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BERICHT/022: Gefesselte Kunst - Monolithischer Geltungsanspruch raumgreifender Symbolkunst (SB)


Kunst im öffentlichen Raum am Beispiel Schottland

Ray McKenzie im Vortrag am 8. Februar 2012 in Berlin

Wie man kunsttheoretische Themen auf unterhaltsame, dem Publikum zugewandte Weise präsentieren kann, ohne Verluste der Verflachung und Trivialisierung zu erleiden, demonstrierte der schottische Kunsthistoriker Ray McKenzie auf der Konferenz radius of art. Sein Vortrag im Forum "Art in public space, art as public space, and art in the public interest" war vielleicht auch deshalb von heiterem Unernst geprägt, weil das, was sich Stadtplaner und Ratsherren mitunter bei der Gestaltung des öffentlichen Raums einfallen lassen, so wirkt, als wären sie von dem Zwang getrieben, den Deco-Kitsch aus der Wohnzimmervitrine in hundertfacher Vergrößerung zum raumgreifenden Affront bedeutungschwangerer Nichtigkeit aufzublasen.

Porträt des Referenten - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ray McKenzie
Foto: © 2012 by Schattenblick

Ray McKenzie, Forschungsstipendiat beim Forum for Critical Inquiry am Glasgow School of Art und dort Senior-Dozent für Kunstgeschichte, arbeitet zur Zeit an einer Studie über öffentliche Denkmäler in Edinburgh. Die diskursive Funktion von Kunst im öffentlichen urbanen Raum war auch Thema seines Berliner Vortrags. Anhand mehrerer Beispiele aus Schottland schlüsselte er Walter Benjamins These von der Spannung zwischen dem politischen Inhalt und der ästhetischen Qualität eines Kunstwerkes auf und erwies sich dabei keineswegs als gnadenloser Richter, vor dessen strengem Auge keine künstlerische Leistung Bestand hat. Die kritische Auseinandersetzung der letzten vierzig Jahre mit der Frage nach der Kunst im öffentlichen Raum habe den Menschen in den Städten immerhin zahlreiche gelungene Denkmäler und Kunstprojekte beschert, so seine einleitende Stellungnahme.

Für McKenzie markiert das Jahr 1972 den "Ground Zero" in der Debatte um die Praxis der öffentlichen Kunst. In jenem Jahr hatte der englische Kunstkritiker Lawrence Alloway seinen einflußreichen Aufsatz "The Public Sculpture Problem" in der Zeitschrift Studio International veröffentlicht. Darin ging der Fahnenträger der Pop-Art der Frage nach, warum die Kunst im öffentlichen Raum damals so augenfällig groteske Werke produzierte, die beim Zielpublikum - den einfachen Menschen - auf wenig Gegenliebe stießen. Laut Alloway hatte man sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der patriotisch-überhöhten, im Kern staatstragenden Denkmalskultur des 19. Jahrhunderts abgewandt, ohne jedoch einen angemessenen Gegenentwurf gefunden zu haben. Die damalige Praxis, klassischen Denkmälern oder Prachtgebäuden in der Stadtarchitektur modernistische Kunstgegenstände als schmückende Accessoires zur Seite zu stellen, war nach Ansicht Alloways schon im Ansatz mißlungen.

Die damit losgetretene Debatte zog unter anderem eine Neubewertung der Bedeutung des jeweiligen Orts, an dem das Kunstwerk plaziert wurde, nach sich. So entstanden eine ganze Reihe innovativ-kreativer Denkmäler, für die insbesondere der Standort im Verhältnis zu seiner Umgebung von Belang war. "Site specificity" sollte sich als ungemein befreiendes Konzept erweisen. Die Kunstobjekte hoben sich positiv von denjenigen ab, die früher im Studio entworfen und dann nach dem letzten Handgriff quasi dort abgestellt wurden, wo man aus welchen Erwägungen auch immer meinte, eine Lücke füllen zu müssen.

In diesem Zusammenhang verwies McKenzie auf die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland in der Ära nach dem Zweiten Weltkrieg, als im Gegensatz zum herkömmlichen Denkmalkult das Konzept des Anti-Denkmals entstand. Die Auflösung der Idee des Denkmals führte sogar zu der Erkenntnis, daß das Kunstobjekt nicht einmal ein Gegenstand sein müßte, sondern auch ein Prozeß oder eine Intervention sein könnte. Auf Joseph Beuys Konzept der "sozialen Kunst" folgte die "new genre public art" und später die "relational aesthetics". All diese Konzepte haben ihren Eingang in den praktischen Diskurs um die Kunst im öffentlichen Raum gefunden. McKenzie zufolge ließen sich zwar einige Beispiele schauriger Verirrungen nicht vermeiden, aber dennoch habe sich das allgemeine Niveau infolge dieser Kontroverse wesentlich gehoben.

Olympische Kunst - Foto: © By Cmglee (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons

Technophiles Nirgendwo - "ArcelorMittal Orbit"
Foto: © By Cmglee (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons

Desungeachtet erhitzt die Debatte um die Darstellungsform der öffentlichen Kunst noch heute die Gemüter. Für McKenzie spricht es Bände, wenn sich Anish Kapoor, einer der weltweit führenden Schöpfer öffentlicher Kunst, eine dazu völlig konträre Ansicht zum Besten gibt: "Ich denke, wir haben es mit der öffentlichen Bildhauerei völlig übertrieben. Ich hasse öffentliche Bildhauerei. Oh Gott, allein der Begriff macht mich müde." Allerdings gibt es auch Stimmen, für die McKenzie eine gewisse Sympathie hegt, die Kapoor selbst als Teil dieses Problems ansehen. So brauche man sich nur den vom indischen Stahlmagnaten Lakshmi Mittal maßgeblich finanzierten, 19,1 Millionen Pfund teuren Turm "ArcelorMittal Orbit" vor Augen zu führen, den Kapoor am Eingang des Areals für die diesjährigen Olympischen Spiele in London errichtet hat. In der Zeitung Daily Mail wurde das 115 Meter hohe Stahlkonstrukt als "katastrophale Kollision zweier Baukräne" und "Meccano auf crack" bezeichnet, während bei einer Onlineumfrage unter den Lesern des Guardians lediglich 39 Prozent der Teilnehmer darin "grand design", dafür 61 Prozent "Schrott" zu erkennen meinten. McKenzie selbst verurteilte das Werk als "Konzerngrößenwahn, der sich mit der ungerechtfertigten, künstlich erzeugten Popularität der Olympischen Spiele schmückt".

Standbild mit Pferd und Reiter - Foto: © Stephen Sweeney [CC-BY-SA-2.0 (www.creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

In gebieterischer Pose erstarrt - The Duke of Wellington
Foto: © Stephen Sweeney [CC-BY-SA-2.0 (www.creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

Um so mehr Grund hatte der Referent, Kapoor mit seiner Kritik, es gäbe immer noch viel zu viel schlechte Kunst im öffentlichen Raum, Recht zu geben. Vor diesem Hintergrund schilderte er den Stand der Entwicklung in seiner Heimat Schottland, die geographisch zwar an der Peripherie Europas liege, jedoch aus Sicht seiner Bewohner kulturell stärker mit dem Festland verbunden sei als mit England. Zu Beginn zeigte McKenzie ein Musterbeispiel für die klassische Denkmaltradition, gegen die die Modernisten aufrebelliert hatten, nämlich die 1844 in Glasgow errichtete Statue des Duke of Wellington. McKenzie erntete mit seinen ironischen Bemerkungen dazu große Heiterkeit im Auditorium des Workshop. Der heldenhafte Napoleonbezwinger und spätere britische Premierminister sitzt - wie damals nicht anders zu erwarten gewesen wäre - hoch zu Roß -, während am Sockel der Statue Szenen der Entscheidungsschlacht von Waterloo unter Beteiligung der Royal Scots Guard im Relief eingemeißelt sind.

Statue eines Mannes - Foto: © By Hajotthu (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

Treibriemen der Industrialisierung - James Watt Foto: ©By Hajotthu (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC-BY-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0)], via Wikimedia Commons

In Glasgow, mit seinen Stahlwerken und dem Schiffsbau einst eine der wichtigsten Städte des British Empire, zeugen viele Denkmäler von der Geschichte der Stadt. Dazu zeigte McKenzie Bilder der klassischen Statuen vom Schriftsteller Sir Walter Scott sowie des Erfinders James Watt. Solche Denkmäler erfüllten in Anlehnung an die Theorie Baudelaires eine quasi-religiöse Funktion. Sie ehren und idealisieren berühmte historische Figuren, um den Normalsterblichen einen Fixstern zu bieten, zu dem sie aufschauen können. Modernisten wie Lawrence Alloway standen dieser Art von Denkmaltümelei vor allem wegen der unkritischen Heroisierung von Personen, die zu Lebzeiten häufig umstritten waren, skeptisch gegenüber. Fortan galten Statuen von Persönlichkeiten, die sozusagen auf die Menschen hinunterschauen, als undemokratisch und reaktionär.

Statue des Dichters - Foto: © By Kim Traynor (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Wenn Worte zu Stein werden ... Robert Burns
Foto: © By Kim Traynor (Own work) [CC-BY-SA-3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Doch in Schottland greift dieses Argument laut McKenzie zu kurz. Die von ihm gezeigten Statuen in Glasgow seien nicht auf Initiative der Stadtväter, sondern auf Drängen der gemeinen Bevölkerung errichtet worden. Im 19. Jahrhundert gehörte die Einweihung von Statuen zu Ehren der berühmtesten Söhne der Stadt zu den populärsten Volksbelustigungen überhaupt. Als im Januar 1877 das Denkmal von Robert Burns, dem Nationaldichter Schottlands (1759-1796), eingeweiht wurde, kam es in der Stadt am Clyde zu einer ausgelassenen Feier, die über zwei Tage anhielt und mehr als 30.000 Menschen in ihren Bann zog. Das große Interesse der einfachen Menschen an der Einweihung der Statue erklärt sich daher, daß sie selbst dafür bezahlt hatten.

Vorbild für Braveheart - Foto: © By Axis12002 at en.wikipedia [Public domain], from Wikimedia Commons

Lowlander und Rebell - William Wallace
Foto: © By Axis12002 at en.wikipedia [Public domain], from Wikimedia Commons2012

Damals durfte sich jeder an der Finanzierung des geplanten Denkmals, und zwar mit einem Beitrag von einem Schilling pro Kopf - umgerechnet sind das heute vier bis fünf Euro - beteiligen. Somit gehörte die Statue dem armen Arbeiter ebenso wie dem wohlhabenden Großbürger. Die Kosten für das Denkmal beliefen sich seinerzeit auf 20.000 Pfund, was bei 20 Schilling pro Pfund die stolze Zahl von 40.000 spendablen Kunstgönnern ergibt. Ohne dieses Modell der Privatspende wären viele bekannte Denkmäler in Schottland niemals errichtet worden. McKenzie berichtete davon, wie er einmal die sechsseitige, enggeschriebene Liste der Beitragszahler für das vor Stirling errichtete Nationaldenkmal zu Ehren des schottischen Rebellen William Wallace, der vor einigen Jahren durch den Hollywood-Streifen "Braveheart" weltweite Berühmtheit erlangte, las. Dabei war ein anderes Finanzierungsmodell angewandt worden. Die Namen auf der Liste waren nach der Höhe des gestifteten Geldbeitrags geordnet worden. Ganz oben stand der Duke of Beclew mit 100 Guinea (1 Guinea = 21 Schilling) und ganz unten Morag MacTavish - "vor kurzem verstorben" - mit einem Farthing, einem Viertelpfennig, der damals kleinsten Geldeinheit.

McKenzie hob hervor, daß die meisten Denkmäler im Glasgow des 19. Jahrhundert das Ergebnis eines gesellschaftlichen Konsenses seien, der seiner Meinung nach auch im 21. Jahrhundert herzustellen sei, wenngleich mit größeren Schwierigkeiten und Streitereien. In diesem Zusammenhang verwies er auf das Denkmal "La Passionaria", das 1974 von der International Brigade Association of Scotland im Auftrag gegeben, vom Künstler Arthur Dooley kreiert und 1979 auf dem Custom House Quay errichtet wurde. Es erinnert an die 2100 Briten, die im Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Republik kämpften, und die 65 Freiwilligen aus Glasgow, die dabei ihr Leben verloren. Im Mittelpunkt des Werkes steht eine Nachbildung von Dolores Ibárruri, einer Heldin der Gegner der rechtsgerichteten Falange um den späteren Diktator General Francisco Franco. Wenngleich die dem Denkmal zugrunde liegenden Ideale aus linker Sicht lobenswert sind - auf der Inschrift heißt es zum Beispiel "Besser im Stehen zu sterben, als auf den Knien zu leben" -, läßt es nach Meinung McKenzies und vieler anderer Kritiker nach ästhetischen Maßstäben vieles zu wünschen übrig. Als es aufgestellt wurde, hat die konservative Opposition im Stadtrat heftig dagegen gewettert. McKenzie verwies zwar auf die ideologischen Motive der Denkmalsgegner, die damit in erster Linie eine Attacke gegen die regierende Labour Party ritten, räumte aber gleichwohl ein, daß die Ibárruri-Nachbildung aus Fiberglas schlecht gefertigt wurde.

McKenzie listete dann die kunstimmanenten Mängel des Denkmals als Figur auf. So lasse die Nachbildung einer Person keinen Raum für eine diskursive Auseinandersetzung mit ihrem historischen Wirken zu, sondern das Standbild gerate zur deklamatorischen Rechtfertigung ihrer selbst. Durch die Gußform würde praktisch vorgegeben, wie man sie zu verstehen habe, so daß der Interpretationsspielraum, der Kunst überhaupt diskutabel und somit entwicklungsfähig mache, fehlte. Auch wenn die meisten Künstler in den letzten Jahren kaum mehr auf diese Form der interaktiven Darstellung von Kunst und öffentlichem Raum zurückgegriffen haben, gäbe es immer noch Bildhauer, die darin ein brauchbares Artikulationsmittel sähen.

Statue Feuerwehrmann - Foto: © Thomas Nugent [CC-BY-SA-2.0 (www.creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

Gebrauchskunst zu Ehren der Feuerwehr - Citizen Firefighter
Foto: © Thomas Nugent [CC-BY-SA-2.0 (www.creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

Als Beispiel zeigte McKenzie ein Bild des Denkmals "Citizen Firefighter" von Kenny Hunter, das 2002 in der Gordon Street zu Ehren der Feuerwehr von Strathclyde und vor allem ihrer Mitglieder, die über die Jahre bei der Brandbekämpfung in Glasgow und Umgebung ihr Leben verloren haben, aufgestellt wurde. Im Vergleich zu den Statuen von Burns oder Scott werde hier keine historische Person gewürdigt. Statt dessen stellt Hunter den namenlosen Feuerwehrmann mit einer Gasmaske als Verkörperung des Idealbürgers, der andere vor Gefahren rettet und sein Leben zum Wohle der Gemeinde auf Spiel setzt, dar. In Glasgow erfreut sich das Werk großer Akzeptanz. Nach Bränden mit Todesopfern unter den Feuerwehrleuten ist es zum Brauch geworden, vor der Statue Blumen hinzulegen.

Inzwischen gehen Künstler in Glasgow wie Douglas Hunter jedoch dazu über, ihre Werke in der Stadtlandschaft zu verstecken bzw. sie in antagonistisch-subversiver Weise zu anderen Bauten und Plätzen zu positionieren. Das Kunstwerk wird als etwas anderes getarnt und infiltriert dadurch sozusagen die Topographie der Stadt. Der vermeintliche Unterschied in der Trennung zwischen Illusion und Realität werde so in Frage gestellt, um beim Betrachter ein Nachdenken anzuregen. McKenzie zeigte per Dia mehrere Beispiele für dieses Phänomen und Kunstverständnis. Er lobte die sogenannte Hit and Run Art, Kunstwerke, die von niemanden im Auftrag gegeben, sondern auf Eigeninitiative des Künstlers irgendwo vorübergehend installiert wurden, nur um kurz danach wieder zu verschwinden. Diese Praxis erlaube dem Künstler bzw. der Künstlerin viel mehr Freiheiten und fördere auch die intellektuelle Kreativität, meinte McKenzie.

Ray McKenzie im Vortrag - Foto: © 2012 by Schattenblick

Mit Verve der urbanen Symbolkunst zu Leibe rücken ...
Foto: © 2012 by Schattenblick

Anekdotenhaft erzählte er schließlich, wie er im Juni 2008 im Flur der Hochschule auf Ross Birrell stieß. Der Künstler sagte quasi im Vorbeigehen, er hätte gerade den Kelvingrove Park, eine der berühmtesten Parkanlagen Glasgows, "privatisiert". McKenzie wußte zunächst mit der kryptischen Andeutung des langjährigen Kollegen nichts anzufangen, bis er sich kurz darauf selbst zum besagten Park im Glasgower West End begab und dort ein kleines, vom einem aus weißen Holzlatten gezimmerten Zaun umgebenes Areal erspähte. Auf dem Zaun hing ein Schild mit dem Wort "Private". Mit dieser Guerillakunstaktion, die weder mit der Parkleitung abgesprochen, geschweige denn von ihr genehmigt worden war, wollte Birrell auf das Problem der Privatisierung des öffentlichen Raums und dessen zunehmende Aneignung durch Konzerne und steinreiche Einzelpersonen aufmerksam machen. Innerhalb von nur zwei Stunden hatte die Parkleitung das (ver)störende Kunstwerk entfernt, was Birrell als Erfolg für sich verbuchte - zu Recht, meinte McKenzie.

Um zu beweisen, das das Temporäre nicht zwingend ein Abschied vom Monumentalen in der öffentlichen Kunst bedeuten muß, berichtete McKenzie von einer höchst gelungenen Aktion George Wylies. Anläßlich des Glasgow Garden Festival 1988 hatte der Bildhauer mit Hilfe einer Gruppe arbeitsloser Metallarbeiter eine Lokomotive in Originalgröße aus Draht konstruiert und mit Stroh verkleidet. Das Werk entstand auf einem brachliegenden Gelände im Stadtteil Springburn, aus dessen Fabriken Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhundertes ein Viertel aller weltweit verkauften und in Betrieb genommenen Lokomotiven stammte. Die "Straw Locomotive" wurde schließlich wie ihre echten Vorgängerinnen über die Straßen Glasgows zum Finnieston Quay am Fluß Clyde überführt. Dort hing sie, für alle Menschen in der Stadt sichtbar, mehrere Monate am Stobross Crane. Der berühmte Kran, mit dem einst die schottischen Lokomotiven auf Frachtschiffe für den Export gehievt wurden, gilt als das Wahrzeichen Glasgows schlechthin und als wichtiges Zeugnis für die industrielle Blütezeit der Stadt.

Zum Abschluß des Garden Festivals wurde die "Straw Locomotive", ähnlich dem Schiff eines verstorbenen Wikingerhäuptlings, in Brand gesetzt. Nach dem spektakulären Abfackeln des Strohs war im Stahlgerippe der Konstruktion in Metallbuchstaben die Frage zu lesen: "Was ist aus Springburn geworden?" Die Aktion von Wylie war natürlich als Anklage gegen die damalige konservative Regierung Margaret Thatchers gedacht, welche die traditionellen Schwerindustrien in Schottland, Nordengland und Wales zugrunde richtete, während sie gleichzeitig das Finanzwesen der Londoner City förderte. Laut McKenzie schlagen sich die Menschen in Schottland noch heute mit der Frage herum, wie ihre einst erfolgreichen Industrien in so kurzer Zeit in den Bankrott getrieben werden konnten, was wiederum den Ruf nach Unabhängigkeit und damit nach einem Austritt aus dem Vereinigten Königreich mit England verstärkt hat.

George Wylie, der inzwischen 90 Jahre alt ist und letztes Jahr von Königin Elizabeth II. in den Ritterstand erhoben wurde, gilt als der große Alte der schottischen Kunstszene. McKenzie attestierte ihm, im Laufe seiner über 60jährigen Karriere großartige Werke, aber auch viel Schrott produziert zu haben. Als Beispiel für letzteres und scherzhaft für "time-based work" zeigte McKenzie mehrere Fotos von der "Clyde Clock" am Glasgower Busbahnhof Buchanan. Es handelt sich hierbei um eine quadratische Uhr, die einer Figur im Lauf den Rumpf stiftet. Das eine Bein trägt das Denkmal, während das andere, am Knie gebeugt und den Fuß in die Luft gehoben, den Eindruck von Eile vermittelt. Das Urteil McKenzies über das vom einem Glasgower Radiosender in Auftrag gegebene Objekt fiel vernichtend aus. Seiner Meinung nach dürfte es "auf der ganzen Welt" kaum ein Kunstwerk geben, "das in seiner Konzeption infantiler, in seiner ästhetischen Form ungehobelter und in seiner Konstruktionsweise tolpatschiger" sei. Selbst als Uhr funktioniere sie offenbar nicht richtig.

Skulptur einer laufenden Uhr - Foto: © Stephen McKay [CC-BY-SA-2.0 (www.creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

Zeitlos in Eile ... Clyde Clock
Foto: © Stephen McKay [CC-BY-SA-2.0 (www.creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)], via Wikimedia Commons

Unter schallendem Gelächter des Publikums monierte McKenzie, daß eine Uhr, welche die falsche Zeit zeige, ein nutzloses Ding sei, aber eine, die dies vor einem städtischen Busbahnhof tue, ein in ihrer Nutzlosigkeit fast schon gefährliches Objekt sei. Allerdings räumte er ein, daß Künstler, wie alle Menschen, manchmal Fehler machten. Im Studio sei dies kein Problem, wenn aber ein mißratenes Kunstobjekt im öffentlichen Raum aufgestellt wird, sei dies weniger wünschenswert. Halb scherzhaft schlug er deshalb vor, es müsse eine Schiedstelle geben, welche die Menschen davor bewahrt, mit gescheiterten Kunstobjekten im öffentlichen Raum konfrontiert zu werden.

Ray McKenzie mit Bildprojektion - Foto: © 2012 by Schattenblick

Privatisierung anschaulich gemacht
Foto: © 2012 by Schattenblick

26. Mai 2012