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AUFBAU/203: Brandherde und staatliche Löschzüge


aufbau Nr. 55, November/Dezember 2008
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Brandherde und staatliche Löschzüge


Krise des Kapitalismus - Die Brandherde liegen an mehreren Stellen der kapitalistischen Wirtschaft. Wir beleuchten sie im Überblick. Ein spezieller Aspekt ist wahrscheinlich das Platzen einer kreditfinanzierten Konsumblase, ein Grund für die überraschenden keynesianistischen Löschversuche.


(gpw) Die aktuelle Krise des Kapitalismus ist ins dritte Stadium eingetreten. Der Beinahe-Kollaps der Finanzmärkte wirkt auf die mehrwertproduzierende Privatwirtschaft zurück. Doch gehen wir der Reihe nach. Wir sprechen von Krise des Kapitalismus, nicht weil er nächstens von selbst zusammenbrechen würde, sondern weil ihre Ursachen im Wesen dieser Produktionsweise liegen.

Eine erste Ursache haben wir in unserer Internetzeitung dargelegt (1): Der in der Privatwirtschaft erzeugte Wert inklusive Mehrwert muss die Geldform durchlaufen (s. Kasten). Dieser Tatsache verdanken die Banken und Börsen ihre Existenz. Als Agenten des Zirkulationsprozesses schaffen sie selbst zwar keinen Wert. Sie verwalten und zentralisieren das Geld und leiten es dorthin, wo am meisten Profite zu machen sind. Dafür schöpfen sie einen Teil des im Produktionsprozess erzeugten Mehrwerts ab.


Die Formel der kapitalistischen Reproduktion

Sie stellt die Kontinuität des kapitalistischen Produktions- und Akkumulationsprozesses dar

G - W < A + Pm - P...W' - G'

Der Geldwert G verwandelt sich in einen Warenwert W, bestehend aus Arbeitskraft A und Produktionsmitteln Pm. Diese gehen in den Produktionsprozess P .... ein, aus dem die neu produzierte Ware W' hervorgeht. W' muss verkauft werden, damit der Erlös G' für erneuten Kauf von Produktionsmitteln und Arbeitskraft zur Verfügung steht. Der produzierte Wert muss also die Geldform durchlaufen.

Der Schritt G - W heisst Investieren. In der Kapitalüberproduktionskrise wird dieser zum Engpass. Durch die Auswirkungen der Finanzkrise kommt aber das Geld schon gar nicht mehr dort an, um Löhne und Produktionsmittel zu bezahlen.

P ... bezeichnet den Produktionsprozess, wo die eigentliche Kapitalverwertung stattfindet. Deren Bedingungen verschlechtern sich ständig, so dass sich weitere Investitionen immer weniger lohnen.

Der Schritt W' - G' heisst Realisieren von Kapital, also Verkaufen der produzierten Waren. Das ist in den modernen Krisen normalerweise nicht das Hauptproblem. Gegenwärtig liegt hier aber ein spezieller Aspekt: Wegen des Platzens einer Konsumblase auf Pump kann es zu einer wahren Implosion der zahlungsfähigen Nachfrage kommen.



Gigantische Kartenhäuser

Eine zweite Ursache liegt darin, dass sich die Ausbeutungsbedingungen für das Kapital über die Jahrzehnte verschlechtern. Es muss immer mehr in Produktionsmittel investiert werden, um verhältnismässig immer weniger lebendige Arbeit ausbeuten zu können. Dadurch sinken die Profitraten. Zusätzliche Investitionen lohnen sich nicht und unterbleiben. Das ist das Wesen der Kapitalüberproduktionskrise.

Geldkapital, das nicht produktiv investiert werden kann, stürzt sich auf die Finanzmärkte, um dort Gewinne zu machen. Das führt zu grotesken Überbewertungen von Aktien. Neue Arten von "Wertpapieren" werden konstruiert, damit dieses Geldkapital höhere Gewinne oder wenigstens Zinsen abwirft. Neben den mit Hypotheken unterlegten Papieren, spielen jetzt die Credit Default Swaps (CDS) eine wichtige Rolle - siehe Kasten. Diese Kartenhäuser stürzen eines nach dem anderen zusammen. Das brachte zunächst Banken und Versicherungen an den finanziellen Abgrund (2).


Credit Default Swaps (CDS)

Mittels CDS wird der Ausfall von Krediten versichert. Es sind also Wetten auf pünktliche Verzinsung und Rückzahlung von Krediten, die in komplexe Wertpapiere verpackt und an Besitzer von anlagesuchendem Geldkapital weiter verkauft wurden. Diese erhalten die Versicherungsprämien in Form von Zinsen, solange es gut läuft. Ähnlich wie Staatsobligationen sind das also "papierne Duplikate von verausgabtem Geld", Geld, das z.B. für den Kauf eines Autos auf Pump ausgegeben wurde. Ist das Auto zu Tode gefahren und der Käufer nicht in der Lage, den Kredit zurückzuzahlen, ist der Gegenwert des CDS vernichtet. Darin widerspiegelt sich eine Blase von Krediten auf Konsumausgaben, die jetzt am Platzen ist. Das Gesamtvolumen der ausstehenden CDS wird auf 62 Billionen Dollar geschätzt, mehr als das vierfache BIP der USA! In dieser Summe ist allerdings nicht nur der Gegenwert der Konsumkredite, sondern auch der von Unternehmen, Banken, Private Equity, Hedge Funds oder der Staaten enthalten.



Staatliche Geldmaschinen

Im zweiten Stadium drohte deshalb die Gefahr, dass Banken und Börsen den Unternehmen kein Geldkapital mehr zur Verfügung stellen. G - W wäre blockiert, trotz den Billionen von überschüssigem Geldkapital. Die Notenbanken und Staaten sprangen deshalb mit gigantischen "Rettungspaketen" ein (3). Die neoliberalen Gesinnungstäter rufen den Staat. Sie hatten mit ihrer Politik der leeren Kassen die Lebens- und Arbeitsbedingungen der arbeitenden Klassen verschlechtert.

Diese sind gezwungen, Lebenskosten mit Krediten zu finanzieren. Vor allem in den USA förderten Kreditkarteninstitute, Autokonzerne und der Staat dies noch zusätzlich, so dass jetzt jeder Haushalt durchschnittlich 10000 $ Schulden hat.

Private Equity-Gesellschaften finanzierten grosse Firmenübernahmen mit 95 oder mehr Prozent gepumptem Geld. Hedge-Funds spekulierten z.B. mit Geld, das in Ländern mit niedrigen Zinsen geborgt und in Hochzinsländern angelegt wurde - sog. Carry trades. Diese Spiele sind vorbei.


Alter Wein in neuen Schläuchen

Im dritte Stadium setzt nun das Platzen der Kreditblase viele Unternehmen finanziell aufs Trockene. Die Folge sind Massenentlassungen und erhöhter Druck auf ihre verbleibenden Arbeitskräfte. Die Zahl der Firmenkonkurse steigt drastisch an. Profitable Investitionsmöglichkeiten werden noch seltener. Der Staat verdoppelt seine Schulden. Der Mindestzins der Pensionskassen wurde wegen des Börsencrashs gesenkt, die nächste Runde des Rentenklaus steht bevor, weil die zweite Säule die Renten vom Verlauf der Finanzmärkte abhängig macht. Die Konkurrenz unter den grossen Konzernen, die trudelnde Firmen aufkaufen, verschärft sich weiter. Also mehr vom alten Wein in neuen Schläuchen. Schlimm genug, aber kein Anlass für Zusammenbruchstheorien.


Konsumblase auf Pump

Ein Aspekt charakterisiert die jetzige Krise aber im speziellen: Es platzt auch eine auf Pump aufgeblähte Konsumblase. Anders als bei anderen Kriseneinbrüchen im Imperialismus kann es vor allem in den USA zu einer wahren Implosion der zahlungsfähigen Nachfrage kommen, mit Rückwirkungen auf die Exportwirtschaft. Was das für die jetzt schon verarmten arbeitenden Klassen heisst, versteht sieh von selbst. Der Chefökonom der Allianz hat wohl diesen speziellen Aspekt im Auge, wenn er eine heftige, aber kurze Rezession voraussagt (4). Das ist wohl der Grund, weshalb nicht nur Obama, sondern die Regierungen der Metropolen und China plötzlich auf "sozialdemokratische", keynesianistische Konzepte (5) setzen, die doch infolge der langdauernde Krise unwirksam geworden waren. Auch der sonst stramm neoliberale deutsche Sachverständigenrat bläst ins gleiche Horn.

Politisch bedeutet dies, dass der innerbürgerliche Widerspruch zwischen Neoliberalen und Sozialdemokraten dahinsehmilzt. Die Chefökonomen von economiesuisse und Gewerkschaftsbund sind diesbezüglich kaum voneinander zu unterscheiden. Um die gröbsten Folgen der Nachfrageimplosion abzufedern, wären gemäss Paul Krugmann für die USA weitere 600 Mrd. $ Staatsgeld nötig (6), nach Einschätzung von IWF-Vizedirektor John Lipsky zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Schweizer Staat müsste also das Konjunkturprogramm von 1 auf 8 Mrd. erhöhen. Heraus kommen mit Sicherheit gigantisch erhöhte Staatsschulden und damit die nächste, verschärfte Runde der Politik der leeren Kassen.


Wirkungen der Rohstoffverknappung (7)

Bürgerliche ÖkonomInnen interessieren sich nur für den Wert und den Mehrwert. Welche Gebrauchswerte für seine Produktion nötig sind - z.B. Erdöl, Metall oder andere Rohstoffe - interessiert sie nicht, ausser die Preise. Dass die Vorräte endlich sind, widerspiegelt sich in Preisanstiegen. Diese führen zu höheren Produktionskosten und entsprechend sinkenden Profitraten. Umweltschädigungen bewirken zusätzliche "Unkosten". Das verschärft die Ausbeutungsbedingungen für die Bourgeoisie und dadurch die Krise. Geht die Verknappung langsam vor sich, passt sich die Produktion an. Es entstehen evtl. sogar neue Produktionszweige mit neuen Arbeitsplätzen. Irgendwann kommt es aber zu raschen Verknappungen von allen Rohstoffen. Krisen und kriegerische Verteilungskämpfe sind dann in noch viel grösserem Ausmass zu erwarten.



Anmerkungen:

(1) Finanzmarktkrise: Totenglocke des Kapitals? www.aufbau.org, Online-Zeitung

(2) s. Beispiel UBS in aufbau 54

(3) Finanzkrise? Nein, Krise des Kapitalismus! A.a.0.

(4) TA 07.11.2008

(5) Das bedeutet in diesem Zusammenhang staatlich erhöhte Nachfrage zur Glättung von Konjunkturabschwüngen, finanziert durch Staatsschulden.

(6) NYT 14.11.08

(7) s. aufbau 54


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion
(kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 55, November/Dezember 2008, S. 6
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Bern, Postfach 87, 3174 Thörishaus
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2009