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GUTE-NACHT/3664: Im Advent - Blick hinter verschiedene Fenster (SB)



Der gestrige Tag lief vor Olgas innerem Auge noch einmal ab. In der Küche waren Olga und Mama und backten Kekse. Mama hatte es die ganze Weihnachtszeit nicht geschafft, weil sie viel arbeiten mußte. Da wollten die beiden wenigstens heute am Heilig Abend noch Butterplätzchen backen. Doch Mama war auch an diesem Tag nicht recht bei der Sache. Ständig blickte sie zum Telefon. Ob sie Angst hatte, daß doch noch jemand anrief, der sie zum Dienst beordern würde? "Ach, wenn wenigstens mein Schaf noch da wäre, dem ich meine Sorgen anvertrauen könnte", ging es Olga durch den Kopf, "bloß, daß Mama mir kein Schaf zu Weihnachten schenkt, ich werde Molly nicht verraten."

*

Auch in der Küche von Oma und Opa wurden gestern noch Vorbereitungen zum Fest getroffen. Oma und Opa bereitete die Gans für das Abendessen vor. Sie brauchte schließlich einige Zeit im Ofen, um gar zu werden. "Hast du alles bekommen, was du noch wolltest?", fragte Oma. "Im Grunde schon", meinte Opa, "aber eins hab ich nicht bekommen, da hab ich in einem Schaufenster so ein tolles Schaf entdeckt. Das sah genauso aus, wie das, was die Kinder in unserem Schrebergarten gefunden hatten. Und da sie es jetzt nicht finden können, wollte ich Marlene einfach das Schaf aus dem Schaufenster schenken." Oma schüttelte bloß den Kopf. "Du Dummerchen!", sagte sie, "das war doch unser Schaf. Ihr habt es im Schrebergarten seit Tagen auf der Bank liegen gelassen. Das war so verdreckt, man konnte es kaum noch erkennen. Da hab ich es in die Reinigung gebracht." - "Und mir nichts davon erzählt", fällt Opa ihr ins Wort. "Na, im Moment haben wir so viel um die Ohren, da denkt man eben nicht daran, alles zu berichten. Heute abend wollte ich Marlene das Schaf wiedergeben."

"Warum nicht gleich, wenn sie kommt?", fragte Opa. "Nun, als ich heute morgen unterwegs war, die letzten Einkäufe zu tätigen, begegnete mir der Pfarrer. Er war ganz in Eile. `Wohin denn so geschwind`, fragte ich. Da sagte er, daß er noch ein Schaf für die Krippenaufführung besorgen müßte. Ich wollte unser Schaf im ersten Reflex hinter mir verbergen, doch da hatte er es schon entdeckt. Er wollte es unbedingt ausleihen. Ich konnte nicht nein sagen." - "Na, hoffentlich sieht das Marlene genauso", fand Opa.

Da klingelte das Telefon. Oma nahm ab. "... Sie wollen ihr meine Adresse geben, nein, das finde ich keine gute Idee", sagte Oma und legte auf. "Was ist denn los?", fragte Opa. "Eine Verrückte will unser Schaf haben. Sie sagt, es wär ihres. Sie hat es genauso wie du im Schaufenster gesehen und wollte es zurück." - "Und wenn es wirklich ihres ist?", merkte Opa an, "wir haben das Schaf doch nur gefunden." Oma nickte: "Du hast wohl Recht. Ich werde in der Reinigung zurückrufen, aber erst muß ich die Visitenkarte suchen. Schade, aber wir werden uns das Schaf genau beschreiben lassen, um rauszufinden, das es der Frau wirklich gehört."

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In der Reinigung war bereits die Tür geschlossen und alle Verkäuferinnen hatten sich verabschiedet. Die Chefin grübelte: "Soll ich mich wirklich da einmischen?" Aber sie dachte an ihre eigene Kindheit. Hätte ihr da jemand ihren Lieblingsteddy wiedergebracht, der ihr von der Brücke in den Fluß gefallen war, sie wäre überglücklich gewesen. Warum dachte sie ausgerechnet jetzt an den Teddy? Ach ja, wegen des Schafs. Und so griff sie nach dem Hörer und wählte die Nummer der alten Dame ...

*

"Es geht keiner mehr dran", meinte Oma, "ich dachte, die haben bis ein Uhr heute offen." Opa räusperte sich: "Ja, aber es ist schon nach eins. Da hast du wohl nochmal Glück. Über die Feiertage wird uns niemand das Schaf wegnehmen, wenn wir es denn heute abend nicht wieder in der Kirche vergessen ...

Gute Nacht!

zum 25. Dezember 2018


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