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ANALYSE & KRITIK/379: Wie rot sind die Rothemden?


ak - analyse & kritik - Ausgabe 550, 21.05.2010

Wie rot sind die Rothemden?
Aufgrund der politischen und sozialen Widersprüche in Thailand eskaliert der Konflikt

Von Wolfram Schaffar, 15. Mai 2010


Seit Anfang März demonstrieren in Bangkok wieder die "Rothemden". (ak 539) Ihre Forderungen klingen zunächst wenig spektakulär: die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Ihre Entschlossenheit und die Eskalation der Proteste verweisen jedoch darauf, dass hier ein tiefer gesellschaftlicher und politischer Konflikt ausgetragen wird. In der ersten Woche ließen sich die DemonstrantInnen Blut abnehmen und vergossen es mit Kanistern "für die Demokratie" vor dem Regierungssitz; mittlerweile ist aus dem symbolischen Protest makabere Realität geworden - es herrscht Bürgerkrieg. Nach Kämpfen mit dem Militär starben mittlerweile mehr als 50 Menschen, unzählige wurden verletzt und die DemonstrantInnen haben sich in "Roten Zonen" hinter Barrikaden verschanzt.

Die Rothemden, die sich offiziell Vereinigte Front für Demokratie und gegen Diktatur nennen, werden von der thailändischen Presse bestenfalls als naive Bauerntölpel dargestellt, die von Thaksins populistischen Programmen geködert wurden. (1) Schlimmstenfalls bezichtigt man sie als Thaksins bezahlte Schlägertrupps oder schlicht als TerroristInnen. Die Ignoranz der thailändischen Eliten, die den DemonstrantInnen jede politische Urteilskraft abspricht, hat die Rothemden jedoch erst entstehen lassen. Am Anfang waren es nur eine Handvoll Intellektuelle und DemokratieaktivistInnen, die im September 2006 gegen den Putsch demonstrierten. Angesichts der Panzer war ihre Aktion mutig, jedoch nicht geeignet, eine große Zahl Menschen zu mobilisieren.


Kämpfe für Demokratie und Repräsentation

Bangkok war damals geprägt von den Gelben, einer breiten Bewegung von in Ungnade gefallenen MitstreiterInnen Thaksins, denen sich auch soziale Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) angeschlossen hatten. Die Gelben hatten - ebenfalls unter dem Banner der Demokratie - wochenlang vergeblich gegen Thaksins autoritäre Regierung demonstriert. Mit dem Putsch arrangierten sie sich allerdings schnell: Für sie war es nur ein "Hiatus", ein kurzeitiges Aussetzen der Demokratie, um den "Betriebsunfall Thaksin" zu beheben. Dabei ging die vom Militär eingesetzte Regierung vor, als hätte sie einen politischen Blanko-Scheck, eilig wurde eine neue Verfassung durchgepaukt. Als bei der nächsten Wahl das Thaksin-Lager erneut mit deutlicher Mehrheit gewann, schickte man die Gerichte vor. Der gewählte Ministerpräsident Samak aus dem Thaksin-Lager wurde seines Amtes enthoben und die gesamte Partei wurde gerichtlich verboten.

Anders als die Gelben interpretierten die Roten den Putsch als Sündenfall und die danach folgenden Interventionen als Beweis, dass Mächte hinter den Kulissen Militär, Gerichte und andere Institutionen in ihrem Sinne steuern. Diese Vorgänge brachten schließlich Thaksin-AnhängerInnen und DemokratieaktivistInnen zusammen und befeuern seither einen Prozess der Selbstorganisation, der die soziale Zusammensetzung der Roten verändert hat. Zunächst waren es mehrheitlich AnhängerInnen Thaksins aus den Provinzen, die sich nach der Zerschlagung der Partei neu organisierten. Mittlerweile zählen auch Teile der Bangkoker Mittelschicht dazu. Der Riss zwischen den Lagern geht nun quer durch die Familien und Schichten. Viele der "neuen Roten" bewegt dabei weniger Thaksins Schicksal, sondern vielmehr die prinzipielle Frage nach politischer Repräsentation.

Im Zuge der Auseinandersetzungen entstanden in Bangkok rote Nachbarschaftsgruppen. Sie treffen sich im Erdgeschoss ihres Wohnblocks z.B. bei der Kioskbetreiberin, schauen über Satellit den roten Kanal - den Propaganda-Sender Thaksins - und debattieren über die aktuellen politischen Entwicklungen. Zu Demonstrationen fahren sie gemeinsam mit dem Pick-Up. In den oberen Etagen des Einkaufszentrums Big-C außerhalb der Innenstadt war in den Wochen vor Beginn der Demonstrationen so etwas wie das Hauptquartier der Bewegung entstanden. Immer mehr der leer stehenden Geschäftsräume wurden übernommen. Rote Läden entstanden, wo neben Kampagnenmaterial - roten T-Shirts, Stirnbändern oder Informationsbroschüren - auch Thaksin-Devotionalien verkauft werden.

Thaksins Regierungszeit zeichnete sich durch Sozialprogramme, neoliberale Umstrukturierungen und einen höchst autoritären Regierungsstil aus. Dass er nun zur Gallionsfigur einer roten Demokratiebewegung geworden ist, ist Ironie der Geschichte und eine Folge einer Fehleinschätzung der royalistisch-konservativen Eliten. Diese glaubten, über einen Putsch den ungeliebten Konkurrenten loswerden zu können.


Veränderte soziale Zusammensetzung der Roten

Die Heterogenität der Bewegung hat jedoch zur Folge, dass die Roten kein ausgearbeitetes Programm und keine klare Zukunftsvision haben. Ideologischen Zusammenhalt stiften erst seit kurzem landesweit organisierte "Schulen für Demokratie" - eine Art politische Volkshochschule, wo Begriffe der Demokratietheorie und Sozialstruktur Thailands vermittelt werden. Die Farbe Rot symbolisiert jedoch keine Orientierung an linken oder kommunistischen Bewegungen. Vielmehr fassen die Roten ihre Kritik in Kategorien der Feudalzeit. Thailand werde von einer Aristokratie (Amataya) beherrscht, die Sonderrechte für sich in Anspruch nimmt und die einfachen Leute als Unfreie (Phrai) entmündigt.

Rote T-Shirts mit dem Aufdruck "Phrai" entwickelten sich zum Erkennungszeichen mit großer Identifikationskraft. Ihre Analyse der Verhältnisse ist jedoch ambivalent: Einerseits schwingt beim Begriff Phrai der Unterton einer Blut-und-Boden-Ideologie mit, der auch bei der Aktion des symbolischen Blutvergießens angestimmt wurde. Und dass die Roten bereit sind, um der Mobilisierung willen eine populistische Klaviatur zu bedienen, zeigte sich bei ihrem Angriff auf die Gay-Pride-Parade in Chiangmai.


Ambivalente Bewegung gegen die Aristokratie

Andererseits hat sich im Verlauf der Proteste die Analyse geschärft und als anschlussfähig für linke Gewerkschaften und Intellektuelle erwiesen, die sonst mit dem neoliberalen Manager Thaksin als Gallionsfigur ihre Probleme hatten. Viele verteidigen ihr Engagement durch eine Gedankenfigur, wie sie auch gegenüber der Wirtschaftspolitik der chinesischen KP vorgetragen wird. Da Thailand noch im Zustand des Feudalismus verhaftet sei, müsse die neoliberale Entfesselung des Kapitalismus unter Thaksin als notwendiges Durchgangsstadium auf dem Weg zum Sozialismus in Kauf genommen werden.

In den Lehrbüchern der Schulen für Demokratie finden sich Bilder der französischen, nicht der russischen Revolution. Offiziell geht es den Roten um gleiche Standards und nicht um Umverteilung. Hinter den Protesten steht jedoch eine soziale Frage. Das wurde deutlich, als die Roten zu Beginn ihrer Demonstration in einem Konvoy durch das Geschäftsviertel von Bangkok fuhren: Vom Straßenrand und aus den Häuser mit den glitzernden Fassaden jubelten ihnen zahllose der sonst unsichtbaren ArbeiterInnen zu: Putzkräfte, NachtwächterInnen, Motoradboten, GarküchenbetreiberInnen etc. Weniger die Anzahl der aus der Provinz angereisten ProtestlerInnen, sondern der spontane Beifall in Bangkok ließen das royalistisch-konservative Regierungslager erstarren. Denn es wurde deutlich, welche Sprengkraft hinter der Forderung nach Auflösung des Parlaments steht: Neuwahlen würden in der jetzigen Situation zu einer fundamentalen Umverteilung der Macht führen. Ob bei einer Neuverteilung auch die Rolle der Monarchie zur Debatte steht ist ebenso ambivalent wie die Rolle Thaksins und die Gesellschaftsanalyse der Roten.

Einige Rote verpacken eine Art republikanische Gesinnung so geschickt, dass die Grenzen verschwimmen. Anstelle des gegenwärtigen Königs Bhumipol verehren sie die historische Figur König Daksin. Dieser ist in die Geschichtsbücher eingegangen, weil er nach der verheerenden Zerstörung der alten Hauptstadt Ayutthaya durch die Burmesen die Siamesen militärisch einigte. Das heutige Bangkok machte er zur neuen Hauptstadt und regierte dort als König einer neuen Dynastie von 1768 bis 1782. Nicht nur der Name dieses einzigen Königs der sog. Tomburi-Dynastie ähnelt verblüffend dem geschassten Thaksin Shinawatra. Brisant wird der Bezug auf ihn wegen des Verhältnisses zur jetzigen Dynastie: Daksin wurde von Rama I, dem Gründer der heute herrschenden Chakri-Dynastie gestürzt und hingerichtet. Die Geschichtsbücher behaupten, Daksin sei größenwahnsinnig geworden und musste deshalb entthront werden. Viele Roten sehen hier eine Parallele zu Thaksin, der durch den vom König abgesegneten Putsch 2006 aus dem Amt entfernt wurde. Die Rothemden begannen ihre Proteste am 12. März dieses Jahres mit Beschwörungszeremonien an den Denkmälern von König Daksin und sendeten so ein starkes Symbol aus: Sie bekräftigen zwar ihre Loyalität zur Monarchie, jedoch nicht zur jetzigen Dynastie, sondern zu einer Dynastie, deren Gründer frappierende Ähnlichkeit mit Thaksin zeigt.

Über die Forderung nach Auflösung des Parlaments und Neuwahlen konnten die Rothemden eine breite politische Bewegung mobilisieren. Ob sie die gesellschaftlichen Widersprüche, der die Bewegung ihre Dynamik verdankt, in politische Forderungen übersetzen können, ist noch offen. Die Zeichen dafür stehen denkbar schlecht: Die Regierung scheint entschlossen, die Roten mit aller Gewalt zu zerschlagen. Bei ihrer bisherigen Organisierung haben die Roten eine starke Entschlossenheit, Ausdauer und Kreativität bewiesen. Als Bewegung im Untergrund und unter bürgerkriegsartigen Umständen wird es jedoch kaum möglich sein, jenseits der Symbolfigur Thaksin ein politisches Programm zu entwickeln.


Anmerkung: (1) Der Millionär und populistische Politiker Thaksin Shinawat war zwischen 2001 und 2006 Premierminister und stand der Partei Thai Rak Thai vor, die bis zum Militärputsch im September 2006 regierte.


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FDP unterstützt monarchistische Partei

Der Journalist und Thailandkenner Mark Teufel kritisiert in einem Interview unter dem Titel "Netzwerk Monarchie" am 20. April auf der Internetseite German Foreign Policy die Unterstützung der FDP für den amtierenden thailändischen Premier Abhisit Vejjajiva und seine (Gelbhemden-) Democrat Party, die 2008 mit Hilfe des Militärs an die Macht kam. Die Democrat Party "setzt sich dafür ein, dass der Monarchie und dem Militär eine umfassende direkte und indirekte Macht zugewiesen wird", sagt Teufel. Sie habe zahlreiche Menschenrechtsverbrechen begangen. Als die Democrat Party an die Regierung gekommen sei, habe sie zudem als erstes die Maßnahmen gegen "Majestätsbeleidigung" verschärft. Auf Kritik an der Monarchie stünden nun 15 Jahre Gefängnis - "pro Tat", wie Teufel unterstreicht.

Die Regierung übe die schärfste Zensur und Medienkontrolle seit Ende des kalten Krieges aus, doch die FDP pflege v.a. über den stellvertretenden Vorsitzenden ihrer Bundestagsfraktion, Jürgen Koppelin, gute Kontakte nach Thailand. Die Democrat Party sei wie die FDP Mitglied der weltweiten Organisation liberaler Parteien und die deutschen Liberalen hielten die amtierende Regierung Abhisit "erstaunlicherweise für legitim und das Beste, das Thailand passieren kann", sagt Teufel. So habe die FDP den demokratisch gewählten und 2006 gestürzten Thaksin, der 2009 einige Monate legal und unauffällig in Bonn lebte, als "flüchtigen Straftäter" bezeichnet und alles getan, um eine Aufhebung seiner Aufenthaltserlaubnis zu erreichen. "Damit hat die FDP sich meiner Meinung nach zum Handlanger einer Diktatur gemacht", sagt Teufel.

Das vollständige Interview ist nachzulesen bei www.german-foreign-policy.com.


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ak - analyse & kritik, Ausgabe 550, 21.05.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2010