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BERICHT/003: "Passage dangereux" - Louise Bourgeois in der Hamburger Kunsthalle (SB)


Eine Gratwanderung zwischen Kunst und Lebensbewältigung


"Nicht ich habe den Markt ignoriert, er hat mich ignoriert und das war gut so, es hat mich überhaupt nicht entmutigt." So die 96jährige Louise Bourgeois in dem filmdokumentarischen Portrait "I Do - I Undo - I Redo" von 2008, zwei Jahre vor ihrem Tod.

Daß sie, die sich selbst in einem Interview als überanpassungsfähiges Mädchen beschrieb, das im Kunstunterricht nicht unbedingt talentierter war als ihre Klassenkameraden, aber "arbeitete wie ein Hund" (1), erst 1982 im Alter von 71 Jahren durch eine Ausstellung im Museum of Modern Art in New York auch international wahrgenommen wurde, zeigt einmal mehr die Beliebigkeit des Kunstbetriebes, dessen Trends und Hypes sich kaum mehr an der Qualität eines Künstlers bemessen, geschweige denn an einem möglichen Anspruch an das Kunstwerk, verändernde Kommunikation zu sein.

Die Ausstellung "Passage dangereux" über die späten Werke der französisch-amerikanischen Künstlerin, die am 25. Dezember 2011 hundert Jahre alt geworden wäre, ist noch bis zum 17. Juni 2012 in der Hamburger Kunsthalle zu sehen und umfasst ausgewählte Arbeiten aus den letzten 15 Jahren ihres Schaffens.

Die ausgestellten Objekte vermitteln einen Eindruck des überaus vielfältigen und facettenreichen Gesamtwerks der Künstlerin, Zeichnungen, Lithos, Stoffcollagen, Skulpturen, Installationen, kleine Stücke bis hin zur der neun Meter hohen "Maman", einer Spinne aus Bronze und Stahl, die zwischen den beiden Gebäuden der Kunsthalle plaziert wurde. Für Louise Bourgeois eine Hommage an ihre Mutter, die sie im familieneigenen Restaurationsbetrieb früh in Kontakt mit den Tätigkeiten des Webens und Nähens, des Kreierens, Zerstörens und Wiederherstellens brachte.

Der Ausstellungskuratorin und neuen Leiterin des Hubertus-Wald-Forums Brigitte Kölle zufolge war "die Wahl der geeigneten Formensprache, des passenden Materials oder der richtigen Größenordnung für Louise Bourgeois zeitlebens nicht eine wirklich relevante Entscheidung, sondern Mittel zum Zweck." (2) Sie verwendete oft Dinge aus ihrer unmittelbaren Umgebung für ihre Arbeiten und schlachtete Abbruchhäuser in Brooklyn aus, wo sie zum Beispiel den Gitterkäfig fand, der die Grundstruktur für "Passage dangereux" (1997) bildete, die zentrale Arbeit aus der Skulpturenreihe "Cells", dem Kernstück der Ausstellung. Zusammen mit "Cell XXII (Portrait)" (2000), einer in ihrem körperlichen Ausdruck überaus berührenden Figur derselben Reihe, zeigt "Passage dangereux", was es bedeuten kann, wenn ein Künstler seine für ihn nur in der Kunst ergründbaren Gefühle und innere Verfasstheit über miteinander in Beziehung gesetzte Materialien und Objekte vermittelt. Anders als in manchen ihrer eher harmlos ästhetischen Stoffbildern, gelingt es der Künstlerin in diesen Installationen, das für sie so zentrale und tiefgreifende Moment menschlicher Verunsicherung gnadenlos festzuhalten.

Auf welche Gratwanderung zwischen Hinwendung und Abkehr sich begibt, wer versucht, die ästhetischen Untiefen des verästelten "Kleiderbaums" auszuloten, an dessen stählernen Zweigen Bourgeois dicke gelbe Rinderknochen befestigt hat, die wie armlose Schultern zarte weiße Wäschestücke und ein schwarzes Paillettenkleid einer Frau tragen, bemerkt der Betrachter an dem Hadern mit sich selbst, weil wir beim Hinschauen sofort aus Ekel wieder wegschauen, uns dies aber nicht vollständig gelingt und wir uns doch gefangen nehmen lassen von einer Art klebriger Faszination, der wir folgen, obwohl wir nicht wollen - oder wollen wir doch?

Jerry Gorovoy zufolge, der Louise Bourgeois über 30 Jahre assistierte, tragen alle Kleidungsstücke, die zur Verwendung kamen, eine tiefere Bedeutung. Weil sie der Künstlerin selbst gehörten, ist jedes Stück mit einem bestimmten Gefühl, einer bestimmten Zeit, einem speziellen Ereignis aus ihrem Leben verknüpft. Diese feinsinnige biografische Dimension entzieht sich allerdings der bloßen Betrachtung. Nur wer Louise Bourgeois kennt, weiß um die autobiografischen Wurzeln. Das in Hamburg ausgestellte lithographierte Buch "Ode a l'oubli" von 2004 oder die Reihe "The waiting hours" von 2007 sind ebenfalls aus solchen Wäschestücken gefertigt.

Auch wenn die Familiengeschichte der Künstlerin - die als Kind sehr vom Handeln ihres Vaters, der ihre Mutter über einen langen Zeitraum mit dem im Haus der Familie lebenden Kindermädchen betrog, enttäuscht worden ist und den Schmerz ihrer Mutter teilte - oft bemüht wird, die Interpretation ihrer Kunstwerke zu erleichtern, teilt sich in einigen der Installationen ganz unmittelbar etwas menschlich Universelles und für jeden Wiedererkennbares mit. Auch aus diesem Grund und wohltuender Weise haben die Kuratorin Brigitte Kölle und ihre Assistentin Luisa Fink auf erklärende Wandtexte zur Ausstellung verzichtet.

Das Verfangensein des Menschen ist für Louise Bourgeois wichtigstes Motiv und Motor ihrer Arbeit gewesen. Ihre Einsamkeit und Ängste hat sie nach eigenen Aussagen allein mit künstlerischen Mitteln bannen können. Kunst sei ihr Weg, "mit dem Leben fertig zu werden". (3)

Besonders mit ihren Skulpturen und Installationen provoziert Louise Bourgeois Gefühle, die nicht nur unser gesellschaftliches Leben hinterfragen, sondern auch unser Verhältnis zu unserem Körper, der nicht getrennt werden kann von unserem Schmerz. Das Spektrum ihrer Anspielungen ist weit gefasst und mündet doch scheinbar immer wieder in der Unausweichlichkeit einer Konfrontation, die man sonst lieber vermieden hätte.

Anmerkungen: (1) http://www.procuniarworkshop.com/art-reference/ingrid-sischy-interview-with-artist-louise-bourgeois.html, 13.02.2012
(2) Hubertus Gaßner, Brigitte Kölle (Hrsg.): Louise Bourgeois. Passage dangereux. Hamburger Kunsthalle 2012, S. 14
(3) http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/1638647/, 13.02.2012


13. Februar 2012