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BERICHT/171: Lateinamerika - Freie Initiativen organisieren Residenzen für Künstler aus aller Welt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Januar 2013

Lateinamerika: Freie Initiativen organisieren Residenzen für Künstler aus aller Welt

von Marcela Valente


Bild: © Proyecto ACE

Künstlerinnen, die vom ACE Projekt unterstützt werden
Bild: © Proyecto ACE

Buenos Aires, 7. Januar (IPS) - In Lateinamerika nimmt die Zahl der Künstlerhäuser kontinuierlich zu. Sie bieten Kunstschaffenden aus aller Welt eine Gelegenheit, fernab ihrer Heimat zu arbeiten, ihre Werke auszustellen oder sich einfach neue Anregungen zu holen.

2008 wurde das Iberoamerikanische Residenznetzwerk ('Residencias en red') mit Hilfe einer Anschubfinanzierung durch die spanische Agentur für Internationale Entwicklungszusammenarbeit (AECID) gegründet. Es führt derzeit 27 Projekte in Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Nicaragua, Paraguay, Peru, Uruguay und Venezuela durch.

In Brasilien machte 'Capacete', ein unabhängiges Residenz- und Kunstprogramm, in Rio de Janeiro den Anfang. Künstlern werden aber auch in São Paulo, Belo Horizonte im östlichen Bundesstaat Minas Gerais und Itaparica im nordöstlichen Staat Bahia Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten angeboten. In Kolumbien finden sich solche Projekte in der Hauptstadt Bogotá, in Medellín und Cali. In Mexiko-Stadt ist eine Künstlerresidenz im Kulturinstitut Casa Vecina untergebracht. In Bolivien betreibt die 'Kiosco'-Galerie eine solche Künstlerbegegnungsstätte in der südöstlichen Stadt Santa Cruz.

Auch außerhalb des Netzwerks sind ähnliche Initiativen zu finden. Alle verfolgen das gemeinsame Ziel, Künstlern einen kreativen Aufenthalt fern ihres Alltags zu bieten, bei dem sie neue Ideen finden, ein Projekt vollenden und Kontakte knüpfen können.


Lateinamerika rückt stärker in internationalen Fokus

Wie die Koordinatorin des Netzwerks, die Brasilianerin Kadija de Paula, berichtet, ist die Zahl der Künstlerresidenzen zwischen 1998 und 2008 von drei auf 20 gestiegen. Sie führt den Zuwachs auf verschiedene Faktoren zurück: auf das Bedürfnis der Künstler, sich außerhalb der Heimat zu entwickeln, auf die Reiseerleichterungen und das Interesse internationaler Investoren an den Residenzen. Überdies nehme aufgrund der Veränderungen in der globalen Wirtschaft das Interesse an Lateinamerika im Allgemeinen zu, erklärt de Paula.

Eine der umtriebigsten Organisationen in Argentinien ist das unabhängige ACE Projekt mit Sitz in einem Mittelschichtviertel in der Hauptstadt Buenos Aires. Dort werden unter anderem von Experten geleitete Workshops abgehalten. In dem so genannten 'Turm' können die Künstler ungestört arbeiten. Außerdem gibt es Räume für Vorträge und Ausstellungen.

"Wir können jedes Jahr 33 Künstler aufnehmen", berichtet ACE-Direktorin Alicia Candiani. Das Projekt wurde in den späten neunziger Jahren gegründet und stellt seit 2003 Residenzen bereit. In dem Zentrum befindet sich der 'Salón Políglota' (poliglotter Salon), der von dem kolumbianisch-kanadischen Künstler César Forero während seines Aufenthalts 2012 gestaltet wurde. Von der Decke hängen transparente Leinwände herab, deren Bilder und Aufschriften sich auf dem Fußboden fortsetzen.

Bei ACE waren bereits Künstler aus anderen Teilen Argentiniens und der Welt zu Gast. Das Projekt ist eine gemeinnützige Stiftung, die keinerlei staatlichen Zuwendungen erhält. Dennoch sollen die Künstler keinen finanziellen Beitrag leisten. "Wir fördern immer nur ein Projekt und fangen dabei immer bei null an", erläutert Candiani. "Manche Initiativen kommen nicht in Gang, weil wir nicht an die notwendigen Gelder zusammenbekommen."

Die Künstler müssen selbst Vorschläge einreichen, die dann von Candianis Team begutachtet werden. "Wenn das Projekt interessant ist und hier umgesetzt werden kann, sind wir einverstanden und suchen nach einer Finanzierung. Je nachdem, woher der Künstler kommt, versuchen wir es auch in seinem Land. Manchmal gibt es schon Abkommen."


Ohne Fundraising läuft nichts

Candiani war bereits lange Zeit als Künstlerin tätig. Bevor sie zu ACE gekommen sei, habe sie nichts über Fundraising gewusst, sagt sie. Inzwischen ist aber zur Expertin geworden, weil die Residenzen ohne Hilfe von außen nicht ermöglicht werden können.

Die Künstler können jeweils für drei Wochen bei ACE bleiben. In anderen Zentren kann der Aufenthalt kürzer oder auch länger sein. Laut Candiani ist eine Dauer von mehr als zwei oder drei Monaten in Lateinamerika allerdings unüblich. "Die Globalisierung und die verbesserte Kommunikation haben zu einer explosionsartigen Zunahme der Residenzen geführt."

Candiani weist darauf hin, dass solche Residenzen nicht neu sind. Bereits im 16. Jahrhundert hatte die Kunstakademie in Rom den von ihr preisgekrönten Künstlern Studienaufenthalte von zwei Jahren geboten. Im Laufe der Zeit entwickelten sich in Europa, den USA und Kanada immer mehr solcher Möglichkeiten. Und seit Ende des vergangenen Jahrhunderts hat sich auch Lateinamerika angeschlossen.

Das argentinische 'Centro Rural de Arte' (Ländliches Kunstzentrum) geht ganz anders vor als ACE. Eine der Koordinatorinnen ist die Schauspielerin María José Trucco. Wie sie betont, wird den Künstlern ein vorübergehender Arbeitsort geboten. Einen festen Stützpunkt gebe es nicht, sodass das Zentrum ein Nomadendasein führe.

Die ebenfalls 2008 gegründete Organisation vermittelt ihren Residenzkünstlern also Gruppenerfahrungen an verschiedenen Orten, die sich immer in ländlichen Gebieten befinden. "Wir möchten, dass die Künstler ein von uns vorgeschlagenes Thema bearbeiten, das in Beziehung zur jeweiligen Umgebung steht", sagt Trucco.

Zur Finanzierung der Residenzen, die Künstlern aus aller Welt einen Aufenthalt von zwei Wochen bis einem Monat ermöglichen, arbeitet das Zentrum mit dem Nationalen Institut für Agrartechnologie (INTA), der Verwaltung der Nationalparks (APN) und den Provinzregierungen zusammen. "Bis jetzt sind Kanadier, Belgier, Finnländer, Südkoreaner, Franzosen, Peruaner, Brasilianer, Kolumbianer und Chilenen hier gewesen", erklärt sie. Jede Residenz werde ein Jahr im Voraus vorbereitet und erfordere ein eigenes Fundraising. Werden nicht alle Kosten übernommen, müssen die Künstler selbst eine Lösung finden. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://residenciasenred.org/
http://www.aecid.com/es/
http://www.kioskogaleria.com/
http://www.centroruraldearte.org.ar/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=102111
http://www.ipsnews.net/2012/12/latin-america-hosts-artists-in-residence/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. Januar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2013