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KALENDERGESCHICHTEN/081: 09-2017 - Der kleine Dschinn - Artgenossen ... (SB)



Forschen Schrittes geht eine alte Frau durch den Garten, der 'Gestiefelte Kater' folgt ihr - Buntstiftzeichnung: © 2017 by Schattenblick

Nun lag er da, der kleine Dschinn, als Kater unter einer Kirchenbank und schlummerte tief. Die letzten Verwandlungen und das Wünschen hatten ihn viel Kraft gekostet, wie auch die Begegnung mit der hungrigen Maus, die nicht nur hungrig, sondern auch noch reichlich frech war und ihn geärgert hatte.

Der kleine Dschinn konnte nicht wissen, dass die ganze Zeit die alten Dschinn über ihn wachten und auch genau wussten, was er dachte und wie er sich fühlte. Angesichts seiner vielen vergeblichen Bemühungen, jemanden zu finden, der ihn lieb gewänne, hielten die Alten einen Rat ab. Hättest du einen Platz zum Lauschen gefunden, dann wäre dir folgendes zu Ohren gekommen:

"Nun, es scheint mir doch sehr naheliegend, dass er sich einfach jemanden herbei wünschen möchte, der ihm ins Dschinn-Reich folgt. Ich bin nur erstaunt, dass er erst so spät auf diesen Einfall gekommen ist."

"Ja, da kann man bemessen, wie wenig er uns einstmals zugehört hat, denn hätte er es getan, wüsste er, dass das nicht funktioniert."

"Was aber wollen wir nun unternehmen? Uns sind die Hände gebunden, wir können ihn nicht einfach wieder zu uns holen. Er muss die Aufgabe erfüllen, so sind die Regeln."

"Aber vielleicht können wir ihm ein wenig auf die Sprünge helfen?"

"Wie stellst du dir das vor, bitte schön?"

"Wir könnten ihm einen Traum schicken, das hat doch schon einmal geklappt, mit der Botschaft, dass er diese Art Wunsch nicht äußern kann, weil es gegen die obersten Dschinn-Regeln verstößt und nicht zum Erfolg führt."

"Das kann er doch auch selber herausfinden."

"Sei doch nicht so hart, das wäre doch nur noch wieder eine Enttäuschung für ihn."

"Ja, ich bin auch der Meinung, dass wir ihm das ersparen sollten."

So beratschlagten sie noch eine Weile, bis sie sich schließlich einig waren und ihm eine entsprechende Nachricht per Traum sandten. Die Dschinn sind nämlich sehr darauf bedacht, dass niemand verloren geht und sie immer alle zusammen bleiben. Ihre Sorge um den kleinen Dschinn war also nur allzu verständlich.

Unter der Kirchenbank räkelte sich das Katzentier nach einem erholsamen Schlaf. Gemächlich kroch der Kater in den Gang und richtete sich auf. "Das war ein merkwürdiger Traum, sehr eigenartig, aber an mehr erinnere ich mich nicht. Mmh, worum ging es da, mir schien es von Bedeutung zu sein. Aber, verflucht, es will mir nicht einfallen", strengte der kleine Dschinn sich an, um die Erinnerung doch noch wachzurufen. Er schüttelte sich und irgendwie fühlte sich sein Katzenkörper seltsam an. "Was war denn das nun schon wieder? Was ist denn mit meinen Beinen los, die sind ja hinten viel länger, ich stehe total schief", empörte sich der kleine Dschinn und stellte sich im selben Augenblick auf die Hinterpfoten, da ihm das viel bequemer schien. Er sah an sich hinunter und schaute direkt auf ein Paar hellbraune und ziemlich große Stiefel. "Oh je, was habe ich getan, wie sehe ich aus?", erschrak er und suchte nach einer Möglichkeit, irgendwo sein Spiegelbild zu finden. Da entdeckte er ein großes, mit Wasser gefülltes Becken neben dem riesigen Tisch mit den dicken Kerzen. Er sah hinein und erblickte einen ganz wunderschönen Katzen-, nein, Katerkopf, den ein bunter Hut mit breiter Krempe zierte. Mehr konnte er von sich nicht erkennen. "Mmh, eigentlich sehe ich ganz hübsch aus, prächtiger Kopfschmuck und tolle Stiefel, gefällt mir", säuselte der Kater-Dschinn.

Als er so selbstverliebt sein Spiegelbild betrachtete, wurde die Kirchentür unter lautem Knarren geöffnet und auch gleich wieder geschlossen. Ein Tock, Tock, Tock, begleitet von einem Klack, Klack, kam näher und näher. Zu spät, um an Flucht zu denken, drehte der kleine Dschinn sich um, und vor ihm stand eine alte Frau, die sich auf einen Gehstock stützte. Sie legte ihren Kopf schief und blinzelte freundlich: "Wer bist denn du?" Doch wohl nicht der Gestiefelte Kater aus dem Märchen? Siehst mir grad' so aus wie er." Die Frau bückte sich leicht vor, um den Kater besser in Augenschein zu nehmen, wiegte ihren Kopf hin und her und schmunzelte. "Da hat dich aber jemand schön verkleidet, mein Lieber. Willst mit mir kommen? Darfst bei mir bleiben, wenn du 's magst, Bübchen!"

Die alte Dame wartete keine Antwort ab, schritt auf den Tisch zu und entzündete in aller Ruhe und mit Bedacht eine Kerze, faltete ihre Hände, murmelte Worte, die der kleine Dschinn nicht verstand, und drehte sich in seine Richtung. Ein kurzer Blick streifte den "Gestiefelten Kater" und reichte, um ihn dazu zu bringen, ihr zu folgen.

Durch einen Garten, in dem alles kunterbunt durcheinander wuchs - hier rankte Wein an der weißen Mauer, dort machte sich Efeu breit und überwuchs zwei Fenster -, bahnten die Frau und der Kater sich ihren Weg zur Eingangstür. Die Villa hatte mit Sicherheit schon bessere Tage gesehen. An so mancher Stelle bröckelte der Putz oder fehlten Stücke im morschen Holz der Tür und der Fenster. Nach einigem Kramen in ihrer Handtasche fand die alte Frau den Schlüssel und sperrte auf. Drinnen war alles hell und sauber. Auf den vielen Polstermöbeln, vornehmlich klobige Sessel, dösten Katzen. Große, kleine, rote, schwarze, weiße, getigerte, fleckige - alles, was es nur an Katzenfellzeichnungen gab schien hier versammelt. "Puuh", japste der kleine Dschinn, "wo bin ich nur hineingeraten?"

Die Alte stellte ihre Einkaufstasche in der Küche auf den Tisch und begann auszupacken. Sie sang ein fröhliches Liedchen und werkelte vor sich hin. Der kleine Dschinn sah sich ungläubig um. Zum Glück nahm keines der Katzentiere von ihm Notiz und so konnte er sich vorsichtig in die Eingangshalle zurückziehen. Er hockte sich unter einen Tisch und versuchte sich zu besinnen. Was war geschehen? Alles ging so schnell und er fühlte sich so, als ob er sich gar nicht selbst entschieden hätte, der Alten zu folgen. Doch was nützte ihm das jetzt noch? Traurig lehnte er sich gegen die Wand. Da erinnerte er sich plötzlich wieder an den Traum und die Botschaft, die darin enthalten war. "Du kannst dir niemanden wünschen, der dich lieb hat! So sind die Dschinn-Regeln. Versuche es gar nicht erst. Sei getrost und verliere nicht den Mut, kleiner Dschinn. Du wirst dein Ziel erreichen!"

Erst war er enttäuscht, weil es mit dem Wünschen doch nicht so einfach war, aber dann fühlte er sich aufgrund des Zuspruches tatsächlich etwas besser. Vielleicht würde er unter den vielen Katzen eine Freundin finden. "Aber ich sehe nicht aus wie eine echte Katze. Besser ist es wohl, wenn ich mich verwandle, damit ich mit meiner sonderbaren Gestalt nicht auffalle. Gesagt, getan, schwuppdiwupp saß an seiner statt nun ein prächtiger, aber ganz gewöhnlicher Kater.

Plötzlich ertönte ein heller, lauter Pfeifton und nun gerieten die trägen Katzen auf den Polstermöbeln in helle Aufregung. Eiligst strebten sie zur Hintertür hinaus. Der kleine Dschinn zögerte. Was mag ihn dort erwarten, sollte er sich den Katzen anschließen?

Das Abenteuer des kleinen Dschinn nimmt seinen Lauf ...


29. August 2017


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