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ANALYSE & KRITIK/297: Wenn Banken schlecht wird


ak - analyse & kritik - Ausgabe 539, 15.05.2009

Wenn Banken schlecht wird
Warum der Staat die Finanzmärkte rettet, nicht aber die Armen

Von Anna Blume, Nick Sinakusch


Auf einmal war das Geld da: Kaum gerieten Deutschlands Banken in Bedrängnis, sprang die Bundesregierung ihnen mit Milliarden Euro bei. Bislang ist der Erfolg begrenzt. Mit dem Konzept einer "Bad Bank", einer "schlechten Bank", will nun der Staat dafür sorgen, dass die Kreditwirtschaft den Kredit wieder erlangt, den sie vergeigt hat. Das dürfte Milliarden kosten. Einen funktionierenden Kapitalismus muss man sich eben leisten können.

Normalerweise gehen die Normalbürger die Geschäfte des Finanzsektors nichts an. Sie sollen ihm vertrauen, sie dürfen Kredit- und Anlagezinsen der einzelnen Institute vergleichen, ihnen dann ihr Geld überlassen und müssen sich nicht weiter damit beschäftigen, was die Banken mit dem Geld machen. Solange sie es vermehren. Doch hat die Finanzkrise inzwischen einige Billionen Euro vernichtet. Den Banken geht es schlecht, und damit sind "wir alle" bedroht. Von den Bundesbürgern wird verlangt, dass sie sich mit dem Wohl der Banken identifizieren und deren Probleme als ihre eigenen betrachten. Denn zur Rettung des deutschen Finanzsektors müssen sie eine Stange Geld zahlen.

480 Milliarden Euro hat die Bundesregierung bereitgestellt, um das nationale Bankensystem zu stützen. EU-weit sind es etwa 1.600 Milliarden Euro. Anhand dieser Summen entdecken Organisationen wie attac einen alternativen Verwendungszweck: Der Kreditwirtschaft wird geholfen, "dabei fehlt seit Jahren zur Lösung existenzieller Krisen das Geld (Armut, Hunger, ökologische Katastrophe)". (1) Und auch für die Linkspartei wird "da deutlich, dass die ganzen Behauptungen, für Soziales wäre kein Geld da, nicht glaubwürdig waren". (2)

Hier irrt die Linkspartei: Für Soziales ist tatsächlich kein Geld da. Die Forderung, die Milliarden statt den Banken den Armen zu überweisen, ist sachfremd. Denn das kapitalistische System produziert die Armut der Lohnabhängigen (zu denen gehören die Arbeitslosen auch). Und es basiert auf ihr.


Blutarmut im Wirtschaftskreislauf?

In der Marktwirtschaft müssen Menschen ohne Eigentum an Produktionsmitteln für Lohn arbeiten, um zu überleben. Wer nicht arbeitet, wer also nicht Eigentum in fremder Hand vermehrt, der soll nicht essen - so der Grundsatz. Von diesem Grundsatz macht der Sozialstaat eine Ausnahme, die ihm hoch angerechnet wird: Arbeitslose erhalten (aus dem Lohn der anderen) einen Lebensunterhalt - nicht, damit sie sich ein schönes Leben davon machen, sondern damit sie als Arbeitskraftreserve zur Verfügung stehen. Immer weiter verschärfte Zumutbarkeitsregeln und Kontrollen sollen diese Reservefunktion sicherstellen.

Zweite Funktion der Arbeitslosen: Durch ihre relative Armut sollen sie die LohnempfängerInnen zur Bescheidenheit animieren. Wem Hartz IV droht, der ist auch zum Gehaltsverzicht bereit. Arbeitslose fungieren also als Lohndrücker. Das ist bekannt: Die Arbeitsmarktreformen der vergangenen Jahre haben "dazu beigetragen, die Löhne in regulärer Beschäftigung unter Druck zu setzen". (3) Die Armut der Arbeitslosen ist politisch gewollt und damit kein Problem. Umgekehrt bei den Banken: Ihr Erfolg ist einerseits Ausgangspunkt und andererseits Ergebnis eines prosperierenden Kapitalstandorts.

Für Konsumenten ist der Bankkredit lediglich ein Mittel, mit ihrem beschränkten Einkommen klarzukommen. Ein Auto wird auf Kredit gekauft, gezahlt wird später, und zwar Kaufsumme plus Zins an die Bank. Der Kredit macht den Konsumenten also ärmer. Unternehmen soll der Kredit dagegen reicher machen. Auch sie leihen sich Geld von der Bank und zahlen Zinsen. Doch verwenden sie die geliehene Summe, um damit zu rationalisieren, zu expandieren kurz: um ihren Gewinn zu erhöhen, Marktanteile zu erobern etc. Industrie und Dienstleister benötigen den Kredit der Banken für ihren eigenen Erfolg in der Konkurrenz. Insofern sollte man nicht allzu viel Mitleid mit KapitalistInnen haben, die über zu hohe Zinsen klagen oder über die Knausrigkeit der Banken bei der Kreditvergabe.

Die jüngste Krise hat nun zu gigantischen Verlusten bei den Banken geführt. Weltweit haben die Institute bereits über eine Billion Dollar abgeschrieben; langsam geht ihnen das Geld aus. Um sie kreditwürdig zu halten, sind die Staaten mit ihrem Kredit eingesprungen, haben den Banken neues Kapital geliehen, Garantien ausgesprochen und Banken verstaatlicht. Denn in einem System, das auf Geldvermehrung basiert, ist der Kredit der Ausgangspunkt des Wirtschaftens. Ohne Kredit keine Produktion, kein Konsum, kein Wirtschaften. Umgekehrt dient damit alles Wirtschaften dem Zweck der Kreditbedienung. Bebildert wird dies derzeit mit dem Satz, der Kredit sei "das Blut des Wirtschaftskreislaufs".

"Gehen die Kredithäuser Pleite, so die Sorge, fällt die ganze Wirtschaft - das gilt es zu verhindern", mahnt die Zeit (19.2.09). Bislang haben sämtliche staatlichen Rettungsaktionen die Banken zwar solvent gehalten, doch das zweite Ziel - die Wiederbelebung der Kreditvergabe - ist nicht erreicht worden. Dafür gibt es zwei Erklärungen. Erstens: Die Nachfrage nach Kredit ist wegen der Krise eingebrochen. Angesichts schrumpfender Märkte haben Unternehmen keinen Bedarf an neuen Maschinen, Anlagen usw. Aus demselben Grund scheuen sich die Banken, neues Geld zu verleihen. Die abnehmende Kreditvergabe wäre damit schlicht ein Resultat der Krise, also der Überakkumulation von Kapital.

So wollen es die Verantwortlichen jedoch nicht sehen. Sie definieren das Problem als ein vorübergehendes, als eine temporäre Vertrauenskrise bei den Banken. Auslöser dieser Vertrauenskrise sind Wertpapiere in den Bilanzen der Banken, bei denen schwer die Frage ist, was an ihnen noch "Wert" ist. Die deutsche Finanzaufsicht Bafin schätzt, dass die deutschen Kreditinstitute noch "toxische" Papiere (4) über 812 Milliarden Euro besitzen - Papiere, an deren Wertzuwachs in der Vergangenheit gut verdient wurde, für die es heute jedoch "keinen Markt mehr gibt". Das ist die euphemistische Bezeichnung dafür, dass niemand sie kaufen will, sie also marktwirtschaftlich gesehen einen Wert von Null haben. In den Bilanzen der Banken fungieren diese Wertpapiere jedoch noch als Vermögen der Bank, auf dem ihr Geschäft beruht. Mit dem Wertverlust der Wertpapiere ist damit die Existenz vieler Banken gefährdet. Diese Milliardenrisiken, so die Politik, sind der Grund dafür, dass die Banken derzeit kein Geld mehr verleihen. Aus Furcht vor kommenden Verlusten halten sie ihr Geld zusammen.


Das Prinzip Steinbrück: Kontrolle ist gut ...

Die Bundesregierung will den Kreditinstituten daher nun einen Teil dieser Risiken abnehmen, mittels einer "Bad Bank". Jedem Institut soll es erlaubt werden, eine Art Tochtergesellschaft zu gründen; die Privatbanken gründen Zweckgesellschaften, die Landesbanken eigene Anstalten. In diese Tochtergesellschaften werden die faulen Wertpapiere und damit die Verlustrisiken ausgelagert. Der Staat übernimmt per Bürgschaft einen Teil des Ausfallrisikos. Geplant ist derzeit eine staatliche Absicherung von faulen Krediten und Papieren über 200 Milliarden Euro. In dieser Höhe soll sich der Staat für Problempapiere 15 bis 20 Jahre lang verbürgen. Voraussetzung: Die Banken bauen in dieser Zeit Rücklagen auf, um ihren Schrott beim Steuerzahler wieder auszulösen. Für diese Garantie müssen die Banken Gebühren an den Staat zahlen.

Zweck der Aktion ist eine Art Befreiungsschlag: Die Bank ist die Risiken los, fasst wieder Vertrauen in die eigene Geschäftsfähigkeit und die Geschäftsfähigkeit ihrer Konkurrenten und beginnt damit, Geld zu verleihen. Die Risiken landen zum Teil beim Staat, der darauf hoffen darf, dass die Papiere irgendwann einmal wieder an Wert gewinnen und so seine Ausfallgarantie überflüssig wird. "Zusätzliche Belastungen für den Bundeshaushalt sind nicht zu erwarten", beschwichtigte der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück am 21. April. Das ist recht optimistisch gedacht. Denn wären die Papiere tatsächlich langfristig so gewinnträchtig, so wäre die staatliche Ausfallgarantie ja überflüssig. Verlieren die Papiere aber weiter an Wert und reichen die Bankrücklagen nicht, um Verluste auszugleichen, dann muss der Staat für die Verluste aufkommen. Insgesamt könnte die Bankenkrise "die Steuerzahler in 15 bis 20 Jahren einen dreistelligen Milliardenbetrag kosten" (Focus vom 27.4.09).


... doch Vertrauen ist viel besser!

Damit liegt für die Bundesregierung die Frage auf dem Tisch: Wie viel Unterstützung will man jeder einzelnen Bank gewähren? Dies ist unklar, weil derzeit niemand weiß, was die anrüchigen Papiere noch wert sind bzw. ob sie dereinst einmal wieder etwas wert sein werden und wenn ja, wie viel. Der Staat steht damit vor dem kniffligen Problem der Bewertung von Papieren, deren Wert nicht zu ermitteln ist. Die Gefahr dabei: Je mehr Risiken er der Bank abnimmt, desto größer die Wahrscheinlichkeit künftiger Verluste für die Staatskasse. Fallen seine Garantien jedoch zu gering aus, löst er das Problem der Bank nicht.

Den Angaben der Bank über ihre Wertpapiere kann der Finanzminister dabei nicht vertrauen. Denn sie hat nicht das Wohl des kapitalistischen Kreditflusses im Sinne, sondern ihr eigenes. Sie möchte die öffentlichen Gelder benutzen, um Risiken auf den Staat abzuwälzen. Bankvorstände müssen daher nun darüber entscheiden, ob sie ihre Lage besonders dramatisch darstellen, was ihnen hohe Staatshilfen einbrächte, aber auch gesteigertes Misstrauen in ihre Kreditwürdigkeit. Oder ob sie - wie die Deutsche Bank - Staatshilfen ablehnen, um sich im Gegensatz zur Konkurrenz als besonders solide darzustellen. Glaubwürdigkeit zahlt sich hier in Heller und Pfennig aus: Wer als besonders solide gilt, bekommt Kredit von anderen Banken und muss darüber hinaus für seine Kredite weniger Zinsen zahlen. Das sind so die exklusiven Probleme, mit denen sich PolitikerInnen und BankerInnen derzeit herum schlagen.

Letztlich geht es bei der Bankenrettung aber nur noch ums "Wie? ", nicht mehr ums "Ob? ". Denn ohne profitable Finanzinstitute keine kreditfinanzierten Investitionen, ohne Investitionen keine Arbeitsplätze, keine Löhne und kein Aufschwung. Die allseitige Abhängigkeit des menschlichen Lebens von der gelungenen Vermehrung des Bankkapitals wird zwar beklagt, aber nicht wirklich kritisiert. Unmut zeigt die Bevölkerung höchstens einmal in ihrer Funktion als "SteuerzahlerIn", der/die Verschwendung seiner/ihrer Gelder bedauert. Aus der Tatsache, dass die BürgerInnen Steuern zahlen müssen, aus ihrem erzwungenen Gehorsam, leiten sie ein Recht ab, den Staat daraufhin zu prüfen, ob er das Geld auch vernünftig ausgibt. Doch bleibt dieses Recht ideell; eingeklagt wird es nicht. Es dient lediglich als Grundlage für folgenlose Beschwerden an die Adresse der Politik.

Auch die Linkspartei fordert nur noch, die Bankenrettung solle "sozial gerecht" vonstatten gehen, und zwar per Millionärsabgabe, Verzicht auf Managerboni und Dividendenzahlungen an die Aktionäre, so der finanzpolitische Sprecher Axel Troost. (5) Zudem müsse die Politik für ihre Finanzhilfe ein Mitspracherecht bei den Banken erhalten. Denn auf diese Weise könne sie die Institute dazu drängen, wieder mehr Kredite zu vergeben. Auch für die LINKE ist also prosperierender Bankkredit das Beste, was Lohnabhängigen, Arbeitslosen, Kranken und Armen passieren kann. Denn ohne Kredit kein kapitalistisches Wachstum, das die Lohnabhängigen erarbeiten können.

Übrigens: Für die Banken lässt der Staat Milliarden springen, da sie "systemrelevant" sind. Das heißt: Geht es ihnen schlecht, so ist das System bedroht. Die Armen hingegen werden nicht gerettet. Denn ihr Elend und ihre Unzufriedenheit bedrohen das System nicht. Dafür müssen sie schon selber sorgen.

Anmerkungen:
1) attac-Flugblatt vom 30.10.08
2) Flugblatt der Linkspartei vom 19.10.08
3) WSI Mitteilungen 8/2008 unter: www.boeckler.de/320_92003.html
4) Was im Kapitalismus an Wert verliert oder keinen Wert hat, gilt als "giftig".
5) Pressemitteilung vom 22.4.09.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2009