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ANALYSE & KRITIK/441: Verfahren gegen linken BuchhändlerInnen eingestellt


ak - analyse & kritik - Ausgabe 559, 18.03.2011

Hornberger Schießen in Moabit
Verfahren gegen linken BuchhändlerInnen eingestellt


"Da ging's aus wie's Schießen zu Hornberg, und mussten abziehen mit langer Nase." Diese Worte legte Friedrich Schiller in "Die Räuber" Moritz Spiegelberg, dem intriganten Gegenspieler des Räuberhauptmanns Karl Moor, in den Mund. Wie das Hornberger Schießen endete auch das erste Verfahren der Berliner Staatsanwaltschaft gegen einen Kreuzberger Buchhändler, dem sie wegen des Vertriebs der autonomen Szenezeitschrift interim an den Karren fahren wollte. Das Verfahren wurde eingestellt.


Überraschendes Ende. Für alle Beteiligten. Am 8. März 2011 wurde das Verfahren gegen Frank C. nach Paragraf 153 Strafprozessordnung eingestellt. Demnach war die "Schuld" des Betreibers des Buchladens oh21 "als gering anzusehen" und es bestand "kein öffentliches Interesse an der Verfolgung". So heißt es in dem Paragrafen. So sah es am Ende das Gericht.

Damit ist die Berliner Staatsanwaltschaft vorerst gescheitert, linke Buchläden dafür zu kriminalisieren, dass sie Schriften in ihrem Sortiment halten, die dem Staatsschutz ein Dorn im Auge sind. In ihrer Anklage warf die Staatsanwaltschaft dem Geschäftsführer der Kreuzberger Buchhandlung vor, er habe Zeitschriften "einem nicht eingegrenzten Kundenkreis griffbereit zur Verfügung gestellt und zumindest billigend in Kauf genommen", "dass der Inhalt bestimmter Ausgaben an die Öffentlichkeit gelangt". Deshalb wollte sie ihn wegen "Anleitung zu Straftaten" nach Paragraf 130a StGB und "Verstoß gegen das Waffengesetz" (Paragraf 40 WaffG) verurteilt wissen. So als habe er selbst die Texte verfasst und sich ihren Inhalt zu Eigen gemacht. Das alleine ist schon ein perfider Gedanke. Er treibt auch seltsame Blüten: "Vor einem Berliner Amtsgericht soll am Freitag gegen einen Buchhändler wegen Beihilfe zum Bombenbau verhandelt werden." Stimmungsmache auf welt-online.de zum Auftakt des Prozesses am 18. Februar 2011.


Sonderbehandlung für linke BuchhändlerInnen

Das Vorgehen der Berliner Staatsschutzbehörden zielt auf Einschüchterung, Spaltung und Verunsicherung. Und darauf, endlich Erfolge in der Bekämpfung der linken Szene der Hauptstadt vorweisen zu können. Der Groll ist groß.

Und so trifft es nicht nur den Buchladen in der Kreuzberger Oranienstraße. Ermittlungsverfahren laufen auch gegen die BetreiberInnen der Buchläden Schwarze Risse im Berliner Mehringhof und der Kastanienallee sowie den "Gemischtwarenladen mit Revolutionsbedarf" M99. Bis zu sieben Mal tauchte die Polizei in einzelnen Läden auf, durchsuchte sie nach inkriminierten Schriften und beschlagnahmte zum Teil die Geschäftscomputer. In der Regel ging es dabei um die interim. (Vgl. ak554 und 557)

Gegenüber der Frankfurter Rundschau bestätigte die Staatsanwaltschaft, dass es ihr darum gehe, nachzuweisen, dass die BuchhändlerInnen die Inhalte der inkriminierten Schriften kannten und als strafbar erkannten. Weil es sich um Buchläden mit einem linken Sortiment handle, sei davon auszugehen, dass die Angeklagten die von ihnen vertriebenen Zeitschriften kennen und befürworten würden, so die Berliner Anklagebehörde. Die gleichzeitig versicherte: Auf "normale Buchhandlungen" hätte eine Verurteilung keine Auswirkung. (FR, 28.2.11) Dreister kann man den politischen Charakter dieser Ermittlungsverfahren nicht benennen.

Da man an die MacherInnen der interim nicht herankommt, bedient man sich jetzt der BuchhändlerInnen. In der Vergangenheit sind die Staatsschutzbehörden damit nicht weit gekommen. Prozesse, die in den 1980er Jahren von Staatsanwaltschaften (auch in Berlin) gegen BuchhändlerInnen angestrengt wurden, weil sie die ebenfalls kriminalisierte Zeitschrift radikal vertrieben hatten, führten nicht zur Verurteilung. 1987 entschied beispielsweise das Kammergericht Berlin: "Im Normalfall kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Inhaber eines Buch- und Zeitschriftenhandels alle in seinem Geschäft feilgebotenen Druckerzeugnisse vor dem Verkauf liest und auf einen etwaigen strafbaren Inhalt überprüft oder überprüfen lässt; dies dürfte schon aus zeitlichen Gründen in der Regel gar nicht möglich sein (hier: Vertrieb der linksextremistischen Druckschrift 'radikal' Nr. 132)." (KG Berlin, Az.: (2) 2 OJs 9/86 (3/87))

Doch nicht nur MitarbeiterInnen des Buchgewerbes sind damit überfordert. Offensichtlich sind auch gestandene MitarbeiterInnen des Staatsschutzes überlastet. Das legt zumindest die Vernehmung des seit 1997 beim Berliner Landeskriminalamt (LKA) für die Auswertung linker Publikationen zuständigen Beamten nahe. Er war bereits am ersten Verhandlungstag (18. Februar 2011) als Zeuge geladen. Wer oder was "die linke Szene" sei, konnte er ebenso wenig beantworten, wie die Frage, was unter "linken Themen" zu verstehen ist. Keine Antwort fand der LKA-Beamte auch auf die Frage, wie viele der über 720 erschienenen Ausgaben der interim strafrechtlich beanstandet wurden. Ob dieser Unwissenheit wird klar: Wenn selbst ExpertInnen des Berliner LKA deren strafrechtlich relevanten Inhalt nicht einschätzen können, wie sollten es dann BuchhändlerInnen können?


Müssen BuchhändlerInnen schlauer als die Polizei sein?

"BuchhändlerInnen sind keine Laien-JuristInnen zur Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen des 130a StGB und ihre Buchhandlungen keine ausgelagerten Prüfstuben des Staatsschutzes", so Oliver Tolmein. (RAV-Infobrief 105) Mit dem Rückenwind von "Extremismusbekämpfung" und "Bekämpfung linker Gewalt" wollte die Berliner Staatsanwaltschaft die bisherige Rechtsprechung revidieren. Ihr Ansinnen, dass BuchhändlerInnen sich zukünftig wie vorgeschaltete Zensurinstanzen verhalten sollen, ist durch die Befragung des LKA-Zeugen ad absurdum geführt worden.

Im ersten Versuch ist die Staatsanwaltschaft auch vor Gericht gescheitert. Doch noch gibt es weitere Ermittlungsverfahren. Ebenso hat sie bereits gegen den Betreiber von Schwarze Risse Anklage erhoben. Die Geschichte dürfte noch nicht zu Ende sein.

mb.


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ak - analyse & kritik, Ausgabe 559, 18.03.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2011