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BERICHT/170: Südamerika - Forschungsprojekt macht alte Webtechniken zum Nacharbeiten zugänglich (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. September 2012

Südamerika: Kunsthandwerk aus den Anden - Eine Wissenschaft für sich

von Franz Chávez


Elvira Espejo zeigt ihr neues Buch - Bild: © Franz Chávez/IPS

Elvira Espejo zeigt ihr neues Buch
Bild: © Franz Chávez/IPS

La Paz, 10. September (IPS) - Ein Forschungsprojekt hat das traditionelle Kunsthandwerk der indigenen Völker der südamerikanischen Anden entziffert. Die Ergebnisse liegen in Form eines Buches vor und sind in einer 3D-Lernsoftware aufgegangen. Nun könnte - theoretisch - jeder die farbenfrohen Stoffe der indigenen Völker nachweben.

Die Untersuchungen wurden von der Künstlerin und Geschichtenerzählerin Elvira Espejo geleitet, die aus der Gemeinde Qaqachaka im bolivianischen Departement Oruro stammt, sowie von der anglo-bolivianischen Anthropologin Denise Arnold. Das Buch mit dem Titel 'Wissenschaft des Webens in den Anden, Strukturen und Techniken des Kettgarns' ('Ciencia de Tejer en Los Andes, Estructuras y técnicas de faz de urdimbre') setzt sich mit argentinischen, bolivianischen, ecuadorianischen und peruanischen Webtechniken auseinander. Es beschreibt mit Hilfe der traditionellen und aktuellen Bezeichnungen sowie eigenen Umschreibungen die unterschiedlichen Techniken.

"Unsere wichtigste Aufgabe war es, die verschiedenen Begrifflichkeiten aus den indigenen Sprachen, vor allem dem Quechua und dem Aymara, zusammenzutragen und zu übersetzen", sagt Arnold und fügt hinzu, dass das im August in spanischer Sprache erschienene Buch mit der falschen Annahme aufräume, dass diese Webtechnik erst seit der Ankunft der Spanier in den Anden praktiziert wird.

Entscheidend für die Erforschung indigener Webtechniken ist offenbar die Länge der verwendeten Fäden. Im Rahmen der Untersuchung wurden darüber hinaus die Fäden gezählt, die nötig sind, um ein Stück Stoff einer bestimmten Größe herzustellen. Indigene Frauen nutzen bis zu acht Lagen des Kettgarns, um die komplexen Muster und Strukturen zu erzielen.


Ausprobiert und fortgeführt

Espejo hat die verschiedenen Techniken selbst ausprobiert. Außerdem fuhr sie nach Frankreich und England, um Webtechniken von Stoffen zu studieren, die in den dortigen Museen ausgestellt sind. Darüber hinaus trommelte sie rund 900 Frauen in Oruro zusammen, um gemeinsam die Techniken wieder aufzugreifen. Dabei ging es auch darum, sich mit der Herkunft der Fäden zu beschäftigen: den Tieren, von denen die Wolle stammt (Schafe und Lamas), dem Weideland, auf dem die Tiere grasen, sowie Scher- und Färbetechniken. "Weben heißt nicht nur weben", sagt sie.

Das Kunsthandwerk war immer Sache der Frauen. Das Besondere daran ist, dass die Stoffe Geschichten erzählen, die von Generation zu Generation weitergegeben und modifiziert werden. Die Frauen wurden für diese Arbeit von den Gemeinden wertgeschätzt. Zwar webten und weben auch die Männer - doch stellen sie Gebrauchsgegenstände her, darunter Wollmützen und Seile. Sie sind vor allem für Aufgaben zuständig, für die man viel Kraft benötigt.

Schließlich fotografierte Espejo den Webprozess und ihre Stoffe. Daraus entstand schließlich - mit der Hilfe von Ingenieuren - das Programm Sawu-3D, mit dem die Techniken reproduziert werden können. Das 3D-Programm wird mittlerweile in Museen gezeigt, um den Aufbau der Stoffe zu erklären. Unterstützt wurde die Arbeit von Espejo und Arnold vom britischen 'Forschungsrat für die Kunst und die Menschheit', der auch die Erstellung der Software ermöglicht hat. (Ende/IPS/jt/2012)


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http://200.105.205.74/english/sawu.html
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101508

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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2012