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ARBEITERSTIMME/246: Nordkorea - Die gefrorene Revolution, Teil 1


Arbeiterstimme, Frühjahr 2012, Nr. 175
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Nordkorea

Die gefrorene Revolution - Teil I



Nach dem 17. Dezember 2011 rückte das Land erneut in die Schlagzeilen der Weltmedien: Kim Jong-il war gestorben, angeblich unbemerkt von US- und südkoreanischen Geheimdiensten. Der "geliebte Führer", so eine der offiziellen Anredeformen für Kim Jong-il, war einem Herzinfarkt erlegen, genauso wie sein Vater Kim Il-sung.

"Koreas eiskalte Sonne", wie die Süddeutsche Zeitung im Überschwang der Metaphern titelte, diente im Westen als eines der letzten und besonders bizarren Beispiele kommunistischer Herrschaft, das in der Lage war, sämtliche Abwehr- und Aggressionsmechanismen auf seine Person zu ziehen. Seinen Namen ohne den Zusatz "Diktator", ohne den Hinweis auf die "Dynastie" zu erwähnen, war nicht möglich, schien selbsterklärend zu sein.

Alle Kim-, Kommunismus-, Diktatur- und Ostasienexperten, die sich um den Jahreswechsel herum auftreiben ließen, durften ihre sehr dürftigen Expertenmeinungen über die Zukunft Nordkoreas zum besten geben, Spekulationen konnten und sollten ins Kraut schießen, denn schließlich habe man es mit dem abgeschlossensten Land der Erde zu tun, fremd und unberechenbar.

Nach längerer Beschäftigung mit den Unabhängigkeits- und Entwicklungsprozessen in Ostasien wollte ich mir letztes Jahr ein eigenes Bild von diesem Land machen und bin im August nach Nordkorea gereist. Ich wollte nicht als neuer "Experte" zurückkehren und bin es auch nicht. Deshalb sollen die folgenden Ausführungen nicht so gelesen werden, dass das Land "erklärt" wird. Ich werde Ausgangsbedingungen und Entwicklungen in Nordkorea darlegen und will damit die These, die in der Überschrift liegt, beweisen.

Nordkorea ist weltpolitisch ein Zwerg, wenn man Größe und Einwohnerzahl als Maßstab nimmt: so groß wie Griechenland, eine Bevölkerungszahl, 24 Millionen, etwa wie Rumänien. In Südkorea lebt mehr als die doppelte Anzahl von Menschen. Kennzahlen aus dem sozial- und gesellschaftspolitischen Sektor gleichen partiell denen aus entwickelten Industrieländern: die Bevölkerungsentwicklung des letzten Jahrzehnts entspricht derjenigen Italiens, die Alphabetisierungsrate und der Zugang zu sauberem Trinkwasser liegen bei (fast) 100 % der Bevölkerung. Die Gesundheitsfürsorge, die kostenfrei ist (die mögliche Qualität dieser Fürsorge ist freilich ein ganz anderes Thema!), eine elfjährige Schul- und Ausbildungspflicht für alle Jugendlichen sichert und übertrifft Lebensverhältnisse, die auch in höher entwickelten Ländern der Peripherie (Kasachstan, Philippinen, Dominikanische Republik oder die palästinensischen Gebiete) anzutreffen sind. Nebenbei: das Land mit dem Glücksfaktor im Sozialprodukt, das so gerne zitierte, friedfertige Bhutan, weist eine Kindersterblichkeitsrate auf, die zweieinhalb Mal höher ist als die nordkoreanische. Soweit zum Thema der selektiven Wahrnehmung.

Nach den Wirtschaftsdaten aber erscheint Nordkorea als ein typisches Land aus den ärmsten Regionen der Erde. Das Inlandsprodukt entsprach 2009‍ ‍dem der Elfenbeinküste und die, selbst unter diesen Bedingungen, bescheidenen Außenhandelszahlen machen das Land in der Tat sehr speziell.

Nicht zu vergessen: Nordkorea verfügt über eine der personell stärksten Armeen der Welt, ca. 1 Million Menschen unter Waffen, mit hoher konventioneller Feuerkraft und den Testläufen der Atombombenzündungen in den Jahren 2006 und 2009. Darauf wird noch einzugehen sein.


Die Teilung Koreas

Die koreanische Halbinsel stand in historischer Zeit beständig unter fremdem Einfluss. Dies gilt für die Feudal(teil)reiche vor 2000 Jahren unter chinesischer Dominanz ebenso wie für die japanischen Ansprüche auf das Land in der Neuzeit. Gelang es zeitweise, Ansprüche von außen zurückzudrängen, versuchte man sich möglichst umfassend abzuschotten. Auch die ersten europäischen "Entdecker" des 17. Jahrhunderts wurden viele Jahre gefangengenommen.

Schließlich erzwangen die europäischen Kolonialmächte, die USA und nicht zuletzt Japan eine Öffnung des Landes über seine Hafenstädte. Das alte koreanische Choson-Reich war nach zähen Abwehrkämpfen, feudalistisch dominiert, korrupt und antimodern, wie es war, zusammengestürzt. Nach wenigen Jahren Besetzung annektierte Japan 1910 das Land, plünderte es aus, verschleppte seine Menschen, verbot seine Kultur, seine Schrift und Sprache.

Diese höchste Demütigung rief vielerlei Gegenkräfte mit vielerlei Motiven in Korea hervor, die unter dem Signum des antijapanischen Kampfes vereint waren. Kim Il-sungs Familie, eine mittlere Bauernfamilie mit dem christlichen Hintergrund der Mutter, war Teil dieses nationalen Widerstandes und musste kurz nach Kims Geburt nach Norden, in die Mandschurei, ausweichen.

Die nordkoreanische Geschichtsschreibung weiß von zahlreichen theoretischen wie militärpraktischen Heldentaten des jungen Kim Il-sung zu berichten, welche seine Führerschaft von Anbeginn an legitimieren sollen.

De facto ist etwas weniger bekannt: Als begabter Nachwuchskader, der in den 1930er Jahren dem japanischen Druck auf die Mandschurei auswich, kam er in den fernen Osten der Sowjetunion, wurde dort militärisch und strategisch ausgebildet und zählte zu der kleineren Gruppe koreanischer Sowjetsoldaten, die 1945 mit der Roten Armee den Norden Koreas besetzten. Der Süden war nach der Kapitulation Japans von den USA okkupiert worden. Der 38. Breitengrad bildete die Scheidelinie zwischen den unterschiedlichen Kräften Koreas, zwischen bäuerlichen und intellektuellen Schichten und einer Arbeiterklasse in ihren Anfängen im Norden, die für Bodenreform, Vergesellschaftung von Industrie und nationale Befreiung standen und den Begünstigten japanischer Entwicklungspolitik, den politisch Privilegierten, den Mittel- und Großgrundbesitzern sowie religiös Gebundenen im Süden, die eine Staatsgründung unter Beibehaltung der überkommenen sozialen Ordnung vorzogen. Der 38. Breitengrad trennte aber auch die inzwischen feindlichen Alliierten des Zweiten Weltkrieges.

Die Teilung hat also einerseits Ähnlichkeiten mit der deutschen, weist andererseits aber einen entscheidenden Unterschied auf: es wird kein Aggressor und Kriegsverlierer geteilt, sondern ein zuvor besetztes und geschundenes Land, das harte Opfer für seine Befreiung gebracht hat und jetzt zwischen den neuen Supermächten zum Spielball zu werden droht.

Die Sicherung der Macht schien in beiden Teilen Koreas nach dem europäischen Muster zu funktionieren. Im Süden brachten die USA einen ihnen genehmen Präsidenten, Rhee Syng-man, gleich mit, die Widerstandsbewegungen gegen Japan wurden in die Neubildung einer Regierung nicht einbezogen. Erbitterte Kämpfe um die Macht, die Flucht der antijapanischen, jetzt antiamerikanischen Verlierer dieser Auseinandersetzungen und die Festsetzung Hunderttausender von Gegnern, Sympathisanten und Denunzierten in Internierungslagern waren die Folge. Aus dem Norden setzten sich dagegen diejenigen ab, die dort die brachiale Einigungspolitik ablehnten, für die ab Oktober 1945 verstärkt der Name Kim Il-sung stand.

Die ungeheure Härte dieser Auseinandersetzungen, die einen 40 Jahre währenden Widerstand nahtlos fortsetzten, ist der Schlüssel zum Verständnis der Gewaltorgien im ersten Kriegsjahr 1950/51.

Kim vertrat nach 1945 eine Minderheitengruppe innerhalb derjenigen Kräfte, die den sozialistischen Umbau der Gesellschaft anstrebten: er entstammte weder dem nord- oder südkoreanischen Untergrund noch gehörte er zu den zurückkehrenden Kämpfern aus der Mandschurei, die eben noch gegen Japaner und für die nachrückenden Truppen Maos Krieg führten. Er führte die kleine Gruppe Koreaner aus der Sowjetunion, die z.T. seit Generationen im russischen Fernen Osten lebten, also eher russisch sozialisiert waren und fast durchgehend in der Roten Armee Dienst taten. Aber hinter Kim stand die sozialistische Siegermacht des Weltkrieges.

Und diesen Vorteil spielte er ohne zu zögern aus. Die politischen Entscheidungsorgane wurden noch 1945 im "Administrativbüro der fünf Provinzen" zentralisiert, aus dem über Zwischenschritte bis 1948 die Oberste Volksversammlung hervorging. Am 8. September 1948 wird Kim Il-sung Präsident, am Folgetag wird die "Demokratische Volksrepublik Korea" proklamiert.

Ursprünglich vorgesehene gemeinsame Wahlen, die Voraussetzung für eine einheitliche Regierung Koreas, waren wegen der de facto-Besetzung beider Landesteile unmöglich geworden.

Von der Nutzlosigkeit historischer Spekulationen abgesehen, wären die gesamtkoreanischen Wahlaussichten für Kim und die Kommunistische Partei Nordkoreas, der Vereinigung der Parteigruppen aller fünf Nordprovinzen im Jahr 1946, nicht so schlecht gewesen, über Koalitionen von Parteien aus beiden Landesteilen eine linke Regierung zu bilden. Nur stand diese Art der Regierungsbildung nicht auf der Tagesordnung. Aus verschiedenen Ursachen heraus spielten die Pläne der jeweiligen Machthaber einander in die Hände.

Gewählt wurde also strikt getrennt, der Süden rief unter amerikanischer Aufsicht seinen eigenen Staat aus, bevor der Norden nur mehr reagieren konnte. Interessant zu sehen ist, dass die Durchsetzung der jeweils herrschenden Verhältnisse auf beiden Seiten gelang, während/obwohl die Besatzungsmächte ihre Truppen abzogen.


Die Konsolidierung der Macht

Es müssen sich in der "Partei der Arbeit Koreas" (so heißt die Partei nach mehreren Vereinigungen mit anderen Nord- und Südparteien seit Mitte 1949) enorme Machtkämpfe abgespielt haben, zieht man in Betracht, dass die dort vertretenen Gruppierungen unterschiedlichste Kampf- und Überlebenserfahrungen mitbrachten. Diese Konflikte wurden nach dem Muster von Linientreue und Abweichlertum ausgetragen. Aus den Ausgeschlossenen, den eigenen Weggefährten, wurden umgehend Feinde, die eliminiert werden mussten und damit aus dem kollektiven Gedächtnis der revolutionären Gesellschaft verbannt waren und bis heute bleiben.

Es griffe zu kurz und wäre deshalb falsch, wenn man bloß die Skrupellosigkeit und den Machtwillen Kims, samt dem Schutz der Sowjetunion, dafür verantwortlich machte, dass sich seine Linie, mehr noch: er persönlich, durchsetzte.

Er betrieb eine Politik, die mit Blick auf die Masse des Volkes sehr konsequent und sehr rasch die Weichen im Lande auf Sozialismus stellte. So erfolgten allein 1946 die Bestimmungen über eine Bodenreform und die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien, der Bodenschätze, von Fischerei und Forsten. Er wusste diese Erfolge bei zahlreichen öffentlichen Massenauftritten gebührend darzustellen und sich dafür feiern zu lassen.

Eine sozialistisch strukturierte Organisationsform, die sowohl die Ausrichtung auf Japan abschüttelte als auch die Übernahme der ökonomischen Macht durch eine noch in ihren Anfängen stehende, aber bereits vorhandene kapitalistische Klasse von Beginn an durchkreuzte, nutze der ganzen Nation. Die Überzeugung vertrat Kim Il-sung glaubwürdig, gewann damit die Unterstützung von Arbeitern, Bauern, Kleingewerbetreibenden. Die Revolution legitimierte sich zusätzlich durch den nationalen Befreiungskampf und Kim war in der kurzen Phase bis zur Ausrufung der Republik ihr Gesicht geworden. Alle potenziellen (und tatsächlichen) Gegner lassen sich mit einer Parteistruktur, die sich wegen der mehrfachen Vereinigungen ständig verändert, fraktionieren und schließlich isolieren.

Zu einer Gehorsamkeitsprobe gerät dabei die Ausrichtung auf die Person Kim Il-sung. Der Personenkult spiegelt zum einen reale Bedürfnisse zu dieser Zeit in Partei und Bevölkerung wider, zum anderen ist damit das definitive Ende der Diskussion um die richtige Linie der Partei verkündet. Jede Abweichung ist ab jetzt eine grundsätzliche, gegen den Erfolg der Volksrepublik gerichtete und wird mit den Mitteln des Widerstandes und des Krieges bekämpft.

Die euphorische Aufbauphase kann auf Verkehrswege, Eisenbahntrassen, Hafenanlagen und grundlegende industrielle Strukturen, welche in der Okkupationszeit geschaffen wurden, ohne lange Vorbereitungszeit zurückgreifen. Kohle und andere Bodenschätze werden gefördert und verarbeitet, während gleichzeitig im Süden Koreas der von US-Gnaden regierende Rhee Syng-man, seines Zeichens jahrzehntelanger Präsident einer in den USA sitzenden Exilregierung, der sein Reservistendasein gegen eine wirkliche Präsidentschaft eintauschen durfte, mit brutalen Unterdrückungs- und Säuberungsmethoden das Land "kommunistenfrei" macht. Stellvertretend dafür sei das Massaker auf der Insel Jeju genannt, bei dem 1948/49 auf der Jagd nach Gegnern 400‍ ‍Siedlungen vernichtet und zwischen 30.000 und 40.000 Bewohner getötet wurden, ein Viertel der Bevölkerung.

Nachdem die USA ihren Truppenbestand aus Südkorea abzogen, besser gesagt: ihre Kräfte nach Japan oder in die Nähe Taiwans verlegten, scheint die nationale Frage auf die Tagesordnung zurückzukehren. Kim Il-sung ist im Süden nicht mehrheitsfähig, aber Rhee ist es ohne schwerste Wahleingriffe und Unterdrückungsmaßnahmen auch nicht. Für die Flüchtlinge aus dem Süden, die der Verfolgung weichen mussten, die (südkoreanische) "Arbeiterpartei" ("Namrodang" mit Kims Gegenspieler Park Hun-young an der Spitze) war die Zeit für die Vereinigung gekommen. Kim Il-sung teilte diesen Standpunkt, nicht aber die gesamte Parteiführung.


Der Krieg

Kim Il-sungs Selbstsicherheit stieg in dem Maße, in dem sich die uneingeschränkte Anerkennung seiner Führung zum entscheidenden Kriterium der Zuverlässigkeit und Parteitreue durchsetzen ließ. Den Rüstungsauf- und -ausbau, auch mit schweren Waffen, hatte die UdSSR vorangetrieben und sich 1948 aus Nordkorea zurückgezogen. "Ihr Mann" war der Garant dafür, dass die sozialistische Umwälzung im Sinne der Sowjetunion entschieden weitergeht.

Kim spricht wohl bei Stalin wegen der Kriegsfrage vor, erhält aber kein rasches Einverständnis. Als er schließlich eine Unterstützungszusage bekommt, scheinen die Garantien nicht weitgehend zu sein. Im Krieg selbst werden Rotarmisten in der Luftwaffe eingesetzt und sind dem hemmungslosen Bombardement der US-Air Force ausgesetzt. Tapferkeit allein kann das Fiasko, die absolute Lufthoheit der USA, nicht verhindern.

Weder sowjetische Bodentruppen noch Marineeinheiten sind im Einsatz und auch mit der diplomatisch-politischen Unterstützung ist es nicht weit her. Unmittelbar nach Aufnahme der Kampfhandlungen, die mit dem 25.‍ ‍Juni 1950 datiert werden, ohne die vorhergegangenen schwersten gegenseitigen Provokationen und Überfälle zu berücksichtigen, tagt der UNO-Sicherheitsrat. Er stellt Nordkorea ein Rückzugsultimatum. Die Sowjetunion boykottiert zu dieser Zeit die UNO, die Taiwan als den legitimen chinesischen Vertreter anerkannt hatte, und kann (oder will) kein Veto einlegen.

Der diplomatische Sieg der USA geht so weit, dass weder die UdSSR noch die VR China sich mit regulären Truppen auf die Seite des Nordens stellen. Die USA sammeln mit diesem UNO-Beschluss in der Tasche die Zusagen der NATO-Staaten, pazifischer Anrainerstaaten und einiger weniger, politisch gebundener, "Exoten" ein, Kampftruppen und medizinisches Versorgungspersonal zu stellen. Mehr als 90 Prozent der ausländischen Militäreinheiten auf der Seite des Südens (und der Opfer unter diesen, ca. 50.000 Tote) waren US-Amerikaner. Parallelen zum Einsatz der "Koalition der Willigen" im Irak sind nicht zu übersehen.

Dass es zum Krieg kam, lag im Kalkül beider Seiten. Deshalb ist es müßig, nach einem Aggressor zu fragen. Aus Sicht des Nordens, also Kim Il-sungs, muss die historische Gelegenheit zur Vereinigung genutzt werden. Schließlich war auch die sozialistische Befreiung Chinas gelungen und die Kolonialmächte in der Region geraten mehr und mehr unter Druck (Indonesien, Vietnam). Der Sozialismus ist weltweit auf dem Vormarsch, warum soll ihn ein menschenverachtendes Satrapenregime im Süden aufhalten?

Rhee Syng-man dagegen lenkt von seinen innenpolitischen Problemen ab, die darin ihren Höhepunkt finden, dass sich die Schutzmacht einem für sie wichtigeren Schauplatz zuwendet und der US-Außenminister Anfang 1950‍ ‍Südkorea ausdrücklich aus seiner asiatischen "Verteidigungslinie" ausschließt. Um das Interesse der USA auf sich zu ziehen und damit seine Person und Position abzusichern, kalkuliert Rhee den Krieg in Korea ein.

Innerhalb eines Vierteljahres nehmen nordkoreanische Truppen den Süden bis auf das Gebiet um Busan ein, das zum militärischen Rückzugs- und Aufmarschraum ausgebaut wird. Dass die südkoreanische Armee kaum vorhanden und völlig unterbewaffnet gewesen sein soll, gehört in das Reich der Legenden. Auch dass die USA erst nach dem UNO-Beschluss in die Kampfhandlungen eingreifen, ist falsch. Von Anfang an lässt General MacArthur nordkoreanische Militäreinrichtungen, Truppenteile, Versorgungslinien, aber auch zivile Ziele, soweit das unterscheidbar ist, bombardieren, auch Napalm wird an den ersten Tagen des Krieges verwendet.

Die Truppen des Nordens dringen rasch vor, dies ist nicht nur ihrer militärischen Überlegenheit geschuldet, die von Beginn an fragil, weil nur auf kurze Zeit ausgerichtet, ist. Trotz offenkundiger Gräuel stößt der Vormarsch selten auf harten Widerstand. Südkoreanisches Militär weigert sich nicht selten, für ihr eigenes Regime und gegen die nationale Befreiung zu kämpfen und wird von eigenen Einheiten in den Kampf gezwungen. US-Militär räumt dazu "Widerstandsnester" im Süden, d.h. es kommt zu bis in die jüngste Vergangenheit hinein totgeschwiegenen Massakern und Kriegsverbrechen, von denen keines geahndet werden wird. Die südkoreanischen Machthaber organisieren Massenerschießungen von Regierungsgegnern und allen, die dafür gehalten werden. Die Inhaftierung zigtausender "Feinde der Demokratie" des Südens in Internierungslagern endet im Regelfall tödlich, bevor sie sich auf die Seite ihrer nahenden Befreier stellen können.

Im Gefolge der Nordtruppen kommen die vertriebenen Polit-Kader zurück, um die Verwaltung der eroberten Städte und Gebiete zu übernehmen. Das tun sie ohne Rücksichten, die "Revolution" verläuft als blutiger Rachefeldzug an ihren Peinigern und anderen "Verrätern". Eine Konsolidierung der sozialistischen Kräfte gelingt im Süden allerdings nirgendwo. Vergesellschaftung, gar kollektive und geplante Produktion können unter diesen Bedingungen nicht durchgesetzt werden. Das Interesse der Befreier in den "befreiten" Städten besteht allein darin, dem Feind keinerlei Ressourcen zu überlassen, eine Strategie der verbrannten Erde.

Diese "verbrannte Erde" ist flächendeckend wörtlich zu nehmen, was die US-Bombardements im Norden angeht. Bruce Cumings spricht (in Le Monde diplomatique, Dezember 2004) davon, dass seit Sommer 1950‍ ‍zwischen 600 und 800 Tonnen Bomben täglich(!) auf Nordkorea fallen und er beziffert die Verwendung von Napalm zwischen Juni und Oktober 1950 auf 3,3 Millionen Liter dieser gallertartigen, leicht entzündlichen Masse, die "lebende Fackeln" liefert. "In Korea wurden viel mehr Napalmbomben abgeworfen als in Vietnam, und ihre Wirkung war verheerender (...)" In dieser militärischen Vernichtungsaktion wird der Hass auf alles, was sich sozialistisch oder kommunistisch nennt, offenbar, auf die falsche, nicht US-gesteuerte Entkolonialisierung, auf Maos Sieg in China.

Die westliche Mär vom Koreakrieg geht gerne davon aus, dass die "kommunistische Flut" schon fast den gesamten Süden überschwemmt habe, der kurz vor Toresschluss doch noch befreit werden kann. Die Wahrheit ist dies nicht. Ende Juni, mit Kriegsbeginn also, greifen amerikanische und australische Truppen ein, zuerst mit schwerem Beschuss von der See aus und mit permanenten Luftangriffen auf Nordkorea. Eine Seeblockade tritt in Kraft.

Denn die schnelle Einnahme des Südens ist trügerisch, sie ist bloß Ausdruck der politischen wie moralischen Schwäche des dortigen Regimes. Gleichzeitig setzt die Mobilisierung neuer Truppen, neuer Soldaten ein, deren Motivation in der Verteidigung ihrer Familien und Heimat besteht, die Frage der Einheit und Unabhängigkeit unter Kim stiftet für die nachrückende Generation keinen Sinn mehr. Vorstoßende Einheiten des Nordens können wegen der Bombardierungen kaum mehr versorgt werden. Überfälle, Plünderungen eroberter Siedlungen und Tötung der Bevölkerung sind an der Tagesordnung und erzeugen tief sitzende Feindschaft. Der "Erfolg" des Nordens bildet den Anfang seines Scheiterns.

Die US-Landung an der Westküste, im Gebiet des heutigen Flughafens von Seoul und die unmittelbar darauf erfolgende Eroberung der Stadt nutzen die Schwäche des Nordens, um von zwei Seiten, dem Nordwesten und dem Südosten, herkommend die vorgedrungenen Heere in die Zange zu nehmen und zu vernichten. Die nordkoreanische Armee kann sich nicht mehr zurückziehen. Aus dieser Not resultiert ein Partisanenkrieg, der bis heute einen reichhaltigen Schatz fürchterlichster Gräueltaten darstellt, aus dem sich beide Propagandaseiten herzhaft bedienen.

Innerhalb von zwei bis drei Wochen(!) siegen die Süd- und US- (pro forma: UN-) Truppen und stoßen, begleitet vom propagandistischen Trommelfeuer der nach Seoul zurückkehrenden Rhee-Regierung, unverzüglich nach Norden vor. Das UNO-Mandat dafür wird ihnen, damit alles seine Richtigkeit hat, eine Woche später hinterhergeworfen. MacArthur, ein politischer General und glühender Kommunistenhasser, führt seine Invasionsarmee an einigen Stellen bis zum Fluss Yalu, also zur Nordgrenze, gegen China. Er phantasiert in aller Öffentlichkeit davon, das Rad der Geschichte in China zurückzudrehen. Damit trägt er wesentlich dazu bei, dass Mao, der diesen Krieg ablehnte, Hilfstruppen, "Freiwillige", aufstellen lässt, um Kim beizustehen. Der Umfang dieser Armee bleibt ebenso ungewiss und umstritten wie die anderen Größenordnungen dieses Krieges.

Eine amerikanische Vergleichsstudie der Opferzahlen kommt zum Ergebnis, dass zwischen 100.000 (seit kurzem gibt es die chinesische Zahl von 180.000), im Mittelwert 500.000 bis maximal 1,5 Millionen Chinesen in diesem Krieg starben. Die gesamte Opferbilanz schwankt demgemäß zwischen 3 und 5 Millionen Toten. Mindestens 10 Prozent der nordkoreanischen Bevölkerung, ob als Soldat oder als Zivilist zu Hause, werden ausgelöscht. Man stelle sich, mit dieser nie aufgearbeiteten Hypothek belastet nur kurz eine koreanische Vereinigung vor - ein absurder Gedanke.

Ein persönlicher Eindruck: auf der Fahrt von Dandong, einer Grenzstadt Chinas zu Korea, nach Shenyang, der Hauptstadt einer der drei mandschurischen Provinzen, sieht man in der Ferne in den Höhen über der Stadt ein Mahnmal, das an die chinesischen Opfer erinnert. Es ist von einer unvergleichlichen Größe und Eindrücklichkeit, die Zahl der Toten und Verwundeten wird dem entsprechen.

Das Kalkül eines raschen Sieges, der in aller Eile auch politisch umgemünzt werden kann, ein Triumph, bevor sich der Gegner formieren kann, geht für Kim Il-sung nicht auf. Daran ändert nicht, dass der Norden bis heute vom Sieg gegen die USA spricht.

Die Vollendung der nationalen Selbständigkeit, vergleichbar dem Abzug anderer Kolonialmächte in Asien, ist gescheitert und damit fehlt auch die Grundlage für die gesellschaftliche und politische Umwälzung.

Der Auftrag der koreanischen Revolution ist auf Eis gelegt, sie kann nicht auf den Süden ausstrahlen und, was wesentlich dramatischer ist, sie ist auch im Norden nicht lebens- und entwicklungsfähig, sie existiert allenfalls als Standbild. Außenwirkung und Erscheinungsbild dieses Landes, dieser Gesellschaft entsprechen seit Jahrzehnten einem historisch kurzen Moment der Loslösung von der Okkupationsmacht und der Errichtung der koreanischen Herrschaft im eigenen Land. Nordkorea fällt aus der Zeit.

Sinnbild dafür ist die Präsidentschaft eines Menschen, der seit fast 18‍ ‍Jahren tot ist. Demnächst wird ein zweiter Toter in die Führung aufgenommen werden, da ist dann nicht mehr viel Platz für die Lebenden. Aber ich möchte der weiteren Darstellung nicht vorgreifen und kehre kurz zum Koreakrieg zurück.

China setzt dem technisch weit überlegenen Militäreinsatz der USA die Größe seiner Freiwilligenarmee entgegen. Der Blutzoll für den Erfolg, die Invasionstruppen zu schlagen, ist enorm, auch ein Sohn Maos bezahlt den Einsatz mit seinem Leben. Die Truppen des Nordens und seines Verbündeten stoßen noch einmal für kurze Zeit über Seoul hinaus nach Süden vor, werden dann gestoppt und zum 38. Breitengrad zurückgetrieben. In diesem Zusammenhang droht Eisenhower den Chinesen mit einem Atomschlag.

Seit Juli 1951 verhandeln beide Seiten in Panmunjom, einem kleinen Ort bei Kaeseong, der historischen Hauptstadt des Reiches, um einen Waffenstillstand.

Währenddessen ist Nordkorea den Bombardierungen der USA schutzlos ausgesetzt, die, von der UNO abgesegnet, bis zum Waffenstillstandsabkommen 1953 fortgeführt werden. Fast alle Städte des Nordens sind danach zwischen 50 und 100 Prozent zerstört, alle Industrieanlagen, Infrastruktur, Stauseen. Der koreanische Reiseführer erzählt in Pyongyang, dass kein einziges Haus in der Stadt mehr gestanden sei. Das Land ist deindustrialisiert, die Menschen sind traumatisiert.

Konsequenterweise hätte Kim Il-sung das Kriegsende politisch, damit auch physisch, nicht überleben dürfen. Er trug die Verantwortung, er hatte den Krieg, gegen andere Meinungen in der Partei, durchgesetzt.

Es ist Zeit, offene Rechnungen zu begleichen. Aber es kommt anders.

(wird fortgesetzt)

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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 175, Frühjahr 2012, S. 9-14
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2012