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BERICHT/062: bauhaus imaginista - mehr als Ästhetik und Architektur ... (SB)



Wir wollen exakt sein, ohne einseitig zu bleiben. Das ist ein Kunststück, soll uns aber nicht hindern. Wissen ist so weit als möglich präzis. Das Imaginäre ist unumgänglich. Wir wollen nicht Form, sondern Funktion. Wir suchen auch hier die Präzision innezuhalten: Wie die Maschine funktioniert, ist nicht übel, wie das Leben funktioniert, ist mehr. Das Leben zeugt und gebiert.
Paul Klee - Exakte Versuche im Bereich der Kunst, 1928 [1]

Die Gründung des Staatlichen Bauhauses in Weimar am 12. April 1919 fällt in eine Phase des Umbruches, die den Erfahrungshorizont heute in der Bundesrepublik lebender Menschen weit übersteigt. Das Ende des Ersten Weltkrieges, das vielen ein von Mangel und Hunger gezeichnetes Leben beschert hat, weniger als ein Jahr zuvor, das Scheitern der in der Weimarer Republik aufgehenden sozialen Revolution des Novembers 1918, der sich an den Bedingungen des Versailler Vertrages wie am Mythos des Verrates durch die "Novemberverbrecher" aufrichtende Nationalchauvinismus und ein rechter Straßenterror, der vor der Ermordung führender VertreterInnen des kommunistischen und bürgerlichen Lagers nicht zurückschreckte - die langen Schatten, die die nächsten Katastrophen der Unterdrückung und Vernichtung warfen, verdunkelten die Horizonte individueller Lebenshoffnungen und bilden sich nicht nur in der Rückschau ab, sondern waren auch aus zeitgenössischer Perspektive zu erkennen.

100 Jahre später fällt schwer, die sich aufdrängenden Parallelen zu ignorieren. Die sogenannte Neue Rechte drängt mit Macht in die Mitte der Gesellschaft, die ihr bereitwillig entgegenkommt, auch wenn Spekulationen über mögliche Koalitionen zwischen Unionsparteien und AfD vorerst durch eine CDU-Parteivorsitzende ein Ende bereitet wurde, die ihrerseits dem Affen Zucker gibt und so für anwachsenden Zuspruch zur extremen Rechten sorgt. Tagelang dröhnendes Schweigen in den Reihen der Union zur Ermordung ihres Mitgliedes, des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, mündete in die Forderung des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, mehr Toleranz gegenüber einer mit faschistischen Positionen liebäugelnden Partei walten zu lassen. Dem ehemaligen Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, scheint die Normalisierung der AfD ein politisches Bekenntnis zu sein, während Morddrohungen gegen liberale und linke PolitikerInnen inzwischen zum Alltag gehören. Das Attentat auf Lübcke legt eine organisatorische Kontinuität des NSU-Terrors nahe, die zuständigen Behörden müssen zum Jagen getragen werden, und trotz der notorischen Verharmlosung der extremen Rechten kann die Existenz putschistischer Netzwerke in Bundeswehr und Polizei nicht mehr ignoriert werden. Das bürgerliche Lager steht in Teilen Ostdeutschlands mit dem Rücken zur Wand, so in Görlitz, wo die Wahl eines AfD-Bürgermeisters nur durch eine ganz große Koalition aller anderen Parteien verhindert werden konnte. Nicht dem Typus der patriarchalen Kleinfamilie und heterosexuellen Partnerschaft verpflichtete Menschen laufen zusehends Gefahr, an der grassierenden Homo-, Inter- und Transphobie Schaden zu erleiden, und die AfD sorgt überall, wo sie politischen Einfluß erringt, dafür, daß die Etats für progressive Kulturprojekte oder die institutionalisierte Geschlechterforschung zusammengestrichen werden.

Von Anfang an erfüllte das Staatliche Bauhaus in Weimar alle Kriterien eines Feindbildes nationalkonservativer Kreise. Der Umzug nach Dessau 1925, wo unter dem Namen Hochschule für Gestaltung eine neue Schaffensphase begann, war rechten Anfeindungen und damit verbundenen Mittelkürzungen geschuldet. In dem bis heute vom Ruf einer Traditionsstätte deutscher Kultur umwehten Weimar hielt die NSDAP 1926 ihren ersten Reichsparteitag ab. Adolf Hitler besuchte die Stadt vor 1933 für Propagandauftritte ganze 24mal, zudem soll er geplant haben, die Parteizentrale von München nach Weimar zu verlegen. [3]


Haus der Kulturen der Welt mit Ausstellungsankündigung - Foto: © 2019 by Schattenblick

Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin
Foto: © 2019 by Schattenblick

Mit der Wahl Wilhelm Fricks zum Staatsminister für Inneres und Volksbildung in Thüringen im Januar 1930 fiel der Startschuß für eine kulturreaktionäre Offensive, die mit einer Entlassungswelle für kommunistische LehrerInnen und Bürgermeister begann. Durch seinen Erlaß "Wider die Negerkultur für deutsches Volkstum" vom April 1930 ermächtigt, Verbotsverfügungen auszusprechen, kam es zu einer ersten Welle von "Säuberungen", die sich gegen die "Verfallskunst", den "Baubolschewismus" und die "Sumpfkultur" linker und jüdischer KünstlerInnen richteten. Das Weimarer Schloßmuseum mußte Gemälde und Zeichnungen zahlreicher VertreterInnen der Moderne entfernen, darunter die Bauhaus-Meister Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky und Paul Klee. Dieser erste große Bildersturm nahm die Kunstpolitik der NS-Ära vorweg, ohne daß dies in der Weimarer Republik verhindert wurde. Die Maßnahme wurde damit begründet, daß die davon betroffenen Werke "nichts gemeinsam mit nordisch-deutschem Wesen" hätten, sondern sich darauf beschränkten, "das ostische und sonstige minderrassige Untermenschentum darzustellen" [4].

Zerstört wurde auch das Fresko des von den Nazis als "Kunstbolschewist" verfolgten Bauhaus-Meisters Oskar Schlemmer im Treppenhaus der als Staatliche Bauhochschule Weimar firmierenden Nachfolgeeinrichtung. Drei Jahre vor Beginn der NS-Diktatur war in Deutschland vieles möglich, was zwar noch nicht an die diffamierende Wanderausstellung "Entartete Kunst" oder das am 27. Mai 1943 in Paris abgehaltene Autodafé, bei dem bis zu 600 Gemälde der Moderne von Joan Miro, Paul Klee, Max Ernst, Pablo Picasso und vielen anderen nahmhaften KünstlerInnen den Flammen zum Opfer fielen, heranreichte, aber zur Einschüchterung und Unterdrückung mißliebiger Kulturschaffender allemal ausreichte.

Was also war den Nazis so verhaßt, daß das Bauhaus im September 1932 vom NSDAP-dominierten Gemeinderat der Stadt Dessau aufgelöst wurde und auch in Berlin, wohin es von dort aus zog, nicht mehr richtig Fuß fassen konnte, so daß es am 20. Juli 1933 endgültig geschlossen wurde? Es handelte sich, zumindest in seinen Anfängen, um ein von libertären, sozialistischen und internationalistischen Ideen beeinflußtes Projekt fortschrittlicher Kunstpädagogik, dessen zeitgeschichtliche Einflüsse bis auf den libertären Marxisten William Morris zurückgingen, Mitte des 19. Jahrhunderts einer der Gründer des britischen Arts and Crafts Movement. Als Autor verarbeitete Morris die Betonung traditioneller Handwerkskünste, der praktischen Auseinandersetzung mit Werkstoffen und der Kritik industrieller Produktionsweisen in Form eines utopischen Gesellschaftsentwurfs, auf den sich libertäre Linke und radikalökologische AktivistInnen bis heute berufen.


Projektion bauhaus imaginista im HKW - Foto: © 2019 by Schattenblick

Projektion im Haus der Kulturen der Welt
Foto: © 2019 by Schattenblick

Im Anschluß an die unerfüllten sozialen Forderungen der Novemberrevolution und beeinflußt von lebensreformerischen wie reformpädagogischen Ansätzen wurden im Bauhaus emanzipatorische Ideen verfolgt, die laut dem Gründungsmanifest des Architekten Walter Gropius "eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung, die eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errichten wollte", hervorbringen sollte. Ihm ging es um eine ganzheitliche Bewegung "künstlerischen Schaffens zur Einheit, die Wiedervereinigung aller werkkünstlerischen Disziplinen - Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe und Handwerk - zu einer neuen Baukunst als deren unablösliche Bestandteile." [5]

Im Kern wurde mit diesem Konzept das Fundament einer sozialen Bewegung gelegt. Wenn Lehren und Lernen nicht als mit Disziplin und Strafandrohung eingeübte Verabreichung unhinterfragbarer Wissensportionen verlaufen sollte, dann bedurfte es auch eines anderen Umganges der Menschen miteinander. So war die Bauhaus-Pädagogik vom Gedanken der - wenn auch unverwirklicht gebliebenen - Gleichstellung der Geschlechter ebenso bestimmt wie der Befreiung der Lernenden von den sozialen und ökonomischen Voraussetzungen, die den Zugang zu den Eliten des bürgerlichen Staates normalerweise regulieren. Sie war im Prinzip antirassistisch, weil nicht aus Deutschland stammende Studierende aus aller Welt willkommen waren und bis zu einem Drittel des jeweiligen Jahrgangs bildeten. Sie war transkulturell, wie parallele Entwicklungen in anderen Ländern und der internationale Austausch der Ideen und Konzepte bewiesen. Sie war bei aller traditionellen Verankerung, mit der sich die Gründer auf die Vermittlungs- und Organisationsform der gotischen Bauhütte beriefen, der Moderne verpflichtet und ein Zentrum ihrer künstlerischen Produktivität.

Das Bauhaus stand mithin jeder völkisch-nationalen Ideologie antagonistisch gegenüber, was nicht zuletzt die Entwicklung der Abstraktion in den Bildenden Künsten betraf. Bis heute ist die Abneigung gegen jegliche nichtgegenständliche Malerei und Plastik, wie konsequent und nachvollziehbar deren UrheberInnen die Auflösung und Verdichtung künstlerischer und kognitiver Prozesse auch immer betreiben, Konsens unter Menschen, denen die verläßliche Übertragbarkeit und Wiedererkennbarkeit des Wahrgenommenen Basis ihrer Selbstvergewisserung ist und die sich mit Gleichgesinnten schnell in der Verurteilung außerhalb ihres kognitiven Universums situierter Kunst nach der nicht etwa fragenden, sondern verurteilenden Formel "Ist das Kunst oder kann das weg?" einig sind.

So berechtigt die Kritik kulturbourgeoisen Distinktionsstreben als Instrument bürgerlicher Klassenhegemonie ist, so sehr verfehlt sie ihr Ziel, wenn die dafür in Anspruch genommene Kunst einer vulgärmaterialistischen Nutzenlogik unterworfen wird. Ein Kunstmarkt, auf dem das Kunstwerk von seiner Warenform ununterscheidbar wird, ist wiederum ein schlechtes Beispiel für das emanzipatorische und befreiende Potential handwerklicher wie künstlerischer Entwicklungsprozesse, so daß damit praktisch vom falschen Ende her am gleichen Strang regressiven Verzichts auf den Reichtum subjektiver Entfaltungsmöglichkeiten gezogen wird. Der kulturelle Bruch durchzieht die politische Arena, weil sich die Affirmation der herrschenden Ordnung und deren Negation zugunsten eines selbstbestimmten und nichtentfremdeten Verhältnisses zur Wirklichkeit unversöhnlich gegenüberzustehen scheinen.


Gestell für Ranken und Hochbeete, im Hintergrund das Bundeskanzleramt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Mit Grüßen ans Bundeskanzleramt - Urban Gardening auf der Dachterasse des HKW
Foto: © 2019 by Schattenblick


Kosmopolitisch und internationalistisch

Das Projekt bauhaus imaginista ist durchaus quer angelegt zur im Jubiläumsjahr tonangebenden Rezeption des Bauhauses als einer Erfolgsgeschichte deutschen Kunst- und Kulturexportes in alle Welt. Die KuratorInnen Marion von Osten und Grant Watson schlagen statt dessen vor,

den nationalen Rahmen zu verlassen und die Moderne als ein kosmopolitisches Projekt zu verstehen, das durch transkulturellen Austausch entstanden ist und bis heute weiterwirkt. (...) Der experimentelle, hybride Charakter der Moderne war kennzeichnend für das Bauhaus; es integrierte sozialistische und kommunistische Ideen, die Arts-and-Crafts-Bewegung und die Reformpädagogik, aber auch spiritualistische und esoterische Ansätze. Bauhäusler*innen unterhielten Verbindungen zum russischen Konstruktivismus und der niederländischen Bewegung De Stijl oder beteiligten sich an den Internationalen Kongressen für Architektur (CIAM). Heterogenität machte den Erfolg des Bauhauses aus, brachte aber auch Widersprüche und Konflikte mit sich. [6]

So wurde bauhaus imaginista in Zusammenarbeit mit zahlreichen ForscherInnen und KulturproduzentInnen über den Zeitraum von drei Jahren in Brasilien, China, Großbritannien, Indien, Japan, Marokko, Nigeria, Rußland und den USA zusammengestellt. An der vom 15. März bis 10. Juni währende Jubiläumsausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) beeindruckte der nichthierarchische und dezentrierte Charakter des Projektes. Der Frage nach dem gesellschaftlichen Verhältnis von Kunst und Gestaltung wurde durch die große Bandbreite der Exponate in Sicht auf die mit ihnen getroffenen formalen und funktionalen Aussagen ebenso Rechnung getragen wie durch die internationale Rezeption des Wirkungsfeldes der mit dem Bauhaus assoziierten Vorstellungen von einer der freien Entwicklung des Menschen zugewandten Pädagogik.

Für Ko-Kuratorin Marion von Osten hat die Ausstellung mit dem Blick auf die internationale Rezeptionsgeschichte zu der wichtigen Einsicht geführt, daß das Bauhaus als Teil einer Kunstbewegung und nicht als das Zentrum aller darauf zurückgeführten Entwicklungen in Erscheinung tritt. Sie geht so weit, dem Bauhaus selbst den Charakter eines Mediums zuzubilligen, was insofern ein prekäres Unterfangen sei, da es dafür weder Anfang noch Ende gebe. [7]

Für notwendige gesellschaftliche Veränderungen produktiv gemacht werden könnte gerade das, daß die 1933 offiziell beendete Geschichte dieser Institution nicht nur für die Vermittlung handwerklicher und künstlerischer Fähigkeiten, sondern auch des Erprobens von Lebensentwürfen und Produktionsformen zukunftsgerechter Art nach vorne offen gehalten wird. Das als kunstgeschichtliches Vermächtnis zelebrierte und durchaus marktgängig als Erfolgsgeschichte warenförmiger Reproduktion inszenierte Jubiläum könnte die Gelegenheit bieten, die sozialökologische Bearbeitung gesellschaftlicher Naturverhältnisse vor dem Hintergrund dessen in den Blick zu nehmen, daß die stofflichen und körperlichen Erkenntnispotentiale kultureller Produktivität wesentlich sind für eine Zukunft, die lebenswert und dauerhaft zu gestalten unter den Bedingungen warenkapitalistischer Verbrauchsintensität nicht mehr vorstellbar erscheint.


SchülerInnen vor Projektion eines Organigramms - Foto: © 2019 by Schattenblick

Präsentation der Ergebnisse des Schulprojektes "bauhaus reloaded - Schüler*innen gestalten Zukunft"
Foto: © 2019 by Schattenblick

Mit Paul Klee, Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky, László Moholy-Nagy, Gerhard Marcks, Johannes Itten und Lyonel Feininger waren am Bauhaus führende Repräsentanten der künstlerischen Avantgarde vertreten. Daß das Bauhaus diese und viele weitere, zudem fast alle Bereiche handwerklicher und künstlerischer Gestaltung einbeziehender Arbeitsfelder der Moderne als Lehrpersonal gewinnen konnte, begründet den herausragenden Ruf der Institution. Indem bauhaus imaginista vor allem ihre pädagogische Arbeit reflektiert, eröffnet die Ausstellung auch einen Zugang zu den Erkenntnisprozessen, die dem Formwandel zur Abstraktion in den Bildenden Künsten zugrunde liegen. Wer heute vorzugweise mit dem kulturindustriellen Spektakel illustrer Ausstellungsevents und einem Kunst als Anlageobjekt für KapitalinvestorInnen propagierenden Kunstbetrieb konfrontiert wird, weiß dies zu schätzen.

Die durch bauhaus imaginista in Erinnerung gerufene Vielfalt und Synchronizität nicht einer, sondern mehrerer sich an verschiedenen Orten der Welt im besten Falle komplementär ergänzender Modernen verweist auf die wesentliche Bedeutung grenzüberschreitender Migration für alles, was das Kontinuum marktförmiger Tauschprozesse durch selbstbestimmte, autonome Formen des Arbeitens durchbricht. Die Bedeutung indigener Lebensweisen und Wirtschaftsformen für den Erhalt der verbliebenen Regenwälder und einer Ernährungssouveränität, mit der Mangel und Hunger auf ökologisch nachhaltige Weise überwunden werden können, ist ein Beispiel für den hohen Wert des interkulturellen Austausches, der durch Nationalchauvinismus und Festungsmentalität unmöglich gemacht werden soll.

Um die an verschiedenen Orten der Welt vorgenommenen Auseinandersetzung mit basalen Fragen handwerklicher und künstlerischer Gestaltung wie der gesellschaftlichen Bedeutung elementarer Praktiken des Lehrens und Lernens transparent zu machen, wurde die Berliner Ausstellung durch vier programmatische, räumlich voneinander getrennte Abteilungen strukturiert. Die dadurch geschaffene Reihenfolge des Begehens der Ausstellung war durch Exponate bestimmt, die nicht notwendigerweise im Mittelpunkt eines Werkkanons stehen müssen, um die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Bauhaus zu entwickeln. Die Reflektion dieser Werke in verschiedenen künstlerischen Kontexten ließ das interessierte Publikum an Diskursen teilhaben, die das Thema Bauhaus für subjektive Reflektionen und soziale Zusammenhänge weit fruchtbarer machen, als es der Blick auf das isolierte Werk und die Ästhetik seiner Erscheinungsform vermag.


Signatur Corresponding With auf dem Fußboden des HKW-Foyers - Foto: © 2019 by Schattenblick

Corresponding With - Signatur im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt
Foto: © 2019 by Schattenblick


Eine frühe Form pädagogischer Befreiungsideen

Corresponding With soll greifbar machen, auf welchem Weg versucht wurde, ein neues Verhältnis von Hand- und Kopfarbeit, von angewandter und freier Kunst zu etablieren. Als Bezugspunkt dient das Bauhaus-Manifest von Walter Gropius, der die Schaffung einer "neuen Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung, die eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errichten wollte", vorschlug. Sozialistisches Gedankengut war der Gründergeneration des Bauhauses nicht fremd, wie auch das heute auf nüchternes und funktionales Warendesign heruntergebrochene Verständnis einer Gebrauchstechnik und Architektur belegt, die menschenfreundliche Lebensbedingungen auch für ArbeiterInnen schaffen sollte. Die Betonung des Handwerks als Grundlage aller Künste und der Gedanke der Vereinheitlichung verschiedener Techniken und Disziplinen läßt eine organische Konzeption gesellschaftlicher Arbeit erkennen, die die Verankerung des Bauhauses in der Reformpädagogik und Lebensreformbewegung der Nachkriegszeit belegt. Beispielhaft für den offenen Charakter der Wissensvermittlung war der Vorkurs, in dem angehende Studierende ohne jeden Leistungsdruck etwa durch die physische Auseinandersetzung mit den stofflichen Eigenschaften der Materialien Wissensgrundlagen schaffen konnten, während über die Ausbildungsgänge, die die kognitiven Seiten der Wissensvermittlung betonen, eher wenig in Erfahrung zu bringen ist.


Büchertisch im Ausstellungssaal - Foto: © 2019 by Schattenblick

Zwischen 1925 und 1930 veröffentlichte Bauhaus-Bücher zur vertiefenden Lektüre
Foto: © 2019 by Schattenblick


Gruppierung mit indischem Mobiliar, Publikum - Foto: © 2019 by Schattenblick

Exponate im Kapitel Corresponding With
Foto: © 2019 by Schattenblick

Die Korrespondenzen zwischen dem Bauhaus, der zeitgleich von dem internationalistischen und antikolonialistischen Dichter und Pädagogen Rabindranath Tagore gegründeten indischen Kunstschule Kala Bhavan und dem von dem Architekten und Journalisten Renshichiro Kawakita 1931 gegründeten Institut für Lebensgestaltung, japanisch Seikatsu Kosei Kenkysho, werden in diesem Teil der Ausstellung umfassend dokumentiert. Während die Kontakte in ein Land wie Indien, das sich im kolonialistischen Griff des British Empire befand, für das Expansionsstreben des NS-Regimes von strategischem Wert war und in der Stärkung hindunationalistischer Kreise resultierte, fand ein von KünstlerInnen und HandwerkerInnen praktizierter Austausch statt, der bereits den Keim heutiger emanzipatorischer Transformationsprozesse in sich trug.


Signatur Learning From auf dem Fußboden des HKW-Foyers - Foto: © 2019 by Schattenblick

Learning From - Signatur im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt
Foto: © 2019 by Schattenblick


Kulturtransfer in Süd-Nord-Richtung

Learning From illustriert anhand der von Paul Klee 1927 angefertigten Zeichnung "Teppich", wie vormoderne außereuropäische Handwerkstechniken und Alltagskulturen für die Arbeit am Bauhaus fruchtbar gemacht wurden. Ethnografische Schriften aus der historischen Bibliothek des Staatlichen Bauhauses in Weimar dokumentieren den kolonialistischen Blick auf die kulturellen Entwicklungen außereuropäischer Bevölkerungen, während das Beispiel der Bauhaus-LehrerInnen Anni und Josef Albers zeigt, daß die Annäherung an frühe Kulturen des Globalen Südens auch ohne eurozentrische Scheuklappen stattfinden kann. Ein Film über den in der US-amerikanischen Gegenkultur der 1970er Jahre entstandenen kalifornischen Macramé Park, Arbeiten der an dem utopischen Lebensentwurf Pond Farm Töpferei lehrenden Marguerite Wildenhain und Druckwerke des sozialrevolutionären KünstlerInnenkollektives El Taller de Gráfica Popular belegen, wie unverzichtbar handwerkliche Fähigkeiten sind, um in Umbruchszeiten gesellschaftsverändernde Kraft zu entfalten.


Tische mit Ausstellungsobjekten und Publikum im Hintergrund - Foto: © 2019 by Schattenblick

Exponate im Kapitel Learning From
Foto: © 2019 by Schattenblick

Von großem Interesse auch vor dem Hintergrund des sozial stark polarisierten Brasiliens ist das Wirken der Architektin Lin Bo Bardi, die 1947 maßgeblich an der Gründung der ersten Schule für Gestaltung des Landes, dem Instituto de Arte Contemporanea, beteiligt war. Sie stand in der Tradition des Bauhauses und der mit ihm assoziierten US-Kunsthochschulen Black Mountain College in North Carolina und des Institute of Design in Chicago. In ihrer Bildungsarbeit verfolgte sie die Idee einer Kooperation an der Moderne geschulter GestalterInnen mit brasilianischen KunsthandwerkerInnen. Dem lag der Anspruch einer Emanzipation der sozial unterprivilegierte Bevölkerung des Landes zugrunde, was sich in ihrer Hinwendung zu subsistenzökonomischen Konzepten spiegelt, deren Bedeutung für das Überleben brasilianischer KleinbäuerInnen und indigener Bevölkerungen kaum übertrieben werden kann. Bis zu weltweit bekannten Exponenten der künstlerisch anspruchsvollen Kultur Brasiliens wie den Musikern Gilberto Gil und Caetano Veloso wird ein Bogen des Einflusses dieser Kunstbewegung auf die Avantgarde von Bahia im Nordwesten des Landes gezogen.


Signatur Moving Away auf dem Fußboden des HKW-Foyers - Foto: © 2019 by Schattenblick

Moving Away - Signatur im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt
Foto: © 2019 by Schattenblick


Verlorengegangene Erinnerungen an morgen

Moving Away dokumentiert Veränderungen gestalterischer Arbeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Kontext politischer Umstände zwischen dikatorischer Herrschaft, antikolonialistischer Befreiung und liberaler Marktgesellschaft. Marcel Breuers Collage ein bauhaus-film. fünf jahre lang schildert die Gestaltung eines Stuhls als permanenten Optimierungsprozeß, die verschiedenen Entwicklungsstadien kommentiert durch die Bildunterschrift: "es geht mit jedem jahr besser und besser. am ende sitzt man auf einer elastischen Luftsäule". Zwar wurde dieses auf die Zeitmarke "19??" terminierte Stadium auch in den 2000er Jahren nicht erreicht, doch ist der Gedanke nicht nur als satirisch zu verstehen, wenn man die in der postindustriellen Gesellschaft allgegenwärtige Bedingung des Sitzens auf die Voraussetzungen einer Körperlichkeit überprüft, die an ganz anderen Aufgaben als der der Bildschirmarbeit zu ihrer Bewegungsform gelangt ist.


Frau zwischen Aufstellern - Foto: © 2019 by Schattenblick

Installation mit Schautafeln im Kapitel Moving Away
Foto: © 2019 by Schattenblick

Eine besondere Rolle in diesem Kapitel der Ausstellung nimmt der zweite Bauhaus-Direktor nach Walter Gropius, der Schweizer Architekt und Kommunist Hannes Meyer, ein. Er ging weit konsequenter als sein Vorgänger vom Entwurf einer egalitären Gesellschaft aus, in der sich die Künste dem Gebrauchswert sozialer Bedürfnisbefriedigung zu unterwerfen hatten. Exemplarisch für seine urbanistische Vision, wie sie etwa in der sozialdemokratischen Stadtplanung des Roten Wiens verwirklicht wurde, sind die in Zusammenarbeit mit Bauhaus-SchülerInnen errichtete Bundesschule des Allgemeinen Deutsche Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Bernau bei Berlin und die Laubenganghäuser in Dessau, die ArbeiterInnen ein mit Licht und Luft erfülltes Wohnen ermöglichen sollten.


Blick auf die Ausstellungshalle von oben - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ausstellungshalle des Kapitels Moving Away
Foto: © 2019 by Schattenblick

Hannes Meyer übernahm die Leitung des Bauhauses in Dessau im April 1928, war als Linker jedoch so sehr den Anfeindungen deutschnationaler Kreise ausgesetzt, daß er seine Stellung schon im August 1930 wieder aufgeben mußte. Ihm folgte mit Mies von der Rohe der politisch am wenigsten polarisierende Direktor des Bauhauses. Meyers Emigration in die Sowjetunion, wo er und einige seiner SchülerInnen die Möglichkeit sahen, fortschrittliche städtebauliche Reformprojekte zu verwirklichen, scheiterten am Rigorismus stalinistischer Machtpolitik, die seine Rückkehr in die Schweiz 1936 bedingte. Seine deutsche Lebenspartnerin Margarete Mengel bekam kein Visum und wurde zwei Jahre später ohne Prozeß hingerichtet. 1939 fand Meyer in Mexiko eine neue Wirkungsstätte, wo er 1942 den Verlag La Estampa Méxicana der Künstlervereinigung Taller de Gráfica Popular gründete. Unter seiner Beteiligung wurde 1943 das El libro negro del terror nazi en europa, ein frühes Schwarzbuch über den Naziterror, herausgegeben.

Am Bau der ADGB-Bundesschule beteiligt war auch der am Bauhaus in Dessau ausgebildete und in Israel 1948 zum Chef der staatlichen Planungsbehörde ernannte Architekt Arieh Sharon. Er schuf mit der University of Ife in Nigeria ein Paradebeispiel für eine an die klimatischen und sozialen Bedingungen tropischer Regionen angepaßte Bauweise. Mit der informellen Möglichkeiten der Kommunikation zugewandten Raumstruktur nahm Sharon ein für den neoliberalen Korporatismus seiner emanzipatorischen Intention enthobenes Konzept vorweg, mit dem die in formellen Arbeitsstrukturen nicht zu erreichenden Reserven unternehmerischer Energien durch Orte so planmäßig wie zufällig zustandekommender Begegnungen angezapft werden sollen, beispielhaft geschildert im Dokumentarfilm Work Hard, Play Hard.


Signatur Still Undead auf dem Fußboden des HKW-Foyers - Foto: © 2019 by Schattenblick

Still Undead - Signatur im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt
Foto: © 2019 by Schattenblick


Aufbruch im Universum untoter Subversion

Still Undead schließlich ist gruppiert um die Installation Reflektorische Farblichtspiele von Kurt Schwerdtfeger, die 1922 in der Wohnung von Wassilij Kandinsky erstmals gezeigt wurde. Sie gilt als frühes Beispiel für experimentelle und abstrakte Filmkunst, an die mit Licht und Sound arbeitende Performances der Rock- und Popkultur unschwer anknüpfen konnten. Wie die Publikation bauhaus. Zeitschrift für Gestaltung Einfluß auf das grafische Erscheinungsbild moderner Typografie nahm, so finden sich zahlreiche Anklänge an das Bauhaus in den Performances so illustrer Akteure wie David Bowie, der bei Bühnenauftritten mitunter konkrete Bezüge zum Triadischen Ballett von Oskar Schlemmer herstellte. Indem dieser Bauhäusler mit der Verschmelzung von Maschine und Mensch, von technischer Mechanik und organischem Leib spielte, lieferte er die Vorlage für eine mit Robotern assoziierten Tanzkultur ruckartiger und fragmentarischer Bewegungsfolgen.

Weitere Beispiele für das Aufgreifen vom Bauhaus geprägter Impulse sind Velvet Underground, die der synästhetischen Entgrenzung von bewußtseinsverändernden Substanzen beeinflußter Musik eine mehr von der künstlerischen Moderne und Pop Art bestimmte Ästhetik entgegenhielten. Jenseits personaler Beziehungen könnten auch avantgardistische Bands der 1960er und 1970er Jahre, die sich auf die Neue Musik eines Arnold Schönberg und Hanns Eisler bezogen, im ästhetischen Umfeld des Bauhauses verortet werden. Explizit genannt in dieser den jüngeren Ausläufern des Bauhauses gewidmeten Abteilung der Ausstellung werden die Bands Kraftwerk, Soft Cell und natürlich Bauhaus, die mit Bela Lugosi's Dead einen für den Post Punk emblematischen Titel einspielten. Still Undead knüpft direkt an den Refrain des Songs an und ist auch deshalb gut gewählt, weil die Existenzform des Untoten die lebensfeindliche Dynamik spätkapitalistischer Reproduktion treffend analogisiert.


Lichtobjekt, litfaßsäulenartige Installation, technische Geräte, Publikum - Fotos: © 2019 by Schattenblick Lichtobjekt, litfaßsäulenartige Installation, technische Geräte, Publikum - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Exponate im Kapitel Still Undead
Fotos: © 2019 by Schattenblick

Daß von britischen Kunsthochschulen wichtige Impulse für die Popkultur ausgingen, ist schon deshalb bekannt, weil die Entstehung vieler Rockbands auf Kontakte und Freundschaften zurückzuführen sind, die an diesen Bildungseinrichtungen zustande kamen. In der Ausstellung wird insbesondere auf die Leeds School of Art Bezug genommen, wo nicht nur Soft Cell, Scritti Politti, The Mekons und Delta 5 ihren Anfang nahmen, sondern mit dem Angebot Basic Design an die elementaren Lernprozesse angeknüpft wurde, die den Vorkurs im Weimarer Bauhaus kennzeichnen.

Die an Universitäten in Großbritannien und den USA gelehrten Cultural Studies bezogen kulturelle Alltagspraktiken, performative Akte und den Bruch mit tradierten Geschlechterrollen in die wissenschaftliche Forschung ein, der auf den Festen im Weimarer Bauhaus bereits ein halbes Jahrhundert zuvor auf spielerische Weise vollzogen wurde. Die Repräsentanz spezifischer ästhetischer Merkmale des Bauhauses in informationstechnischen Systemen wird anhand der Designerin und Forscherin Muriel Cooper dargestellt. Nachdem sie die vom Bauhaus inspirierte grafische Gestaltung des Grundlagenwerkes Bauhaus. Weimar, Dessau, Berlin, Chicago erarbeitet hatte, gründete sie den Visual Language Workshop am MIT, wo die frühe computertypografische Arbeit Information Landscapes entstand.


Forschungsergebnis des Schulprojektes bauhaus reloaded zum Kapitel Still Undead - Foto: © 2019 by Schattenblick

Plastische Computerinstallation der SchülerInnen der Carl-von-Ossietzky-Schule gemeinsam mit Mediale Pfade
Foto: © 2019 by Schattenblick

Angesichts der Immaterialität rechnergestützter Wissensvermittlung und der dadurch bedingten Dominanz kognitiver Prozesse verleihen PädagogInnen ihrer Sorge Ausdruck, daß sich diese Einseitigkeit bei Heranwachsenden negativ auf die körperliche Entwicklung und den empathischen Umgang mit anderen auswirken könnte. Der auf kollektive Erkenntnisprozesse und gegenseitige Unterstützung ausgerichteten Bauhauspädagogik war dieses Problem bereits bewußt, was ein Grund dafür gewesen sein mag, die Hierarchisierung von manuellem und kognitivem Wissen zu kritisieren. Ko-Kuratorin Marion von Osten hält diese Position für

äußerst relevant, denn heute wird unser Leben zunehmend von kognitivem Wissen bestimmt. Schulabschlüsse, vom Abitur bis zum Master, beziehen sich auf die Anerkennung kognitiven Wissens. Wir haben immer noch eine ziemlich eindimensionale Vorstellung davon, was Wissen ist. Was wir vom Bauhaus lernen können, ist, dass es notwendig sein kann, den Status Quo von Bildung und Wissensproduktion und von Alltagsgestaltung und Kunst infrage zu stellen. Das bedeutet auch, eine neue Bildungsvision zu entwickeln, bei der auch manuelles Wissen von zentraler Bedeutung wäre. Heute benötigen wir wieder einen neuen gesellschaftsrelevanten Gestaltungs- und Kunstbegriff der eine Economy of Care, eine Ökonomie des Kümmerns, aber auch postnationale und post-migrantische Existenzweisen und Interspezies-Beziehungen berücksichtigt. [8]


Forschungsergebnis des Schulprojektes bauhaus reloaded zum Kapitel Still Undead - Fotos: © 2019 by Schattenblick Forschungsergebnis des Schulprojektes bauhaus reloaded zum Kapitel Still Undead - Fotos: © 2019 by Schattenblick

Plastische Computerinstallation in wechselnden Farben der SchülerInnen der Carl-von-Ossietzky-Schule gemeinsam mit Mediale Pfade
Fotos: © 2019 by Schattenblick


Der Ästhetik des Faschismus zuwiderhandeln ...

So leistet das Projekt bauhaus imaginista weit mehr, als dem Publikum zu ermöglichen, die personellen und institutionellen Hintergründe einer zum Begriff gewordenen Design-Schule kennenzulernen. Im offenen Interpretationsraum der Ausstellung lassen sich Fragen formulieren, die ebensoweit in die Zukunft greifen, als sie auf längst vergangenen Entwicklungen beruhen. Als politischer Ertrag der Auseinandersetzung einer von den Nazis jäh beendeten Kunstbewegung und der Stigmatisierung der von ihr gelebten Moderne als "entartet" ist auf die Anregung zu hoffen, sich erneut mit der ästhetischen Programmatik des deutschen Faschismus auseinanderzusetzen, um die Kontinuität einer progressiven Kunstrezeption sicherzustellen.

Die Ästhetisierung der NS-Herrschaft fand insbesondere in monumentalen Bauprojekten statt, die die technologische Aufrüstung zum Krieg und den industriellen Massenmord an den europäischen JüdInnen wie die planmäßige Vernichtung von Millionen BürgerInnen der Sowjetunion und anderer europäischer Staaten mit furchteinflößender Symbolkraft krönten. Der steingewordenen Legitimation dieser Verbrechen etwas entgegenzusetzen kann sich kaum vergleichbarer Formen bedienen, sondern bedarf in Anbetracht der kapitalistischen Ermöglichung des NS-Regimes expliziter Gegenentwürfe. Um die Frage, wie wir leben wollen, in der Zuspitzung sozialökologischer Zwangslagen nicht auf eine Weise zu entwickeln, die Gefahr läuft, der genozidalen Konsequenz rassistischer und sozialdarwinistischer Ideologien neuen Raum zu geben, sollte jeder Impuls und Ansatz willkommen sein, in dem emanzipatorische und sozialrevolutionäre Ideale fortgeschrieben werden.

Das hat viel mit der Ermutigung zu eigenem Handeln und kritischen Interventionen zu tun, wie der immer jünger werdende Widerstand gegen die Fortsetzung verbrauchsintensiver und naturzerstörerischer Produktionsprozesse zeigt. Hier wäre sicherlich interessant, mehr zu der industriekapitalistischen Aneignung vom Bauhaus inspirierter Stilformen und Produktionsweisen zu erfahren, scheint die ursprünglich an massenindustrieller Fertigung geübte Kritik in einigen Fällen doch in ihr Gegenteil umgeschlagen zu sein.

Kurz vor Ende der Berliner Ausstellung am 10. Juni fand im Haus der Kulturen der Welt die Präsentation der Forschungsergebnisse des Schulprojektes "bauhaus reloaded - Schüler*innen gestalten Zukunft" statt, das ganz in der pädagogischen Tradition des Bauhauses stand. Die Vorstellung der an vier Berliner Schulen erarbeiteten Ergebnisse verlief so frisch und heiter, wie es von Jugendlichen zu erwarten ist, deren kreativem Potential freier Lauf gelassen wird. Von der praktischen Verbesserung der räumlichen Schulsituation über den Bau eines Stuhles aus ansonsten zu entsorgenden Kartonagen bis zur Schaffung rechnergestützter Installationen mit animierten Farben und Formen zeigten die SchülerInnen, wie praktisch, lebensnah und fantasievoll gestalterische Arbeit sein kann.

Mehr als 32.000 BesucherInnen besuchten das Haus der Kulturen der Welt, um das in Zusammenarbeit der Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar, dem Goethe-Institut und dem HKW sowie Instituten für Kunst und Gestaltung in China, Japan, Rußland, Brasilien und Indien entstandene Projekt zu studieren. Im Zentrum Paul Klee in Bern wird die HKW-Ausstellung vom 20. September 2019 bis 12. Januar 2020 gezeigt, und das Zentrum für zeitgenössische Kunst Nottingham Contemporary bietet vom 21. September 2019 bis 5. Januar 2020 mit Pop Culture in Britain Beyond the Bauhaus die Gelegenheit, etwas über die bis heute währende Ausstrahlung des Bauhauses in Erfahrung zu bringen. Zu erleben ist dort auch das Ausstellungskapitel bauhaus imaginista: still undead.


Gang mit Wandprojektion bauhaus imaginista im HKW - Foto: © 2019 by Schattenblick

Rückblick auf eine zukunftsweisende Ausstellung
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Zitat entnommen aus: Nello Ponente: Klee, Genève 1960, S. 116

[2] KULTUR/1029: Kramp-Karrenbauer - die Maske fällt ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1029.html

[3] https://www.tlz.de/kultur/marginalien-zur-geschichte-weimar-im-politischen-kalkuel-der-nsdap-id222033611.html

[4] Hildegard Brenner: Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus, Reinbek bei Hamburg 1963, S. 33.

[5] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&cad=rja&uact=8&ved=2ahUKEwiF9a6X6PriAhWC-KQKHUXHDvoQFjAAegQIAhAC&url=http%3A%2F%2Fwww.dnk.de%2F_uploads%2Fmedia%2F186_1919_Bauhaus.pdf&usg=AOvVaw2oJXYqhLibQ7Nl00gjX85V

[6] https://www.hkw.de/de/programm/projekte/2019/bauhaus_imaginista/bauhaus_imaginista_kuratorisches_statement/detail.php

[7] Marion von Osten "Worlding the Bauhaus"
https://www.youtube.com/watch?v=HvoJCELtZCY

[8] Marion von Osten und Grant Watson im Gespräch mit der Kunsthistorikerin Mona Schieren
https://journal.hkw.de/globale-resonanzraeume/

[9] https://www.bauhaus100.de/presse/pressemitteilungen/bauhaus-als-soziale-utopie-bauhaus-imaginista-zieht-weiter-nach-bern-und-nottingham/


25. Juni 2019


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