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ANALYSE & KRITIK/292: Perspektiven des Komitees "Solidarität mit Emmely"


ak - analyse & kritik - Ausgabe 537, 20.03.2009

Ein blindes Huhn findet auch mal ein Korn
Perspektiven des Komitees "Solidarität mit Emmely"

Von Gregor Zattler


Über den Fall der streikenden und von der Kaiser's-Tangelmann AG wegen angeblich falsch abgerechneter Pfandbons im Wert von 1,30 Euro gefeuerten Kassiererin "Emmely" ist breit berichtet worden. (1) Wie kam es zu diesem Medienecho? Wie kann es genutzt werden? Der ver.di-Streik 2007/2008 war der längste und größte in der Geschichte des deutschen Einzelhandels. Lange Streiks sind ein Zeichen der Schwäche der jeweiligen Belegschaft und/oder Gewerkschaft, bieten aber eher Möglichkeiten, dass sich weitere Akteure involvieren. (2)  

Im Laufe des Streiks kam es zu ungewöhnlichen Aktionsformen und Bündnissen. (3) So blockierte z.B. in Berlin ein Bündnis von ver.di und linken Gruppen symbolisch einen Supermarkt. (4) Darüber kamen linke Unterstützer des Streiks in Kontakt mit Emmely und ihrer Kündigung: ein Kontakt, der sich sonst wohl nicht ergeben hätte. Die kleinste Unterstützergruppe wurde zum Komitee "Solidarität mit Emmely", die den Prozess begleitete und Öffentlichkeit zum Fall und Skandal der Verdachtskündigung und anderen systematischen Einseitigkeiten der Arbeitsrechtsprechung in Kündigungsprozessen herstellte. (5)  

Das Medienecho zur ersten Instanz war groß, das zur und nach der Berufungsverhandlung gigantisch. Vom Kreisboten des Landkreises Fürstenfeldbruck bis zur Tagesschau um 20 Uhr, von der FAZ bis zur BILD wurde Klassenjustiz in der BRD personalisiert, diskutiert, kritisiert - und selbstverständlich von einer Minderheit auch verteidigt. (6) Dieses Medienecho ist eine Reaktion auf das unterirdische Brodeln zu Fragen von Arbeit, Ein- und Auskommen in der BRD.

Die Einzelheiten des "Falls Emmely" passen zu gut zum deutschen Diskurs um soziale Gerechtigkeit: die alleinerziehende, hart arbeitende und obendrein ostdeutsche Mutter dreier Kinder, die nach jahrzehntelangen treuen Diensten vor dem Nichts bzw. mit Hartz IV da steht: weil sie sich gewehrt hat und wegen des Arbeitsrechts, das Unschuldsvermutung oder Verhältnismäßigkeit für sie nicht gelten lassen will. Hier findet jede Klage wegen des Mangels an sozialer Gerechtigkeit: wegen der Rente mit 67, der Verarmung durch Hartz IV, der sinkenden Reallöhne einerseits, der steigenden Firmengewinne, Managergehälter, der Finanzmarktkrise, wer die eingebrockt hat und wer deren Kosten tragen muss ... einen Ankerpunkt. Überhaupt überträgt sich die aktuelle Offenheit durch die Krise auf die Berichterstattung zu Emmelys Kündigung.


Es war einmal ein Streik und eine Blockade

Ohne die Kämpfernatur Emmely hätte es jedoch keinen Fall gegeben: Im Unterschied zu 88% aller Kündigungsfälle hat sie sich nicht kühl kalkulierend und dennoch zähneknirschend für eine "gütliche Einigung", d.h. in ihrem Fall fristgerechte statt fristloser Kündigung, entschieden. (7) Und ohne die Arbeit des Komitees wäre das Interesse der Medien nicht auf den Fall gelenkt worden. Damit soll ausdrücklich nicht behauptet werden, das Solikomitee habe diese einmalige Kombination und deren Wirkungen vorhergesehen - man kann daraus nur lernen, dass man es ausprobieren kann.

Für das Solikomitee ist das Medienecho ein politischer Erfolg. Die unsägliche Einseitigkeit der Arbeitsrechtsprechung und allgemeiner sozialer Verhältnisse sind Gegenstand breiter öffentlicher Diskussion. Das bedeutet nicht, dass das Solikomitee in diese Diskussion bislang erfolgreich eingreifen konnte. Eine kleine Ad-hoc-Initiative wird von Mainstreammedien offenbar nicht als ernst zu nehmender Akteur angesehen. (8)  

Trotzdem ist die Situation so günstig wie selten, soziale Fragen zu thematisieren. Vor einem Kaiser's-Supermarkt Buh! zu rufen, vermittelt sich im Moment von selbst als politische Aktion. Von wenigen Ausnahmen abgesehen nutzt die radikale Linke diese Gelegenheit jedoch nicht. (9) Das ist besonders schade in Berlin, wo sich einfach Bezüge herstellen ließen. Doch große Teile der radikalen Linken sind hier z.Zt. beschäftigt mit der Vorbereitung der "Wir zahlen nicht für Eure Krise"-Demo, dem Anti-NATO-Protest und dem Mayday. Wozu eine jährliche Mayday-Parade, wenn die sie tragenden Gruppen sich nicht räuspern, wenn das Thema Prekarisierung unterm Jahr auf der Straße liegt?


Was macht und wo bleibt eigentlich die radikale Linke?

Das Solikomitee verfügt über zu wenige Ressourcen, um den Konflikt auf dem Niveau der letzten Wochen weiterführen zu können und ist obendrein nicht eins bei der Einschätzung der Perspektiven. Wir haben verschiedene Gruppen in Berlin gebeten, sich an künftigen Aktionen zu beteiligen und freuen uns über Mitarbeit und Kritik. Zusammen mit der Berliner Ortsgruppe des Bundesverbandes der Migrantinnen und der Berliner FAU werden wir am 18. April ab 13 Uhr vor der Kaiser's-Filiale im Kreuzberger Wrangelkiez eine Frühlingskundgebung mit Kaffee, Kuchen und Bastelsachen machen.

Und wir werden in den nächsten Wochen eine Online-Petition zur Abschaffung der Verdachtskündigung und der Einführung einer Bagatellgrenze bei Kündigungen auf den Weg bringen. Davon erhoffen wir uns, die öffentliche Diskussion am Laufen zu halten und die Politik unter Druck zu setzen. In der Debatte der letzten Woche ist jedoch eine soziale Wut spürbar geworden, der solche Schritte nicht genügen. Ich sehe das Solikomitee aber außerstande, dazu mehr oder Radikaleres beizutragen.


Das Solikomitee ist zu erreichen unter streik@kanalB.org

Anmerkungen:

1) Siehe http://emmely.org/ und
www.netzwerkit.de/projekte/emmely/emmelypresse

2) Wie z.B. im Fall Gate Gourmet in Düsseldorf, vgl. ak 501, ak 504, ak 505.

3) Der Streik und sein Ergebnis sind gut dokumentiert in den Artikeln von Anton Kobel im express, Hefte 4, 5 und 8/2008.

4) Eine freundliche Darstellung von einer Gruppe aus dem Bündnis in ak 530; meine Perspektive dazu in express 6-7/2008; siehe auch http://dichtmachen.org

5) vgl. z.B. www.labournet.de/branchen/dienstleistung/eh/emmely8.pdf

6) Immerhin ist der Tenor der Berichterstattung sozial. Abweichende Argumentationen werden allerdings kaum dargestellt. Anders in den Kommentaren zu den Online-Versionen der Artikel, die sich als eine ganz erstaunlich vielfältige Diskussions- und in Ansätzen auch als Organisierungsplattform erweisen.

7) Was der Betriebsrat der Kaiser's-Tengelmann AG, Zweigstelle Berlin, in einer entsolidarisierenden öffentlichen Stellungnahme - die mir bis heute Rätsel aufgibt - als "Kompromiss" bezeichnet.
Vgl.https://handel-bb.verdi.de/aktuelles/solidaritaet_mit_emmely/
#stellungnahme_des_kaiser_s-br_zur_solia

8) Die Medien graben nun von allein immer wieder neue Fälle von absurden Kündigungen aus und bestätigen somit, dass Emmelys Fall ganz alltäglich ist und der Justizskandal in der herrschenden Rechtsprechung liegt.

9) Es gab ein paar schöne Aktionen, so z. B. in Köln (http://de.indymedia.org/2008/08/224439.shtml); durch die Hedonistische Linke (http://de.indymedia.org/2008/08/225092.shtml), die Überflüssigen (http://de.indymedia.org/2009/03/242989.shtml) und die Gruppe soziale Kämpfe unterstützte das Solikomitee bei jeder Kundgebung.


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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 537, 20.03.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. April 2009