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KALENDERGESCHICHTEN/031: 07-2013   Ein neues Heim? (SB)


Buntstiftzeichnung: © 2013 by Schattenblick

Jonathan, Rupert und Käpt'n Carlo

Ein neues Heim ...
... kein neues Heim?

Rupert und Käpt'n Carlo hatten ein Spektakel veranstaltet, um die Menschen von den beiden davonrennenden Mäusen, Jonathan und Majon, abzulenken. Das war ihnen auch gut gelungen. Herr Becker nahm den Papagei auf den Arm und forderte seinen Hund auf, mit ihm nach Hause zu kommen. Er verabschiedete sich von Frau Sörensen und Telse und schlug die Richtung zu seinem Haus ein.

Jonathan und Majon indess rannten und rannten. Sie folgten dem Besen, der eben über dem Erdboden schwebte und anscheinend genau wusste, wohin die Flucht führen sollte. Majon war etwas ängstlich, denn sie kannte Jonathans Zauberbesen noch nicht und wusste nicht, wozu er fähig ist und ob sie ihm trauen konnte.

"Meinst du, Jonathan, dass der Besen das Richtige tut?", haspelte sie die Worte im Laufen zu ihm hinüber.

"Oh, ja, klar doch. Wenn uns einer helfen kann, ein Versteck zu finden, dann er!"

Jonathan wäre beinahe über einen kleinen Löwenzahn gestolpert, fing sich aber wieder und lief weiter. Endlich erreichten sie einen alten Baum. Unten an seinen Wurzeln befand sich ein kleines, rundes Loch, das aussah wie der Eingang zu einer Baumhöhle. Davor blieb der Besen stehen und lehnte sich an den Stamm. Jonathan ging ein paar Schritte darauf zu und spähte ins Dunkel des Runds. Warme Luft strömte ihm entgegen, die nach Rinde und einem modrigen Gemisch aus Blättern und Erde roch.

"Nicht schlecht, nicht schlecht. Warte hier, ich schlüpfe mal hinein. Mal sehen, ob wir beide darin Platz finden!" Im nächsten Moment war er auch schon verschwunden.

Nach einer Weile wurde Majon ungeduldig. "Wo bleibt er nur, so riesig kann die Baumhöhle doch nicht sein, dass er ewig braucht, um sie zu erforschen ..." Misstrauisch beäugte sie den Besen. Doch der rührte sich nicht. Schließlich fasste sie sich ein Herz, steckte ihren Kopf in das Loch und rief laut nach Jonathan. Aber sie erhielt keine Antwort. Wieder und wieder brüllte sie seinen Namen. Ihr standen Tränen in den Augen. Was nun? Majon hatte zu viel Angst, um Jonathan hinterher zu klettern, wollte aber auch nicht hier draußen allein zurückbleiben. In ihrer Verzweiflung wendete sie sich an den Besen: "Weißt du, was hier vorgeht? Weißt du, was mit Jonathan geschehen ist? Soll ich auch in die Baumhöhle klettern?"

Der Besen lehnte weiter ruhig und gelangweilt am Baumstamm, so als hätte er sie gar nicht gehört.

"Hallo, Besen, ich habe dich etwas gefragt. Könntest du bitte antworten?!" Nichts. Der Besen rührte sich nicht und sprechen wollte er wohl auch nicht. Majon fühlte sich allein und langsam wurde sie ein bißchen wütend. "Jonathan, komm sofort zurück!", rief sie aus Leibeskräften in das dunkle Loch.

"Majon, Majon, hier, warte ich komme, ich komme, bin schon da", keuchte Jonathan, als er vor ihr aus der Baumhöhle hervorkroch. "Oh, das glaubst du nicht, das ist der Wahnsinn, irre, einfach riesig toll, das musst du dir ansehen, komm!", forderte der Mäuserich seine Gefährtin auf.

"Warte, warte bitte mal, ich verstehe gar nichts. Komm erst mal und setzt dich hin und dann erzähl der Reihe nach, was du erlebt hast", bat Majon ihn. "Ich habe mich so gefürchtet, als du gar nicht auf mein Rufen geantwortet hast."

Völlig verstaubt, das Fell voller Spinnweben, setzte Jonathan sich ins Moos neben sie. "Ja, also, wenn du in die Höhle hineingehst, dann sieht sie ganz klein aus. Aber nach ein paar Schritten merkte ich, dass ich immer weiter gehen konnte. Es gab keine Wand, die mich aufgehalten hätte. Da war also dieser Gang, den bin ich weiter gegangen, hatte das Gefühl, der führt irgendwie bergauf. Dann machte der Gang einen richtigen Knick und ich kletterte weiter, nun ziemlich steil nach oben. Du, da waren Stufen, ich meine Sprossen, wie bei einer Leiter, weißt du, wie für mich, also wie für Mäuse geschaffen, irre ne, total toll!"

"Ja, und weiter, was geschah dann, und hast du mich denn nicht gehört, als ich deinen Namen rief?", wollte Majon wissen. "Du hast nicht geantwortet", fügte sie etwas ärgerlich hinzu.

"Ja, ja, hab' dich gehört und auch ganz bestimmt geantwortet, aber ich glaub' der lange Weg hat die Worte verschluckt."

"Hmm", seufzte Majon und hörte weiter zu.

"Nun, ich hatte das Gefühl, schon ziemlich weit oben zu sein, und da endete die Leiter in einem Raum. Majon, das wird unser neues Zuhause, das sag ich dir, ein Haus hoch im Baum. Vor Katzen sicher! Einmalig toll! Komm, ich zeig 's dir!"

Majon nickte und folgte ihm in das Rund im Baumstamm. Unauffällig wedelte der Besen ihnen nach.

"Oben gibt 's noch 'ne Überraschung, Majon, du wirst staunen", raunte er ihr leise zu.

"Hmm, das hört sich gut an. Ist es noch weit, dauert es noch lange?"

"Nein, gleich sind wir an der Stelle angelangt, an der wir die Sprossen erreichen, über die wir nach oben klettern", beruhigte er sie.

"Oh", brachte sei leise staunend hervor, als sie ihren Kopf durch die Öffnung auf den Boden der Baumhöhle reckte. Jonathan hatte nicht zu viel versprochen. Sie krabbelte weiter hinein und blickte auf eine große, runde Fläche, gepolstert mit Moos, Gras und trockenen Blättern!

"Betten, wie für uns gemacht ...", rief Jonathan aus und zeigte auf einen oval geformten Spalt, "sieh, das ist unser Ausguck." Stolz warf er sich in die Brust, als hätte er das Oval eigenhändig dort hinein geschnitzt.

"Aber, aber, aber, Jonathan, meinst du nicht, dass hier vielleicht schon jemand wohnt? Der wird bestimmt nicht erfreut sein, wenn wir in seiner Höhle schlafen", gab sie leise zu bedenken.

"Wer sollte das sein? Weißt du, wenn tatsächlich jemand kommt und sich ärgert, dass wir hier sind, dann gehen wir eben wieder fort, einverstanden?", schlug Jonathan begütigend vor.

"Wie du meinst, die Höhle ist wirklich wunderschön. Einen Versuch ist es wert. Also, abgemacht, wir übernachten hier." Sie stupste sich Gras und Blätter als Decke zurecht und bettete sich auf das Moos. Jonathan schmunzelte. Er freute sich, dass es ihr behagte und tat es ihr gleich. So schliefen sie nebeneinander ein.

Am nächsten Morgen wurden sie vom hellen Sonnenlicht geweckt, das warm durch das Oval herein strahlte. Majon reckte sich und krabbelte auf die Öffnung zu, um hinaus zu spähen. Von hier oben hatte sie einen guten Blick über Büsche und Bäume und auch auf den Igel, der gerade an dem Baum, in dem sie hockte, hier und da schnuppernd vorbei ging. Hinter der kleinen Baumreihe entdeckte sie ein Reh und ihr Kitz, das seine Mutter immer wieder anstupste, weglief und wieder zurück trabte.

"Oh, ja, hier möchte ich bleiben, hier fühle ich mich sicher", seufzte Majon erleichtert und drehte sich nach Jonathan um, der immer noch fest schlief.

"Ich werde mal sehen, ob ich etwas zu Essen besorgen kann", beschloss sie und schlich sich die Sprossen hinunter. "Hoffentlich wacht Jonathan in der Zwischenzeit nicht auf und macht sich Sorgen, wenn ich nicht da bin. Ach, ich beeile mich und laufe ja auch nicht weit weg", sprach sie sich selbst Mut zu.

Als sie unten angekommen war, spinkste sie vorsichtig aus dem Eingang, schaute nach links, nach oben, nach rechts und geradeaus, konnte aber nichts und niemanden erblicken. Also tapste sie los.

"Oh, toll, hier brauche ich ja einfach nur zuzulangen: Samen, Spitzwegerich, Gras und Heu ... und, oh, da hinten, Maiskörner und da, was ist das?" Nun blieb sie stehen und betrachtete ein merkwürdiges Gebilde. In einem nicht allzu dicken Ast befand sich ein Loch in dem sich eine aufgespaltene Nusschalenhälfte befand.

Buntstiftzeichnung: © 2013 by Schattenblick

© 2013 by Schattenblick

Unter dem Ast lagen weitere kleine Stücke der Schale. "Merkwürdig, was hat das zu bedeuten?", überlegte sie, und dann entdeckte sie die Nuss, eine ganze Nuss! Sie sah sich gewissenhaft um, konnte aber niemanden sehen, der ihr diesen Fund streitig machen konnte. Also schnappte sie sich die Nuss, klemmte sie zwischen ihre Zähne und wandte sich flugs in Richtung Baumhöhle. "Da wird Jonathan sich aber freuen, so ein tolles Essen. Ich bringe schnell die Nuss nach oben, dann lauf ich noch einmal los und hole uns Grünzeug, Mais und Samen - oh juhuuh, das wird ein Festschmaus!", trällerte sie fröhlich.

Die ganze Zeit hatte sie sich auf das Tragen der Nuss konzentriert. Nun blickte sie das erste Mal wieder nach vorne, da sie sich sicher war, den Baum jetzt erreicht zu haben und ließ vor lauter Schreck die Nuss fallen. Der Baum war fort! Majon war unfähig, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Sie plumpste auf ihr Hinterteil und starrte entsetzt an die Stelle, wo eben noch der Baum mit der Höhle und mit Jonathan gestanden hatte. "Was geht hier vor? Ein Baum läuft doch nicht einfach weg. Ich bin ganz sicher, dass dies genau der Ort ist, an dem der Baum stehen müsste. Wieso ist er fort, was ist passiert?", grübelte sie angestrengt nach. "Jonathan, oh je, oh je, Jonathan, wo bist du. Jonathan ...!", brüllte sie nun so laut sie konnte und fing bitterlich an zu weinen. Sie schluchzte und schniefte, nahm sich dann aber zusammen und rief noch einmal ganz laut: "Jonathan, bitte, Jonathan, so antworte doch, Jooonaathaaan!"


Zur gleichen Zeit in der Baumhöhle

"Wer ruft, wer ruft mich mitten in der Nacht, verdammt, nirgends kann ich ungestört sein, verflucht. Majon, hörst du das auch?" Jonathan drehte sich zu ihr um und ihm stockte der Atem. "Sie ist fort, Majon, wo bist du?", rief er erst leise, dann etwas lauter, weil er sie in seiner Nähe wähnte. Aber er bekam keine Antwort. Da, da war es wieder, dieses Rufen, jemand rief seinen Namen. Er lehnte sich aus dem Oval hinaus und als er Majon dort unten sitzen sah, fiel ihm ein Stein vom Herzen. "Majon, hier, hallo, hier bin ich, warum kommst du nicht rauf?"

Majon erschrak. Ganz deutlich konnte sie hören, wie sie gerufen wurde: "Majon, hier, hallo, warum kommst du nicht rauf?" Aber sie konnte den Baum immer noch nicht sehen. Die Stimme, das war doch Jonathans Stimme. Wieso konnte sie ihn nicht sehen? Sie überlegte hin und her und nahm allen Mut zusammen: "Jonathan, wo bist du? Ich kann dich nicht sehen, ich kann auch unseren Baum nicht sehen. Jonathan, ich fürchte mich", jammerte sie nun.

"Was? Warte Majon, bleib ganz ruhig, hörst du, ganz ruhig bleiben. Ich bin gleich bei dir!"

Jonathan blickte sich in ihrem neuen Heim um und verharrte an der Stelle, an der sein Besen es sich im Moos gemütlich gemacht hatte. Mit zwei Sätzen war er bei ihm, hob ihn am Stil auf und schüttelte ihn unsanft: "Du hast nicht zufällig eine Erklärung dafür, dass Majon den Baum nicht sehen kann?" Der Besen machte sich stocksteif und Jonathan hörte ihm zu. Niemand sonst hätte einen Laut vernehmen können, doch Jonathan verstand ihn.

"Also gut, Besen, ich fasse mal kurz zusammen: du wolltest uns beschützen, hast deshalb den Baum unsichtbar gemacht und nicht daran gedacht, dass Majon vielleicht den Baum allein verlassen könnte. Okay, du hast es gut gemeint, aber nun nimm den Zauber von dem Baum, damit Majon herein kommen kann!"

Wenige Augenblicke später erschien vor dem erschrockenen Mausemädchen der Baum. Sie war so verdaddert, dass sie sich nicht rühren konnte. Immer wieder blinzelte sie, um zu prüfen, ob dort vor ihr wirklich der Baum stand. "Majon, kannst du den Baum jetzt sehen?", rief Jonathan von oben hinunter. "Oh, Jonathan", freute sie sich, ja, ich kann dich und den Baum sehen."

"Na, dann los, komm herauf!"

Rasch hob sie die Nuss auf und spurtete los, in den dunklen Eingang und die Sprossen hinauf. Oben angekommen, nahm Jonathan ihr die Nuss ab, damit sie leichter in die Höhle klettern konnte.

"Was war denn das?", verwundert blickte sie Jonathan an und schüttelte den Kopf, "erst war da kein Baum mehr und dann wieder doch. Das ist unheimlich. Was geht hier vor?"

"Klar, das kannst du nicht verstehen. Das haben wir dem Besen zu verdanken."

"Wie bitte?"

"Ich spreche nicht gern über meinen Besen. Aber, ich sage dir, er ist ein toller Kumpel und kann unglaublich viel. Weißt du, er wollte uns beschützen, deshalb hat der den Baum unsichtbar gemacht. Er ist ein guter Kerl", verteidigte Jonathan seinen Besen.

"Oh!", meinte Majon dann leise.

Jonathan umarmte sie und dann fiel sein Blick auf die Nuss. "Ist das unser Frühstück?"

"Ja, aber eigentlich wollte ich noch Samen, Gras und Mais hinauf bringen, damit wir auch satt werden."

"Gut, dann holen wir uns das eben jetzt noch gemeinsam und essen später", schlug Jonathan vor.

"Ja, gut, ... warte mal, hörst du das auch?", wollte Majon wissen und machte ihn auf ein merkwürdiges Geräusch aufmerksam.

"Tock, tock, tock, und plopp."

"Schschscht", vorsichtig blickte Jonathan sich um.

"Es ist hier drinnen auf einmal so dunkel geworden ...", flüsterte Majon.

"Schscht, ja, oh, nein, was, was ist das denn?"

Jetzt sah auch Majon das Unheimliche. Das Oval, ihr Ausguck, ihr Fenster - es war vollkommen verdeckt durch ... durch ... etwas oder jemanden.

Fortsetzung folgt ...

zum 1. Juli 2013