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BERICHT/138: Mit van Gogh und Techno fing alles an (idw)


Technische Universität Berlin - 11.05.2009

TUB: Mit van Gogh und Techno fing alles an

Kerstin Kracht sucht nach Wegen, den Zustand eines Gemäldes auf der Basis wissenschaftlicher Daten zu beurteilen. Damit betritt sie Neuland. Restauratoren erhoffen sich Hilfe für ihre Arbeit


Die Fragen sind schnell formuliert: In welcher Verfassung befindet sich das Gemälde? Wird es einen Transport nach New York, Paris oder Peking unbeschadet überstehen? Sind Schäden an den Farbschichten zu befürchten? Welchen Beanspruchungen hält es überhaupt noch stand? Fragen, vor denen Restauratoren stehen, wenn Gemälde für eine Sonderausstellung auf Reisen gehen sollen und damit unter anderem mechanischen Schwingungen ausgesetzt werden, die dazu führen können, dass Farbschichten reißen und sich lösen.

Wissenschaftlich fundierte Antworten müssen jedoch erst noch gefunden werden. "Im Moment bedienen sich die Restauratoren hauptsächlich des Lichts, um den Zustand eines Bildes einigermaßen exakt einschätzen zu können", sagt Kerstin Kracht. Durch das Be- und Durchleuchten des Gemäldes werden Farbabhebungen als Schatten sichtbar. Die wiederum deuten darauf hin, dass sich Farbschichten lösen könnten. Die Begutachtung per Augenschein ist unvollkommen, urteilt Kracht. Die Restauratoren wüssten das.

Sie hat deshalb am Fachgebiet für Mechatronische Maschinendynamik zusammen mit Professor Utz von Wagner ein Forschungsprojekt auf den Weg gebracht, dessen Ziel es ist, anhand von schwingungsmesstechnischen Daten den Zustand eines Gemäldes zu erfassen. Kerstin Kracht möchte den Restauratoren ein Instrumentarium an die Hand geben, mit dem es möglich ist, den Zustand eines Gemäldes auf der Basis wissenschaftlich erhobener Daten zu beurteilen. Damit betritt die 28-Jährige, die 2007 für die beste Diplomarbeit einer Studentin in den natur- oder ingenieurwissenschaftlichen Fächern an der TU Berlin ausgezeichnet wurde, in der Forschung weitestgehend Neuland. "Die wissenschaftlichen Kenntnisse über die materiellen Zerfallsprozesse sind in vielen Fällen rudimentär", sagt Dr. Stefan Simon, Direktor des Rathgen-Forschungslabors der Staatlichen Museen zu Berlin. So gebe es zum Beispiel kaum experimentelle Daten über den Einfluss von Schwingungen auf die Farbschichten bei Gemälden. Von daher seien die Forschungen an der TU Berlin enorm wichtig, so Simon. Das Rathgen-Forschungslabor, 1888 in Berlin gegründet, ist das älteste Museumslabor der Welt und beschäftigt sich aus der Perspektive der Naturwissenschaften mit Fragen der Restaurierung und Konservierung von Kulturgütern.

Während eines Praktikums am Amsterdamer Institut für das kulturelle Erbe der Niederlande, ICN, war Kerstin Kracht auf das außergewöhnliche Thema für eine Mechanikerin gestoßen. Dort wollte man herausfinden, ob die Gemälde im Amsterdamer Van-Gogh-Museum durch die in unmittelbarer Nähe stattfindenden Technokonzerte in Schwingungen versetzt und dadurch geschädigt würden. Kerstin Kracht bekam die Aufgabe, die Umgebung von ausgemusterten Gemälden solange mit Technomusik zu Schwingungen anzuregen, bis Farbe abblätterte. Mit dem Einfluss von Vibrationen auf die Farbschichten von Gemälden befasse sich in Europa im Moment außer der TU Berlin nur das ICN, so Simon.

Zum Altern in den Trockenschrank

In einer ersten Phase ihrer Berliner Forschungen hat Kerstin Kracht den Einfluss von Amplitude und Frequenz von erregenden Schwingungen auf Gemäldedummys untersucht. Dafür hat sie sich fünf Dummys in der Malweise der Alten Meister anfertigen lassen. Ein Dummy besteht nur aus Leinwand, beim zweiten wurde auf die Leinwand Leim aufgebracht, beim dritten Leim und Grundierung, beim vierten Leim, Grundierung und eine Malschicht und beim fünften Leim, Grundierung, Malschicht und drei Schichten Ölfarbe. Die Anfertigung der fünf Dummys erklärt sich daraus, dass das Verhalten eines schwingungsfähigen Systems von den physikalischen Eigenschaften der Stoffe wie Masse, Steifigkeit und Dämpfung abhängt. "Wird einer dieser Parameter verändert, ändert sich auch das Schwingungsverhalten", erklärt Kracht.

Im Moment liegen die Dummys in einem Trockenschrank des "Instituts für Lacke und Farben e.V." in Magdeburg. Dort werden sie bei 80 und später bei 120 Grad Celsius zwanzig Monate "gealtert". Altern heißt, dass das Material durch das Trocknen spröde wird und das Volumen der Ölfarbe schrumpft. Die Folge sind Spannungsrisse senkrecht zur Bildebene.

Als nächstes werden die Dummys Belastungstests unterzogen. Damit soll provoziert werden, dass sich Farbschollen von der Leinwand lösen. Um an die Daten für die Tests heranzukommen, wird Kerstin Kracht die in einem Museum auftretenden Schwingungen messen. Diese Untersuchungen werden in der Alten Nationalgalerie im Sommer dieses Jahres stattfinden. Schließlich wird sie in verschiedenen Zeitabständen insgesamt 14-mal messen, welche physikalischen Veränderungen bei den Gemäldedummys durch die Temperaturalterung und die Belastungstests aufgetreten sind.

"Die Herausforderung ihrer Forschungsarbeit liegt darin", sagt Stefan Simon, "den Zustand eines Gemäldes in messbare Parameter zu überführen, damit dieser jederzeit überprüfbar vergleichbar und wieder messbar ist. Nur so werden sich zuverlässig Veränderungen beschreiben und daraus Schlussfolgerungen für restauratorische und konservatorische Maßnahmen ziehen lassen. Der Forschungsbedarf, solche Verfahren zu entwickeln, ist jedenfalls enorm hoch." sn

Weitere Informationen unter:
http://www.pressestelle.tu-berlin.de/?id=4608
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http://www.tu-berlin.de/?id=58770

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Technische Universität Berlin, Dr. Kristina R. Zerges, 11.05.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2009