Pflanzen können sich nicht wie Tiere und Menschen fortbewegen, sie sind an ihren Standort gebunden. Um sich vor Fressfeinden schützen zu können, haben viele eine spezielle Abwehrtechnik entwickelt. Einige sichern das Überleben ihrer Art, indem sie sich in enormer Zahl vermehren, andere verströmen unangenehme Düfte oder sondern gefährliche, giftige Substanzen ab. Wieder andere, oft sind es Bäume, benachrichtigen die Nachbarbäume über Signalsubstanzen, die sich über die Luft hin zum nächsten Baum verbreiten. Dort lösen sie die Produktion von Abwehrstoffen aus, so dass die Feinde rechtzeitig abgewehrt werden können. Allerdings gibt es auch wirklich angriffslustige und gefährliche Pflanzen. Im Folgenden betrachten wir hier den Sandbüchsenbaum. Er kann sich nicht nur gut verteidigen, sondern greift seine möglichen Feinde auch an, was für sie im schlimmsten Fall tödlich enden kann, oder aber zu Verletzungen führt.
Bei dem Sandbüchsenbaum handelt es sich um einen immergrünen Baum, der bis zu 40 Meter hoch wachsen kann. Die Dicke Umfang seines Stammes beträgt ca. zwei Meter. Das Besondere an diesem Stamm mit der glatten braun-grauen Borke sind die Stacheln, die ein bis zwei Zentimeter lang und konisch geformt sind. Das heißt, sie sind direkt am Stamm etwas dicker und laufen spitz zu.
Stamm des Sandbüchsenbaums
Foto: 2010 by Paul Bolstad, University of Minnesota, United States, CC
BY 3.0 US [https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/us/deed.en],
via Wikimedia Commons
Da sehr viele, dicht beieinanderstehende Stacheln die gesamte
Oberfläche des Stammes bedecken, dienen sie nicht nur der Abwehr von
Feinden, sondern bieten zudem noch einen Schutz gegen zu starke
Sonneneinstrahlung. Das Licht wird vielfach gebrochen und abgelenkt,
so dass die Wärmestrahlen die Borke nicht direkt erreichen können. Der
Sandbüchsenbaum ist voller Gift. Sein giftiger Milchsaft befindet sich
unter der Borke, wie auch in den Blättern, den Früchten und den Samen.
Bekommt man die milchige Flüssigkeit in die Augen, kann es zur
Erblindung kommen, werden die Früchte oder Blätter gegessen, führt das
zum Erbrechen, zu Durchfall und unter Umständen zu starken Krämpfen.
Hält man sich zur Reifezeit der Früchte in der Nähe dieses Baumes auf,
kann es gefährlich werden.
Die Früchte, die wie kleine Kürbisse oder wie eine geschälte Mandarine
aussehen und im Laufe der Reifung eine sehr harte Schale entwickeln,
explodieren mit hoher Sprengkraft und wirken wie kleine Geschosse, die
zu Verletzungen führen können. Die dabei freigewordenen Samen werden
mit einer Geschwindigkeit von bis zu 240 Stundenkilometern durch die
Luft geschleudert und erreichen Entfernungen bis zu 45 Meter, weit
genug entfernt vom Mutterbaum, um selbst mit genügend Licht und Platz
wachsen zu können.
Blüte, Frucht und Samen des Sandbüchsenbaums
Grafik: by Descourtilz, J. Theodore.; Descourtilz, M.E.; Bessin
(engraver), Public domain, via Wikimedia Commons
Die Samen des Sandbüchsenbaums sind besonders kompakt, da sie reichlich Nährstoffe in sich tragen, denn sie fallen auf dunklen Waldboden und müssen versorgt sein, bis sie groß genug sind, um an ausreichend Licht zu gelangen. Sie ähneln flachen, kupferfarbenen Bohnen von der Größe einer 50 Cent-Münze und fliegen aufgrund der hohen Explosionskraft der Frucht wie Frisbee-Scheiben durch die Luft.
Es gibt dennoch Tiere, die sich dem gefährlichen Baum nähern und auch
von ihm fressen. Da wären zum Beispiel Ameisen, die zu Beginn des
Reifungsprozesses der Früchte durch Spalten in sie eindringen. Dort
nisten sie in den Hohlräumen und ziehen ihren Nachwuchs auf, sicher
geschützt vor Fressfeinden. Die Samenhülse selbst greifen die Ameisen
nicht an, denn dann würde der klebrige, ätzende Milchsaft austreten
und sie töten. Darüber, ob die Ameisen ihre Behausung verlassen, bevor
sie aufgesprengt wird, gaben die uns zugänglichen Quellen keinen
Aufschluss.
Dann wären da noch die Soldaten-Ara-Papageien. Sie fliegen den Baum an
und fressen die Früchte, denn ihr Schnabel ist kräftig genug, um die
Schale zu knacken. Nach ihrer Mahlzeit müssen sie unbedingt Tonerde zu
sich nehmen, denn die schwächt das Gift darin ab, so dass den Vögeln
nichts geschieht. Damit haben sie sich eine Nahrungsquelle gesichert,
die ihnen keiner streitig macht.
Warum muss sich gerade dieser Baum auf so aggressive Art zur Wehr setzen? Ist er besonders bedroht? Hat er besonders viele Feinde? Leider ist nicht viel über Feinde des Baumes bekannt. Tiere, wie beispielsweise Vögel, Schlangen oder Affen, können den Baum nicht erklimmen, da die spitzen Stacheln des Stammes ihnen keine Möglichkeit zum Festhalten oder Abstützen bieten. So könnte die enorme Abwehrtechnik des Sandbüchsenbaums auch als Schutz für die Tiere angesehen werden, die ansonsten die giftigen Früchte oder Blätter fressen und daran vielleicht sogar sterben würden.
Der Mensch versteht es, diesen giftigen Baum zu seinem Vorteil zu nutzen. Er nimmt sich die Stachel, die Rinde, die Früchte oder die Blätter und verarbeitet sie zu unterschiedlichen Zwecken. Aus dem weißen, giftigen Pflanzensaft kann ein Pfeilgift hergestellt werden, das einst für die Jagd mit dem Blasrohr auf Fische oder andere Tiere benutzt wurde. Aus den Blättern und der Rinde können Arzneien hergestellt werden. Dabei wird das Gift in ganz geringen Mengen verwendet, so dass keine Schädigungen aufkommen, sondern beispielsweise eine Schmerzlinderung eintreten kann. Angepflanzt wird der Baum auch, um aus seinen Inhaltsstoffen Drogen herzustellen, die einen Rausch und Wahnvorstellungen hervorrufen. Sein relativ leichtes Holz wird zumeist zur Herstellung von Möbelstücken verwendet. Aus den harten Schalen der Früchte werden verschiedenartige Schmuckstücke gefertigt.
Zu Zeiten als noch mit Feder und Tinte geschrieben wurde und es keine Löschblätter gab, um die Feuchtigkeit der Tinte aufzusaugen, damit die Schrift nicht verläuft, hatte man feinen Sand zu diesem Zweck benutzt. Er wurde auf das Schriftstück gestreut und dann wieder weggepustet oder -gewedelt. Um Sand am Schreibtisch parat zu haben, wurde eine Hälfte der unreifen und noch ungiftigen Fruchtschale mit Sand gefüllt, die andere als Deckel benutzt - so erhielt man eine Büchse mit Sand - und der Baum seinen deutschen Namen "Sandbüchsenbaum". In den Ländern, in denen der Baum beheimatet ist, wird er auch "Teufelsbaum" oder "Pistole der Affen" genannt.
Der Sandbüchsenbaum ist nicht vom Aussterben bedroht, da er auch als Nutzpflanze angebaut wird. Ob er auch in seinem natürlichen Umfeld weiter bestehen kann und nicht der weit verbreiteten Waldvernichtung anheimfällt, bleibt diesem eigenartigen Baum zu wünschen.
Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:
https://www.baumkunde.de/forum/viewtopic.php?t=4531
https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/journal/kuriose-pflanzenwelt-hura-creptians
9. Juni 2023
veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 179 vom 22. Juli 2023
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