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INTERVIEW/042: bauhaus imaginista - gestaltungsfrei und produktiv ...    Marion von Osten im Gespräch (SB)


Die vom 15. März bis 10. Juni im Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin gezeigte Ausstellung bauhaus imaginista [1] wurde von Marion von Osten und Grant Watson kuratiert. Am 7. Juni beantwortete die Forscherin und Autorin, die sich in ihren publizistischen und kuratorischen Projekten mit radikalen Kunst- und Architekturbewegungen unter Gesichtspunkten der Pädagogik, Dekolonisierung, Migration und neoliberaler Ökonomie auseinandersetzt, dem Schattenblick einige Fragen zu den Intentionen der Ausstellung und zog ein erstes Fazit zu ihrem Verlauf.



Im Gespräch im Haus der Kulturen der Welt - Foto: © 2019 by Schattenblick

Marion von Osten
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Frau von Osten, wie ist es zu der besonderen Thematisierung fortschrittlicher Lebensentwürfe in der von ihnen zusammen mit Grant Watson kuratierten Ausstellung bauhaus imaginista gekommen?

Marion von Osten (MvO): Das hat damit zu tun, daß ich mich selber einmal mit der Reformpädagogik oder Lebensreformbewegung beschäftigt habe, wenngleich es schon länger her ist. Wenn ich auf das Bauhaus geschaut habe, war für mich immer völlig klar, daß es diesen Punkt mit aufnimmt, wie übrigens auch ganz viele andere Dinge wie den Suprematismus und den Konstruktivismus. Das Bauhaus ist eigentlich ein Knotenpunkt, der etwas ganz Tolles schafft, indem es alles an sich bindet und diese Ideen auch zuläßt, die sich auf diese Weise artikulieren können. Ich bin nicht die erste, die das sagt, aber richtig ist schon, daß nur wenige das wirklich nachverfolgt haben.

SB: Könnte man vielleicht sagen, daß es, historisch gesehen, nur ein schmales Zeitfenster gab, in dem das Bauhaus entstehen konnte? Der Erste Weltkrieg war gerade vorüber, die Novemberrevolution gescheitert, und dann kam eine starke Gegenbewegung in Gang mit dem Ziel, die aufblühenden emanzipatorischen Impulse wieder zu unterdrücken.

MvO: Man darf nicht vergessen, daß schon 1918 mit den Freikorps und der Niederschlagung der Revolution, der Spaltung in SPD und USDP, der Gründung der KPD und dem Frauenwahlrecht eine Gemengelage entstand, die sich fortsetzte. Die unklare Situation, wohin das Schiff der Weimarer Republik segelte, hörte nicht auf. Es gab ständig Straßenkämpfe verfeindeter Kräfte, die darum gerungen haben, wer am Ende die Macht behält. Wenn man sich die Wahlen in der Weimarer Republik anschaut, so gab es ja nicht durchgängig eine sozialdemokratische Regierung. Die Situation war schon sehr kompliziert, und so ist es auch nur vor diesem politischen Hintergrund zu verstehen, daß das Bauhaus zur Politik der Zeit geschwiegen oder sich Gropius nicht öffentlich dazu geäußert hat, weil er wirklich Angst hatte, daß die Schule schon relativ früh wieder geschlossen wird.

Diese Generation wollte wirklich mit der Vergangenheit abschließen, eine Stunde Null schaffen, und deswegen mußten sie auch einen neuen Gestaltungsbegriff entwickeln. Sie hatten für sich selber den Auftrag: Gehe nicht mehr zurück auf die Generation der Väter mit ihrer Kriegsmaschinerie und Ideologie, die diese Welt zerstört hat. Damit mußte man natürlich erst einmal umgehen können. Da bildete so eine Schule natürlich die Möglichkeit, neue Ideen und Gedanken zu artikulieren, sie war auch ein Schutzraum und hat sicherlich eine Chance geboten für diese Künstler, Architekten und Gestalter. Gestalter gab es ja noch gar nicht, man könnte sagen, daß sie den Gestalter eigentlich erfunden haben. Sie haben eine ästhetische und pädagogische Reform angestrebt, aber das Bauhaus hat eigentlich nie wirklich eine soziale Umwälzung propagiert.

SB: Es ging ja auch um die Aufhebung der Trennung von Handwerk und Kunst. Könnte man das sogar als eine Art von Klassenüberwindung verstehen?

MvO: Das sehe ich genauso, wenngleich es nur wenige in dieser Deutlichkeit sagen, und es ist auch das, was mich am Bauhaus interessiert, weil wir das auf einer pädagogischen Ebene bis heute noch gar nicht realisiert haben. Erstens hatten sie einen Zugang zu einer Bildungsinstitution, sie waren Besenmacher oder hatten schon studiert bzw. kamen als Steinmetze aus den unterschiedlichsten europäischen, aber auch asiatischen Ländern, hatten teilweise überhaupt keine Deutschkenntnisse, aber konnten trotzdem irgendwie in der Schule eingeschrieben sein. Das muß man sich heute einmal auf der Zunge zergehen lassen. Es war eine offene Schule. Zweitens gab es nicht in dem Sinne eine Befähigungsprüfung mit einer Mappe, mit der man sich an der Kunstakademie bewarb, sondern es gab den Vorkurs, das heißt, es ging erst einmal darum zu sehen, ob ein junger Mensch in der Lage ist, ein bestimmtes Problem, das simpel war - von der Zweidimensionalität zur Dreidimensionalität - selbst zu lösen.

Man muß sich vor Augen halten, was das vorher für eine Gesellschaft war. Hat sie jungen Menschen gesagt, sie sollen Probleme selber lösen? Nein. Und dann noch mit profanem Material? Nein. Vorher gab es Historizismus, Klassizismus, das Kopieren der Meister, es war ein total hierarchisches Verhältnis. Dagegen ging es im Bauhaus um eine Emanzipation der Studierenden, und zwar 100prozentig. Es war eine Schule der Emanzipation. Natürlich hat es auch Widersprüche gegeben wie die Ungleichheit zwischen Mann und Frau, die bis heute nicht aufgelöst ist, und auch Klassenverhältnisse existieren heute noch. Wir haben es nach wie vor mit ähnlichen Problematiken zu tun. Aber das Bauhaus hat etwas Drittes zwischen Kunstakademie und Kunstgewerbeschule geschaffen.

Und das bedeutete, im Bauhaus wurde man nicht für einen Beruf ausgebildet. Wie radikal ist das denn! Die Studierenden erlangten erst einmal eine Befähigung zur gestalterischen Arbeit, sie mußten, angeleitet zwar, selber Lösungen finden, da hat ihnen niemand gesagt, du mußt so und so fotografieren oder du muß einen Stuhl so und so machen. Das haben sie tatsächlich selber entwickelt. All diese ganzen reformpädagogischen Ansätze sind noch gar nicht realisiert. Man braucht dazu nur einen Blick in die heutigen Schulen zu werfen. Interessant ist, daß alle immer denken, das Bauhaus war eine explizite Architekturschule bzw. dieses oder jenes, was es wirklich nicht war, denn alle Studierenden durchliefen diese Prozesse, und zum Schluß haben sie selber entschieden, in welche Richtung sie sich dann entwickeln. Das hat ihnen niemand vorgegeben.

Das betraf in erster Linie männliche Studenten, bis Hannes Meyer kam. Mit ihm durften dann auch Frauen in alle Klassen, Bereiche und Werkstätten, was es vorher nicht gab. Meyer war Sozialist und hat die Gleichstellung der Geschlechter im Curriculum schließlich etabliert. Nichtsdestotrotz war auch er wie die anderen Lehrkräfte dort von Sexismus durchzogen bis zum Gehtnichtmehr. Es war alles nicht so einfach, es gab keine sofortige Emanzipation. Aber wenn man sich überlegt, was Meyer zusammen mit Hans Wittwer und Arieh Sharon im Norden von Berlin gebaut haben, nämlich die Gewerkschaftsschule in Bernau, die architektonisch erst einmal außergewöhnlich ist, dann stellt es doch einen großen Fortschritt dar. So steht auf dem Gedenkstein vor dem Bau geschrieben: Jeder kann alles lernen. Dafür, daß es dieser Eliten nicht mehr bedarf, steht das Bauhaus. Aber das ist nur sehr wenig thematisiert worden. Eigentlich galt das Bauhaus die ganze Zeit als eine Art Elitenprojekt, das am Ende für bürgerliche Kreise Möbel baut. Das stimmt natürlich so nicht.

SB: Besteht da nicht auch eine Spannung zur massenindustriellen Fertigung, in der sich die Warenform in gewisser Weise verselbständigt?

MvO: Diese Diskussion wurde im Kapitel moving away aufgegriffen, die mit einer Collage von Marcel Breuer beginnt. Meines Erachtens wollte Breuer damit kritisch intervenieren, indem er sagt, ja, wir haben bestimmte Prototypen entwickelt, aber bedeutet das zugleich, daß sie zu Produkten im Sinne von Warenform werden oder geht es um die soziale Funktion von Design? Diese ständige Debatte darum, wer welches Design oder welche Gestaltungsvorstellung vertritt, findet man auch in der Bauhaus-Zeitschrift, wobei man wissen muß, daß Design erst in der Nachkriegszeit Gestaltung auf eine Warenform reduziert. Deswegen kann man in diesem Zusammenhang nicht von Design sprechen, das Bauhaus macht das nämlich nicht.

SB: Könnten Sie ein Resümee zum Verlauf der Ausstellung ziehen?

MvO: Wichtig war, daß die Ausstellung 2018 an verschiedenen Orten, in Rabat, Hangzhou usw. tatsächlich im Dialog mit internationalen Partnern entstanden ist und manche Ausstellungsteile schon an den Orten entwickelt und vorproduziert worden sind. Ich glaube, was die Ausstellung stark macht, ist, daß sie keine Wanderausstellung ist, also daß keine Bauhausausstellung herumgeschickt wird und dann wieder zurückkommt, sondern wirklich im Dialog mit Wissenschaftlern, Künstlern, aber auch anderen Kuratoren entstanden und dann eben nach Berlin gekommen ist. Für mich war das größte Problem: Wie kriegen wir diese Ausstellung hierher?

Das vierte Kapitel still undead thematisiert die USA, Großbritannien und Westdeutschland, weil wir hier ins Haus der Kulturen kamen. Der Ort, an dem wir uns befinden, ist sozusagen auch eine Kontextualisierung - die ehemalige Kongreßhalle, John-Foster-Dulles-Allee, US-Imperialismus und so weiter. Daher haben wir an dieser Stelle versucht, noch einmal ein Gegengewicht zu bringen. Mag sein, daß diese Vielfältigkeit für ein Publikum erst einmal total überraschend kommt, weil sie gekommen sind, um auf eine Bauhausausstellung zu gehen, dann aber mit Weltgesellschaften konfrontiert sind.

Man könnte ja sagen, es handelt sich um einen Blockbuster, weil es ja eine Jubiläumsausstellung ist, die auch vom Staat finanziert wird. Ich denke, es ist uns gelungen, sie aus dieser Nationalisierung oder Vereinnahmung als nationales Produkt oder Erbe herauszulösen und dadurch einem breiten Publikum das Verständnis zu ermöglichen, daß auch die Moderne nur durch Migration und transnationale Beziehungen über den nationalen Container hinaus entstanden ist. Ich sehe, daß die Leute erst einmal irritiert sind, aber dann immer wieder kommen. Wir haben sehr viel Publikum und bekommen sehr gute Resonanzen als auch positive Kritik, womit ich gar nicht gerechnet hatte. Ich dachte, das wird hier viel schwieriger und bin daher froh, wie die Berliner, aber auch das internationale Publikum die Ausstellung aufnehmen.

SB: In einer zweiteiligen arte-Dokumentation zum Bauhaus wurde das Fazit gezogen, es sei Deutschlands größter kultureller Exportartikel des 20. Jahrhunderts gewesen. Teilen sie diese Position?

MvO: Wir haben eine gegenteilige Position und sagen, das Bauhaus ist eine Schule in der Welt, die aus der Welt hervorgegangen ist. Nur weil sie international und kosmopolitisch war, konnte sie weiterwirken und bereits vor 1933 Beziehungen in die unterschiedlichsten Weltregionen aufnehmen. Es hat vor allen Dingen von anderen Modernen gelernt und sie auch aufgenommen. Das Bauhaus war heterogen und konnte in dieser Form auch nach 1933 weiter kommunizieren, aber die Zerschlagung der Schule ist trotzdem ein Drama, mit dem wir heute immer noch zu tun haben. Es gibt auch andere sehr schöne Projekte, die diese Thematik aufgreifen. Nur in dem Fall widersprechen wir komplett der Annahme, daß es ein Produkt ist, das sich gut verkauft hat.

SB: Frau von Osten, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/kunst/report/kurb0062.html


30. Juni 2019


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