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MALEREI/046: Die Holbein-Madonna im Wandel (Goethe Uni Frankfurt)


Goethe-Universität Frankfurt - 23. Dezember 2009

Die Holbein-Madonna im Wandel

Neues zur Entstehung des berühmten Renaissance-Gemäldes


FRANKFURT. Hans Holbeins Madonna - mit vollem Titel 'Madonna des Basler Bürgermeister Jakob Meyer zum Hasen' - ist neben Albrecht Dürers 'Vier Aposteln' das bedeutendste Gemälde der deutschen Renaissance-Malerei. Holbein schuf das Meisterwerk für den Basler Bürgermeister, der mit seiner Familie zu Füßen der Schutzmantelmadonna dargestellt ist. Seit 2004 ist das Gemälde als Leihgabe im Städel Museum zu sehen. Verkaufsabsichten der Erbengemeinschaft haben das Werk in jüngster Zeit in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. In der soeben erschienenen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins 'Forschung Frankfurt' stellt Prof. Dr. Jochen Sander nun neue Forschungsergebnisse zur Holbein-Madonna vor. Prof. Dr. Jochen Sander hat seit 2008 die Städel-Kooperationsprofessur an der Goethe-Universität inne hat und ist Sammlungsleiter für Deutsche und Niederländische Malerei vor 1800 und auch stellvertretender Direktor des Städel.

"Vieles über die Entstehung ist schon bekannt, doch einiges, was noch im Verborgenen lag, konnten wir jetzt mithilfe der Infrarot-Reflektografie aufdecken", so Sander, der in der aktuellen Ausgabe von 'Forschung Frankfurt' über die neuen Befunde in Wort und Bild berichtet. Auf Wunsch seines Auftragsgebers, des Bürgermeisters Jakob Meyer, hat Holbein der Jüngere das Gemälde mehrfach verändert - "das war damals durchaus üblich, wenn sich in der Familie der statusbewussten Auftraggeber etwas veränderte." Schon seit Langem war den Kunsthistorikern bekannt, dass Holbein 1528/29 das Gemälde noch einmal in seiner Werkstatt hatte, um die Tochter des Bürgermeisters - inzwischen verlobt - mit 'Jungfernschapel', einem kostbaren, mit Nelken besteckten textilen Kopfputz darzustellen. Auch Annas Mutter Dorothea nutzte die Gunst der Stunde und ließ sich mit einer modischeren Haube malen. Hatten sich wichtige Etappen der Bildentstehung schon mit bloßem Auge schemenhaft ablesen lassen, weil die Deckkraft der Farben altersbedingt nachgelassen hat, so werden mit den Aufnahme des OSIRIS-Infrarot-Bildaufnahmegeräts nun in allen Einzelheiten erkennbar.

"Doch mehr noch - die Infrarot-Aufnahme belegt, dass die Entstehungsgeschichte der Stifterbildnisse in Holbeins Schutzmantelmadonna zum Teil noch verwickelter war, als bislang angenommen. Denn die Aufnahme der Frauenköpfe zeigt eine erste unterzeichnete Bildanlage, die weder mit den Basler Porträtzeichnungen noch mit dem heutigen Oberflächenbild etwas zu tun hat," erläutert Sander. "Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang der Kopf der Dorothea. Denn hier zeigt sich, dass Holbein das Gesicht von Annas Mutter zunächst stärker dem Betrachter zugewandt unterzeichnet hatte, so dass sie in dessen Richtung aus dem Bild herausblickte. Diese erste Figurenkonzeption, die gegenüber dem heute sichtbaren Kopf um Nasenbreite nach rechts verschoben war, wurde bereits in einer ersten Farbanlage ausgeführt, wie der Helligkeitsunterschied der beiden gegeneinander verschobenen Gesichter verdeutlicht."

Besonders spannend findet Sander diesen Befund, weil man bisher angenommen hatte, dass Holbein auch bei der Ausführung dieses Hauptwerks seiner Basler Schaffenszeit von den Porträtzeichnungen ausgegangen sei, die er dann mithilfe eines mechanischen Übertragungsverfahrens, einer Art Kohlepapier, mechanisch auf den grundierten Bildträger übertragen habe. Zahlreiche erhaltene Bildniszeichnungen, so auch die Basler Blätter, zeigen die Spuren dieser mechanischen Übertragungen ebenso wie die anschließend ausgeführten gemalten Bildnisse. Doch die neuen Befunde verraten einen anderen, komplexeren Entstehungsprozess. Dazu der Frankfurter Kunsthistoriker: "Offenbar war der Auftraggeber mit der ersten Darstellung seiner Frau und seiner Tochter nicht zufrieden und wies den Maler an, das bereits farbig angelegte Gemälde in diesen Partien zu überarbeiten. Erst jetzt fertigte Holbein die im Basler Kupferstichkabinett erhaltenen Bildniszeichnungen an, die im Vergleich zu seinen übrigen Bildniszeichnungen auffallend detailreich, fast bildmäßig ausgeführt sind. Nach der mutmaßlichen Genehmigung durch den Auftraggeber übertrug er die neuen B ildnisköpfe durch ein Pausverfahren auf das bereits farbig angelegte Bild und führte sie entsprechend aus."

Dass eine solche vom ausführenden Maler selbst durchgeführte, nachträgliche Aktualisierung in der Malerei der frühen Neuzeit nichts Ungewöhnliches ist, zeigt Sander in seinem Beitrag in 'Forschung Frankfurt' an einem zweiten Beispiel; einem niederländischen Altarbild aus dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts, das im Besitz der evangelischen Matthäuskirche in Frankfurt ist und bisher ein von der kunsthistorischen Forschung gänzlich unbeachtetes Schattendasein fristete. Um dringend notwendige konservatorische Maßnahmen durchzuführen, befindet sich das Altarbild zurzeit in der Gemälde-Restaurierungswerkstatt des Städel Museums. Nach Abschluss der Restaurierung wird es als Dauerleihgabe der Matthäuskirchengemeinde in die Gemäldegalerie des Städel einziehen und die dortige hochkarätige Sammlung niederländischer Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts verstärken.

Während das Mittelbild die Kreuzigung Christi vielfigurig vor einem weiten Landschaftspanorama entfaltet, zeigen die Flügelinnenseiten die männlichen beziehungsweise die weiblichen Mitglieder der Stifterfamilie in der Obhut von Heiligen. Den Konventionen der Zeit entsprechend sind die Männer auf dem ranghöheren linken Flügel, zur Rechten des gekreuzigten Christus auf der Mitteltafel, die Frauen auf dem rangniederen rechten Flügel dargestellt. Des Weiteren erscheinen die zum Zeitpunkt der Ausführung des Altarbildes noch lebenden Kinder in einem deutlich größeren Figurenmaßstab als die bereits verstorbenen. "Wie die Infrarot-Aufnahme zeigt, sind nicht alle Figuren von Anfang an in ihrer heutigen Position im Bild vorgesehen gewesen, ja, einige Figuren sind sogar erst nachträglich ins Bild gesetzt worden", hat Sander zeigen können. Und auch dahinter steckt eine spannende Familiengeschichte, wie der Kunsthistoriker in seinem Beitrag ausführt. "Die am Infrarot-Befund so klar nachvollziehbare sukzessive Einfügung weiterer Stifterfiguren verdeutlicht eindrü cklich die Memorialfunktion, die das Altarbild am Begräbnisort der Sippe erfüllen sollte; die Bildnisse sollten sicherstellen, dass die Dargestellten ins liturgische Totengedächtnis eingeschlossen wurden."

Das jetzt verfügbare Infrarot-Bildaufnahmesystem OSIRIS wird in Zukunft intensiv für Forschungsprojekte am Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe-Universität eingesetzt werden. Es ermöglicht den zerstörungsfreien Blick in die Bildentstehung und nachfolgende Bildgeschichte von mobilen Tafelbildern und ortsfesten Wandmalereien. "So kann nicht nur die erste zeichnerische Ideenskizze auf dem grundierten Bildträger und die im Detail ausgeführte, vorbereitende Unterzeichnung sowie die anschließende sukzessive malerische Ausführung durch den Künstler selbst nachvollzogen und dokumentiert werden. Gleiches gilt für nachträgliche Veränderungen, seien sie einem späteren Funktions- oder Geschmackswandel oder aber zustandsbedingt ausgeführten Restaurierungen geschuldet", ergänzt der stellvertretende Direktor des Städel und neue Professor an der Goethe-Universität.

Ein Schwerpunkt seiner Forschung, die Sander gemeinsam mit den Studierenden plant, wird die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Malerei am Mittelrhein und in den angrenzenden Kunstlandschaften sein, die durch das mobile Infrarotgerät nunmehr am jeweiligen Aufbewahrungsort in Kirchen und Museen untersucht werden kann. Eine intensive Zusammenarbeit besteht derzeit bereits mit dem Landesamt für Denkmalpflege in Wiesbaden und dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt.


Das aktuelle Forschung Frankfurt (3/2009) mit Themen zu "Frankfurt und Rhein-Main" ist im Internet zu sehen unter:
www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/2009/index.html oder als
Printausgabe anzufordern bei Helga Ott, ott@pvw.uni-frankfurt.de


Die Goethe-Universität ist eine forschungsstarke Hochschule in der europäischen Finanzmetropole Frankfurt am Main. 1914 von Frankfurter Bürgern gegründet, ist sie heute eine der zehn größten Universitäten Deutschlands. Am 1. Januar 2008 gewann sie mit der Rückkehr zu ihren historischen Wurzeln als Stiftungsuniversität ein einzigartiges Maß an Eigenständigkeit. Rund um das historische Poelzig-Ensemble im Frankfurter Westend entsteht derzeit für rund 600 Millionen Euro der schönste Campus Deutschlands. Mit über 50 seit 2000 eingeworbenen Stiftungs- und Stiftungsgastprofessuren nimmt die Goethe-Universität den deutschen Spitzenplatz ein. In drei Forschungsrankings des CHE in Folge und in der Exzellenzinitiative zeigte sie sich als eine der forschungsstärksten Hochschulen.


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Quelle:
Pressemitteilung 293 vom 23. Dezember 2009
Herausgeber: Der Präsident
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Dezember 2009