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GUTE-NACHT/3435: Knopf und Knöpfchen auf dem Ball (SB)




K N O P F   &   K N Ö P F C H E N

auf dem Ball


Beim letzten Geschichtentreffen hatten die Drillinge, die drei Hildas, über ihre Freundschaft und Feindschaft erzählt. Am heutigen Abend nun drängte die ganze knopfige Zuhörerschar darauf, endlich zu erfahren, wie die Geschehnisse damals weitergingen - ob Kilda und Zwilda nun auf dem Ball etwas zu Gesicht bekamen oder ob nur Milda den Ball miterleben konnte.

Kilda und Zwilda überließen Milda das Wort. Im Stillen planten beide, das Ende der Geschichte und somit den Höhepunkt derselben selbst vorzutragen. Milda brauchte nicht lange, um allen die gestrige Geschichte wieder ins Gedächtnis zu rufen. Danach fuhr sie mit dem noch unbekannten Teil fort.


*


"Der große Tag, eher der große Abend, war gekommen. Wie hatte sich unsere reiche Dame fein herausgeputzt. Das konnte ich sehen, weil sie sich von allen Seiten und von Kopf bis Fuß in einem dreiteiligen Spiegel bewunderte. Ansonsten sah ich ja nur das, was hinter ihrem Rücken geschah, da ich - wie ihr alle wißt - an der Rückseite ihres Kleides angenäht war."

"Ja, nicht nur du", rief Kilda dazwischen, der es langweilig wurde. Milda warf Kilda einen bösen Blick zu. Das konnte die andere aber nicht sehen, war es doch schon wieder äußerst dunkel in der Knopfkiste. Denn die Knöpfe hatten sich erst nach Untergang der Sonnenblitze wieder zusammengefunden.

Milda fuhr fort: "Schon von weitem hörte ich die Musik. Unsere reiche Dame schritt in den großen Ballsaal, nachdem sie an der Garderobe ihren Mantel abgegeben hatte, und ich endlich sehen konnte, wohin wir geraten waren. Ich sah mich neugierig um. Gut, daß ich auf dem Rücken des Kleides angenäht war. Denn hier hinten brauchte ich nicht aufzupassen, daß meine reiche Dame irgendetwas Ungewöhnliches an mir bemerkte. Zum Glück gelang dies auch keiner anderen Person im Raum. Alle waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu bemerken, daß auch ein Knopf aufgeregt sein kann. Für sie war und blieb ich nur ein toter Gegenstand, wenn ich ihnen überhaupt ins Auge fiel."

"Nun mach schon", quengelte Zilda, die endlich einmal etwas über sich selbst hören wollte. Doch Milda erzählte noch lange ausschließlich von ihren eigenen Gefühlen, dem schönen Ballsaal, den in Schale geworfenen Menschen und der bombastischen Musik; davon, daß ihr bei dem vielen Tanzen fast schwindelig geworden wäre und daß sie sich beinahe in einen ebenso stattlichen Knopf wie sie selbst einer war, verliebt hätte, aber nur beinahe.

"Jetzt ist aber genug. Wir waren schließlich auch auf dem Ball", meinte Zilda beleidigt.

"Ja, genau", pflichtete Kilda zur Unterstützung bei, die nun das Wort ergriff und es den ganzen Abend nicht wieder loszulassen gedachte. "Zwilda und ich baten Milda, uns zu erzählen, was im Saal so alles geschah. Schließlich konnten wir nichts erkennen. Unsere Lady trug ihre Haare ja offen und so baumelten sie über uns dahin."

"Und kitzelten ungemein", fiel Zwilda ein.

Kilda fuhr fort: "Zu Beginn hatte uns Milda ja vorgeschwärmt, wie alles ausschaute, welche Menschen anwesend waren, und von der starken Beleuchtung berichtete sie auch. Doch wir wollten interessantere Dinge hören. Tratsch- und Klatschgeschichten sind schließlich aufregender als Licht und Musik. Nebenbei bemerkt konnten wir die ja hören. Die Haare kitzelten uns unerträglich. Ich mußte niesen am laufenden Band. Ab und zu, wenn die Lady sich besonders schnell drehte, konnte ich einen Blick auf einige Gäste erhaschen. Doch sie rauschten nur so an mir vorbei, daß alles verschwommen war. Irgendwie mußte ich mir etwas einfallen lassen. Ich, Kilda, wollte auch den Ball miterleben! Da kam mir eine Idee. Ich versuchte mit meinen kleinen Armen, die Haare auseinander zu halten. Doch sie waren zu schwer. Zufällig sah ich mit welcher Art Faden wir angenäht waren. Der Faden war durchsichtig, aber ganz fest, denn er war aus Plastik. Ich nahm das Ende, das unter mir herausschaute und versuchte damit, die Lady zu piksen. Der Plastikfaden knickte aber nur um und hatte keinerlei Wirkung erzielt. Noch immer hatte ich keine bessere Aussicht auf das Ballgeschehen."

"Ich ebenfalls nicht", funkte Zwilda dazwischen, die es ärgerte, daß Kilda auch die ganze Zeit nur von sich selber sprach. Schließlich war Zwilda in der gleichen Situation und konnte genauso nichts vom Ball miterleben.

Ohne auf ihre sogenannte Freundin zu achten, fuhr Kilda fort: "Bald schien es, als hätten wir Glück im Unglück. Unsere Lady zog sich auf die Toilette zurück, setzte sich vor einen Spiegel und schminkte sich wieder frisch. Neben ihr saß eine etwas ältere Dame, die gern plauderte und so unsere Lady in ein Gespräch verwickelte. `Wie entzückend doch ihr Kleid ist', sagte diese. Über Kleider und Schminke, Schmuck und sonstige Dinge dieser Art schienen die beiden Frauen gern zu schwatzen. Dann kamen Frisuren an die Reihe. Die ältere Dame konnte es nicht lassen, der jüngeren ein paar Hinweise zu geben und sie dazu zu überreden, ihr Haar doch hoch zu stecken. Unsere Lady war entzückt. Und wir waren überglücklich. Darauf hatten wir die ganze Zeit gewartet - auf freie Sicht. Doch es sollte nicht so bleiben. Die Dinge überschlugen sich."

Jetzt ergriff Zwilda das Wort: "Unsere Herrin schritt in den Ballsaal zurück. Es dauerte nicht lange, da blieb sie abrupt stehen. Wir konnten leider nichts sehen, aber dafür um so besser hören. Eine andere Dame war auf sie zugegangen und rief ihr Schimpfworte ins Gesicht. Plötzlich schmissen sich beide gegenseitig böse Verwünschungen an den Kopf."

"Nur gut, daß wir am Rücken
des Kleides angenäht waren, sonst hätten wir bestimmt
etwas abbekommen", flüsterte Milda.

Kilda beendete die Geschichte: "Wir wußten nicht wie uns geschah. Gerade hatten wir uns gefreut, jetzt endlich am Ball gebührend teilnehmen zu können, da war es mit der Freude auch schon wieder vorbei. Die beiden Zimtziegen, unsere Lady und die andere, hatten nämlich bemerkt, daß sie beide das gleiche Kleid trugen. Nur hatte die eine die Knöpfe vorne und die andere trug sie auf dem Rücken. Die werte Schneiderin - wie sich herausstellte, gehörten beide Damen zu ihren Kundinnen - hatte nicht genügend Zeit, sich zwei besondere Kleider auszudenken. So nahm sie den gleichen Schnitt für beide Kundinnen und änderte die Kleider nur geringfügig ab. Doch unsere Ballkampfhennen hatten das natürlich sofort spitz bekommen, als sie sich gegenüber traten, und sie konnten es nicht ertragen, daß beide Kleider von dem gleichen Grundmuster abstammten. Unsere Lady rannte alsbald zur Garderobe und kreischte nur so vor sich hin: `Das wird sie mir büßen!' Die andere Zankhenne schrie hinterher: `Ja, geh nur, du kannst dich ja nicht einmal richtig anziehen, trägst das Vorderteil nach hinten!' Oh, waren wir wütend. In unserer Empörung waren wir uns fast wieder einig. Denn uns hatte die Schneiderin genauso hereingelegt wie unsere Lady. Schließlich wäre unser Platz eigentlich vorne am Kleid gewesen."


*


Die Mehrzahl der Knöpfe konnte die Empörung der drei Ballknöpfe nachempfinden, besonders der Major. Andere fanden es nur zu lustig, wie die drei Knöpfe samt ihrer reichen Dame ausgetrickst worden waren. Für Knopf und Knöpfchen hingegen war die ganze Aufregung viel zu viel. Knopf meinte: "Die drei Hildas passen wirklich gut zusammen und auf diesen Ball. Da hätte ich keine Lust gehabt, in dieser feinen Gesellschaft zu glänzen." Knöpfchen hingegen würde schon gern einmal auf einen solch großen Ball gehen. Schließlich hatte er noch nie einen erlebt. Aber - und da war sich Knöpfchen ganz sicher - wäre Knopf nicht mit auf das Fest, den großen Ball, gekommen, hätte auch er darauf zugunsten ihrer Freundschaft verzichtet. Das gab er zu. Da nahm Knopf sein Knöpfchen in den Arm und meinte: "Was wäre das für eine Freundschaft, wenn du nur alles mir zu Gefallen tun würdest?" Das überzeugte Knöpfchen und in dieser Nacht träumte er von dem ersten Ball seines Lebens, vielleicht sogar von seinem letzten.

Gute Nacht

Buntstiftzeichnung: drei blaue Knöpfe, © 2011 by Schattenblick

zum 23. Juli 2011