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TIERE/076: Eine Geschichte über den Storch, den "Klapperstorch" (SB)


Eine Geschichte über den Storch, den "Klapperstorch"

Storchenpaar im Nest - © 2011 by Schattenblick

© 2011 by Schattenblick

Hier seht ihr ein Storchenpaar im Nest. Da der Storch der größte bei uns lebende Vogel ist, der fliegt, braucht er ein besonders großes Nest - das nennt man einen Horst.

Die Lebensbedingungen des Storchs haben sich stetig verändert. Vor Jahrtausenden war er ein scheuer Waldbewohner. Der Schwarzstorch, ein Verwandter von ihm, lebt dort heute noch am liebsten. Der Weißstorch hat sich irgendwann aus nicht sicher geklärten Gründen den Siedlungen der Menschen angeschlossen. Auf den Dächern der Häuser in kleinen Dörfern baute er sein Nest. Aber er ließ sich nur dort nieder, wo er von den Menschen auch willkommen war.

Geht man ungefähr fünfzig Jahre in der Zeit zurück und betrachtet das Gebiet in Schleswig-Holstein, kann man sich schon vorstellen, warum die Weißstörche sich gern in der Nähe von Menschen und ihren Siedlungen aufhalten. Besondere Aufmerksamkeit verdient ein Gebiet, das zwischen drei kleinen Flüssen liegt, nämlich zwischen der Treene, der Eider und der Sorge. Das Land ist feucht und der Boden schwer. Es gibt viele feuchte Wiesen, kleine Bäche und breite Gräben. Dort liegt auch das Dorf Bergenhusen. Es wird heute noch das Dorf der Störche genannt.

Zu damaliger Zeit gab es noch viele Häuser mit Reetdächern - Dächer also, die aus Schilfgras (Reet) gefertigt wurden. Das muss einem Storch sehr vertraut erschienen sein, sah es doch seinem Nestbau ähnlich. Auf jedem dieser Dächer befanden sich ein bis zwei, manchmal sogar drei Storchennester. Obwohl es in dieser Zeit noch sehr viele Störche gab, kümmerten sich die Menschen sehr darum, dass auf ihrem Dach auch ein Storchenpaar nistete. Störche galten als Glücksbringer. Die Menschen, meistens waren es Bauern, befestigten auf dem Dachfirst, das ist die Spitze des Daches, entweder ein altes Wagenrad - eines aus Holz mit Speichen - oder sie bauten eine Plattform aus Holz. Manchmal tat es auch eine alte Tür, die sie dort oben montierten. Dann legten sie schon ein paar Zweige und Gestrüpp darauf, um die großen Vögel zum Nestbauen anzulocken.

Storch im Flug - © 2011 by Schattenblick

Storch im Flug
© 2011 by Schattenblick

Wenn dann die Störche im frühen Jahr, also ungefähr Ende Februar oder Anfang März, von Afrika nach Deutschland geflogen kamen, fanden sie hier schon einladende Nestangebote vor. In Afrika hatten sie überwintert. Denn bei uns hätten sie keine Nahrung mehr gefunden. In Afrika dagegen war es warm und das Nahrungsangebot reichlich.

Nach so einem langen Flug waren die Störche recht erschöpft. Die Männchen flogen voraus, um ein Nest auszusuchen. Später gesellten sich die Weibchen hinzu. Nun bemühte sich ein jeder Storch darum, eine Störchin in sein ausgewähltes Nest zu locken. Hatten sich Storch und Störchin gefunden, bauten sie zusammen das Nest auf. So ein Storchenpaar blieb für eine Brutsaison zusammen. Sie suchten aus der Umgebung kleine Äste und Zweige zusammen und schichteten sie auf. Zum Schluß füllten sie das Nest mit weichem Material auf. Das konnte Heu sein, Schafwolle, die noch an den Zäunen hing, Pferdehaare oder auch schon mal Mist mit durchweichtem Stroh vom Misthaufen.

In diese weich gepolsterte Nestmulde wurden die Eier gelegt. Meist waren es zwei bis drei, es konnten aber auch mal vier sein. In der Nacht behütete nur das Storchweibchen das Gelege. Tagsüber wechselten beide Störche sich beim Brüten ab. Während einer die Eier warm hielt, flog der andere und schaffte Nahrung herbei. Zwischendurch werkelten sie immer wieder an ihrem Horst, besserten aus und säuberten es. Es fanden sich auch Mitbewohner ein. Spatzen und Bachstelzen bauten gern ihre viel kleineren Nester in dem hohen, großen Storchenhorst.

Storchenpaar im Nest - © 2011 by Schattenblick Storchenpaar im Nest - © 2011 by Schattenblick Storchenpaar im Nest - © 2011 by Schattenblick Storchenpaar im Nest - © 2011 by Schattenblick

Storchenpaar im Nest
© 2011 by Schattenblick

Die Störche zeigten wenig Furcht vor den Menschen. Wenn der Bauer die Pferde vor den Pflug spannte, mit dem die Erde aufgewühlt und gewendet wurde, kamen viele kleine Tiere zum Vorschein. Für den Storch war das wie ein reich gedeckter Tisch. Er lief dicht hinter oder neben dem Pferdegespann und dem Bauern her und fraß, was ihm schmeckte.

Im Frühjahr ließ der Bauer seine Kühe aus dem Stall auf die Weiden. Auch in der Nähe der Kühe hielten sich die Störche gern auf. Denn so eine Kuh scheuchte schon durch ihre Schritte und ihre beeindruckende Größe kleine Tiere auf. Frösche, Mäuse, auch Ratten, die vor der Kuh weglaufen wollten, waren für den Storch ein Leckerbissen. Er stopfte alles in seinen Kropf. Das ist eine Art Sack in seinem Hals. Wenn dieser voll war, flog der Storch zurück zum Horst.

Nach ungefähr einem Monat des Brütens war es soweit. Das erste Storchenkind zerklopfte seine Eierschale. Es war noch ganz feucht und musste gleich wieder unter die Fittiche eines Elternstorchs, um warmgehalten zu werden. Zwei Tage später schlüpfte das nächste Junge, wieder zwei Tage später das dritte. Kaum dass sie aus dem Ei gelangten, begannen sie mit ihren noch winzigen Schnäbeln zu klappern. Dieses Klappern blieb das Erkennungssignal für die Eltern. Auch sie klappern laut und kräftig mit ihren langen Schnäbeln jedes Mal, wenn sie zum Nest zurückkehren als eine Art Begrüßung und Erkennung. Das Klappern dient auch der Abwehr fremder Artgenossen.

Die Storcheneltern schafften nun Nahrung heran, die sie in ihrem Kropf transportierten. Im Horst bei den Jungen angekommen, wurden sie von hungrigen Schnäbeln erwartet. Doch erst wenn die Eltern sich abgelöst hatten - denn wie gesagt, immer bleibt ein Storch bei den Jungen - wurde der Tisch gedeckt. Der Storch würgte die Beute aus seinem Kropf hinauf in seinen Schnabel und ließ sie ins Nest fallen. Alle Jungen bemühten sich, nun so viel wie möglich in sich hineinzuschlingen. Oft war das Kleinste dabei etwas im Nachteil, weil es zuletzt geschlüpft, auch am schwächsten war.

Im Sommer dann, Ende Juni und im Juli waren die kleinen Storchenkinder zu Jungstörchen herangewachsen. Sie sahen nun schon wie richtige, fertige Störche aus. Aber sie wurden von ihren Eltern weiterhin gefüttert. Für diese bedeutete das, unermüdlich Nahrung herbeizuschaffen, denn der Appetit ihrer Jungen war gewaltig.

Jetzt war auch die Zeit der Heuernte für die Bauern. Der Storch wusste dies für sich zu nutzen. Im lang gewachsenen Gras war es schon ziemlich schwierig geworden, kleine Tiere aufzustöbern. Nach dem Mähen aber, war es wieder ganz einfach. Da erwischte der Storch auch schon einmal eine Natter oder eine Kreuzotter, eine Wasserratte oder ähnliches. Bei diesen Tieren musste er zwar sehr aufpassen, weil sie ihm gefährlich werden konnten, aber er versuchte trotzdem, auch sie zu verspeisen. Seine Jungen freuten sich über das Futter und wurden immer kräftiger. Das war jetzt sehr wichtig, denn sie mussten das Fliegen erlernen. Das machten sie ganz allein. Die Eltern zeigten es ihnen nicht.

Das Schlagen mit den Schwingen konnte immer nur ein Jungstorch zur Zeit üben. Der Horst war einfach zu klein. Sie hoben immer weiter und höher ab und rüttelten über dem Nest. Dann kam ein anderer an die Reihe. So wechselten sie sich ab, bis sich schließlich der erste in die Lüfte wagte.

Störche sind Segelflieger. Sie nutzen die warmen Aufwinde und treiben. Das spart ihnen viel Kraft, die das Flügelschlagen doch erfordert. Ihre ersten Flüge dauern nur kurz, so 10 bis 15 Minuten. Später fliegen sie längere Strecken, bleiben aber immer in der Nähe des Horstes und kehren auch dorthin wieder zurück. Bis zu ihrer Abreise werden sie noch gefüttert. Ende August sammeln sich die Jungstörche für ihren Flug nach Afrika. Sie fliegen ohne ersichtliche Wanderformation und ohne Führung los. Die Eltern folgen ihnen nach. Es scheint als wollten sie sicher gehen, dass kein Junges zurückbleibt.

So war es also früher zu beobachten gewesen. Heute hat sich vieles verändert. Die Ruhe in einem Dorf wird durch den Einsatz von Traktoren, Mähdreschern und anderen landwirtschaftlichen Maschinen gestört. Die Straßen sind geteert, die Gräben und Bäche begradigt oder ganz trocken gelegt. Die vielen Büsche an den Wiesenrändern sind überwiegend gerodet und viele Bäume, die Schatten und Feuchtigkeit spendeten, gefällt. Das Interesse des Menschen gilt immer mehr dem Ertrag und dem Geld. Tiere, die den Menschen keinen Nutzen bringen, werden entweder nicht mehr beachtet oder sogar als "Schädlinge" getötet. Und die Tiere, die den Menschen nutzen, werden ausgebeutet. Hühner sollen möglichst viele Eier legen, Kühe immer mehr Milch liefern, Gänse und Enten werden in großer Zahl verkauft und enden in Kaufläden und in Supermärkten. Für einen Glücksbringer auf dem Dach scheint keiner mehr Platz zu haben.

Erfreulicherweise gibt es aber auch heute immer wieder Menschen, die sich daran erinnern, das Tiere Lebewesen sind, die nicht mehr und nicht weniger wichtig sind, nur weil der Mensch sie ausnutzt oder nicht. Tiere können Freunde sein, aber auch einfach nur da sein. Der Mensch hat ihren Lebensraum weitreichend zerstört. So ist es doch nur ermutigend, wenn Menschen langsam versuchen, ihr Unrecht wieder gut zu machen.

Ich bin wirklich froh, daß in unserem Dorf wieder ein Storchenpaar nistet. Auf einer eigens für sie errichteten Plattform bauen sie tatsächlich ein großes Nest. Und mit mir erwarten viele Dorfbewohner den Nachwuchs.

Weißstörche leben in der Nähe der Menschen - © 2011 by Schattenblick

Weißstörche leben in der Nähe der Menschen
© 2011 by Schattenblick

15. Mai 2011