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WISSENSDURST/038: Klimawandel und warum - mit Haut und Haaren ... (SB)



Ben und Stefan - Buntstiftzeichnung: © by Schattenblick

Grafik: © by Schattenblick

Stefan und Ben trafen sich noch einmal mit der Glaziologin Karin, bevor sie ihre Forschungsreise nach Grönland antreten wollte. Die beiden Jungen hatten noch eine Menge Fragen und wollten wenigstens ein paar davon ansprechen. Sie hatten keine Erklärung für die Trinkwasserversorgung und die Entstehung von neuem Eis. Und sie wollten wissen, wie Grönländer heutzutage leben, beziehungsweise wie und ob sich der Klimawandel im Alltag bemerkbar macht.

Stefan: "Woher bekommen die Grönländer ihr Trinkwasser?"

Karin: "Es gibt mehrere Kraftwerke auf Grönland, die mit Dieselgeneratoren Strom herstellen. Mittlerweile sind aber auch fünf Wasserkraftwerke in Betrieb. Heute werden 60 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gedeckt. Zur Wärmeerzeugung wird hauptsächlich Öl genutzt. Das Kraftwerksunternehmen ist auch für die Wasserbereitstellung zuständig. Zu diesem Zweck wurden Meerwasserentsalzungsanlagen errichtet, in denen aus Salzwasser Trinkwasser gewonnen wird. In das Wasserversorgungsnetz wird ebenso das Wasser aus Süßwasserseen geleitet. Weitere Wasserreservoirs sind Brunnen, Quellen und das Schmelzwasser aus Gletschern. Neuerdings, so heißt es, habe die Regierung auch Lizenzen an Firmen vergeben, die Gletschereis direkt abtragen, schmelzen und in Plastikflaschen gefüllt vorwiegend ins Ausland verkaufen dürfen. Das soll natürlich super gesund und rein sein."

Stefan: "Wenn sich aufgrund der höheren Sonneneinstrahlung mehr und mehr Gletscherseen bilden, ist das also gut für die Trinkwasserversorgung der Bevölkerung?"

Karin: "Tja, das kann man auch so sehen. Meerwasserentsalzung ist aufwändig und kostet viel Energie. Unter diesem Gesichtspunkt wäre die Erwärmung gar nicht schlecht. Viele Grönländer, meist jüngere Leute, können der Klimaveränderung sogar etwas Gutes abgewinnen, aber dazu später mehr. Also zusammengefasst: wir Grönländer verfügen über ein ausgebautes Stromnetz und ebenso über eine Wasser- und Wärmeversorgung. In den Städten sind wir technisch auf dem neuesten Stand, wir nutzen Internet, WLAN, Smartphones und die vielen Vernetzungsmöglichkeiten mit dem Rest der Welt."

Ben: "Und wie steht es denn nun mit der Neubildung von Eis, also, können sich neue Gletscher bilden?"

Karin: "Sicher, aber das spielt sich leider in sehr langen Zeiträumen ab, jedenfalls auf Grönland. In Alaska geht es viel schneller. Dort rechnet man 3 bis 5 Jahre bis Gletschereis entsteht, in Grönland dagegen ca. 100 Jahre."

Ben: "Oh je, das dauert aber lange. Warum bestehen da so große Unterschiede und wie funktioniert das überhaupt. Wenn ich Eis herstellen will, stelle ich einfach Wasser ins Gefrierfach, aber wie geht es auf Grönland oder an dem Nord- oder Südpol?"

Karin: "Eigentlich ist es ganz einfach, aber dann auch wieder nicht. Gletschereis besteht aus gefrorenem Schnee. Es muss über lange Zeiten viel Schnee fallen. Die ständig neu hinzukommenden Schneemassen drücken auf die unteren Schichten und zerstören die feine Kristallstruktur der Schneeflocken. Nach und nach verdichtet sich der Schnee bis er fast ganz luftundurchlässig geworden ist."


Von Eis und Schnee bedeckte Berge und Wasser mit treibendem Eis - Foto: 2013, by Hakilon (Own work) [CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

Treib- und Packeis auf Grönland
Foto: 2013, by Hakilon (Own work) [CC BY 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

Stefan: "Und das geschieht nur durch Druck. Könnte ich also einen Schneeball nehmen, ihn kräftig zusammendrücken und dann hätte ich Gletschereis?"

Karin: "Nein, und jetzt kommen wir zu dem Teil, der nicht so einfach ist. Also, die Temperatur spielt eine entscheidende Rolle bei der Gletscherbildung. Denn wenn bei ca. 0 Grad Celsius Tau- und Schmelzprozesse beginnen, entsteht Wasser, das dann in die Schneeporen, also, die kleinsten Schneezwischenräume, gelangt. Sinken die Temperaturen wieder nach unten, gefriert das Wasser und man sagt, die Schneedichte steigt. Das bedeutet, eine weitere Schicht in Richtung Gletscherbildung ist entstanden. Warte mal, ich hab' mir das extra noch notiert, Ja, hier steht 's:

Dichte pro Quadratmeter:
  30 -   50 trockener Pulverschnee
100 - 200 feuchter Neuschnee
200 - 400 trockener Altschnee
300 - 500 feuchter Altschnee
500 - 850 Firnschnee
mehr als 900 Gletschereis

Und damit man sich ein Bild von der Menge machen kann: aus ca. 80 Zentimeter Neuschnee wird letztlich nur 1 Zentimeter Gletschereis."

Stefan: "Das ist aber total wenig, aber sag ' mal, was bedeutet denn Firnschnee?"

Karin: "Firn, das ist ein althochdeutsches Wort für 'vorjährig' oder 'alt', also heißt es so viel wie mehrjährig verharschter Altschnee."

Ben: "Verstehe ich das richtig, Überall dort, wo mehr Schnee fällt als wieder schmilzt, kann eine immer dickere Schneedecke entstehen und in der Folge dann auch irgendwann das Gletschereis?"

Karin: "Ja, etwas verkürzt, aber ja."

Ben: "Und wenn es immer wärmer wird, fällt kein Schnee mehr, sondern Regen und es bildet sich kein neues Eis, richtig?"

Karin: "Genau."

Stefan: "Du sagtest vorhin, dass es Grönländer gibt, die auch etwas Gutes an dem Klimawandel finden. Das verstehe ich nicht so ganz."

Karin: "Das ist auch nicht so einfach zu erklären. Viele alte Leute, die noch in Zeiten groß geworden sind, als die Jagd und das Eisfischen zum Alltag gehörten und zur wichtigen Nahrungsbeschaffung zählten, sind eher besorgt über die Entwicklungen. Durch das immer dünner werdende Eis fühlen sie sich in ihrer Existenz bedroht. Junge Leute kennen die alten Traditionen oft nur vom Erzählen oder lernen sie kennen, sind aber nicht auf Jagen und Fischen angewiesen, weil sie sich ihr Essen auch kaufen können. Sie verlassen Grönland, um zu studieren oder suchen sich andere Arbeiten. Ein Bekannter von mir ist Taxifahrer. Er hat mittlerweile drei Taxen, ist also Unternehmer geworden und fährt leidenschaftlich gern mit dem Auto durch Ilulisaat. Die Stadt kann er zwar nicht verlassen, weil es keine Straßenverbindungen in andere Orte gibt, aber das will er auch gar nicht. Seine weiteste Strecke führt mit 5 Kilometern zum Flughafen. Von dort aus kann man mit den roten Flugzeugen von Greenland Air überall in Grönland hinfliegen. Früher musste man die Wege mit einem Hundeschlittengespann zurücklegen. Das dauerte lange und brachte so einige Gefahren mit sich."

Stefan: "Aber Taxifahren hat doch nichts mit dem Klimawandel zu tun, wer freut sich denn nun über das wärmere Wetter?"

Karin: "Na, zum Beispiel einige Fischer. Da das Eis weiter zurückgegangen ist, können sie nun auf Booten mit Dieselantrieb aufs eisige Meer hinaus fahren und mit Netzen viel mehr Fische fangen, als es beim Eisfischen möglich war. Dann gibt es unternehmungslustige Leute, die Kartoffeln anpflanzen oder Erdbeeren und Tomaten. Noch werden keine großen Erträge erzielt, aber es wird in alle Richtungen geforscht, wie man den Anbau verbessern kann. Und ein wärmeres Klima ist für diese neue Art von Anbau bestimmt vorteilhaft."


Eine Landkarte mit Gebirgen und Seen ganz ohne Eis - Foto: by Skew-t (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by- sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Grönland ohne Eis
Foto: by Skew-t (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Ben: "Dann wird Grönland wieder grün und trägt seinen Namen zu recht?"

Karin: "Ja, aber das dauert hoffentlich noch sehr lange. Ich sehe den Folgen und Veränderungen auf Grönland mit Sorge entgegen. Von mir aus sollte es lieber das Eisland bleiben, das ich aus den Erzählungen meiner Großeltern, aber auch noch aus meiner eigenen Kindheit kenne."

Stefan: "Warum siehst du so schwarz für Grönland?"

Karin: "Nun, ich habe Angst, dass sich Europa, USA oder China über unsere Bodenschätze, zum Beispiel Uran, Zink, Eisenerz, Kupfer und Gold, hermachen. Und es sollen angeblich sehr große Mengen Seltene Erden hier lagern. Ihr wisst ja, dass die besonders wichtig sind für den Bau von Batterien, also auch für Elektroautos, für Windkraftanlagen, Smartphones, Tablets, Flachbildschirmen, LED-Leuchten und noch vielem mehr. Die Industrienationen dieser Erde reißen sich schon jetzt um die Abbaurechte und sehnen ein Abtauen der Gletscher vermutlich mit Freuden entgegen."

Stefan: "Daran habe ich überhaupt nicht gedacht, aber eigentlich ist es klar, denn wenn das Eis weg ist, kommt man leicht an die Rohstoffe heran."

Ben: "Dann werden unglaublich viele Menschen nach Grönland kommen und Bergwerke errichten und betreiben, Industrieanlagen werden entstehen, wahrscheinlich werden auch noch leistungsfähigere Kraftwerke, vielleicht sogar Atomanlagen gebaut."

Karin: "Es werden Städte gebaut werden, Straßen und was weiß ich noch alles - dann unterscheidet sich Grönland wohl kaum noch von anderen Industrieländern mit all den technischen Möglichkeiten, aber auch mit all den Folgen für die Umwelt. Und davor habe ich Angst."

Ben: "Versuchst du deshalb, deine Forschungsergebnisse zu veröffentlichen und auf die Gefahren des Klimawandels und die weitreichenden Folgen hinzuweisen?"

Karin: "Ja. Obwohl das Schmelzen des Grönlandeises noch viele Jahre dauern wird, haben ausländische Unternehmen schon jetzt Schürfrechte erworben, sie haben es eilig und wollen sich möglichst viel von den Bodenschätzen sichern. Da das Gletschereis weiter zurückweicht, interessieren sich auch Gas- und Erdölförderunternehmen für große Gebiete im Meer, um schon mal Probebohrungen durchzuführen."

Stefan und Ben waren bedrückt, denn sie hatten vieles von den Auswirkungen des Klimawandels für Grönland überhaupt nicht bedacht. Dass die Veränderungen nicht von heute auf morgen geschehen werden, konnte die beiden nicht trösten. Sie bewunderten Karin, die sicherlich noch viel genauer wusste, was auf Grönland zukommen kann, und deswegen so intensiv ihre Forschungen betrieb. Sie verabschiedeten sich von ihr und versprachen, dass sie auch weiterhin die klimatischen Entwicklungen kritisch betrachten und untersuchen wollten.

Fortsetzung folgt ...


Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

http://www.dw.com/de/klimawandel-bringt-kälte-und-hitze/a-18334559

http://www.gletscher-info.de/wissenschaft/entstehung-gletscher.html

http://gletscher2h.wordpress.com/gletscheralswasserversorgung/


25. Oktober 2017


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