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GUTE-NACHT/3505: Boardy - unterm Weihnachtsbaum (SB)


Gute-Nacht-Geschichte von Boardy


Boardy - unterm Weihnachtsbaum



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"Kenny, schau mal! Du bist in der Zeitung. Sogar auf der ersten Seite", staunt Kennys Mutter. Kenny läuft in die Küche und schaut sich das Titelblatt an. Gestern war er mit seiner Mutter in der Stadt. Dort in einem Schuhladen war der Weihnachtsmann zu Besuch. Die Kinder hatten zuerst Lieder gesungen und jeder, der einen Schuh mitbrachte, bekam sogar etwas Süßes. Alle Kinder wollten dem echten Weihnachtsmann noch ihre Wünsche ins Ohr flüstern. Auch Kenny war nach langem Warten irgendwann an der Reihe. Seine Wunschliste war kurz. Er spricht genauso leise wie die anderen Kinder: "Ich habe nur einen einzigen Wunsch. Ich möchte, daß ich meinen Boardy wiederbekomme. Er ist einfach verschwunden. Ich habe ihn verloren." - "Wer ist denn Boardy?", hatte der Weihnachtsmann gefragt, "dein Hund?" - "Nein", entgegnete Kenny, "es ist mein Skateboard und ich möchte es unbedingt wiederhaben. Es ist ganz leicht zu erkennen. Ich habe ganz viele Sticker von den besten Skatern der Welt darauf geklebt." Eigentlich wollte Kenny dem Weihnachtsmann noch die Namen der besten Skateboardfahrer erzählen. Doch schon drängten die nächsten Kinder nach.

Das Foto in der Zeitung zeigt die Kinder und den Weihnachtsmann und läßt auch noch das Fenster des Schuhladens deutlich erkennen. In der Auslage des Schaufensters entdeckt Kenny plötzlich etwas, daß ihm den Atem stockt!

"Mama!", schreit er, "ich habe Boardy wiedergefunden. Der Weihnachtsmann hat schon heute meinen Wunsch erfüllt." Kennys Mutter weiß erst gar nicht, was los ist. "Also heute ist noch nicht Weihnachten und Vater ist auch gar nicht dafür, daß du ein neues Skateboard bekommst." Zu einer anderen Zeit hätte dieser Satz Kenny sehr traurig gemacht. Doch in diesem Moment zählt nichts mehr, als daß Kenny nun weiß, wo Boardy steckt.

"Wir müssen sofort zum Schuhladen!", bestimmt Kenny, "dort steht mein Board im Schaufenster. Ich erkenne es genau an den Aufklebern. Schau hier!"

Kenny ist nicht mehr zu halten! Ob Mutter will oder nicht, ob sie Zeit hat oder das Abendessen bereiten will. Jetzt geht es erst einmal in die Stadt. Gerade noch rechtzeitig vor Ladenschluß kommen die beiden dort an. Doch in der Auslage des Schaufensters ist das Skateboard nicht mehr zu entdecken. "Es ist bestimmt im Laden!", hofft Kenny und ist nicht mehr zu halten.

Doch auch im Laden steht kein Skateboard herum. "Das tut uns leid", entgegnet der Ladenbesitzer, "Dekorationen verkaufen wir nicht. Sie werden nur ausgeliehen. Und mir ist nicht bekannt, daß wir von ihnen ein Board ausgeliehen haben." Traurig verläßt Kenny den Laden. An diesem Abend kann er nicht einschlafen. Die erste Zeitungsseite hat er sich an die Wand gehängt. So hat er wenigstens ein Bild von Boardy. Auf morgen, auf den Heiligen Abend, freut sich Kenny gar nicht. Sein einziger Wunsch wird schließlich nicht in Erfüllung gehen. Selbst sein Patenonkel wird ihm da nicht weiterhelfen können. In diesem Jahr ist er am Heiligen Abend auch dabei. Aber Kenny wird den ganzen Tag im Bett bleiben und den Abend gleich dazu...


*


Gegen sechs Uhr am Heiligen Abend feiert Kennys Familie Bescherung. Später am Abend würden noch Gäste kommen. Deshalb ist das Geschenkeauspacken für vorher vorgesehen. Der Weihnachtsbaum steht im Wohnzimmer. Dorthin darf Kenny den ganzen Tag nicht gehen, denn sonst würde sich der Weihnachtsmann oder das Christkind gestört fühlen und blieben vielleicht sogar ganz aus.

Langsam wird es draußen dunkel. Im Gegensatz zu anderen Weihnachtsfesten ist Kenny gar nicht aufgeregt. Vater und Mutter meinen, langsam werde er eben groß und so bräuchte der Weihnachtsmann eigentlich auch nicht mehr zu kommen. Kenny ist alles sowieso egal. Er hat nur einen Wunsch und der wird heute sicher nicht in Erfüllung gehen. Boardy, sein geliebtes Skateboard, wird er vielleicht sogar niemals mehr wiedersehen.

Aus dem Wohnzimmer sind Glocken zu hören. "Der Weihnachtsmann ist da!", ruft die Mutter, "kommt, vielleicht erwischen wir ihn noch und du kannst ihm dein Gedicht aufsagen, Kenny!" Aber Kenny beeilt sich nicht. Zwar hat er dem Weihnachtsmann im Schuhladen seine Wünsche mitgeteilt und gehofft, dieser könne ihm helfen. Doch dann hat er das Bild in der Zeitung gesehen und erfahren, daß Herr Mering aus der Kaiserstraße jedes Jahr den Job des Weihnachtsmannes in der Stadt übernimmt. Wie soll er da seinen Boardy zurückbekommen, wenn nicht mal der echte Weihnachtsmann über seinen Verlust Bescheid weiß.

Ein kleines bißchen Hoffnung hat Kenny aber doch, denn der wirkliche Weihnachtsmann weiß ganz genau, wovon die Kinder träumen. Als sich die Türen öffnen und der strahlende Weihnachtsbaum Kenny einläd, leuchten seine Augen doch. Den Weihnachtsmann allerdings erwischen sie nicht mehr. Kenny ist einfach nach dem Glockenläuten zu langsam gewesen. Nun werden die Geschenke verteilt und ausgepackt. Kenny findet neben vielen Kleinigkeiten ein großes Geschenk, das die Hoffnung doch wieder aufkommen läßt.

Unter dem Papier befindet sich wirklich ein Skateboard. Es ist größer und bunter als Kennys altes Board und hat sogar die Namen berühmter Skater wie Rodney Mullen, Deawon Song und Tony Hawk darauf stehen. Auch die Nachwuchsskater Ryan Sheckler und Nate Jones sind darauf zu lesen. Doch das neue Board stimmt Kenny nur noch trauriger. An diesem Abend probiert es Kenny nicht ein einziges Mal aus. Er setzt sich vor den Fernseher und sieht sich einen Weihnachtsfilm an. Vater ärgert sich, daß Kenny sich nicht für das neue Board interessiert. Mutter dagegen kann es irgendwie verstehen.

Dann aber kümmern sich beide nicht mehr um den Sohn, denn sie haben alle Hände voll zu tun. Schließlich kommen noch Gäste. Zuerst sollte eigentlich nur Kennys Patenonkel kommen. Der wollte aber gern auch seine Freundin mitbringen. Das war ok.

Doch das sollten nicht alle Gäste an diesem Abend sein. Denn es kommen auch noch Mutters Schwester Annette, ihr Bruder und ihre eigene Mutter. Das Haus wird also voll.

Alle sind überein gekommen, daß jeder einen Teil zum Essen dazugibt und daß es in diesem Jahr einfach mal ein großes Weihnachtsessen geben soll anstatt der Geschenke. Leider gibt es keine weiteren Kinder, die mitkommen. Da ist es Mutter ganz recht, daß sich Kenny mit einem Film ablenkt. Schließlich kann ja keiner etwas dafür, daß Kenny sein Skateboard verloren hat.


*


Zuerst trifft Tante Annette und Oma ein. Außerdem kommen noch Mutters Bruder und schließlich Kennys Patenonkel mit seiner Freundin. Es ist ein herrliches Weihnachtsessen. Nach dem Essen gibt es noch Kaffee und plötzlich kommen doch wieder Geschenke zum Vorschein, die bisher verborgen in den Taschen lagen, obwohl sich doch alle versprochen haben, in diesem Jahr nichts zu verschenken.

Die Freundin von Karl, die sich als Eireen vorgestellt hat, holt zuerst etwas aus ihrer Tasche hervor. Eigentlich waren es zwei Geschenke in einem für Kenny. Doch als Eireen Kennys Großmutter kennengelernt und als die Kundin erkannt hat, die mehrmals nach einem roten Pantoffel im Schuhladen, in dem sie arbeitet, nachgefragt hat, kommt ihr eine Idee. Sie teilt das Geschenk in zwei Teile und reicht Kenny das kleinere der beiden Päckchen. Es ist ein Buch mit leeren Seiten. "Auch Jungs schreiben Tagebücher", lächelt Eireen Kenny an. Dann nimmt sie das größere Päckchen, in dem das kleinere drin gesteckt hatte, und schenkt es Kennys Großmutter. Die ist ganz verwundert, warum eine fremde Frau ihr ein Weihnachtsgeschenk gibt.

Als sie dann aber das Päckchen öffnet, wird ihr einiges klar. In dem Geschenkpapier eingewickelt findet sie einen rechten roten Pantoffel, der dem linken zuhause doch sehr ähnlich sieht. Nur eine Kleinigkeit unterscheidet die beiden betagten Pantoffel. An dem Rechten ist ein Aufhänger dran. "Sie können ihn als Brillentasche über das Bett hängen", schlägt Eireen vor. "Das ist eine gute Idee", sagt Oma Erna, "denn den Linken rückt mein Bello sowieso nicht mehr heraus."

Nun verteilt Großmutter ihre Präsente. Mutter erhält eine Sammlung von Kalenderblättern, worüber sie sich sehr freut, was Kenny aber nicht versteht. "Es ist doch nur altes Zeitungspapier", denkt er. Mutters Bruder erhält ebenfalls Zeitungsausschnitte mit Hägargeschichten. Das findet Kenny auch nicht toll. Aber er kann nachvollziehen, warum sich sein Onkel darüber freut. Schließlich schlägt auch sein Vater jeden Tag die Seite mit Hägar als erstes in der Zeitung auf. Nun ist Tante Annette an der Reihe. Sie erhält ein paar rote Pantoffel, die aussehen wie ein Teddybär. "Ein richtiges Mädchengeschenk", denkt Kenny. Nur Mädchen können sich über so etwas freuen. Kenny selber erhält von seiner Oma ein Buch mit Weihnachtsgeschichten. Kenny stellt es zu den anderen Büchern in sein Regal. Jetzt holt Kennys Patenonkel das Geschenk für Kenny aus seinem Auto herein. Kenny weiß, daß Onkel Karl immer die besten Geschenke mitbringt. "Doch diesmal", denkt er, "wird sein Geschenk meine Laune auch nicht bessern können."

Oder doch? Kenny sieht an der Form des Paketes, daß auch sein Onkel ihm ein Skateboard schenkt. "Können sich die Erwachsenen denn nicht einmal absprechen, bevor sie etwas verschenken?", ärgert er sich.

Dann aber ist es wie ein Wunder! Bereits als Kenny das Geschenkpapier nur ein winziges Stückchen aufreißt, stockt ihm der Atem und er reißt das ganze schöne Glitzerpapier auf einmal kaputt. Auch wenn er in seinem Hinterkopf das Gesicht seiner Mutter sehen kann, die bestimmt später zu ihm sagen wird: "Oh, warum hast du nur das schöne Papier so zerfetzt!"

Es ist wirklich ein Wunder. Unter dem Papier liegt Boardy versteckt. Kenny nimmt das alte Brett liebevoll in seine Arme! Nie hätte Kenny das für möglich gehalten. Er ist noch niemals in seinem Leben so glücklich gewesen.

Ende gut alles gut. Aber eine Kleinigkeit ist noch zu erwähnen. Kenny leiht von nun an seinem Onkel Karl immer das große Board. So können die beiden von nun gemeinsam skaten. Und für das Buch mit den leeren Seiten hat Kenny sich auch schon eine Verwendung überlegt. Schließlich hat er doch eine tolle Geschichte zu erzählen.

Und Boardy? Boardy hat zwar nie mit dem Weihnachtsmann gesprochen, aber alles ist doch so gekommen, wie er es sich gewünscht hat, und nun hat Boardy sogar noch einen vierrädrigen Freund gefunden.

© 2010 by Schattenblick


zum 24. Dezember 2011