war.

So lief Donny vom Marktplatz fort, um sich im angrenzenden Park zu verstecken. Als er sich wieder beruhigt hatte, lag ihm ein leckerer Duft in der Nase. Der Duft mußte aus dem Mülleimer neben der Bank kommen. Donny lief hinüber und sprang an dem Mülleimer hoch. "Das ist nicht dein Revier, verschwinde hier!", sprach ein Mann. Dieser hatte abgetragene Kleider an und hielt einen Stock in der Hand. Damit wollte er auf den Hund einschlagen. Donny erkannte die Drohgebärde und verschwand sofort. Er hatte nicht gelernt, sich zur Wehr zu setzen. Menschen hatten immer das Sagen und das Befohlene mußte befolgt werden.

"Was ist das nur für ein Leben?", klagte sich Donny nun selber sein Leid, "keiner ist da, der mir zu fressen gibt, keiner, der mich auf meinem Weg begleitet, keiner kämmt mein zottiges Fell, niemand streichelt mich oder spricht freundlich mit mir. Keiner ist da, um mich zu beschützen."

Bei diesem letzten Gedanken wurde dem kleinen Hund klar, warum seine Familie wichtig für ihn war. Es war egal, daß er erst fressen konnte, wenn Mutter ihm den Napf füllte, denn sie vergaß es nie. Es machte nichts aus, daß er bis zum Mittag auf den Sohn und bis zum Abend auf Vater warten mußte. Er konnte sich darauf verlassen, daß die langen Spaziergänge nie ausfielen. Auch verging kein Tag, an dem die Zwillinge nicht mit ihm spielten, und Cecile nahm sich so oft sie konnte Zeit, um ihn zu kämmen.

Und das Baby? Donny beschloß herauszufinden, was es mit dem Schreien des Babys auf sich hatte. Eigentlich war auch das gar nicht so schlimm. Denn wenn sich alle um den kleinen Wurm kümmerten, konnte er selbst endlich einmal eine Pause haben von all dem Fressen, Spazierengehen, gekämmt werden und Spielen.

6. Oktober 2009

Gute Nacht