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KALENDERGESCHICHTEN/062: 02-2016   Aufstand der Affen ... (SB)



Eine Affenmutter und zwei kleine Affen hocken vor einem Ameisenhaufen - Buntstiftzeichnung © 2016 by Schattenblick

Affendiebe

Der kleine Affe hatte Hunger. Sein Magen knurrte böse und er fühlte sich gar nicht gut. Er war zornig und unleidlich. Seit der Wald immer kleiner wurde, weil die Menschen immer weiter vordrangen und ihre Häuser dort bauten, wo einst das wilde Grün der Gräser, Blätter, Farne und Bäume samt ihren leckeren Früchten seinen Platz hatte, fand er kaum noch die von ihm gewohnte Nahrung. So erwies sich seine Suche auch heute wieder als wenig erfolgreich.

Wie immer, wenn er nicht mehr weiter wusste, lief er zu seiner Mutter und zeigte ihr, wie hungrig er war. Er klopfte sich auf sein Bäuchlein und schimpfte, sie möge doch endlich etwas zu Essen besorgen. Seine Mutter war sehr schlau. Alles was sie sagte wurde von der großen Affenhorde sehr ernst genommen und meistens taten alle was sie sagte - sogar der alte, schon etwas ergraute Chef der Affenbande. Sie nahm ihren Sohn in ihre Arme und tröstete ihn und zu den anderen sprach sie: "Folgt mir, wir wollen wenigstens ein paar Ameisen naschen."

Als sie an dem gar nicht weit entfernt liegenden Ameisenhaufen ankamen, setzten sich die großen Affen drum herum und betrachteten das muntere Treiben der Ameisen. Seine Mutter brach sich einen sorgfältig bemessenen Zweig ab, leckte das eine Ende an und hielt es in den Ameisenhaufen. Sofort krabbelten die kleinen Tiere dort hinauf, die Mutter zog den Zweig hinaus, führte ihn zum Mund und schleckte genüsslich die kleine Mahlzeit. Ihr Sohn hatte sie genau beobachtet und bemühte sich, alles genauso zu machen wie seine Mutter. Doch bei der Länge des Zweiges hatte er sich wohl verschätzt. Er war zu kurz. Die Ameisen erklommen das kurze Stück so geschwind, erreichten seine Finger, zwickten und piesackten ihn, so dass er das Zweiglein fallen ließ. Enttäuscht sah er seine Mutter an. "Versuche es einfach noch einmal und brich dir ein etwas längeres Ästchen ab", riet sie.

"Davon werden wir doch nicht satt. Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen", brüllte der Affenchef verärgert. Ein junger Affe rief dazwischen: "Ich habe eine Idee. Wir gehen zu den Menschen, in ihre Dörfer, in ihre Häuser und sehen nach, was wir an Essbarem dort finden können. Dann schnappen wir es uns und verschwinden wieder." - "Oh, ja. Es gibt hier ganz in der Nähe jetzt dieses große Haus, vor dem draußen Tische und Stühle aufgestellt sind. Dort sitzen Menschen und verspeisen lecker duftende Dinge. Vielleicht können wir etwas davon bekommen oder die Reste abfischen", schlug ein anderer vor. "Leute, was haltet ihr davon: es gibt doch diesen Einkaufsladen. Wir sollten uns überlegen, wie wir dort möglichst unauffällig hinein gelangen und so viele Leckereien wie möglich mitnehmen können", mischte sich der Affenchef ein. Die ganze Horde war begeistert. Nun meldete sich die Mutter des kleinen Affen zu Wort: "Wir könnten es vielleicht so machen: Einer von uns geht in den Laden und lenkt den Besitzer mit einem harmlosen Affentheater ab, irgendwie Grimassen schneiden oder hin und her hüpfen. Das wird den Mann so ärgern, dass er ganz damit beschäftigt sein wird, den merkwürdigen "Kunden" aus seinem Geschäft zu vertreiben. Das ist unsere Chance! Wir huschen unbemerkt hinein, packen alles ein, was wir haben wollen und verschwinden wieder. Das muss aber alles sehr schnell gehen!"

"Es sollte nicht länger dauern als das Hinauswerfen des Störenfrieds!", meinte der Chef. "Richtig, so wird es gehen! Und die Affenkinder bleiben hier bei mir. Ich passe auf sie auf", bestimmte die Affenmutter. Ihr kleiner Sohn, der ihr aufmerksam zugehört hatte, wollte allerdings unbedingt mit den Großen das Abenteuer erleben und lernen, wie man von den Menschen Essen holen kann. Aber seine Mutter behielt ihn und die anderen Kleinen streng im Auge. Sie sahen dem Unternehmen aus sicherer Entfernung zu.

Fünf Affen machten sich auf den Weg zum Lebensmittelladen. Einer betrat das Geschäft, vier andere lungerten vor der Tür. Als von drinnen das Kreischen und Schimpfen zu hören war, schlichen sie geschwind hinein, griffen sich aus den Regalen alles was sie tragen konnten und huschten hinter dem Rücken des wütenden Ladenbesitzers wieder hinaus. Nun hieß es rennen bis sie wieder in ihrem Versteck im Wald waren. Auch die Mutter und die kleinen Affen traten den Rückzug an. Nur einer nicht - ihr Sohn fand das alles viel zu spannend. Er sah zu, wie der Mann aus dem Laden gestürmt kam und den Affen, der das Affentheater veranstaltet hatte, verfolgte. Doch der Affe war viel zu schnell. Der Ladenbesitzer gab auf. Dann erblickte er den kleinen Affen, eilte mit Gebrüll auf ihn zu, in der Hand hielt er einen Stock, den er wild und drohend hin und her schwang. Immer wieder rief er: "Ihr Diebe, Diebe seid ihr, Affendiebe, verdammte Affendiebe!" Starr vor Schreck jaulte der kleine Affe laut auf. Als wollte das Unglück noch größer werden, packte ihn eine kräftige Hand von hinten, drückte ihn fest und riss ihn mit sich fort! Wenige Augenblicke später erkannte er seine Mutter. Sie hatte ihn gegriffen! Sie hatte ihn gerettet!

Als sie das Affenversteck erreichten, setzte sie ihn ab. Aber er schmiegte sich so eng an sie und zitterte noch immer. Sie sagte nichts und streichelte ihn, was ihn allmählich beruhigte. Inzwischen hatten die Affen ihre Beute begutachtet und in der Mitte vor sich ausgebreitet. Kekse, Bananen, Apfelsinen, Nüsse, Mehl, einen Plastikeimer, einen Kuchen, Brötchen, Süßigkeiten, Limonade, eine Zeitschrift und ein Gerät aus dem Töne herauskamen, wenn man einen Knopf drückte. Sie aßen und tranken bis alle satt waren. Der kleine Affe saß nachdenklich und still neben seiner Mutter. Er dachte an den wütenden Ladenbesitzer und wie er sie beschimpft hatte. Schließlich traute er sich zu fragen: "Mama, sind wir Affendiebe?"

"Aber nein, mein Kleiner, wir sind hungrig", erklärte sie ihm. Der alte Affenchef kam hinzu und erzählte dem Kleinen: "Die Menschen stehlen uns unser Essen, sie rauben unseren Wald, sie zerstören unser Zuhause. Wir nehmen uns nur ihr Essen , weil sie unseres genommen haben!" - "Oh, dann sind sie Affendiebe?", überlegte der Kleine laut. Der alte Affenchef lachte: "Nun ja, so könnte man es auch sehen."

Ende

1. Februar 2016


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