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KALENDERGESCHICHTEN/083: 11-2017 - Der kleine Dschinn - ehrlich wird 's am engsten ... (SB)


Kellerassel Marita mit lauter bunten Schuhen an ihren Füßchen, daneben der kleine Kellerassel-Dschinn mit erwartungsvollem Blick - Buntstiftzeichnung: © 2017 by Schattenblick

Nachdem der kleine Dschinn enttäuscht und ärgerlich die Katzen-Villa verlassen hatte, machte er unter einer Buche die Bekanntschaft einer Kellerassel. Diese war in Bedrängnis geraten und bat ihn um Hilfe. Vor lauter Freude über dieses freundliche Wesen verwandelte er sich vor ihren Augen ebenfalls in eine Kellerassel.

"Wow, hast du mich aber erschreckt. Wo kommst du her und wo ist der riesige Kater geblieben, der mir eben aus der Patsche geholfen hat?", aufgeregt plapperte die Kellerassel drauf los, wobei sie mit all ihren vielen Füßchen abwechselnd auf und ab wippte. "Sie hat eine wirklich schöne Stimme", stellte der kleine Dschinn ganz betört fest, überlegte aber schnell, was er antworten sollte, denn anscheinend hatte sie doch nicht mitbekommen, dass der Kater und er als Kellerassel ein und derselbe waren. Was also tun? Er entschied sich zu einer kleinen Notlüge: "Entschuldige, dass ich dich geängstigt habe, aber wo der Kater hin ist, weiß ich auch nicht," flunkerte er.

"Hmm, gut. Das ist sehr merkwürdig. Wie kann so ein gewaltig riesiges Tier einfach von einem Moment auf den anderen verschwinden? Und wo hattest du dich versteckt? Ich hab' dich zuvor gar nicht bemerkt? Jam, jam, jam, alles irgendwie, irgendwie seltsam!", grummelte sie und schüttelte ihr Köpfchen, was komisch aussah, weil ihre Fühler dabei hin und her wackelten.

Einen Moment lang wartete sie auf seine Antwort, aber da er nur da stand und in Gedanken versunken schien, beschloss sie, ihren Weg fortzusetzen. "Also, falls du den Kater treffen solltest, sag' ihm herzlichen Dank. Ich werde jetzt zusehen, dass ich nach Hause komme. Bis bald und tschüß."

"Warte, warte, warum hast du es denn so eilig?", stoppte der kleine Dschinn die Kellerassel, denn er wollte gern bei ihr bleiben, "ich weiß ja nicht einmal wer du bist und wie du heißt."

"Wozu musst du dass denn wissen?" - "Na ja", etwas verlegen brummte er, "ich dachte, vielleicht könnten wir ein Stück des Wegs gemeinsam gehen?" - "Auch gut, hab' nichts dagegen. Also, ich heiße Marita und bin wie gesagt auf dem Nachhauseweg und freue mich über deine Begleitung, jam, jam, jam", meinte sie fröhlich und lächelte ihm zu, "und was ist mit dir, wer bist du und wo kommst du her?"

Fieberhaft sann der kleine Dschinn nach, ihm musste schleunigst ein Name einfallen. "Ach weh, sich kleine Flunkereien ausdenken ist keine einfache Sache, das ist schon mal klar", murmelte er leise vor sich hin. Zu gern hätte er der netten Kellerassel mit der zauberhaften Stimme die Wahrheit über sich gesagt, aber noch traute er sich nicht. "Man nennt mich Ragnar", begann er, "und ich komme von weit, weit her, wo ich für lange Zeit im wunderschönen, tiefen, dunklen Dunkel lebte." Der kleine Dschinn war ganz mit sich zufrieden, weil er gar nicht gelogen hatte, außer der kleinen Schummelei mit seinem Namen natürlich. Der Kellerassel Marita schien das zu genügen.

Beide trippelten dicht nebeneinander her und Marita beschrieb ihm ihr Zuhause, das wirklich sehr gemütlich sein musste, so wie sie davon schwärmte. Beide beeilten sich, es möglichst bald zu erreichen. Als sie schon eine schöne Wegstrecke unter und über Holzstückchen, Erdklümpchen und Blattwerk zurückgelegt hatten, bebte der Boden unter ihren Füßen ganz plötzlich, erst nur ein wenig, dann immer kräftiger. Marita erschrak, suchte aber sogleich ein Versteck. "Schnell, bringen wir uns in Sicherheit! Ein Mensch, ein großer Mensch nähert sich, jam, jam, jam, los, komm' schon!" Der kleine Dschinn folgte ihr sofort. Unter der Wölbung eines Steins fanden sie Schutz. Das Zittern und Wackeln des Erdbodens wurde so heftig, dass Marita und der kleine Dschinn beinahe umgekippt wären - und so leicht kippt man als Kellerassel wirklich nicht um, nicht mit 14 Beinchen. Die beiden hielten einander fest, ganz fest.

Der Mensch setzte seinen Weg stampfend fort, ohne sie zu beachten. Die beiden in ihrem Versteck wagten sich bald ein wenig vor, um zu sehen, ob die Gefahr vorbei war. So konnten sie zunächst nur zwei riesige Schuhsohlen erkennen. Sie mussten ihre Köpfchen schon ziemlich weit nach oben recken, um auch den zu erkennen, der in diesen Schuhen steckte. Der kleine Dschinn kannte sich inzwischen ein wenig mit den Menschen aus und sah, dass es ein kleiner Junge war. Aber aus Sicht einer Kellerassel erschien er ihm wie ein Gigant. Er staunte, wie sehr sich die Welt von hier ganz unten, so nah am Boden, verändert hatte. Alles war riesig, jeder Grashalm glich einem Baum, jedes Steinchen einem Felsen und jeder Kinderschuh wurde zu einem gewaltigen Lederungetüm.

Marita war indessen wieder ganz unerschrocken und trippelte aus ihrer Steinhöhle, um ihren Weg nach Hause fortzusetzen. "Na los, komm schon, was starrst du so lange diesem Monster hinterher?", raunzte sie ihn an.

"Die Schuhe des Jungen, hast du gesehen wie riesig die sind? Erst jetzt aus der Entfernung kann ich sie in ihrem vollen Ausmaß erkennen", staunte der kleine Kellerassel-Dschinn. "Aber was redest du denn da, die Welt sieht doch nie anders aus?", wunderte sich Marita über ihren Wegbegleiter und schmunzelte. "Ja, sicher, du hast recht", stimmte er ihr verlegen zu. Aber Maritas Aufmerksamkeit war bereits woanders.

"Weißt du, warum Menschen Schuhe tragen?", wollte sie von ihm wissen. "Na, ich vermute, weil sie ohne Schuhe kalte Füße kriegen oder sie haben Angst, dass sie auf einen spitzen Stein treten, was sehr schmerzen würde. Vielleicht können sie aber mit Schuhen auch viel, viel schneller laufen als ohne", vermutete der kleine Dschinn. "Oh, wenn das so ist, möchte ich auch Schuhe haben, dann wäre ich im Nu zu Hause", scherzte Marita und lachte, "aber da bräuchte ich schon mal sieben Paare von diesen Dingern, jam, jam, jam!" Sie kicherte und hob abwechselnd ihre Füßchen in die Luft. Der kleine Dschinn musste einfach in ihr Lachen einstimmen und freute sich so, dass er sich für einen Moment vergaß und ihr blitzgeschwind 14 kunterbunte Schuhe an ihre Füße zauberte. Zunächst bemerkte Marita es nicht, aber als sie sich etwas beruhigt und zu kichern aufgehört hatte, blickte sie an sich hinunter und stierte verdaddert auf diese wundersamen, bunten Schühchen.

"Was, w-w-wie, w-ww-wo, aber, Hilfe, was geschieht hier. Warst du das? Wer bist du? Du, du, du bist mir unheimlich, du warst das, gib 's zu, du hast diese komischen Dinger an meine Füße gehext", stammelte Marita und schien wirklich verärgert zu sein. Damit hatte der kleine Dschinn nicht gerechnet, hatte er doch angenommen, ihr eine Freude damit zu machen. Schon wieder musste er sich etwas einfallen lassen, um nicht zuzugeben, dass er für den Schuhzauber verantwortlich war.

"Vielleicht sind wir hier durch Wunschmatsch gelaufen und wenn man darüber läuft, geht alles in Erfüllung ...", versuchte der kleine Dschinn sich rauszureden. "So ein Blödsinn, jam, jam, jam, so ein Quatsch", herrschte sie ihn an. "Doch, doch versuch 's doch noch mal und wünsche dir einfach die Schuhe wieder fort?", schlug er ihr vor, "obwohl du wirklich verdammt süß darin aussiehst!"

"Nun, reicht es aber, ich will überhaupt nicht süß aussehen und Schuhe schon mal gar nicht anhaben!", dabei stampfte sie mit ihren neuen Schuhen abwechselnd auf den Boden, "das hab' ich doch bloß aus Spaß gesagt." - "Also, dann wünsche sie dir doch fort!", befahl der Kellerassel-Dschinn.

"Wenn du meinst: Fort mit den Schuhen!", rief sie aus. Der kleine Dschinn tat sein Bestes und ließ die bunten Schühchen verschwinden. "Siehst du, es war doch Wunschmatsch über den wir gelaufen sind." Aber Marita war nicht überzeugt, sie glaubte ihm nicht. Irgendwie ahnte sie, dass er dahinter steckte, sagte aber nichts weiter. Nach einer Weile des Schweigens sprachen sie wieder miteinander und jeder erzählte aus seinem Leben. Der kleine Dschinn mochte die Kellerassel, ja, sogar wirklich sehr. Und je mehr sie ins Erzählen kam, desto vertrauter wurde sie ihm. Er war nicht nur von ihrer Stimme betört, er hatte sie wirklich lieb gewonnen und er fragte sich gerade, ob sie wohl singen könne.

Da überraschte sie ihn plötzlich mit einer Frage: "Wer bist du? Und ich will jetzt alles ganz genau wissen. Seit ich dich kenne, sind merkwürdige Dinge geschehen, die mir nie zuvor in meinem Leben widerfahren sind. Erst verschwindet der riesige Kater, dann tauchst du auf einmal aus dem Nichts auf und dann trage ich plötzlich Schuhe an meinen Füßen, die sich auf fantastische Weise in Luft auflösen! Also, jam, jam, jam, irgendetwas stimmt hier nicht - und ich nehme an, dass du ein Geheimnis mit dir herumträgst."

Nun war der kleine Dschinn in Schwierigkeiten - was sollte er nur tun. Wenn er ihr die Wahrheit sagte, würde sie ihm vielleicht nicht glauben und ihn auslachen, oder aber sie würde ihm glauben und ihn dann aber verlassen. Ihm wurde ganz elend zumute. Aber vielleicht würde sie ihm glauben und ihn obendrein auch noch ins Dschinnreich folgen?

Wie es mit dem kleinen Dschinn und der Kellerassel Marita weitergeht, erfahrt ihr im nächsten Abenteuer ...


zum 1. November 2017


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