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GUTE-NACHT/3142: Ungeziefer (SB)


Gute Nacht Geschichten

Im Keller der alten Bücherei bei den Kinderbüchern und Zeitungen lebt Benjamina, die Leseratte. Bücher liebt sie über alles. Da wundert es nicht, daß sie selber das Lesen versteht.

Eine Etage höher im Erdgeschoß versteckt sich ein Bücherwurm immer in einem anderen Buch. Es ist ihm egal, wovon der Text darin handelt, denn er versteht nichts von Buchstaben und Wörtern. Er hat Bücher nur zum Fressen gern und interessiert sich ansonsten für nichts anderes. Das allerdings hat sich ein bißchen geändert, an dem Tag, als er der Leseratte Benjamina begegnet ist. Jemand, der Bücher mag, diese aber nicht auffrißt, erscheint ihm doch ein bißchen merkwürdig. Allerdings hat es auch Vorteile, jemanden zu kennen, der nicht das gleiche Futter mag. So gerät man nicht mit ihm in Futterstreitigkeiten. Das denkt der Bücherwurm bei sich.

Da sich manchmal auch ein Bücherwurm einsam fühlt, ist so ein Geselle wie diese Ratte, die auch noch Geschichten erzählt, ein guter Kumpan. Gestern hat der Bücherwurm die Leseratte beobachtet, wie sie sich zwischen den Stapeln von Kästen und Schachteln voller Spiele versteckt hat. Sicher ist Benjamina noch immer dort. Der Bücherwurm hat es sich so eingerichtet, daß er in dem Buch auf dem Hocker neben der Treppe zum Keller liegt. Hier wartet er geduldig darauf, mit nach unten getragen zu werden. Sein Wunsch geht in Erfüllung. Eine Frau interessiert sich für das Buch auf dem Hocker, in dem der Bücherwurm steckt, und legt es in ihren Ausleihkorb. Anschließend begibt sie sich mitsamt dem Korb in das Kellergeschoß. Dort will sie noch verschiedene Zeitschriften ausleihen.

Als sie die Tische mit den Spielen sieht, kramt sie auch dort, um zwei oder drei Spiele mit nach Hause zu nehmen. Das ist die Gelegenheit für den Bücherwurm. Er kommt aus seinem Versteck heraus und kriecht ungesehen in die nächstbeste Spielesammlung, um sich dort gleich auf die Spielanleitung zu stürzen. Aber diese mundet ihm nicht besonders. Sie ist ihm noch viel zu frisch. Am liebsten verspeißt er das Papier aus den ältesten Büchern, die er bekommen kann. Der Bücherwurm ist eben ein Feinschmecker und hält es wie manch ein Genießer, der den Käse am liebsten mag, wenn er schon davon läuft, also reichlich an Tagen gesehen hat.

Nun, der Bücherwurm in der Spielanleitung ist gut aufgehoben. Zum Glück wird dieses Spiel an diesem Tag nicht mehr ausgeliehen, sonst könnte er später nicht der Leseratte nachspionieren, sondern hätte sich in irgendeinem fremden Haus wiedergefunden. Benjamina dagegen gerät in arge Bedrängnis. Sie ist wirklich gestern abend zwischen den Spielen eingeschlafen und schläft noch immer. Als die Frau nun die Spiele durchforstet, bekommt sie zuerst einen Mordsschreck, als sie das Tier zwischen den Spielen entdeckt. Schnell erholt sie sich davon und lacht über diesen Scherz. "Sicher hat ein Kind bloß sein Kuscheltier vergessen", denkt sie und greift nach dem Fell, um es in ihren Korb zu legen und es oben bei der Ausleihe wieder abzugeben.

Benjamina ist ja vieles gewöhnt, beispielsweise gestreichelt und gefüttert zu werden. Doch wie ein Kuscheltier gedrückt und aus dem Schlaf herausgerissen zu werden, da bleibt auch Benjamina nicht ruhig. Sie quiekt und will nur auf und davon. Das Quiecken wirkt. Sofort läßt die Frau das vermeindliche Kuscheltier los und beginnt selbst laut zu schreien. Das widerum lockt den Bücherwurm aus der Spielesammlung hervor und er bekommt noch mit, wie sich Benjamina auf und davon macht.

Außer der Frau ist gerade niemand im Kellergeschoß. Ob sie sich beschweren soll oder nicht? Ob ihr jemand glaubt, hier eine Ratte gesehen zu haben? So überlegt die Frau. Dann entscheidet sie sich fürs Stillschweigen. "Mit Ungeziefer will ich nicht in Zusammenhang gebracht werden. Vielleicht sollte ich überhaupt nicht mehr hierher kommen", sagt sie leise.


18. Februar 2010

Gute Nacht