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TIERGESCHICHTEN/013: Gut, dass es die Oma gibt ... (SB)



Lisa konnte sich vor Freude gar nicht beruhigen. Endlich hatte sich ihr Wunsch, eine Katze zu bekommen, erfüllt. Ein wenig wurde ihr Glück allerdings dadurch geschmälert, dass sie ihre Katze nicht mit in ihr Zuhause nehmen durfte. Lisa lebte mit ihren Eltern in einer Großstadt und manche Vermieter erlaubten keine Haustiere in ihren Häusern. Doch in den Ferien, da fuhr sie zu ihrer Oma, die in einem kleinen Dorf lebte, auf einem ehemaligen Bauernhof. Die Oma bewirtschaftete den Hof nicht mehr, doch hielt sie sich Kaninchen, Hühner, Enten und Gänse und einen Hund. Da fand auch die Katze von Lisa einen Platz.

"Na Lisa, hast du dir schon überlegt, wie du dein kleines Katzenkind nennen willst?"

"Ich fänd Maunzi gut, weil sie so schöne tiefe Maunz-Laute von sich gibt", erklärte Lisa und kraulte Maunzi, die es sich auf ihrem Schoß gemütlich gemacht hatte.

"Dann hättest du sie auch Schnurri nennen können, hör nur wie laut sie schnurrt", lachte ihre Oma.

"Nein, ich bleibe bei Maunzi", beschloss Lisa und erschrak, denn in dem Augenblick sprang die eben noch so entspannt schnurrende Katze hinunter und rannte zum Hoftor. Lisa eilte sofort hinterher und holte sie schnell ein, blieb dann aber abrupt stehen.

Als ob das kleine Katzentier einem Ruf gefolgt wäre, lief sie direkt auf den Pfeiler des Tores zu und hockte sich davor hin. Ihren Blick richtete sie auf die ungewöhnlich große, schwarz-weiß gemusterte Hauskatze, die dort oben saß und gebieterisch auf das nahe Umfeld blickte. Eigentlich saß sie nicht, sie thronte, sie hatte etwas Majestätisches an sich, etwas Bestimmendes. Erst als Maunzi leise miaute, würdigte sie die kleine Katze eines Blickes. Dann nahm Lisa eine Veränderung in der Haltung der Katze wahr. Sie wirkte auf einmal bekümmert und miaute Maunzi mehrere Katzenlaute zu.

Lisa wunderte sich, denn sie hatte nicht gewusst, dass ihre Oma bereits eine Katze besaß und dann auch noch so ein gewaltiges Tier. Sie ergriff ihr Kätzchen, hob es auf den Arm und streichelte es. Dann kehrte sie der merkwürdigen, fremden Katze den Rücken und fühlte sich von ihr unangenehm beobachtet.



Eine große schwarz-weiße Katze sitzt majestätisch auf dem Pfeiler des Hoftores - Buntstiftzeichnung: © 2021 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2021 by Schattenblick


"Oma, seit wann hast du denn auch eine Katze? Warum hast du das gar nicht erzählt?", empörte sich Lisa

"Ich? Eine Katze? Wie kommst du denn da drauf?", erstaunt sah sie ihre Enkeltochter an.

"Da vorn, auf dem Pfeiler des Hoftors hockte eine riesige schwarz-weiß gefleckte Hauskatze. Ich muss sagen, irgendwie hat sie mir Angst gemacht!", berichtete Lisa.

Ihre Oma legte ihr Nähzeug beiseite, erhob sich und schritt neugierig in Richtung Tor. Lisa folgte ihr, immer noch die kleine Maunzi auf dem Arm. Als sie das Tor erreichten, war weit und breit nichts mehr von der seltsamen Katze zu sehen.

"Wird wohl eine aus der näheren Umgebung gewesen sein, die sich hier ein sonniges Plätzchen gesucht hat. Ich wüsste nur zu gern, wem sie gehören könnte. Eigentlich gibt es hier nur noch Hunde in der Nachbarschaft", wunderte sich die Oma, "na, egal, lass uns zum Haus zurückgehen.

Am Abend nahm Lisa ihr Kätzchen mit in ihr Zimmer. Dort hatte sie ein Körbchen zurecht gemacht. Müde legte sie sich selbst ins Bett, schnappte sich ihr Lieblingsbuch, das sie schon zum zweiten Mal las, und schlief irgendwann darüber ein.

Mitten in der Nacht erwachte sie. Ein Kratzen an der Scheibe des Fensters hatte sie geweckt. Erst glaubte sie, es wären Regentropfen, doch das waren keine Tropfen. Flugs sprang sie auf und lief zum Fenster hinüber. In dem Augenblick drang ein forderndes Miauen und Fauchen ins Zimmer. Lisas Kätzchen schrak hoch und kam mit wenigen Sprüngen neben Lisas Beinen zum Stehen. Lisa nahm Maunzi auf den Arm und beide starrten durchs Fenster ins Dunkle. Das Mondlicht erlaubte einen Blick hinaus und dort auf einem Baumstumpf hockte die große Katze und miaute. Lisas kleine Katze wurde unruhig. Diesmal machte das riesige Katzentier allerdings einen ganz erbärmlichen Eindruck. Ihr Kopf war geschwollen und sie bewegte sich, als litte sie große Schmerzen.

Lisa zögerte einen Moment und überlegte was zu tun sei. Schließlich lief sie ins Schlafzimmer ihrer Oma, weckte sie und berichtete ihr von der vermutlich verletzten Katze. Rasch erhob sich die Oma, schlüpfte in ihren Morgenmantel und zog ihre Puschen an.

"Los Lisa, zieh dir schnell was über, wir sehen uns das arme Tier einmal genauer an! Und lass Maunzi im Zimmer, sie soll nicht mit raus!"

Wenige Augenblicke später standen beide vor der Katze. Lisas Oma hatte viel Erfahrung mit Tieren, ganz gleich ob groß oder klein. Ganz ruhig sprach sie mit ihr und erstaunlicherweise rührte die Katze sich nicht, sondern ließ sich anfassen. Nach einer kurzen Untersuchung stellte Oma fest, dass sich um dem Hals der Katze eine Drahtschlinge befand, die ihr das Atmen nur noch unter Schmerzen ermöglichte. Sie musste schon versucht haben, sich selbst von der Schlinge zu befreien, denn ihre eine Pfote war ganz blutig.

"Wir bringen sie in den Stall, dort schnappst du dir einen alten Strohsack, legst ihn in die Ecke neben der Rübenkiste und stopfst etwas Heu hinein. Dann hol schnell ein altes Handtuch, du weißt schon, aber mach schnell!", wies Oma sie an. Lisa beeilte sich und legte schließlich das Handtuch auf den Sack mit Heu. Darauf bettete Oma das arme Tier, derweil sie die ganze Zeit zu ihm sprach. Sie hatte sich bereits eine Zange aus der Werkzeugkiste genommen, knipste nun vorsichtig den Draht durch und entfernte ihn vom Hals der Katze. Danach versorgte sie noch die Pfote. Als alles erledigt war, ließen sie die kranke Katze in Ruhe, damit sie sich erholen und auch schlafen konnte.

"Wird sie wieder gesund?", wollte Lisa wissen. "Nun, mit etwas Glück, wenn sie keine inneren Verletzungen davongetragen hat, müsste sie sich schnell erholen. Du kennst doch das Sprichwort, ,Katzen haben sieben Leben'."

"Oma, wer kann denn so etwas Schlimmes mit der Katze angestellt haben? Und warum? Was soll sowas?" Lisa verstand es nicht, sie konnte es einfach nicht begreifen, wie jemand einem Tier so etwas Gemeines zufügen konnte. "Die Katze hätte sterben können!"

"Tja, manche Menschen empfinden Freude oder Lust, wenn sie andere quälen können. Frag mich nicht, warum das so ist."

"Woher wusste die Katze denn, dass sie zu dir kommen kann, dass du ihr helfen würdest?", wunderte sich Lisa.

"Na, das ist vielleicht eine Frage. Ich verrate dir mal etwas. Zu mir werden viele kranke Tiere gebracht, ob nun ein überfressener Hamster, ein flügellahmer Dompfaff, ein hinkender Hund oder ein appetitloses Pferd oder was sonst noch alles."

"Und, konntest du denen helfen?"

"Nun, ich habe mich stets bemüht und nach einiger Zeit ging es den meisten wieder besser." Lisa dachte nach, sagte aber nichts mehr. "Komm Lisa, lass uns wieder zu Bett gehen. Morgen sehen wir nach der Katze, geben ihr Milch, Wasser und etwas Katzenfutter. Wenn sie anfängt etwas zu sich zu nehmen, dann wird auch alles wieder gut. Also, los jetzt, sicher wartet Maunzi schon auf dich", forderte die Oma sie auf.

Zwar dauerte es etwas länger mit der Genesung der seltsamen Katze, doch nachdem sie Milch getrunken und Futter gefressen hatte und jeden Tag etwas mehr davon, war Lisa beruhigt. Als die Katze, die Lisa insgeheim Majestät genannt hatte, wieder putzmunter war, ließ sie sich nicht mehr vom Hof der Oma vertreiben. Auf diese Weise sorgte Lisa von nun an für zwei Katzen.

Ende


26. Juli 2021

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 165 vom 31. Juli 2021


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