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ARBEITERSTIMME/209: Studentenproteste im Herbst 2009


Arbeiterstimme, Frühjahr 2010, Nr. 167
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Studentenproteste im Herbst 2009

"Audimaxismus" gegen Ökonomisierung


Im Herbst und Winter 2009 fanden die seit Jahrzehnten größten Studierendenproteste in Deutschland, in Österreich und der Schweiz statt. Sie richteten sich gegen die Studiengebühren, gegen die Bolognareform und die Hochschulgesetzgebung. Aber sie waren Ausdruck gegen einen Trend, der alle gesellschaftlichen Bereiche betrifft: Die Ökonomisierung sämtlicher Lebensbereiche.


Am 9. Dezember 2009 veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung ein großes Porträt von Professor Wolfgang Herrmann. Der Chef der Technischen Universität München (TUM) oder "Der unternehmerischen Universität" - so ihr vielsagender Slogan - war mit viel Text und einem großen Foto bedacht worden, das ihn jovial und gönnerhaft auf einen Flügel gestützt zeigte. Grund dieser ungewöhnlich intensiven Würdigung der SZ: Das CSU-Mitglied Herrmann war am Vortag mit dem Titel des "Hochschulmanagers des Jahres", geehrt und damit zum Sieger in einem Wettbewerb gekürt worden, der regelmäßig von der Financial Times Deutschland ausgelobt wird. Diese zweifelhafte Auszeichnung wird jenem Uni-Chef zugedacht, dem es am besten gelungen ist, seine Institution nach neoliberalen Kriterien zu einem "Unternehmen" umzubauen.

Die Zeitungsseite war damit auch fast schon gefüllt, Platz blieb nur noch für eine Spalte, in der ein resignierter Bernd Huber, Chef der anderen großen Münchner Exzellenzuniversität, seiner Enttäuschung darüber Ausdruck verlieh, dass die Audimax-Besetzer das Angebot der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) abgelehnt hatten.

Die Studierenden hatten den größten Hörsaal der LMU am 11. November besetzt, um ihren Protest gegen die unzumutbaren Studienbedingungen in den im Zuge des sogenannten Bolognaprozesses eingeführten Bachelor- und Masterstudiengängen und gegen die Studiengebühren zu unterstreichen.

Ein Rückblick: Bereits im Sommer vergangenen Jahres kam es zu vereinzelten Protestkundgebungen; im Oktober war dann die Besetzung des Audimax der Universität Wien am 22. Oktober Fanal eines "heißen Herbstes": Die Proteste der Studierenden breiteten sich in ganz Österreich, in Deutschland und schließlich in der Schweiz aus. Nahezu an jeder Hochschule kam es zu Besetzungen und Protesten; in Frankfurt wurde das besetzte "Casino" der Universität gewaltsam von der Polizei geräumt. Es gab Verletzte und schlechte Presse, die Hochschulleitung um Werner Müller-Esterl stellte Strafanzeige gegen die Studierenden. Besetzungen über längere Zeit gab es unter anderem auch an den Universitäten in Tübingen, Heidelberg, Berlin, Hamburg oder Göttingen.

Am längsten harrten die Studierenden in Bayern und vor allem an der LMU aus: Erst am 28. Dezember wurden die letzten 20 Besetzter - darunter allerdings nur sieben Studenten - gewaltlos von der Polizei aus dem Audimax geführt: Das vergleichsweise weitreichende Angebot der Unileitung um Bernd Huber, das unter anderem die sofortige Bereitstellung von Mitteln aus der Körperschaft in Höhe von 500.000 Euro zur Verbesserung der Lehrsituation, die Einführung einer verfassten Studierendenschaft auf Basis einer Erprobungsklausel sowie umfassende Nachbesserungen bei den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen vorsah, lehnten die Besetzer ab und entschieden sich, das Audimax weiter besetzt zu halten. Ihr Argument: Die LMU sei nicht nur "Exzellenzuniversität", sondern durch die Aktionen der Weißen Rose im Dritten Reich auch ein Ort und damit Symbol des gewaltlosen Widerstandes. Die Studierendenvertretung der LMU war zwar gewillt, mit der Hochschulleitung zu reden, jedoch wurden sie im Plenum, dem auch Studierende von anderen Hochschulen sowie Schüler angehörten, überstimmt. Das war vermutlich ein Fehler: Man hätte einem Dialog mit der Hochschulleitung, zustimmen sollen - die ihrerseits natürlich nur Angebote auf Basis ihrer Möglichkeiten machen konnte - um den Protest daraufhin in andere Institutionen zu tragen: ins Wissenschaftsministerium etwa, wo erst im vergangenen Jahr der hochschulpolitische Dilettantismus in Gestalt des Zahnarztes Wolfgang Heubisch (FDP) Einkehr gehalten hat. Oder eben an die TUM, die wie keine zweite Hochschule in Bayern ebenfalls großen Symbolcharakter hat - nämlich für die Umwandlung von Universitäten in Unternehmen und damit für die Ökonomisierung von Bildung und Forschung - übrigens ein zentraler Aspekt der Proteste. Die TUM blieb jedoch von den Protesten nahezu unbehelligt. Mit ihrer Besetzung hätte die mediale Aufmerksamkeit, die auf dem Höhepunkt der Proteste intensiv und überwiegend wohlwollend war, möglicherweise hochgehalten werden können. Nach Ablehnung des Angebots kurz vor den Feiertagen kippte die Stimmung in den Medien gegen die Studierenden, diese wurden unter anderem der mangelnden Dialogbereitschaft beschuldigt. So resümierte nach der Räumung der LMU auch der Sprecher der Landes-ASten-Konferenz, Malte Pennekamp, im Münchner Merkur: "Mit der Räumung des Audimax der LMU haben die Besetzungen in Bayern - vorläufig - ein sehr unrühmliches Ende gefunden". Ob sie im neuen Jahr noch einmal an Fahrt gewinnen, bleibt abzuwarten - schließlich wird jetzt nicht protestiert, sondern intensiv für Prüfungen gelernt, denn der Zeitdruck, zumal in den neuen Studiengängen, ist enorm.

Diese Studiengänge standen denn auch im Fokus des Bildungsstreiks - neben anderen Punkten und Forderungen, wie Studiengebühren oder den Änderungen des Hochschulgesetzes, die dem Primat der Wirtschaft ein stärkeres Gewicht an den Universitäten in Bayern einräumen. An dieser Stelle lohnt es sich, noch einmal den größten "Stein des Anstoßes", nämlich den sogenannten Bolognaprozess in den Blick zu nehmen.


Bildung in Zeiten von Bologna

Der Bolognaprozess, den man in Hinblick auf seine Zielsetzung zum gegenwärtigen Zeitpunkt größtenteils als gescheitert betrachten darf, gilt als eine der umfassendsten Hochschulreformen in Deutschland und Europa. 1999 wurde er in der gleichnamigen italienischen Universitätsstadt auf den Weg gebracht. Damals trafen sich dort die Bildungsminister von 29 europäischen Staaten mit dem Ziel, einen "einheitlichen europäischen Hochschulraum" zu schaffen. Kernforderung: ein zweistufiges System von international kompatiblen und in Struktur und Qualität vergleichbaren Studienabschlüssen auf Basis von Bachelor- und Masterstudiengängen, die nach einem europaweit einheitlichen Punktesystem, dem sogenannten ECT-System (European Credit Transfer System) bewertet werden. Für Deutschland hieß das die sukzessive Abschaffung der alten - durchaus bewährten - Magister- und Diplomstudiengänge zugunsten der stark verschulten, weil modularisierten Bachelor- und Masterstudiengänge innerhalb einer Dekade, denn die erste Phase des Prozesses mit der Etablierung von Bachelorangeboten soll 2010 abgeschlossen sein.

Mittlerweile können sich Abiturientinnen und Abiturienten an Universitäten und Fachhochschulen hierzulande nur mehr für die neuen Bachelor-Studiengänge bewerben - Einschreibungen in den alten sind seit dem Wintersemester 2009/2010 nicht mehr möglich. Damit hat Deutschland punktgenau den Prozess erfüllt - mit verheerenden Folgen, die selbst von "Experten" des politischen Establishments nicht bestritten werden: So sprach die Ministerin Schavan verniedlichend von "handwerklichen Fehlern", die sie natürlich sofort an die Unis delegierte. Dagegen fällt ein im Februar dieses Jahres vorgelegtes Gutachten der aus Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlern bestehenden Expertenkommission EFI, die seit 2006 die Bundesregierung in Sachen Innovationen, Wissenschaft und Forschung berät, in puncto Bologna deutlich ernüchternder aus: Eine Hoffnung, die sich Deutschland mit der Bolognareform verband, war die Senkung der Studienabbrecherzahlen und die Neugestaltung der Curricula. Dieses Ziel wurde nicht erreicht: Weder wurden die bestehenden Studieninhalte geändert, sondern in erster Linie nur auf sechs Semester - so lange soll das "berufsqualifizierende" Bachelorstudium dauern - heruntergebrochen, ergo die Studienpläne entsprechend überfrachtet. Noch wurden die Abbrecherzahlen signifikant gesenkt. Auch die Erwartung, Kinder aus finanziell schlechter gestellten Elternhäusern würden sich vermehrt für die deutlich kürzeren Studiengänge erwärmen, ist nicht erfüllt worden. Und vor allem wurde ein wichtiges Ziel bisher nicht erreicht: Die viel beschworene Mobilität der Studierenden, an Universitäten im Ausland zu studieren. Vielmehr, so die EFI-Studie, sinken der Anteil sowie die absolute Zahl der [im Ausland Studierenden] seit 2002 kontinuierlich. Auch die Hochschulinformationssysteme GmbH in Hannover - ein halbstaatliches Beratungs- und Softwareunternehmen für Hochschulen - hat in einer 2009 durchgeführten Studie die Mobilität deutscher Studierender untersucht: im Gegensatz zu rund 49 Prozent Magister-Studierender, die im vergangenen Jahr im Ausland studierten und immerhin 35 Prozent bei den Diplomstudiengängen, verbrachten nur 15 Prozent der Bachelorstudenten an Universitäten im Ausland. Selbst wenn man berücksichtigt, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung die Studiengänge nicht vollständig umgestellt waren, weist der Trend in Richtung Abnahme der Mobilität. Wie soll sie auch steigen, wenn der Studienplan kaum Zeit mehr lässt, Erfahrungen außerhalb der Heimatuniversität zu sammeln? Insgesamt sind am Ende des sechssemestrigen Bachelor-Studiums 180 ECTS-Punkte vorzuweisen, also 30 pro Semester. Der Aufwand hierfür ist etwa vergleichbar mit einer 40-Stundenwoche bei sechs Wochen Urlaub. Wir reden hier also, wie es in einer Broschüre über das Bachelorstudium an der LMU heißt, von einem "akademischen Fulltime-Job" für drei Jahre. Die früheren Studiengänge ließen genügend Freiraum für ein Auslandssemester, die Arbeit neben dem Studium, und nicht zuletzt für die Nutzung von Weiterbildungs- oder Hochschulsportangeboten.

65 Prozent aller Studierenden arbeiten neben dem Studium, rund ein Drittel von ihnen muss es, da sie sonst nicht studieren könnten. Und dies besonders in Städten wie München, Stuttgart, Köln oder Düsseldorf, die mit ihren vergleichsweise hohen Lebenshaltungskosten das Studium zu einer echten finanziellen Herausforderung machen, welche durch die in den meisten Bundesländern übliche Erhebung von Studiengebühren zusätzlich verschärft wird. Zeitlich gespart werden muss aufgrund der eng getakteten Studienstruktur demnach an anderer Stelle, zum Beispiel beim Hochschulsport, der verschiedene Freizeitangebote bereithält. Bislang hat niemand die Auswirkungen der Reform für diese sekundären, aber nichtsdestoweniger wichtigen Rekreationsangebote rund um das Studium untersucht; Angebote, die sich früher eines regen Zulaufs erfreuten. Mittlerweile kann man sich jedoch bei der Bewerbung für einen früher sehr schnell ausgebuchten Segeljollenkurs auf dem Starnberger See Zeit lassen, denn bis kurz vor Beginn sind immer noch Plätze frei. Während die studentischen Freizeitangebote unter mangelnder Nachfrage leiden - und vielleicht auch Konsequenzen für die in den Einrichtungen Beschäftigten zeitigen - genießen andere Einrichtungen im Verlauf der Einführung der neuen Studiengänge regen Zulauf, nämlich die psychosozialen Beratungsstellen der Studentenwerke: Stellvertretend lohnt wieder ein Blick auf München, wo die Beratungsleistung signifikant zugenommen hat - von rund 66.000 Ratsuchenden 2007 auf etwa 80.000 im Jahr 2008 - eine Steigerung von rund einem Fünftel. Und dabei kann man für München die finanzielle Belastungskomponente weitgehend unberücksichtigt lassen, da nach einer Befragung des Studentenwerks rund 90 Prozent der Studierenden aus reichen oder halbwegs solventen Elternhäusern kommen. Das Studentenwerk führt diesen Anstieg der Ratsuchenden übrigens dezidiert auf die erheblich gewachsenen Belastungen bei den neuen Bachelor-Studiengängen zurück. Ziel des Bolognaprozesses ist die den Bedürfnissen der Wirtschaft angepasste Verkürzung der Studienzeiten und der frühere Berufseintritt, also eine im Neusprech des Kapitals effizientere "Humankapitalproduktion". Der Bamberger Soziologe Richard Münch, der sich in verschiedenen Publikationen kritisch mit dem Bolognaprozess auseinandergesetzt hat, bringt dessen Ausrichtung auf den Punkt:

"Der Bologna-Prozess propagiert eine generalisierbare Ausbildung, die soziale Inklusion des Individuums wird in der transnationalen Wissensgesellschaft nicht mehr durch die Zugehörigkeit zu Familie und Berufsgruppe und entsprechende verbandliche oder gewerkschaftliche Organisation gewährleistet, sondern durch seine individuelle Behauptung auf dem Arbeitsmarkt".

Demnach ist denn auch der ganze Prozess darauf ausgerichtet, akademische Bildung in Europa nicht länger als eine Art kollektives Gut der Gesellschaft verfügbar, sondern es zu einem Individualgut zu machen bzw., ihm gleichsam den Warencharakter aufzuzwängen: Nach dieser Logik sind die ECTS-Punkte auch - wie der Euro - eine "Währung", nach der Bildungsleistungen innerhalb des europäischen "Hochschulraums" gehandelt werden können. Jedenfalls theoretisch, denn die gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen ist - auch nach der EFI-Studie - nach wie vor Zukunftsmusik.

Im Bachelorstudium sollen - hier weicht die Realität allerdings vom Wunschdenken ab - standardisierte Kompetenzen vermittelt werden, die international vergleichbar Türen zum "reichhaltigen" Arbeitsmarkt innerhalb der EU und darüber hinaus öffnen.

Nur einem kleinen Teil der Bachelorabsolventen - nach Schätzungen etwa 20 Prozent - soll die andere Tür in die vertiefenden Masterstudiengänge offen stehen, die auf den Bachelor aufbauend in etwa dem Äquivalent des früheren Magister- oder Diplomstudiums entsprechen. Diese 20 Prozent werden vor allem jene sein, die sich die (bis dahin wahrscheinlich deutlich angehobenen) Studiengebühren leisten können: Für die Habenichtse bleibt, wenn überhaupt, nur der Bachelor und damit das, was Wolfgang Lieb, Staatssekretär im NRW-Wissenschaftsministerium, den "zertifizierten Studienabbruch" nennt.


New Public Management

Flankiert wird der größte Umbau der deutschen Hochschullandschaft durch die Einführung des sogenannten New Public Managements, kurz NPM, also der Übernahme privatwirtschaftlicher Managementpraktiken im öffentlichen Sektor und damit auch an den Hochschulen. Hier zeigt sich ein weiteres Instrument der Ausrichtung von Hochschulen nach marktwirtschaftlichem Vorbild. An die Stelle der freien Forschung treten Zielvereinbarungen mit Erfolgskontrolle, die über Zuteilung von Mitteln entscheiden. Folgen sind unter anderem die Entprofessionalisierung von Professoren und die Etablierung einer Auditgesellschaft, in der die wissenschaftliche Tätigkeit von Berichtspflicht an die Hochschulleitung und ständige Evaluationen strapaziert wird. In Bayern wie auch in anderen Bundesländern wird die Einführung von NPM durch die Änderungen des Hochschulgesetzes im Jahr 2006 signalisiert. Kerninhalte der Novelle: Entmachtung der universitätsinternen Gremien zugunsten von Hochschulleitung und Hochschulrat. Letzterer, Gremien zugunsten von Hochschulleitung und Hochschulrat. Letzterer, früher vor allem Beratungsgremium der Hochschulleitung, verabschiedet nun laut Hochschulgesetz, Artikel 26, als Aufsichtsorgan nicht nur die Grundordnung einer Universität und wählt das Präsidium. Er beschließt unter anderem auch "über den von der Erweiterten Hochschulleitung aufgestellten Entwicklungsplan der Hochschule", "über (...) Vorschläge zur Gliederung der Hochschule in Fakultäten" oder "über die Einrichtung, Änderung und Aufhebung von Studiengängen". (Dass gerade bei letzterem die geisteswissenschaftlichen Fächer lang- oder sogar mittelfristig den Kürzeren ziehen, da sie in der Regel keine unmittelbar ökonomisch nutzbaren und renditeträchtigen Ergebnisse hervorbringen, liegt auf der Hand.)

Die Namen der externen Mitglieder des Hochschulrats, zu dem auch acht Mitglieder des akademischen Senats gehören, liest sich wie das Who-is-Who der neoliberalen Elite: Mitglieder des Hochschulrats der TUM sind unter anderem Susanne Klatten/Altana AG, Norbert Reithofer/BMW-Vorstandsvorsitzender oder Otto Wiesheu/Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn.

Der Hochschulratsvorsitzende der LMU ist Nikolaus von Bomhard, Vorstandsvorsitzender der Münchener Rück AG, zu seinen Mitgliedern gehört unter anderem der Unternehmensberater Roland Berger. Bei anderen Universitäten ist es eine ähnlich illustre Gesellschaft, vielleicht etwas regionaleren Zuschnitts.

Die Ökonomisierung - an den Hochschulen in Form des Bolognaprozesses oder NPM - durchdringt diese genau wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche: Schulen, die öffentliche Verwaltung, öffentliche Versorgungsleistungen etc. Diese Entwicklung wird an den Hochschulen absehbar zu einer, wie Pierre Bourdieu es nennt, "Untergrabung des intellektuellen Feldes" und damit zu einer Erodierung wissenschaftlicher Vielfalt in Forschung und Lehre führen. Diesem Trend entgegenzusteuern hatten sich die Protestierenden auf die Fahnen geschrieben und es ist sehr zu hoffen, dass sie aus möglichen Fehlern gelernt haben und sich im kommenden Semester erneut mobilisieren können, um gegen diese Bildungspolitik mit aller Vehemenz anzugehen. Sie haben es angekündigt, aber leicht wird es nicht, denn klar ist, dass sich ein Graben durch die Reihen der Studierenden zieht, dass die überbordende Medienberichterstattung von den Protesten ein schiefes Bild erzeugt hat: Die Protestierenden wurden aktiv nur von einem Bruchteil der Studierenden unterstützt und teilweise sogar durch angehende Betriebswirte, Juristen oder Burschenschaftler als künftige Exponenten der Hochschuldemontage attackiert. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber man schätzt den Anteil der wirklich in die Proteste und Streiks involvierten Studierenden und auch Schüler auf zehn Prozent. Die anderen funktionieren bereits in dem neuen System und sehen zu, dass sie sich schnellstmöglich durch den überfrachteten Bachelor quälen. Bis jetzt hat sich von den von Politik und Hochschulen versprochenen Änderungen bei den neuen Studiengängen so gut wie nichts getan; hier und da wurde vielleicht die Regelungsdichte etc entschärft etc. Ändern an dem Trend der verflachenden Ökonomisierung wird es nichts. Zu hoffen bleibt, dass die kritischen Studierenden ihre Proteste wieder aufnehmen und sich nicht entmutigen lassen, diesen Entwicklungen entgegenzutreten und das sie den Protest vor allem auch in andere gesellschaftliche Bereiche hineintragen. Denn eines ist klar: Der Umbau der Gesellschaft betrifft alle.


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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 167, Frühjahr 2010, S. 8-11
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2010