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VORSICHT/011: Kurze Sicht und lange Folgen ... (SB)



Die deutschen Atomkraftwerke sollen nach und nach abgeschaltet werden, bis im Jahr 2022 keines mehr in Betrieb ist. Das ist eine gute Nachricht. Die letzten Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima haben gezeigt, welch verheerende Folgen ein GAU (Größter anzunehmender Unfall - wird fast immer in Verbindung mit Kernkraftwerken KKW und Atomkraftwerken AKW gebracht) nicht nur für die betreffende Region hat, sondern über viele Landesgrenzen hinweg bis zur weltweiten radioaktiven Belastung von Luft und Wasser führt. Allerdings kann ein Atomkraftwerk nicht so einfach abgeschaltet werden. "Abschalten" bedeutet zunächst nur, dass jede weitere Produktion von Strom eingestellt wird. Doch bleibt das AKW danach weiterhin eine Gefahrenquelle und muss strengstens kontrolliert und gewartet werden - das liegt an dem speziellen Brennstoff der verwendet wird.


Mit dem Abschalten eines AKWs entstehen neue Probleme

Der Brennstoff eines AKWs befindet sich im Reaktorkern, genauer gesagt in den Brennstäben. Ein einzelner Brennstab enthält eine bestimmte Menge speziellen Urans. Er wird von einer festen, hitzebeständigen Hülle ummantelt. Mehrere solcher Brennstäbe werden zu einem Brennelement zusammengefügt, um sie besser handhaben zu können. Die Brennelemente müssen ununterbrochen von Wasser umspült werden, um somit die unbedingt notwendige Kühlung zu gewährleisten. Durch Neutronenbeschuss wird die Zerfallsreaktion in den Brennstäben in Gang gesetzt, wobei die vom Kraftwerksbetreiber gewünschte Hitze entsteht, die in anderen Kraftwerken durch Kohle, Öl oder Gas erzeugt wird. Das Wasser dient aber auch noch als Moderator, also als Mäßiger der Geschwindigkeiten der Neutronen. Würden sie ungebremst wirken, geriete die Zerfallsreaktion außer Kontrolle, was zu einer so gewaltigen Überhitzung führen würde, dass ein Schmelzen der Brennelemente wahrscheinlich ist.

(Hinweis: Eine genaue Beschreibung der Stromerzeugung in einem Atomkraftwerk siehe unter: KINDERBLICK/NATURKUNDE/VORSICHT/005: Fukushima wie Tschernobyl - Ein gefährliches Versprechen)

Wird die Stromerzeugung in einem AKW eingestellt, so hört die Zerfallsreaktion in den Brennstäben noch lange nicht auf. Erst nach ca. 5 Jahren ist so viel von dem Brennstoff zerfallen, dass es zu einem allmählichen Aufhören der Kernspaltungsreaktionen kommt. Erst dann verringert sich auch die Hitzeentwicklung. Die Brennelemente müssen also nach dem Abschalten eines AKW in sogenannten Abklingbecken gelagert werden, wo sie weiterhin dauerhaft von Kühlwasser umspült werden müssen. Auch ein Notkühlsystem muss in Betrieb bleiben. Jede Überhitzung der Brennelemente kann auch nach der Stilllegung eines Kraftwerkes zu einem atomaren Unfall führen. Erst nach einer erfolgreichen Abkühlung der Brennstäbe können sie in einen sogenannten CASTOR-Behälter (Sicherheitsbehälter) gebracht und in einem Zwischenlager aufbewahrt werden.


Ein blauer CASTOR-Behälter hängt an einem Kran, um verladen zu werden - Foto: 2010, by Castor_container_2001-03_in_Dannenberg.jpg: Dennis140 derivative work: Saibo (?) (Castor_container_2001-03_in_Dannenberg.jpg) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Ein voll gefüllter CASTOR-Behälter wird für den Schienentransport verladen
Foto: 2010, by Castor_container_2001-03_in_Dannenberg.jpg: Dennis140 derivative work: Saibo (?) (Castor_container_2001-03_in_Dannenberg.jpg) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)], via Wikimedia Commons

Grob gerechnet geht man davon aus, dass ein vollständiger Abriss 10 bis 15 Jahre dauert. Doch immer wieder beweist sich, dass eine solch gewaltige Aktion viel länger dauert und viel teurer wird als anfangs eingeschätzt wurde. Der Rückbau eines Atomkraftwerks bleibt eine unglaublich aufwendige Angelegenheit, die nicht wirklich exakt planbar ist.


Ein Atomkraftwerk wird zerlegt

Ist der Betrieb eingestellt und sind die Brennstäbe in CASTOR-Behälter verstaut worden, kann mit dem Zerlegen der Anlage begonnen werden. Viele hundert Spezialisten wie Bauingenieure, Bauarbeiter, Kraftwerksmitarbeiter, Verfahrenstechniker, Spezialisten für den Einsatz von Robotern, Strahlenschutzingenieure und noch viele mehr arbeiten an dem Rückbau unter großen Sicherheitsvorkehrungen. Die Gefahr, dass durch einen falschen Eingriff radioaktive Stoffe freigesetzt werden, besteht auch weiterhin.


Runde, längliche Glasstäbe, in denen hoch radioaktiver Abfall eingelagert wurde, werden von einem runden, länglichen Stahlbehälter umgeben, der so verschlossen in einem CASTOR-Behälter eingefügt wird - Grafik: © 2017 by Schattenblick

Glaskokillen
Grafik: © 2017 by Schattenblick

Die gesamte Kraftwerksanlage besteht aus mehreren Gebäuden, die alle aus Stahl, Zement, Steinen, Kunststoffen und vielen anderen Materialien aufgebaut wurden. Beim Abriss fallen also hunderttausende Tonnen Bauschutt an, davon sind zigtausende durch den Kraftwerksbetrieb mehr oder weniger stark kontaminiert worden, das heißt, mit radioaktiven Partikel behaftet. Kontaminierte Oberflächen von Böden, Türen, Wänden und technischen Apparaturen müssen dekontaminiert, das heißt, gereinigt werden. Also schrubbt, schleift und fräst man sie oder behandelt sie mit Säuren oder Laugen. Die Arbeiter tragen Schutzanzüge und Atemmasken, denn bei diesen Tätigkeiten werden große Mengen an radioaktiven Partikeln durch die Luft geschleudert. Immer, wenn Materialien gereinigt werden, stellt sich die Frage, wohin mit dem anfallenden radioaktiven Müll? Wird Wasser zur Reinigung eingesetzt, kann es nicht einfach wieder nach draußen befördert werden, weil es kontaminiert ist. Ein Problem nach dem nächsten baut sich auf.

Die Bauteile aus dem Reaktordruckbehälter und seiner Hülle sind natürlich besonders schwer radioaktiv belastet. Sie müssen unter ganz besonderen Schutzmaßnahmen zerlegt werden. Hier kommen Roboter zum Einsatz, da die Strahlung für einen Menschen auf jeden Fall zu Gesundheitsschäden bis hin zum Tode führen würde. Diese Arbeiten werden, so weit es möglich ist, unter Wasser durchgeführt. Wasser kühlt nicht nur, es bremst auch die Strahlung ab. Bei der Zerlegung eines Reaktordruckbehälters handelt es sich um eine Mammutaufgabe.

Ein Beispiel: In einem AKW, in dem der Rückbau bereits fortgeschritten ist, wog der stählerne Druckbehälter 253 Tonnen. Diese gesamte Masse wurde in 273 Teile zerlegt und in 60 Sicherheitsbehälter verpackt. Dann erst konnten sie in Zwischenlagern für hochradioaktiven Atommüll verstaut werden. In Deutschland wurden auf 12 Atomkraftwerksgeländen entsprechende Zwischenlager errichtet. Außerdem gibt es auch noch zwei große, zentrale Anlagen zur Zwischenlagerung von Atommüll, eines in Ahaus, das andere in Gorleben. Was weiter mit dem dort gelagerten radioaktiven Müll passiert und wie lange er in einem Zwischenlager sicher verwahrt werden muss, ist ungeklärt, da es in Deutschland noch kein Endlager für Atommüll gibt.


Ein großer kastenförmiger Betonbau von einem hohen mit Stacheldraht versehenen Zaun umgeben, dient als Zwischenlager - Foto: 2007, by Rainer Lippert (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Ein Zwischenlager für hoch radioaktiven Atommüll neben einem Kernkraftwerk
Foto: 2007, by Rainer Lippert (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons


Nicht nur die AKWs müssen rückgebaut werden

Um ein Atomkraftwerk in Betrieb nehmen zu können, bedarf es einer Reihe spezialisierter Zulieferbetriebe. Angefangen mit den Forschungsreaktoren, die Wegbereiter der "echten" Reaktoren, über die Brennelementefabriken, die Wiederaufarbeitungsanlagen und auch die Prototypen von AKWs, die die Weiterentwicklung der Technologie gewährleisten sollten. Sie alle müssen ebenfalls beseitigt werden. Es ist kaum zu ermessen, welch ungeheure Mengen an radioaktivem Baumaterial, beziehungsweise Bauschutt, anfallen, die ihren Platz in einem für eine Millionen Jahre sicheren Endlager finden müssen. Wie gesagt, ein solches Endlager existiert nicht.

Ruft man sich nur die schwersten atomaren Katastrophen in Erinnerung, die bis heute zu unermesslichen Schäden für das Leben in weiten Teilen der Welt geführt haben:
1957 Majak (Sowjetunion)
1979 Three Miles Island (USA)
1986 Tschernobyl (Ukraine)
2011 Fukushima (Japan),
kann man die Entscheidung der Bundesregierung zum Abschalten der Atomkraftwerke nur gut heißen. Angesichts der vielfältigen, gewichtigen Probleme, die beim Abschalten und Rückbau der Kraftwerksanlagen entstehen, ist es allerdings kaum zu begreifen, warum weltweit immer noch neue Atomkraftwerke gebaut werden. Es kommt an dieser Stelle auch die Frage auf, wieso ein Unternehmen überhaupt Atomkraftwerke bauen darf, bevor die Entsorgung sämtlicher radioaktiv verseuchter Materialien geklärt ist.


Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

http://www.n-tv.de/ticker/Forscher-gruenden-Netzwerk-zum-Rueckbau-von-Atomanlagen-article17037021.html

https://www.greenpeace.de/themen/energiewende-atomkraft/atomkraftwerke/akw-rueckbau-die-altlast-des-nuklearen-wahns

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/atomkraftwerk-lubmin-rueckbau-abriss-und-entsorgung-eines-akw-a-969790.html

http://www.energiezukunft.eu/umwelt/politik/bund-uebernimmt-auch-atommuell-zwischenlagerung-gn104721


15. August 2017


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