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ARBEITERSTIMME/208: Zwanzig Jahre danach... "Es war ein Tag der überaus festlichen Reden"


Arbeiterstimme, Frühjahr 2010, Nr. 167
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Zwanzig Jahre danach...

"Es war ein Tag der überaus festlichen Reden"


Es war schon schwer zu ertragen, in welcher Form und mit welchem Propagandaaufwand, die staatstragenden Akteure der BRD in diesem Jahr die Novemberereignisse nd, die staatstragenden Akteure der BRD in diesem Jahr die Novemberereignisse in der DDR vor 20 Jahren feierten. Wochenlang vorher wurde die Öffentlichkeit, in allen Fernsehkanälen und Rundfunkanstalten, mit Dokumentationen über den "Unrechtsstaat" DDR, über seine Stasi, oder über die Misswirtschaft der sozialistischen Planwirtschaft "aufgeklärt". Ehemalige "Dissidenten" und selbsternannte "Bürgerrechtler" kamen zu Wort und brachten ihre Genugtuung über den Fall der Mauer und das Ende der DDR zum Ausdruck. Es war wohl kein Zufall, dass diejenigen die damals eine bessere DDR wollten, jedoch keineswegs den Sozialismus abschaffen, kaum zu Wort kamen. Das konnte nicht erwartet werden und eine differenzierte Betrachtung der DDR war auch nicht gefragt. Ging es bei diesem Unternehmen doch einmal mehr um die Delegitimierung der DDR. Deshalb war viel von Freiheit und Demokratie und dem Glück der "friedlichen Revolution" die Rede.

Den Vogel schoss dabei Bundespräsident Köhler in Leipzig ab. In seiner Rede anlässlich der Großdemonstration der 70.000 am 9. Oktober 1989, die den Verfallsprozess der DDR maßgeblich vorantrieb, meinte Köhler:

"Als Pfarrer Christian Führer am 9. Oktober nach dem allwöchentlichen Montagsgebet die Türen der Nikolaikirche öffnete, da war der Vorplatz schwarz vor Menschen. ... Da waren 70.000. Sie mussten mit dem Schlimmsten rechnen, denn es gab klare Drohungen. Zeugenaussagen und Dokumente belegen: In den Betrieben wurden die Belegschaften angewiesen, die Innenstadt zu meiden, denn da werde Blut fließen. In den Schulen wurde den Kindern gesagt: Geht nicht in die Stadt heute, da könnte etwas 'Schlimmes' passieren. Das Wort von der 'chinesischen Lösung' machte die Runde. ...Vor der Stadt standen Panzer, die Bezirkspolizei hatte Anweisung, auf Befehl ohne Rücksicht zu schießen. Die Herzchirurgen der Karl-Marx-Universität wurden in der Behandlung von Schussverletzungen unterwiesen, und in der Leipziger Stadthalle wurden Blutplasma und Leichensäcke bereitgelegt."

Hier zeigt sich, dass blinder Antikommunismus wirklich blind macht. Denn nichts stimmte an Köhlers Beitrag, was in den Folgetagen zumindest in Sachsen zu erregten Diskussionen führte. Weder gab es Schießbefehle, noch standen vor der Stadt Panzer, noch wurden Blutplasma und Leichensäcke in einer Stadthalle bereitgelegt, die es in Leipzig gar nicht gibt. Peinlich, peinlich. Auf Köhlers Internetseite kann man jetzt lesen, dass er seine Behauptungen einer Broschüre entnommen habe, über die der Autor nach der peinlichen Rede des Bundespräsidenten festgestellt hat: "er habe für diese Angaben noch keine ausreichenden Belege, es sei weitere Forschung nötig". Doch gesagt ist gesagt!


Die Bourgeoisie feiertihren Sieg

Es war die Feier der internationalen Bourgeoisie über ihren Sieg über den Sozialismus. Den Höhepunkt bildete schließlich die Veranstaltung am 9. November in Berlin. "Gut gelaunt und tief gerührt", wie die Sächsische Zeitung (SZ) schrieb, feierte Berlin mit Andachten, Aktionen und einer großen Zahl prominenter Gäste aus aller Welt den Jahrestag des Mauerfalls. Mit dabei, natürlich, die antikommunistischen "Leuchttürme" Lech Walesa und seine deutschen Freunde Biermann, Klier, Stephan Krawczyk (im MDR sprach dieser über "seine Freude über unsere demokratische Marktwirtschaft") und Andere. "Es war ein Tag der überaus festlichen Reden", schrieb die SZ und zitiert die Kanzlerin: "Den Mauerfall nannte Merkel 'das Ergebnis einer langen Geschichte von Unfreiheit und Kampf gegen Unfreiheit'". Solche Reden gehen offensichtlich ans Gemüt, denn, so die SZ, "so mancher Besucher wischte sich verstohlen Tränen der Rührung aus den Augen".

Zehntausende Besucher sollen es laut der Medien in Berlin gewesen sein. Und wenn man die Parteilichkeit der bürgerlichen Medien kennt, kann man sich vorstellen, dass die Zahlen bei einer so erhebenden, nationalen Veranstaltung eher schön als real gerechnet sind. Im Klartext heißt das: die Begeisterung hielt sich in Grenzen. Ein Wunder ist das nicht. Die tatsächliche Stimmungslage im Osten deckt sich halt nicht mit der offiziell dargestellten Freude der herrschenden Klasse über ihren Triumph.

In der Sächsischen Zeitung gibt es in den Sonnabendausgaben eine Rubrik "Leserforum", in der ein bestimmtes, vorgegebenes Thema diskutiert wird. Im Oktober war das Thema: "Herbst '89 - Was ist daraus geworden?". Es gab daraufhin so viele Leserzuschriften, dass der Abdruck auf zwei Ausgaben verteilt werden musste. Von den fast 40 Leserbriefen äußerte sich nur einer positiv zu der stattgefundenen Entwicklung - und der stammte von einem zugezogenen Westdeutschen. Alle anderen waren gekennzeichnet von tiefer Enttäuschung bis zur Ablehnung der bestehenden politischen Verhältnisse. Sicher, ein Leserforum drückt nicht repräsentativ die Stimmungslage aus. Doch weit weg davon ist sie im aktuellen Falle aber nicht. Die Volkssolidarität gibt seit 1990 einen Sozialreport mit Fakten und Daten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern heraus. Im Sozialreport 2008 wird das in den Leserbriefen zum Ausdruck gekommene Stimmungsbild ganz klar unterstrichen. Danach sagen etwa 40 Prozent der Ostdeutschen, die beste Zeit in ihrem Leben sei ihr Leben in der DDR gewesen. 28 Prozent betrachten sich als die Verlierer der deutschen Einheit. Und lediglich 23 Prozent erklären, dass sie sich als richtige Bürger der BRD fühlen, d.h. 75 Prozent sehen sich als Bürger zweiter Klasse. Und etwa 11 Prozent wollten im Jahre 2008 sogar die DDR wiederhaben.


Das Roll Back

Das hat Gründe, die nichts mit DDR-Nostalgie zu tun haben, wie es bürgerliche Medien zu erklären versuchen, sondern vielmehr damit, dass die Ostdeutschen den Kapitalismus in der brutalst möglichen Form kennen lernen mussten. Sie waren in die Wiedervereinigung mit der Erwartung getaumelt, dass es rasch zu einer Angleichung des Lebensstandards an den des Westens kommt. Hatte doch Kohl getönt: "Niemand wird es schlechter gehen, aber vielen besser!". Die Realität sah dann allerdings völlig anders aus. Es erfolgte das totale Roll back auf jedem politischen und wirtschaftlichen Gebiet. Der Anschluss bedeutete die Unterwerfung der DDR-Bevölkerung unter das Regime der BRD, wobei viele Maßnahmen weniger der Angleichung an die BRD-Verhältnisse geschuldet waren, sondern vielmehr der Rache der Herrschenden für eine 40 Jahre dauernde, eigenständige, nichtkapitalistische Entwicklung.

Der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit wurde erklärt, der Niedergang der Ostökonomie rühre mit daher, dass die DDR und ihre Wirtschaft im Grunde pleite gewesen seien. Diese Behauptung gehört allerdings, wie so vieles im Zusammenhang mit der DDR, in den Bereich der Legenden. Nach Berechnungen der Deutschen Bundesbank betrug die Nettoverschuldung der DDR Ende 1989 19,9 Milliarden D-Mark, also nicht einmal 10 Milliarden Euro. Angesichts der heutigen Staatsverschuldung der BRD ein geradezu lächerlicher Betrag. Trotzdem spricht Bundespräsident Köhler, in einer seiner vielen Reden in diesen Tagen, von den "enormen Auslandsschulden" der DDR. Der eigentliche Kollaps erfolgte allerdings erst nach dem Anschluss an die BRD, als über Nacht die DDR-Wirtschaft dem DM-Wirtschaftsraum preisgegeben wurde.

Man kann hier nur jenen Wirtschaftswissenschaftlern Recht geben, die diesen Sachverhalt verglichen mit einem Auto-Rennen zwischen Trabi und Porsche. Die Wirtschaft im Osten war der des Westens hoffnungslos unterlegen. Nicht nur, weil die Produktivität der meisten Betriebe deutlich niedriger war als in den vergleichbaren Westbetrieben, sondern auch, weil die betriebliche Organisationsstruktur der einer zentralen Planwirtschaft, und nicht einer kapitalistischen Konkurrenzwirtschaft entsprach. Die Folge davon war, dass die Produktion in den folgenden Jahren stark zurückging und in manchen Branchen fast, oder ganz zum Erliegen kam. So betrug die Industrieproduktion 1994 beispielsweise nur noch 39 Prozent gegenüber 1989. Einbrüche in solch dramatischer Höhe gab es weder nach dem ersten Weltkrieg noch nach dem zweiten. Dass im Anschlussgebiet trotzdem alles weitgehend friedlich blieb, lag an den gewaltigen finanziellen Mitteln, die man zur sozialen Befriedung ins Land pumpte.

Die Konsequenzen dieser Politik waren trotzdem nicht zu übersehen und für die Menschen spürbar: Massenarbeitslosigkeit in noch nicht gekanntem Maße, Preissteigerungen, Mieterhöhungen und nicht zuletzt Eigentumsrückforderungen bundesrepublikanischer Fabrik- und Hausbesitzer. Gleichzeitig betrieben bundesrepublikanischer Fabrik- und Hausbesitzer. Gleichzeitig betrieb die Treuhandanstalt (THA) die Privatisierung des Industrie-Volksvermögens in einer Art und Weise, die man heute als die größte Umverteilungsaktion in der Geschichte des deutschen Volkes bezeichnen kann. Zu Spottpreisen wurden Betriebe, mit allen Anlagen und Immobilien, zu Privatbesitz von westlichen Klein- und Großkapitalisten. Die Zusage gegenüber der THA, die Belegschaft in einer gewissen Höhe, ein oder zwei Jahre weiter zu beschäftigten, reichte aus, um manchmal für die symbolische eine Mark Immobilien in Millionenhöhe zu erwerben. Die Betriebe, die nicht den Gefallen des westlichen Kapitals fanden, wurden stillgelegt, liquidiert und abgewickelt. Überhaupt: Abgewickelt wurde fast alles. Angefangen bei Betrieben, Sporteinrichtungen, Polikliniken, Bildungs- und Forschungseinrichtungen, bis hin zu Kindertagesstätten und Betriebskindergärten. Alles, was irgendwie mit dem DDR-Sozialismus zu tun hatte - und war es noch so sinnvoll - wurde geschliffen. Lediglich das DDR-Ampelmännchen ließ man bestehen. Zur weiteren Ernüchterung der Menschen trugen auch die ihnen gegenüber gezeigte Respektlosigkeit und Arroganz des "West-Aufbaupersonals" bei, das sich nicht selten wie Besatzungstruppen einer siegreichen Armee aufführte.

Das Resultat dieser Politik ist, dass heute, gemessen an dem was war, die Landschaften im Osten nicht blühend wie versprochen, sondern weitgehend deindustrialisiert sind. Das erklärt mehr die Stimmungslage und Befindlichkeit im Osten als alle Analysen bürgerlicher Politologen, Soziologen, Ökonomen und Pfaffen.


Konterrevolution und Implosion

Die DDR als sozialistischer Staat entstand nicht nach einer siegreichen Revolution, sondern aufgrund taktischer Überlegungen, basierend auf den nationalen Interessen der Sowjetunion. Unmittelbar nach dem Sieg über den Faschismus setzte zwischen den einstigen Alliierten der "kalte Krieg" ein, der jederzeit in einen heißen Krieg umschlagen konnte. Aus diesem Grunde war die Sowjetunion (SU) daran interessiert, vor dem eigenen Territorium eine Sicherheitszone zu schaffen. Alle osteuropäischen Länder im Einflussbereich der SU wurden deshalb aufgrund ihrer Initiative sozialistisch. Für den Aufbau des Sozialismus war alleine das schon eine denkbar schlechte Voraussetzung. Für den sozialistischen Aufbau ist die entscheidende Frage, ob die Arbeiterklasse aktiv ihren Staat gestaltet und ebenso aktiv zugunsten des Sozialismus eingreift. Wird die Revolution jedoch durch eine Besatzungsarmee importiert und nicht aus eigener Kraft errungen, kommt es zu einer ablehnenden, passiven Haltung der Klasse und nicht zur erhofften Mobilisierung. Mit Ausnahme der damaligen SBZ und Tschechoslowakei waren die anderen osteuropäischen Länder hauptsächlich durch den Agrarbereich geprägt, mit einer nur schwachen Arbeiterbewegung. Die kommunistischen oder sozialistischen Parteien dieser Länder waren so allesamt von der SU abhängig und hielten sich kritiklos an deren politische Vorgaben. Das machte die Ausgangslage für eine sozialistische Entwicklung ebenfalls nicht besser. Im Übrigen galt das eingeschränkt auch für die damalige SBZ. Auch sie befand sich im mehr agrarisch geprägten Teil Deutschlands. Positiv sehen muss man allerdings, dass es aufgrund der Erfahrungen mit dem Hitlerfaschismus nach 1945 in der Bevölkerung in allen Besatzungszonen in Deutschland durchaus Sympathien für den Sozialismus gab. Trotzdem war die Lage aber in sich widersprüchlich. Ein nicht geringer Teil der Bevölkerung hatte sich mit den Nazis eingelassen und hatte den Faschismus mitgetragen. Die Jugend, durch die Nazis sozialisiert, war rassistisch und antikommunistisch. Es gab tiefe Ressentiments gegen die "Russen" und alle Vorurteile schienen dann durch das Auftreten und die Politik der Besatzungsmacht bestätigt. Der Osten Deutschlands und später die DDR, wurden nämlich durch die SU, im Gegensatz zum Westen, konsequent zu Reparationsleistungen herangezogen, was natürlich spürbare Auswirkungen auf die Versorgungslage der Bevölkerung hatte.

Das war im Osten Deutschlands also die Ausgangslage für den Versuch den Sozialismus aufzubauen. Und die war denkbar schlecht. Die Mehrheit der entscheidenden Klasse, die Arbeiterschaft, stand ihrem eigenen Staat weitgehend passiv und auch oppositionell gegenüber. Zum ersten Mal zeigte sich das offen in dem Aufstand am 17. Juni 1953. Nur mit Hilfe der SU konnte die SED ihre Position behaupten.

Einen maßgeblichen Beitrag für die krisenbehaftete Entwicklung der DDR leistete zweifellos auch der westdeutsche Staat mit breiter Unterstützung aller anderen imperialistischen Staaten. Von Seiten der BRD wurde solange die DDR bestand alles getan um diese zu destabilisieren. Dabei wurden so ziemlich alle schmutzigen Mittel des "kalten Krieges" eingesetzt. Der entscheidende Hebel aber war die Stärke der westdeutschen Ökonomie. Trotz immenser Anstrengungen seitens der DDR und der anderen sozialistischen Staaten die Entwicklung der Produktivkräfte voranzutreiben, blieb der sozialistische Block gegenüber dem kapitalistischen Westen ökonomisch deutlich im Hintertreffen. Für die DDR hatte das weit reichende Auswirkungen. Die eigene Bevölkerung hatte durch Fernsehen, Rundfunk und verwandtschaftliche Beziehungen in den Westen ständig das westliche "Schaufenster" mit seinen "kapitalistischen Verlockungen" vor Augen. Dadurch wurden Begehrlichkeiten geweckt, die die DDR-Ökonomie nicht befriedigen konnte. Zwar wurde in der Dekade zwischen 1960 und 1970 versucht ökonomische Reformen, welche die Versorgungslage verbessern sollten, durchzusetzen, doch scheiterten diese aus den besagten Gründen der fehlenden Akzeptanz der Bevölkerung und der Arbeiterklasse. An Stelle einer lebendigen sozialistischen Demokratie machte sich Bürokratismus, Opportunismus und Dogmatismus breit. Alle Versuche der Partei in der Arbeiterklasse eine Massenbasis für den Sozialismus zu finden wurden so konterkariert.

Der Mauerbau und die zunehmende Repression war die notwendige Konsequenz, die sich aus dieser Gesamtsituation ergab. Den Kommunisten in der DDR blieb, aufgrund der inneren politischen Isoliertheit und der von außen kommenden politisch-ideologischen Konfrontation, oft nur die Möglichkeit auf Tagesnotwendigkeiten zu reagieren; die "Not zu wenden". Da blieb nur wenig Spielraum für marxistisches Schöpfertum. Eine andere Politik hätte die Kapitulation vor dem Imperialismus bedeutet, wie die Ereignisse nach dem 9. November 1989 beweisen. So hat man weiter vor sich "hingewurstelt", versucht den Staus quo zu halten und damit in Kauf genommen, dass sich die Stimmung im Land weiter verschlechterte. In einem Leserbrief an Neues Deutschland drückt ein Leser das folgendermaßen aus:

"Wir hatten in der DDR vieles erreicht. Eines aber nicht: Der Bevölkerung all die Dinge im ausreichenden Maße anzubieten, die das Leben angenehmer machen. Und genau davon haben wir uns in den späten 80ern immer weiter entfernt. Die bekannten Versorgungslücken. Während der aus gewerkschaftlichen 'Schulen der sozialistischen Arbeit' und dem Parteilehrjahr bekannte 'absterbende und verfaulende Kapitalismus' - gesehen im Westfernsehen - immer Neues und immer Schöneres und das auch noch im Überfluss anzubieten hatte. 'Die' waren genau damit Sieger im ökonomischen Systemwettstreit.

Bekanntlich wurde 'Freiheit' und 'Demokratie' in den montäglichen DDR-Abendhimmel gerufen. Auch 'Reisefreiheit'. Dorthin, wo Bosch-Bohrhammer, Commodore C64 oder Videorecorder zum Kauf auslagen, blieb unausgesprochen".

Der weitere Verlauf der Geschichte ist bekannt. Mit der Öffnung der Mauer am 9. November 1989 war das Ende der DDR eingeleitet. Innerhalb Jahresfrist implodierte der sozialistische Staat, wie auch die anderen sozialistischen Staaten. Der Sieg des Imperialismus stand damit fest. Seine auf ökonomischer Überlegenheit basierende Konterrevolution hat das sozialistische Lager letzten Endes zertrümmert. Das waren die objektiven Gründe und weniger die zweifellos vorhandenen Demokratiedefizite.


Lupenreine Demokraten

Bei den Feierlichkeiten vor dem Brandenburger Tor gaben sich die international vereinigten Bourgeois als lupenreine Demokraten. Sie feierten ihre Freiheit. Sie feierten die Freiheit ihr Kapital seit zwanzig Jahren auch im Osten ungehemmt verwerten zu können. Verpackt wurde ihre Freude darüber mit dem "hehren Werte" der Demokratie. Das hört sich gut an und das macht was her, wenn die Merkel darüber schwadroniert und meint, dass der Mauerfall "das Ergebnis einer langen Geschichte von Unfreiheit und Kampf gegen Unfreiheit" sei.

Was Merkel dabei nicht sieht, bzw. wegen ihres Klassendenkens nicht sehen kann, ist, dass die umfassende Unternehmerfreiheit, die heute besteht, gleichzeitig die soziale Unfreiheit für die ganz große Mehrheit der Menschen in der kapitalistischen Welt voraussetzt. Verwischt wird dieser Widerspruch allerdings durch den Umstand, dass die bürgerliche Freiheit dem Einzelnen in großem Maße freie Bewegung gewährt. Sichtbar wird die soziale Unfreiheit für die Mehrheit der in Abhängigkeit gehaltenen Menschen deshalb erst dann, wenn durch tiefe ökonomische Krisen deren eigene Existenz infrage gestellt ist und die bürgerliche Ideologie ihre Zusagen an Freiheit, Demokratie und Wohlstand nicht mehr halten kann. Der Marxist Leo Kofler hat das in einem Aufsatz so formuliert:

"Die bürgerliche Demokratie ist nur eine Form, hinter deren goldgelbem Aufputz sich die Diktatur der Bourgeoisie verbirgt, jederzeit bereit, offen hervorzubrechen, wenn ein ernster Schritt von der bloß formalen zur sozialen Freiheit hin getan werden soll, d.h. ein Schritt, der das bürgerliche freiheitsfeindliche Monopol an den Produktionsmitteln zu erschüttern droht" (Leo Kofler: Warum ich Marxist geblieben bin. 1988).

Mit äußerster Brutalität und Gewalt ist die Bourgeoisie, seit Anbeginn ihrer Geschichte, immer gegen diejenigen vorgegangen, die von ihr die soziale Freiheit einklagen wollten. Da war dann Schluss mit Demokratie und Menschenrechten! Mit solchen "Betriebsunfällen der Geschichte" gehen bürgerliche Kreise im Nachhinein sehr verständnisvoll und nachsichtig um. Da ist man dann schnell bereit Schlussstriche zu ziehen. So konnten beispielsweise bereits zwanzig Jahre nach der Zerschlagung des Hitler-Faschismus der KZ-Baumeister Lübke Bundespräsident, ein im Goebbels'schen Propagandaapparat dienender Mann namens Kiesinger Bundeskanzler und der Nazihenker Filbinger Ministerpräsident werden. Weniger Toleranz dagegen bringt man gegenüber der Linken auf. Da ist man über jede linke Vergangenheit auf das Äußerste empört. Da gibt es auch keine Verjährungsfristen und "Gnade". Und deshalb fordern aktuell auch lupenreine Demokraten in Brandenburg den Rücktritt von zwei Landtagsabgeordneten der Partei Die Linke wegen ihrer angeblichen "Stasi-Verstrickungen". Das darf einen aber nicht wundern. Sie können schlichtweg nicht aus ihrer bourgeoisen Haut. Sie offenbaren aber damit das, was bürgerliche Doppelmoral und bürgerliche Demokratieauffassung bedeutet.


Demokratie und Sozialismus

Der real existierende Sozialismus scheiterte, weil er es nicht schaffte, die Produktivkräfte in einer den hoch entwickelten imperialistischen Ländern überlegenen Qualität zu entwickeln. Diese Schwäche führte objektiv zur Deformation des Sozialismus, zu dem sich die Träger der gesellschaftlichen Veränderung, die Arbeiterklasse, mehrheitlich distanziert verhielten. Eine reale, lebendige Demokratie mit einer neuen Qualität, in der die Werktätigen über ihre Angelegenheiten individuell und kollektiv tatsächlich und nicht nur formal entscheiden, kam so nicht zustande. Die historischen Ursachen, in Bezug auf die DDR, wurden ansatzweise beschrieben. In modifizierter Form sind sie auch auf alle anderen sozialistischen Länder übertragbar. Da es der SED, wie allen anderen sozialistischen/kommunistischen Parteien, nicht möglich war grundlegende Reformen bei der Entwicklung der Produktivkräfte und der Gesellschaftsgestaltung durchzuführen, war die Niederlage auf Dauer unvermeidbar.

Rosa Luxemburg war es, die die Ziele und Werte der kommunistischen Bewegung formulierte: "Freiheit ohne Gleichheit ist Ausbeutung. Gleichheit ohne Freiheit ist Unterdrückung. Ohne Sozialismus keine Demokratie und ohne Demokratie kein Sozialismus".

Dieses Postulat muss für Kommunisten in Zukunft uneingeschränkte Gültigkeit haben. Ohne die schöpferische, demokratische Mitwirkung der entscheidenden Klasse wird es keinen Sozialismus geben. Das muss als Lehre aus dem ersten großen Menschheitsversuch die Ausbeutergesellschaften zu überwinden gezogen werden. Aber auch das hat nach wie vor Gültigkeit: die Aufhebung des Widerspruchs zwischen der formalen Demokratie und der wirklichen, sozialen Demokratie bedeutet die Aufhebung der bürgerlichen Gesellschaft. Das wird sich diese nicht ohne aggressiven Widerstand gefallen lassen. Es wird eine Revolution erforderlich sein. Eine Revolution, nach der eine Merkel und Co. nicht mehr triumphieren dürften.


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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 167, Frühjahr 2010, S. 4-7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2010