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GUTE-NACHT/3489: Der kleine Nachtwächter und sein Fund (SB)


Gute Nacht Geschichten vom kleinen Nachtwächter

Der kleine Nachtwächter und sein Fund



Im Stall der Burg unter einem fetten Strohhaufen fand der kleine Nachtwächter ein Automobil versteckt. Noch immer ist nicht alles Stroh beiseite geräumt und der Wagen noch nicht ganz befreit. Der kleine Nachtwächter ist daher damit beschäftigt, seinen Fund endlich frei zu bekommen und alles Stroh ringsum wegzuschaffen.

Endlich ist es soweit. Der kleine Nachtwächter atmet tief durch, was er lieber hätte sein lassen sollen. Denn durch das Umschichten des Strohes ist eine Menge Staub aufgewirbelt worden, den der kleine Nachtwächter jetzt tief eingeatmet hat. Er beginnt zu husten.

Erschöpft öffnet er die Wagentür und setzt sich zum allerersten Mal hinein, direkt auf den Fahrersitz. Doch bevor er Platz nehmen kann, hat sich sein Hund Rebell schon an ihm vorbei gedrängt und macht es sich auf dem Rücksitz gemütlich. "Na, Autofahren scheint dir ja nicht fremd zu sein", stellt der kleine Nachtwächter fest, dem Rebell einst zugelaufen ist.

Wie ein Rennfahrer nimmt er das Lenkrad in beide Hände, wiegt sich hin und her, als ob der Wagen in die Kurve geht, und stellt sich vor, er fahre mit Rebell in den sonnigen Süden. Auch Rebell genießt die Fahrt. Er hat seine Schnauze auf die hintere Ablage gelegt und schaut hinaus - allerdings nur gegen die Stallwand. Ob auch er vom warmen Süden träumt?

Die Bewegungen des kleinen Nachtwächters werden langsamer. Er hält seine Augen geschlossen. Wahrscheinlich blickt er jetzt gerade von einer kurvenreichen Bergstraße hinunter auf das Meer ...


... "He, kleiner Nachtwächter, ich mag überhaupt nicht fahren. Also laß mich in Ruhe!", schimpft das Automobil. "Warum nicht?", möchte der kleine Nachtwächter wissen. "Das geht dich gar nichts an und überhaupt, ich bin müde." Der kleine Nachtwächter lacht und entgegnet: "Wie kannst du müde sein, du hast doch bis jetzt sicher jahrelang geschlafen. Es wird Zeit, den angesetzten Rost zu entfernen und wieder Schwung in deinen Motor zu bringen!"

"Ach was, ich bin viel zu alt und meine Einzelteile sind nicht mehr zu gebrauchen", stöhnt das Automobil. "Papperlapapp! Noch niemals habe ich ein Auto besessen. Da werde ich mir diese Gelegenheit doch nicht nehmen lassen. Ich werde dich wieder flott kriegen", freut sich der kleine Nachtwächter. "Das haben schon andere versucht. Das schaffst du nicht, denn zuviel von mir hat schon den Geist aufgegeben und will nicht mehr."

"Das werden wir ja sehen!" - "Ja, sehen wirst du es, daß nichts mehr funktioniert. Möchtest du wissen warum? Das war nämlich so ...

... einst war ich voller Tatendrang. Kein Weg war mir zu weit und kein Berg zu hoch. Ich wollte die ganze Welt bereisen, besonders Afrika wollte ich sehen. Doch mein Fahrer verkaufte mich und ich bekam einen neuen Besitzer. Der liebte seine Heimat und seine Burg und fuhr niemals mit mir irgendwo anders hin, nicht einmal in Urlaub. Aber ich wollte unbedingt nach Afrika. Da mußte ich mir etwas einfallen lassen.

'Vielleicht, wenn ich nicht mehr funktioniere, werde ich verkauft', so dachte ich insgeheim, 'und wenn ich dann einem neuen Herren gehöre, wird er mich schon wieder flott bekommen.'

Doch es kam anders. Es störte meinen Herrn kaum, daß ich nicht mehr ansprang, wenn er den Zündschlüssel umdrehte. Er tauschte einfach meine Batterie gegen eine andere aus. Als ich auch dann noch nicht ansprang, stellte er mich immer vor das Burgtor, wo der Weg zum Dorf bergab geht. Wenn er losfahren wollte, löste er die Bremse und ließ mich ein Stückchen den Berg hinabrollen. Dabei trat er die Kupplung - das ist das ganz linke Pedal -, und ließ sie langsam kommen, sodaß mein Motor nicht anders konnte als anzuspringen. Das ärgerte mich.

Ich suchte mir nun andere Macken aus, bockte beim Fahren, ließ das Lenkrad bei jeder Bewegung quietschen und fuhr sogar durch eine Scherbe, um einen Platten zu bekommen. Aber nichts half. Der kleine Mann blieb mir treu und behielt mich. Zwar fluchte er ab und zu und drohte mir, mich zu verkaufen, doch er kam meinem Herzenswunsch - endlich verkauft zu werden - in nichts nach.

Als ich dann wirklich nicht mehr fahren konnte, holte er Monteure und Automechaniker. Aber auch sie konnten mein krankes, sehnsuchtsvolles Herz nicht wieder heilen. So stellte mich der kleine Mann hier in dem Stall ab. An manchen Tagen setzte er sich in mich hinein auf den Fahrersitz, legte seine Hände um mein Lenkrad und schloß die Augen. Irgendwann aber kümmerte er sich nicht mehr um mich. Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen."

Der kleine Nachtwächter ist betroffen und hat eine schlechte Nachricht: "Du wirst deinen Herren auch nicht wiedersehen können. Er ist nämlich schon vor einiger Zeit gestorben. Doch wenn es dich tröstet, ich kümmere mich jetzt um dich." Das Automobil gibt keine Antwort.

Der kleine Nachtwächter und Rebell im Auto - Buntstiftzeichnung: © 2011 by Schattenblick

zum 29. Oktober 2011