Enna, die auf der breiten Wohnzimmerfensterbank kauert und hinaus schaut, singt vor sich hin: "Und wenn der Riese lacht, dann wackeln alle Berge und kugeln sich die Zwerge, hahahahaha, hahahahaha ..."

Auf dem Sofa sitzt Uroma Magda und strickt. Nachdem Enna die kurzen Verse mehrmals wiederholt hat, summt Magda mit. Plötzlich blickt sie auf und fragt Enna: "Was ist das für ein Lied? Hast du das aus dem Kindergarten?"

"Nein", antwortet Enna und steigt von der Fensterbank herunter, kommt herüber und hockt sich zu Uromas Füßen nieder. "Das hab ich bei Oma Berenieke gehört. Aber ich weiß nicht mehr weiter. Kennst du das ganze Lied?" Uroma Magda kennt den Liedtext nicht. "Warum rufst du bei Oma Berenieke nicht an und fragst sie", schlägt Magda vor. "Darf ich?", fragt Enna und nimmt schon den Hörer ab. Die Nummer ist eingespeichert und Enna braucht bloß die Taste zu drücken.

"Hallo Oma", ruft sie in den Hörer, als sich am anderen Ende jemand meldet. "Kennst du das Lied ...", und hier singt sie die kurze Strophe in den Hörer hinein. Doch ihr zuerst strahlender Gesichtsausdruck verrät nun, daß sie nicht die gewünschte Antwort erhalten hat. "Bis bald Oma", sagt Enna und legt den Hörer auf.

"Nun", möchte Uroma Magda wissen, "was hat sie gesagt?" - "Sie kennt das Lied nicht. Es kam bloß im Radio, als ich bei ihr war." Enna stützt die Ellbogen auf den niedrigen Wohnzimmertisch ab und läßt ihren Kopf auf die kleinen Fäuste sinken.

"Ach, laß den Kopf nicht hängen. Irgendjemand wird das Lied schon kennen. Du singst einfach allen die kurze Strophe vor und dann werden wir es schon finden. Das Lied ist doch noch nicht so alt. Das wird schon."

Enna ist beruhigt und hopst gleich in die Küche hinüber, wo sich Oma Lucie um das Abendessen kümmert. Doch auch sie kann ihr nicht helfen. Also versucht Enna ihr Glück bei Uroma Kathie. Aber die hört gerade Mozarts Zauberflöte. Da kann Enna nicht dazwischen zwitschern, wenn schon Papageno sein Bestes gibt. Sie zieht die Tür leise hinter sich zu. Jetzt bleibt nur noch Opa. Von ihm erwartet Enna keine Hilfe. Opa und Kinderlieder? Doch zu ihrer Überraschung sagt Opa, daß er mal in seinem Archiv stöbern würde. Das könne allerdings ein paar Tage dauern.

Ohne den Fall zu klären, kehrt Enna ins Wohnzimmer zurück. "Na, hast du Glück gehabt?", möchte Uroma Magda wissen. "Nein, aber vielleicht findet Opas was. Er will mit seinem Stativ suchen. Ich weiß aber nicht, wie er damit Musik finden kann. Dieser Ständer ist doch für seinen Fotoapparat."

Uroma Magda lacht: "Du hast dich bestimmt verhört. Er will sicher in seinem Archiv suchen. Du weißt doch, daß er alles mögliche aus dem Fernsehen und dem Radio aufnimmt. Er meint, es könnte ja sein, daß du das mal für die Schule brauchst."

Enna stöhnt. Uroma Magda schlägt vor: "Singen wir doch einfach ein anderes Lied. Ich kenne auch eines, das von Zwergen handelt. Das geht so ..." Und schon legt sie los:

"Dort oben auf dem Berge, da steht ein Karton,
da machen die Zwerge aus ...."

Doch hier wird Uroma Magda von ihrer Tochter Lucie unterbrochen. "Du willst dem Kind doch nicht solche Sachen beibringen", stöhnt sie, "kommt lieber was essen, und bringt Kathie und Egbert mit!"

Dieser Aufforderung können sich die beiden nicht entziehen. Doch ohne daß Oma Lucie es bemerkt, singt Uroma Magda in flüsterndem Ton ihrer Enkelin den Rest der Strophe ins Ohr.

Wie der Vers wohl weiterging?

Gute Nacht