Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → NATURKUNDE

PONYFREUND/002: Fürs Reitenlernen noch zu klein? (SB)


Zum Reiten noch zu klein?

Ein Wort an die Eltern kleiner Pferdenarren


David und Goliath - Pferdeliebe kennt keine Größenunterschiede

Pferdeliebe kennt auch keine Altersgrenzen. Ich weiß noch ganz genau, daß es mich schon als zarten Jüngling mit anderthalb Jahren, in denen ich schon recht gut zu Fuß war, mächtig zu den Brauereipferden zog, wenn ich mit meiner Oma, meiner Mutter und meinem kleinen Bruder, der noch im Kinderwagen geschoben wurde, in der Bremerhavener Altstadt "Luftschnappen" ging. Wir wohnten nämlich im 9. Stock eines großen Hochhauses, ganz nah beim lieben Gott, wie mir damals schien, und unser einziger Kontakt mit der Natur bestand aus einem ca. zwei Quadratmeter großem Balkon und eben jenen täglich verabreichten Spaziergängen.

Jedenfalls gab es der modernen Zeit der Wolkenkratzer und Schnellstraßen zum Trotz in unserer Stadt noch Kopfsteinpflaster und Gespanne mit riesigen Pferden im regulären Arbeitseinsatz, denen wir häufiger begegneten. Was mich an diesen gigantischen Kolossen, die mich um ein Vielfaches überragten, so anzog, kann ich nicht sagen. Vielleicht fühlte ich mich mit ihnen auch nur deshalb irgendwie verbunden, weil ich selbst in einer Art Pferdegeschirr herumlief, eine ziemlich beschämende und peinliche Sicherheitsmaßnahme für Kleinkinder in jener Zeit, damit mich meine Eltern an einer kurzen Leine halten konnten, ohne die ganze Zeit aufpassen zu müssen, was ihr temperamentvoller Sohn schon wieder so trieb. Unsere Freundschaft vertiefen und sie anfassen, durfte ich die sanften Riesen in ihrem prächtigen Geschirr und ihren blonden Mähnen jedenfalls auch nicht, denn mit einem kurzen Ruck an meiner Leine wurde jeder weiteren Kontaktaufnahme ein jähes Ende bereitet, und auch sonst gab es wenig Möglichkeiten in der Stadt, meine Pferdeliebe zur vollen Entfaltung zu bringen - abgesehen von dem elektrischen Schaukelpferdchen vor dem Kaufhaus, in das man einen Groschen stecken mußte. Ich ritt den schwarzen Rappen mit der "echten" Plastikmähne, während mein Bruder sanft auf dem weißen Elefanten schaukelte. Doch auch dieser unvergleichbare Ersatz kostete reichliche Überredungsarbeit, denn damals waren zwei Groschen für meine Eltern noch sehr viel Geld.

Kurz gesagt, obwohl es praktisch keine Gelegenheit gab, eine Beziehung zu echten Pferden zu entwickeln und diese Neigung nicht im mindesten von meinen Eltern, Großeltern oder sonstigen Verwandten gefördert oder unterstützt wurde, war das Pferd mein Lieblingstier, zählte ich am Autofenster die Pferdchen auf den Weiden, wenn wir vorüberfuhren und schon fortan fehlte der Hauptwunsch: "1 Pony" auf keinem Brief an den Weihnachtsmann.

Wer also glaubt, ein Kind sei noch zu klein, wenn es schon mit drei oder vier Jahren reiten lernen möchte, und wüßte noch nicht so recht, was es wolle, dem sei gesagt: Ein Pferdenarr kommt nie mehr davon los. Sollte ihm auch das Schicksal ein pferdeenthaltsames Leben bescheren, so kann es sein, daß er vielleicht mit 50 oder 60 Jahren endlich auf ein Roß steigt und beharrlich das lernt, was er schon sein ganzes Leben wollte: auf einem Pferd reiten. Das kann für beide, Roß und Reiter, sehr schmerzhaft werden. Beim Reiter liegt es auf der Hand, doch das Pferd muß jede ungeschickte Bewegung des Reiters aussteuern, worunter auch der stärkste Pferderücken, z.B. selbst der eines starken Islandponys, leidet, auch wenn die Pferde es aus schierer Menschenfreundlichkeit meist klaglos über sich ergehen lassen.

Wer also auch nur ein kleines bißchen Pferdeliebe in seinem Herzen spürt, und wessen Kinder nicht damit aufhören wollen, auf allen Vieren durch die Wohnung zu galoppieren und "Pferd" zu spielen, der sollte seinem Kind ermöglichen, den Umgang mit Pferden und das Reiten schon so früh wie möglich zu erlernen, so daß es schon bald ein Gefühl dafür entwickelt, auf die Bewegungen des Pferdes einzugehen und das eigene Gewicht so zu verteilen, daß es dem Pferd nicht zur Last wird. Ist man einmal von der Pferdenarrheit infiziert, begreift man auch schon in jungen Jahren, daß man gegenüber seinem Pferdefreund eine gewisse Verantwortung trägt, daß man ihm Schmerzen zufügen kann, wenn man nicht entsprechend vorsichtig ist und das Reiten "richtig" lernt. Selbst dann ist es immer noch ein großes Entgegenkommen von so einem riesigen Tier, überhaupt und gegen die eigene Natur, einen Menschen auf seinem Rücken zu dulden.

Natürlich gibt es auch Empfehlungen, wann man mit dem Reiten beginnen sollte, und was man vielleicht schon davor mit Pferden oder den kleineren Ponys machen und erleben kann oder wie ein Erwachsener diese Pferdetollheit in rechte Bahnen lenken sollte. Dies will ich natürlich nicht vorenthalten. Persönlich bin ich von der Einteilung in Altersstufen wenig überzeugt. Ein Kind kann durchaus mit drei Jahren schon genügend Konzentration entwickeln, wenn es von einer Sache begeistert ist. Warum sollte es dann nicht schon auf dem Pony herumgeführt werden können? Oder warum sollte es, nur weil es noch nicht vier Jahre ist, um die erhebende Erfahrung gebracht werden, einen so großen und lieben Freund zu besitzen? Die ersten Schritte zum Reiter sollten jedoch immer von einer Person begleitet werden, die ebenfalls von Pferdeverstand gesegnet ist und genügend Erfahrungen mit den geliebten Vierbeinern mitbringt, daß sie Gefahren oder schwierige Situationen rechtzeitig erkennt, ehe Roß und Reiter für immer die Freude aneinander verlieren. Eine überängstliche Mutter kann da ebenso großen Schaden anrichten, wie eine gleichgültige oder eine, die schon im Geiste von gewonnenen Pokalen und Rosetten träumt.

Entsprechend empfiehlt sich für die Wahl des ersten Pferdes, sich nicht für ein feuriges, turnierbegabtes Rassepony, sondern für ein etwas älteres, erfahrenes Pony zu entscheiden, das an den Umgang mit Kindern gewöhnt ist - also ein lieber, vierbeiniger Kamerad mit Menschenverstand.


*


4-7 Jahre:
Hier soll das Reiten manchmal noch etwas problematisch sein. Ein Kind sollte schon die eigenen Bewegungen aussteuern können. Empfohlen werden Reiten am Führzügel, einfache Turnübungen an und auf dem Pferd oder Pony und Spiele mit den Tieren. Daneben kann der kleine Reiter schon einiges über das Verhalten, den natürlichen Lebensraum und die Bedürfnisse seines Pferdefreundes kennen- und auch akzeptieren lernen.

8-10 Jahre:
Dieses Alter ist von den körperlichen Voraussetzungen und geistigen Fähigkeiten her für das Reitenlernen ideal. Außerdem wird es vielfach als willkommener Ausgleich für die schulischen Anforderungen empfunden. Die meisten Kinder haben keine Schwierigkeiten, entspannt auf einem Pony zu sitzen, und sind auch darüber hinaus an der Anatomie des Pferdes (der Benennung einzelner Körperteile) sowie Sattel, Zäumung und Pferdepflege interessiert.

11-12 Jahre:
In diesem Alter sollen die meisten Kinder ein leistungsbezogenes Denken entwickeln. Sie beginnen sich selbst und andere Kinder und Ponys zu vergleichen. Da Kinder in diesem Alter leistungsbereit, dabei aber auch wißbegierig und kontaktbereit sind, sehen viele diese Alterstufe als die für das Reitenlernen geeignetste an.

13-14 Jahre:
Diese Entwicklungsstufe ist für die meisten Kinder selbst schwierig, da sie sich in der Pubertät befinden und Wandlungsprozesse stattfinden, die häufig mit Unausgeglichenheit und Unzufriedenheit einhergehen. Ein einfühlsamer Betreuer ist hier besonders wichtig. Oftmals entwickeln sich in diesem Alter jedoch so grundlegend neue Interessen, daß es mit dem Reiten vorbei ist, wenn es denn nur ums Reiten ging. Hier scheiden sich quasi die Geister und übrig bleiben die echten und unbelehrbaren Pferdenarren.

15-16 Jahre:
Während für viele Mädchen das Pferd oder Pony ein Freund wird, der ihnen in ihrem bewegten Gefühlsleben eine gewisse Stabilität und auch Trost verspricht wie der berühmte Fels in der Brandung, entwickeln die Jungen vornehmlich den sportlichen Aspekt an der Reiterei. Natürlich muß das nicht so geschlechtsspezifisch sein, doch trennen sich in diesem Alter praktisch die zukünftigen Freizeit- und Sportreiter. Auch dieses Alter ist für manche Späteinsteiger ideal, um mit dem Reiten neu anzufangen. Die Jugendlichen wissen dann sehr genau, was sie wollen, und machen sich viele Gedanken über ihre Leistungen. Sie lernen schnell und können daher jede fachgerechte Korrektur umgehend nutzen.


*


Einfühlsame Ausbilder und das, was man unter einem soliden Reitunterricht versteht, können natürlich sehr hilfreich sein. Grundsätzlich sollte man jedoch wissen, daß weder mangelnde Förderung noch eine schlechte Ausbildung oder eine zum Ungeheuer gewordene arme Pferdeseele, die um sich schlägt und beißt, einen echten Pferdenarren je davon abhalten können, zu sein, was er ist. Und alle Wege, die er einschlägt, führen irgendwann zu einem eigenen, echten, lebendigen vierbeinigen Freizeit-, Rassepferd oder Pony - ganz gleich, wie jung und klein oder wie alt und groß er schon ist.

Erstveröffentlichung im Jahr 2000

6. Juni 2008