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BERICHT/052: Food Revolution 5.0 - aufklärungsarme Hilfsästhetik ... (SB)



Essen ist einer der wenigen wirklich elementaren Bestandteile unseres Lebens. Ohne die Verstoffwechselung von Proteinen, Kohlenhydraten und Fetten funktionieren unsere Körper nicht und wir sind dem ständigen Zwang ausgesetzt, dieses System am Laufen zu halten. Dabei gibt es in den westlichen Gesellschaften kaum noch jemanden, der ein normales oder gesundes Verhältnis zum Essen hat. Fast jeder ist in irgendeiner Form essgestört: Der eine isst ständig zu viel, der andere zu wenig. Man dichtet sich selbst Gluten Unverträglichkeiten an, macht von jeder Mahlzeit ein Foto für Instagram oder trägt akribisch jeden Makronährstoff in Fitness-Apps ein, um eine optimierte Versorgung zu gewährleisten. Eine gelebte Esskultur, die Rituale für die Zubereitung und den Verzehr der Nahrungsmittel und genussvolles Essen in Gemeinschaft beinhaltet, sucht man bei all dem Aufwand vergebens. Die einfache Verfügbarkeit von industriell gefertigten Lebensmitteln und der immer umfassendere Arbeitsdruck in unserer Leistungsgesellschaft lassen das Essen zu einer lästigen Notwendigkeit werden, die möglichst wenig Zeit in Anspruch nehmen darf.


Ausstellungsraum mit vielen Postern und Glasvitrinen mit bunten Plastikklötzen. - Foto: Ausstellungsansicht 7 | Exhibition view 7, Raum Markt, © Dimi Anastassakis

Designmesse oder Gesellschaftskritik?
Foto: Ausstellungsansicht 7 | Exhibition view 7, Raum Markt
© Dimi Anastassakis

Das Thema Essen mit seinen vielen Facetten und in seiner soziokulturellen Bedeutung ist also absolut diskussionswürdig. Ein Museum ist als Plattform ohne ökonomische Interessen und als Bewahrer von Werten ein besonders geeigneter Mediator für die aktuellen Diskurse über das Essen. So soll es auch in der Ausstellung "Food Revolution 5.0 - Gestaltung für die Gesellschaft von Morgen" geschehen, die im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg verschiedene, kreative Visionen für den Umgang mit knappen Ressourcen, Zeitmangel und schwindenden Agrarflächen in der Zukunft präsentiert.

Gleich zu Beginn der Sammlung, die in die Themenbereiche Farm, Markt, Küche, Tisch und Labor eingeteilt ist, wird man von Design-Modellen begrüßt, die ein wenig an den Stand einer Technologie Messe erinnern. Gefällige Miniaturen von Hybridanlagen für kombinierte Schweine-Tomatenzucht und Algenfarmen, die in Filteranlagen für Gebäude eingebaut werden könnten, reihen sich auf weißen Polystyrol Sockeln aneinander. Die Kombination mit dem sich durch die Ausstellung ziehenden Wandfresko im Stil einer Milchverpackung mit beschaulichen Bildern von Kühen unter Glas und Treckern und bunten Erklär-Postern vermittelt das Gefühl, man klicke sich gerade durch die stromlinienförmige Website eines IT-Konzerns. Leider verschleiert diese oberflächliche Gestaltung auch die Wirkung, die einige Exponate in einem weniger bunten Präsentationsrahmen hätten haben können. Das Kunstwerk wird von Vornherein vollständig zum Design erklärt und so stark in das Ausstellungskonzept gebettet, dass es keinerlei Chance zur Eigenständigkeit hat. Für manche Objekte wie beispielsweise die Bilderreihe "Dinner in NY & Dinner in Tokyo" der Fotografin Miho Aikawa ist dies besonders schade, da ihre treffende Kritik am modernen, aber einsamen Dinner im Corporate Design von "Food Revolution 5.0" untergeht.


Eine Frau mit einer grünen Plastikmaske, an der zwei lange, trichterförmige Fortsätze angebracht sind, steht vor dem Plakat einer gezeichneten Kuhwiese mit Bergen und landwirtschaftlichen Gebäuden - Foto: © by Dimi Anastassakis

Designstudie vor moderner Farmromantik
Ausstellungsansicht 4 | Exhibition view 4
Anthony Dunne & Fiona Raby
"Between" - Design für einen übervölkerten Planeten:
Foragers | Grasprozessor und erweitertes Verdauungssystem 2009
Fiberglas
Foto: © by Dimi Anastassakis

Omnipräsent scheint auch der Einsatz von 3D-Druckern zu sein, sowohl im Herstellungsprozess der Ausstellungsstücke, als auch in den modellierten Zukunftsvisionen der Designer. In kalten, gläsernen Vitrinen liegen bunte Klötzchen aus Polyamid 12, die unsere gedruckten Lebensmittel der Zukunft darstellen sollen. Ein selbst gebauter Hexapod Roboter soll ein Steak aus Insektenbrei drucken, um die von Ekelgefühlen besetzten, aber eiweißreichen Tierchen in eine ansprechende Form zu bringen. Die additive Fertigung ist dabei wohl fast so etwas wie die Raumfahrt des neuen Jahrtausends: Man scheint die Technologie nicht wirklich zu verstehen, möchte sich aber auch nicht so genau mit ihren Möglichkeiten und Grenzen auseinandersetzen. So werden heute 3D gedruckte Gebäude und Lebensmittel auf die gleiche Weise als nahende Zukunftsvision angepriesen, wie man es in den 1950er Jahren mit Grundstücken auf dem Mond getan hat.

"Food Revolution 5.0 - Gestaltung für die Gesellschaft von Morgen" ist eine konsequente Design Ausstellung. Stromlinienförmig durchstrukturiert, bunt und leichtgängig bietet das Museum für Kunst und Gewerbe einen "Themenpark Essen", der dem Besucher rund 20 Minuten Unterhaltung und die eine oder andere magere Information auf Wandtexten und Plakaten liefert. Leider ist der gesellschaftskritische Anspruch, den man bei der Konzeption der Ausstellung im Kopf hatte, irgendwo im schick designten Endprodukt verloren gegangen.


Links eine Maschine zum Drucken von Teigbällchen mit Pilzsporen, rechts eine Frau, die ein solches Teigbällchen mit ausgewachsenen Pilzen isst. - Foto: 'Edible Growth' 2014, by Chloe Rutzerveld

Das Essen der Zukunft - gedruckt und platzsparend.
Foto: "Edible Growth" 2014, by Chloe Rutzerveld


Die Ausstellung ist noch bis zum 29.10.2017 im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zu sehen.

29. Mai 2017


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