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BERICHT/035: Filmwerk, Handwerk, Kunst auf Krücken - Pixar. 25 Jahre Animation (SB)


Pixar. 25 Years of Animation
Eröffnung der Ausstellung im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe am 27.01.2013



Wer des öfteren eines der großen Museen besucht, der wundert sich nur noch selten über das breit gefächerte Kulturangebot, das dort immer wieder aufgefahren wird. Schon lange sind die Kunsthallen nicht mehr allein den klassischen bildenden Künsten gewidmet und es wird immer wieder ein neues Ausstellungshighlight ausgearbeitet, das neue Zielgruppen anlocken möchte. Betritt man heute die Hallen des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg, überrascht es daher kaum, wenn man neben den "Köpfen der 1920er Jahre" und Japanischer Malerei von einem zwei Meter großen Plüschmonster begrüßt wird, vor dem sich Kinderscharen fotografieren lassen und Bilder von Spielzeugpuppen die Flure schmücken.

"Pixar. 25 Years of Animation" lautet der Titel der jüngsten Ausstellung, die seit dem 27. Januar 2013 im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen ist. Bereits im Jahre 2006 stellte der Konzern Disney Pixar zur Feier seines 20jährigen Jubiläums eine Ausstellung zusammen, die vom Museum of Modern Arts in New York aus durch die Welt zog. Man will heute wie damals dem Publikum demonstrieren, welches Ausmaß an konventionellem künstlerischen Prozess hinter den hochgradig erfolgreichen Animations-Blockbustern steht, die Pixar mittlerweile jährlich in die Kinos bringt.
Nun möchte man in einer mit Stücken aus den jüngsten Filmen aufgefrischten Ausstellung zum zweiten Mal Unternehmensgeburtstag feiern und zeigen, wie viel menschlicher Faktor im Entstehungsprozess seiner Unterhaltungsware noch verwurzelt ist, dass der Computer noch längst nicht in der Lage ist, einen Zeichner komplett zu ersetzen, der die sprechenden Autos und lustigen Monster am Reißbrett entwirft. Es soll den in der hauseigenen Kunsthochschule in Kalifornien ausgebildeten Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben werden, ihre mit eigenem Namen versehenen Werke zu zeigen, die sonst allein den Archivaren vorbehalten blieben. Doch wie viel Kunst ist hier noch vorhanden?

Jay Shuster, color by Jack Chang, Finn McMissile, Cars 2, 2011, Digital painting, - © 2012 Disney Enterprises, Inc./Pixar.

Sprechendes Auto in Pastell - ein Kunstwerk?
Jay Shuster, color by Jack Chang, Finn McMissile, Cars 2, 2011, Digital painting,
© 2012 Disney Enterprises, Inc./Pixar

Pixar begann 1979 als Tochtergesellschaft von Lucasfilm, die im Kerngeschäft den "Pixar Image Computer" herstellte, ein für den kommerziellen Gebrauch ausgerichteter Grafikcomputer. 1986 kaufte Apple Mitgründer Steve Jobs das Unternehmen für fünf Millionen US-Dollar auf, und man begann, die hauseigene Animationssoftware "RenderMan" zu entwickeln, die heute als Industriestandard gilt. Pixar produzierte nun Kurz- und Werbefilme, bis 1995 in Zusammenarbeit mit Disney der erste abendfüllende Animationsfilm "Toy Story" auf die Leinwand kam und den Maßstab für das noch junge Genre setzte. Seither produzierte das Unternehmen 13 enorm erfolgreiche und vielfach ausgezeichnete Kinofilme und eine Vielzahl von beliebten Kurzfilmen. Im Jahre 2006 wurde der Konzern für 7,4 Milliarden US-Dollar vollständig von der Walt Disney Company aufgekauft.
Dieser kurze Abriss der Unternehmensgeschichte verdeutlicht vorrangig eins - man hat es bei Pixar mit einem Unterhaltungskonzern von Milliardengröße zu tun, der von Anbeginn unter den High-Rollern der Branche gehandelt wurde und dessen Produktionen unter der Prämisse entstanden sind, das in den Anfangsjahren finanziell kränkelnde Unternehmen rentabel zu machen, indem man die hauseigene Software effektiv in ein Unterhaltungsprodukt umsetzt. Aber ist das nicht eine erdrückende Voraussetzung, um wirklich Kunst erschaffen zu können? Was bedeutet all das für die vielen Zeichner, Bildhauer und Designer, die Anstellung bei Pixar gefunden haben und heute im Museum für Kunst und Gewerbe ihre Werke ausstellen?

Suchroboter EVE aus dem Film WALL·E - Jason Deamer, EVE, WALL·E, 2008, Ink and marker, - © 2012 Disney Enterprises, Inc./Pixar.

Produkt mit Apples Software von hauseigenen Künstlern
Jason Deamer, EVE, WALL·E, 2008, Ink and marker,
© 2012 Disney Enterprises, Inc./Pixar

Es ist der Traum vieler Menschen, ein Künstler zu sein. Wer von Kindesbeinen an den Drang besitzt, zu erschaffen und zu kreieren, die tiefsten Emotionen seiner Selbst in etwas zu verwandeln, das greifbar ist, eine Skulptur, ein Bild oder Musik, der wünscht sich wohl, auch einmal den Lebensunterhalt damit bestreiten zu können. Also absolviert man die schulische Laufbahn, meist eher mittelmäßig, denn der Kopf bewegt sich in anderen Sphären, in Träumen und Gedanken. Doch was dann? Wie entkommt der junge Künstler den prekären Lebensumständen, die schon so viele vor ihm durchlebt haben, in denen die eigenen Werke kaum mehr wert zu sein scheinen, als das Papier, auf das sie gekritzelt sind. Man beginnt ein Handwerk zu lernen, besucht Universitäten, studiert Farbräder und Zeichentechniken, wird immer präziser und raffinierter im eigenen Können, absolviert auch diese Hürde. Und nun, was kommt nun? Die immer wieder quälende Frage die sich dem Menschen stellt.

Die vielen "Medien" suchen händeringend nach Künstlern und Designern, Menschen, die Grafiken und Logos erstellen, die phantastische Welten für Filme und Computerspiele entwerfen. Figuren, Helden, interessante Geschichten, die den Konsumenten fesseln sollen, so dass er sich in der fiktiven Welt verliert, eine Möglichkeit, für 90 Minuten die Realität zu vergessen. Für einen kurzen Moment in eine Märchenwelt zu fliehen, in der man nicht nachdenken muss, in der Tiere und Autos miteinander reden, in der Gut und Böse leicht auseinander zu halten sind, in der man lachen kann über die Mißgeschicke der ulkigen Figuren, deren Mimik sich nur über die Extreme definiert, die der Algorithmus zu berechnen vermag.
Was bleibt, ist ein fader Beigeschmack. Ein Bruchteil dessen, was der Mensch ursprünglich an Traum und Wunsch in sich trug, was ihn bewegt hat zu erschaffen. Was bleibt, ist ein Handwerk unter der Vorgabe, möglichst effiziente und verwertbare Vorlagen zu gestalten. Auf Raster gelegt, mit Achsen versehen, berechnet, vom "RenderMan" animiert. "Im Computer gibt es keine glücklichen Zufälle, alles muss hart erarbeitet werden", so liest man auf dem Wandtext der Ausstellung.

Aber sind nicht die glücklichen Zufälle gerade das, was ein Bild, eine Skulptur oder Musik zu einem Kunstwerk macht? Die Teile, die eben nicht perfekt sind, in denen die Lehren des Handwerks nicht greifen und etwas anderes die Hand des Künstlers übernimmt, etwas, das nicht in einer Schule gelernt werden kann, etwas, das nicht mehr rational zu erklären ist, nicht an die Grenzen von Algorithmus und Systematik gebunden ist, nicht auf Ästhetik basiert.
Hinter einem solchen glücklichen Zufall, einem Unfall oder Fehler kann etwas entstehen, was die Menschen bewegt, etwas aussagt und womöglich wahrhafte Kunst ist. Etwas nicht mehr zu Berechnendes und nicht mehr zu Beschreibendes, etwas, das nicht darauf basiert, eine packende Geschichte erzählen zu müssen oder einen Konsumenten zu unterhalten. Etwas das nicht schön und ästhetisch sein muss, keinen Sinn erfüllt, außer der eigenen Existenz.

Wieviel von einer solchen Idee, einem Wunsch, kann bestehen, wenn ein Künstler nun für einen Milliardenkonzern wie Disney Pixar arbeitet und dort "Medien" für den Massengeschmack herstellt, in einem Umfeld, in dem jede Zeichnung, jede Skulptur, jede Studie von Welt und Leben nur darauf abzielen kann, schlussendlich ein noch effizienteres und erfolgreicheres Endprodukt auf die Leinwand zu bringen. Abgestimmt auf den "RenderMan", geglättet, überarbeitet, mit den Stimmen von Comedians vertont. Eine einfach zu schluckende Mischung aus Slapstick und Kitsch, mit Happy Ends wie sie nur Hollywood erzählen kann, ein Spaß für die ganze Familie.

Was von all dem übrig bleibt, kann man heute im Museum für Kunst und Gewerbe betrachten, in einer Ausstellung die auch "Pixar. 25 Jahre Unternehmensgeschichte" heißen könnte. Der ästhetische Wert der hier ausgestellten Stücke ist nicht zu leugnen, es ist hübsch, bunt, unterhaltsam wie die Filme. Die Auswahl der Exponate verdeutlicht, dass es sich bei den Mitarbeitern des Konzerns um Profis handelt, die ihr Handwerk verstehen, und der Entstehungsprozess der Animationsfilme, von der Reißbrettskizze über eine modellierte Figur, bis hin zum Endprodukt, wird anschaulich dargestellt. Doch was beim Durchschreiten der Ausstellungsräume und Betrachten eben dieses Prozesses deutlich wird, ist, wie die fortschreitende Digitalisierung sprichwörtlich das Leben aus den Werken der Künstler saugt.

Konzeptzeichnung der Superheldenfamilie für den Film Die Unglaublichen - Lou Romano, Colorsript, Die Unglaublichen, 2004, Digitalzeichnung, - © 2012 Disney Enterprises, Inc./Pixar

Digitalzeichnung - präzise und entseelt
Lou Romano, Colorsript, Die Unglaublichen, 2004, Digitalzeichnung,
© 2012 Disney Enterprises, Inc./Pixar

Durch jeden Schritt der weiteren Verwertung scheint die Figur, das Gesicht und die Welt, die von den Künstlern geschaffen wurde, etwas weniger subtil zu werden, immer glatter und lebloser. Was am Ende fehlt, ist das, was nicht zu berechnen ist, etwas rein Subjektives. Was bleibt, ist eine leere Hülle auf einem Raster, mit präzise gesetzten Ecken und Kanten, oberflächlich, nichts Greifbares, keine Substanz, reine Kurzweil, flüchtig, nicht länger als 90 Minuten.

Was für ein Fazit kann man aus dieser Ausstellung nun ziehen, welche Absichten verfolgt sie überhaupt für Museum und Konzern? Feiert man hier seinen eigenen Erfolg ab, oder macht man tatsächlich den Künstlern ein Geschenk, einmal ihre sonst kaum zu sehenden Werke der Öffentlichkeit zu präsentieren? Es ist diesen Menschen sehr zu wünschen, der Welt ihr Handwerk zeigen zu dürfen, bevor es komplett zum Design wird, bevor der Computer den letzten Teil ihrer Selbst aus den Figuren herausgerechnet hat. Doch hat dies wirklich Platz in einem Museum, gefördert durch öffentliche Mittel? Aus der Sicht der Museen ist es in Zeiten mangelhafter Kulturförderung und knapper Kassen kaum zu verdenken, eine solche Möglichkeit zu nutzen, ein Publikum anzuziehen, das eher nicht zu den üblichen Museumsgängern zählt und wohl größtenteils aus denjenigen bestehen wird, die Gefallen an den Filmen finden und näheres über ihren Entstehungsprozess erfahren möchten.
Dennoch stößt es sauer auf, anzusehen, wie ein Museum heute auf eine Ausstellung zurückgreifen muss, deren Werbezweck für den Unterhaltungskonzern wohl kaum zu leugnen ist. So ist nur zu hoffen, dass derartige Ausstellungen ebensowenig Spuren in der Museumsgeschichte hinterlassen, wie es die Filme in den Köpfen der Zuschauer tun. Eine 90-minütige audiovisuelle Berieselung, denn sonst ist es nicht mehr weit, bis sich "25 Jahre Starbucks - die schönsten Kaffeebecher" zwischen Antike und Renaissance gesellt.

10. Februar 2013