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BERICHT/038: Yoko Ono - Verheißung und Störung (SB)


"Yoko Ono & Thurston Moore. An evening of musical improvisation and film" auf Kampnagel, dem Internationalen Zentrum für schönere Künste

Von Simone Vrckovski



"A dream you dream alone is only a dream. A dream you dream together is reality." (Yoko Ono)

"FILM NO. 4 (Bottoms)" (1966), das umstrittenste Filmexperiment Yoko Onos, zeigt, mit Vogelgezwitscher unterlegt, verschiedene, sich in gehender Bewegung befindliche Pos in Nahaufnahme und begleitet den Einzug der Zuschauer in das K 6 auf Kampnagel ... Sind wir Teil einer Installation?

Der Saal wird finster, Bilder aus Yoko Onos Kindheit sind an Szenen ihres künstlerischen Aufbruchs in den 60er Jahren als Vorkämpferin der New Yorker Fluxus-Bewegung montiert. Sehr privat wirkende Sequenzen glücklicher Familientage mit John Lennon und Sean auf dem Jahrmarkt oder im Sommerurlaub folgen auf die trügerisch harmlose Idylle gemeinsamer politischer Happenings. Aufnahmen von Krieg und Protest flackern begleitet von verstörenden Musikfetzen und politischen Stellungnahmen über die stillen Instrumente auf der dunklen Bühne; jäh unterbrochen von der blutverschmierten Brille John Lennons vor blauer Skyline, die zum Symbol für das tödliche Attentat, dem Ende einer Ära, geworden ist. Yoko Ono als junge, weiß gekleidete Witwe, die in tränenlosem Schmerz 1981 den Grammy entgegennimmt. Ein experimentelles Close-up auf ihr regungslos weinendes Gesicht. Dann Yoko Ono dreiundsiebzigjährig, für ihr radikal vorfeministisches "Cut-Piece" (1965) abermals auf der Bühne sitzend, Männer - und auch Frauen - schneiden ihr die Kleidung vom Leib. Eine Lichtsäule, die in den Nachthimmel weist, der IMAGINE PEACE TOWER 2008 auf Island. Zarte Telefonstimme: "Hello? This is Yoko...?!"

Yoko Ono singt - Foto: © 2013 by Isabel Schiffler

Yoko Ono
Foto: © 2013 by Isabel Schiffler


Emotionales Kalkül oder politisches Bekenntnis?

Wie zur Erinnerung stimmte Yoko Ono mit dieser sehr intimen und anrührenden Filmcollage das 850-köpfige Kampnagelpublikum, das sich am Samstagabend aus unbedarften Festivalgängern und gespannt wartenden Ono-Begeisterten zusammensetzte, auf das ausverkaufte Konzert dreier fantastischer Musiker ein. Yoko Ono (Gesang), Thurston Moore, der Mitbegründer der legendären Noise-Rock-Band Sonic Youth (Gitarre/Gesang), und die junge Shayna Dunkelman (Schlagzeug), die sich in der künstlerisch so unkomplizierten und lebendigen Atmosphäre des Kampnagelsommerfestivals kurzfristig auf die Bühne gesellte, entlockten ihren Körpern und Instrumenten bald dialogische, bald orchestrale Klänge aus sanftem Flüstern, wildem vorsprachlichen Gesang, hoch aktiven Percussions und krassester elektronischer Rückkopplungen. Sie schufen einen Soundappeal, der im entrückenden Zusammenspiel mit Ono-Experimentalfilmen wie "Match Piece" (1955/66) oder "Eyeblink" (1966) die volle Aufmerksamkeit der Zuschauer in seinen melancholischen Bann schlug.

Um die seit über fünfzig Jahren aktive Grande Dame der avantgardistischen Untergrundmusik und Performancekunst dazu zu bewegen, ein Engagement für das diesjährige Internationale Sommerfestival auf Kampnagel zu akzeptieren, das noch bis zum 25. August "Hybride aus Pop und Performance seit den 1960er Jahren" in den Fokus nimmt, musste Festivalleiter András Siebold Yoko Ono erst an verschiedenste Orte hinterherreisen, bis die Zusage mit dem Kommentar kam, sie bringe Thurston Moore mit.[1] Damit ist Siebold im Jahr von Onos achtzigstem Geburtstag in Berlin und der großen ihr gewidmeten Retrospektive in der Schirn Kunsthalle Frankfurt ein Geniestreich gelungen, der auch für Hamburg avantgardistische Maßstäbe setzt und einmal mehr die eigenwillige Auftrittspraxis von Yoko Ono beweist.

Yoko Ono, Shayna Dunkelman und Thurston Moore gemeinsam auf der Bühne von Kampnagel - Foto: © 2013 by Isabel Schiffler

Yoko Ono, Shayna Dunkelman und Thurston Moore gemeinsam auf Kampnagel
Foto: © 2013 by Isabel Schiffler

Doch kann die Exklusivität der New Yorker Starkünstlerin und souveränen Geschäftsfrau, die sich in aktuellen Interviews kaum auf eindeutig linkspolitisch auslegbare Antworten festnageln lässt und Worte wie "Frieden" und "Liebe" scheinbar inflationär im weise lächelnden Munde führt, heute vielleicht nur noch an diesem mondänen Burggraben professionalisierter Öffentlichkeitsarbeit gemessen werden? Hat Ono den Ruhm der 1960er und 1970er Jahre zu einem zwar hochfrequenten, sich jedoch stark wiederholenden Mainstreamavantgardismus pseudo-kritischer Onlinestatements umentwickelt, wie er nun einmal im Twitterzeitalter der digital lancierten Scheinrevolutionen en vogue ist?

Üblicherweise lässt Yoko Ono ihre Präsenz im medialen Diskurs zwischen künstlerischer Naivität und diamantener Unnahbarkeit changieren, um schließlich nur im Schutzraum der poetischen Performance oder in lebendigen, von künstlerischer Gegenseitigkeit geprägten Interaktionen mit anderen Musikern und Bühnennomaden, ihre Tarnkappe abzulegen und sich als kraftvoller Zwerg zu zeigen, der Stimmen aus sich herausarbeitet, die hallend in ein enormes Klangvolumen münden. Was wir dann live wahrnehmen, ist nicht immer "schön", wirkt aber in seiner paradox kontrollierten Verspieltheit beneidenswert direkt, beinahe unangreifbar nackt, ohne in bloßem Infantilismus zu stagnieren. Im Liveauftritt, in der persönlichen Begegnung tritt eine Position zu Tage, die sich mit dem alten Mythos von Ono, als einem Wesen, das es geschafft haben soll, sich in stetiger radikal-künstlerischer Auseinandersetzung mit den Fesseln alltäglicher Einschränkungen wie geschlechts-, rassen-, schicht- und altersbedingten Rollenzuweisungen frei zu entfalten, durchaus überein bringen lässt.

Yoko Ono, Shayna Dunkelman und Thurston Moore heben nach dem Konzert ihre Arme lachend zum Peacezeichen - Foto: © 2013 by Isabel Schiffler

Standing ovations im Publikum und auf der Bühne
Foto: © 2013 by Isabel Schiffler

Das Konzert von Yoko Ono, Thurston Moore und Shayna Dunkelman, auf dem Avantgardeklassiker wie "Cut Piece" (1965), "Freedom" (1970) und sogar das aktuellste Happening "ARISING" (2013)[2] gezeigt wurden, war thematisch zu großen Teilen der gesellschaftlichen Lage und dem Schmerz der Frauen gewidmet. Ono sang ihre Songs "It Happend" (1974) und "Why" (1970) mit einer keinen Zweifel lassenden Intensität, die an subjektive Pein, das Angesicht des Todes und die jederzeit vorhandene Möglichkeit des plötzlichen Kontrollverlusts im eigenen menschlichen Dasein gemahnte. Die audiovisuelle Durchschlagskraft Yoko Onos unmittelbar wirkender Bühnendarbietung ist ungebrochen.

Die Front von Kampnagel - Dem Internationalen Zentrum für schönere Künste - Foto: © 2013 by Schattenblick

Kampnagel - Das Internationale Zentrum für schönere Künste
Foto: © 2013 by Schattenblick


Anmerkungen:
[1] Szene Hamburg Stadtmagazin, August 2013
[2] http://www.imaginepowerarising.com/#sthash.62lvbl8X.dpbs


15. August 2013