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ANALYSE & KRITIK/345: Vereinigte Linke - Versuch einer Bilanz


ak - analyse & kritik - Ausgabe 545, 18.12.2009

Vereinigte Linke - Versuch einer Bilanz
In Berlin trafen sich AktivistInnen vom linken Flügel der DDR-Opposition

Von Gerd Bedszent


Im medialen Trommelfeuer der letzten Wochen wurden die sozialen Folgen der "Maueröffnung" am 9. November 1989 konsequent ausgeblendet. Damals Beteiligte wissen natürlich, dass die längst überfällige Öffnung der Staatsgrenze nur ein Mosaikstein in der langwierigen Agonie des Staates DDR war. Es hatte dennoch eine gewisse Logik, dass es ausgerechnet während dieser Medienkampagne zu einem Treffen einiger Unverbesserlicher kam, die sich von 20 Jahren bis zuletzt dem nationalen Taumel der Wiedervereinigung verweigert und von einer sozialistischen Alternative zur real existierenden Bundesrepublik geträumt hatten.

"Angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Stagnation und der sich verschärfenden politischen Krise in unserem Land wenden wir uns mit diesem Aufruf an alle politischen Kräfte in der DDR, die für einen demokratischen und freiheitlichen Sozialismus eintreten. (...) Wir wenden uns entschieden dagegen, dass politbürokratische Unterdrückung durch kapitalistische Ausbeutung 'ersetzt' wird." So hieß es in der Böhlener Plattform "Für eine Vereinigte Linke in der DDR" vom 4. September 1989. Auf Grundlage dieses Textes gründeten wenige Wochen später Vertreter linker Oppositionsgruppen und kritische SED-Mitglieder die "Initiative für eine Vereinigte Linke" (VL).


Hoffnungsträger für die radikale Linke im Westen

Für die folgenden Monate bildete dieser Zusammenschluss den äußersten linken Flügel der in Bewegung geratenen politischen Landschaft des untergehenden Staates DDR. Im Gegensatz zu den anderen Bürgerrechtsgruppen und auch zur in PDS umbenannten SED beharrte die VL bis zuletzt auf einer eigenstaatlichen DDR, setzte dem Prozess der Vereinnahmung in das politische System des größeren Nachbarstaates hartnäckigen, wenn auch zuletzt vergeblichen Widerstand entgegen. Der Rückzug ihres Vertreters aus dem Kabinett Hans Modrow nach dessen Erklärung für "Deutschland einig Vaterland" brachte der VL den Beifall der radikalen Linken der alten Bundesrepublik ein. Da die VL weder über gefestigte Strukturen verfügte und ihre Unterstützung aus dem Westen sich auf den damaligen Kommunistischen Bund (KB), die Vereinigte Sozialistische Partei (VSP) und einige autonome Gruppen beschränkte, erreichte sie bei den Wahlen zur letzten Volkskammer am 18. März 1990 mit 0,18% der Wählerstimmen nur eines von 400 Abgeordnetenmandaten. Dieses Desaster läutete bereits den Zerfall ein - auch wenn die VL danach in verschiedenen Regionen noch längere Zeit aktiv blieb.

Ein Aufruf an gewesene VL-AktivistInnen, sich 20 Jahre nach den geschilderten Ereignissen zu einer "Bestandsaufnahme" wiederzutreffen, fand ein unerwartetes Echo. Obwohl sich inzwischen mehrere bekannte Mitglieder nachweislich aus der Linken verabschiedet hatten und der Zusammenbruch von großen Teilen der ostdeutschen Wirtschaft viele Leute auf der Suche nach Jobs über den halben Globus verstreute (eine VL-Frau meldete sich beispielsweise aus Neuseeland), gab es relativ viel Resonanz. Am 21./22. November fand daher im "Haus der Demokratie und Menschenrechte" in Berlin das mit etwa 60 TeilnehmerInnen recht gut besuchte Treffen statt.

Bei der sehr heterogen aus VertreterInnen verschiedener linker Strömungen zusammengewürfelten VL dominierten von Anfang an zentrifugale Tendenzen. Die damaligen Auseinandersetzungen entzündeten sich vor allem im Für und Wider der Gründung eines zentralen Koordinationsbüros, um eine Beteiligung oder Nichtbeteiligung an Wahlen und an der Stellung der VL zur gewesenen Staatspartei SED. Grob vereinfacht gab es von Anfang Kämpfe zwischen zwei Richtungen: Einmal linke DissidentInnen, die sich in den 1970er Jahren in illegalen kommunistischen Zirkeln organisiert hatten und später Zulauf durch oppositionelle SED-Mitglieder bekamen. Ihr Ziel war eine Erneuerung und Demokratisierung des sozialistischen Modells auf der Basis von sozialer Gleichheit, gesellschaftlichem Eigentum an Produktionsmitteln und Arbeiterselbstverwaltung. Zur Erreichung dieses Zieles bemühten sie sich um die Organisation sozialen Widerstands und betrieben eine mehr pragmatische Bündnispolitik.


Zwei Linien: Antiautoritäre und "ZentralistInnen"

Die zweite Strömung entstand erst in der Spätphase der DDR, setzte auf die Entwicklung von Elementen einer Alternativökonomie auf den Trümmern des gescheiterten zentralistischen Wirtschaftssystems. Angehörige dieser zweiten Strömung lehnten auf Grundlage ihrer Erfahrungen mit der SED parteiähnliche Strukturen prinzipiell ab und setzten auf die Idee eines dezentralen Netzwerkes unabhängiger Gruppen und Initiativen. Nachdem sich diese zweite Strömung weitgehend durchgesetzt hatte, kam es zum Zerfall der VL. Die meisten noch bestehenden Basisgruppen gingen in die im Osten zeitweise recht starke Hausbesetzerbewegung, in die autonome Antifa, in Kulturprojekte, Medieninitiativen und Ökokommunen. Unter den Bedingungen des Überlebenskampfes in der mittlerweile durchgesetzten kapitalistischen Marktwirtschaft rissen die bestehenden Kontakte zwischen den einzelnen Initiativen dann irgendwann ganz oder weitgehend ab.

Bei der Bestandsaufnahme waren sich die TeilnehmerInnen in ihrer Ablehnung der damaligen Überstülpung des Systems der westlichen Marktwirtschaft auf die im Umbruch befindliche DDR und der sozialen Folgen dieser Transformation weiterhin einig. Einig waren sie sich auch in der Kritik an ehemaligen DDR-BürgerrechtlerInnen, die inzwischen als bezahlte Dienstleister der etablierten Parteien die eigene Biographie medienträchtig umschreiben.

Ansonsten wurde die Veranstaltung von Auseinandersetzungen zwischen VertreterInnen der beiden VL-Strömungen dominiert, die ihren damaligen Streit weiter austrugen. Allerdings stellte sich im Verlaufe der Diskussion ein interessanter Wechsel der Frontstellungen heraus: Seinerzeit hatten die VertreterInnen der "zentralistischen" Richtung ein taktisches Bündnis mit der PDS befürwortet, was die "Antiautoritären" damals strikt ablehnten. Jetzt, 20 Jahre danach, war die Mehrzahl der "ZentralistInnen" desillusioniert und hatte es nach diversen Erfahrungen mit der zur Linkspartei gewendeten PDS aufgegeben, dort politischen Einfluss zu erlangen. Die damaligen "Antiautoritären" waren aber inzwischen zu PragmatikerInnen geworden, betrachten die Linkspartei als willkommenen Verbündeten gegen die neoliberal ausgerichteten bürgerlichen Parteien, die zum Sturm auf die letzten Refugien der nicht marktgerecht agierenden Alternativökonomie ansetzen.

Es stellte sich sehr schnell heraus, dass das auf zwei Tage konzipierte Treffen bei weitem nicht ausreichte, um das ehrgeizige Programm zur Aufarbeitung von 20 Jahren wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung abzudecken. Wichtige Punkte, wie die wirtschaftlichen Verwerfungen der 1990er Jahre im Osten Deutschlands als Folge der von der Kohl-Regierung forcierten Wiedervereinigung, wurden zwar benannt, aber kaum diskutiert. Offen blieb daher, ob unter den Bedingungen der Zerstörung von ca. 70% des Volumens einer einstmals funktionierenden Volkswirtschaft Elemente von Basisdemokratie und Arbeiterselbstverwaltung überhaupt eine Chance auf Verwirklichung hatten.

Nur ein geringes Echo fand auch die von der früheren Bundestagsabgeordneten Judith Braband thematisierte feministische Kritik am innerlinken Geschlechterverhältnis. Die Benennung von Perspektiven sozialen Widerstands beschränkte sich auf wenige Schwerpunkte wie den Kampf gegen ökologischen Raubbau und für ein sicheres Grundeinkommen.

Ob sich, wie von den VeranstalterInnen gedacht, auf der Grundlage dieses Treffens im Osten Deutschlands ein informelles Netzwerk und Diskussionsforum sozialer Initiativen und Bewegungen wieder neu herstellt oder ob es bei diesem einen Wiedersehen ehemaliger PolitaktivistInnen bleibt, muss abgewartet werden.


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ak - analyse & kritik, Ausgabe 545, 18.12.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2009