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AUFBAU/278: Das WEF als Seismograph des Kapitals


aufbau Nr. 63, Dezember/Januar 2010/11
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Das WEF als Seismograph des Kapitals

DAVOS 2011 - Das Thema Wassersicherheit beleuchtet beispielhaft, worum es geht, wenn die Organisatorinnen des WEF die Welt verbessern wollen. Die Jahrestagung 2011 in Davos steht unter dem Motto "Gemeinsame Normen für die neue Realität".


(gpw) John Bulcke, CEO von Nestlé, ist einer der fünf Ko-Vorsitzenden des WEF-Jahrestreffens vom 26.-30. Januar 2011. Sein Chef, der allgegenwärtige Peter Brabeck-Lemathe, sitzt in einem der "Räte", der Global Agenda Councils, die sich jährlich im November in Dubal treffen, um Themen für Davos vorzubereiten (siehe unten "WEF-Anlässe während des Jahres"). An der Seite des Nestlé-Chefökonomen Herbert Oberhänsli berät er unter dem Vorsitz des Inders Arjun Thapan, dem Chefberater über Infrastruktur und Wasser der Asiatischen Entwicklungsbank, über Wassersicherheit! Weitere Mitglieder dieses düsteren neunzehnköpfigen Gremiums sind ein Boss der englischen Bierbrauerei Miller, ein Direktor bei PepsiCo, ein Vize-Präsident von Coca Cola, ein Weltbank-Berater zu den Flüssen Nil, Indus, Ganges und Mekong, eine Managerin eines Weltbank-Instituts für private Finanzierungen in Entwicklungsländern, OECD-Generalsekretär Angel Gurrta, ein indischer Parlamentarier, ein Medienboss aus den VAR, einige AkademikerInnen und als Feigenblatt Stuart Orr vom WWF.


Wassersicherheit heisst Profitsicherheit

Schon diese Liste zeigt, dass es nicht um die Versorgungssicherheit der Weltbevölkerung mit ausreichend sauberem Wasser gehen kann. Liest man die Vorschläge dieses "Rates" vom November 2009, wird das auch ganz klar. Er vergleicht die Bedrohung der Ökonomie durch Verschleiss der Wasserreserven mit der Finanzmarktkrise(1): Es habe sich eine "Wasserblase" gebildet, vergleichbar mit den Börsenblasen. Weil traditionelle - will heissen öffentliche - Systeme der Wasserversorgung vielerorts nicht mehr ausgebaut werden könnten, sterben Millionen von Menschen am Mangel an sauberem Wasser. Da liegen die grossen Chancen für die privaten Unternehmen: In sieben Empfehlungen des "Rates" geht es um die Gelegenheit, in Wasser- und Abwasserinfrastruktur zu investieren, wo neue Technologien hohe Profite versprechen; der Markt für Toiletten sei ein wichtiger Wachstumsmarkt in Drittweltländern; die Regierungen müssten entsprechende Anreize setzen, und der Rest der Empfehlungen dreht sich darum, das zu propagieren und durchzusetzen. "Wassersicherheit" bedeutet also nichts anderes als die Sicherheit der privaten Konzerne, mit Wasser hohe Profite zu machen. Dafür braucht es eine zahlungsfähige Nachfrage - der Rest der Bevölkerung mag verdursten oder an der Cholera sterben. Das ist die Art und Weise, wie Klaus Schwab mit seinem WEF "die Welt besser machen" will!


Das WEF läuft das ganze Jahr

Wir haben hier nur einen von gegen 70 "Räten" beleuchtet - die anderen sind ähnlich zusammengesetzt, und die Redensart, dass "der Bock zum Gärtner gemacht" wird, trifft offensichtlich ins Schwarze. Je tiefer der Kapitalismus in der Krise steckt, je weniger die Interessen der verschiedenen Konzerne und Länder auf einen Nenner gebracht werden können, je weniger sie sich einig sind, desto mehr wird vernetzt, werden "globale Führungspersonen" (Global Leaders) an runde Tische gesetzt, wo sie genau die Probleme im Sinne des Kapitals lösen sollen, die sie selber schaffen. Es vergeht kaum mehr ein Monat, an dem nicht irgend eine Tagung zu einem der Erdteile oder zu "brennenden Themen" stattfindet. Je verbrecherischer das Kapital ausbeutet, unterdrückt und Kriege führt, desto fieberhafter wird nach ethischen Normen gesucht, die das System noch legitimieren könnten.


Angst um die politische Stabilität

Daher die Parole "Gemeinsame Normen für die neue Realität", welche das WEF sich auf die Fahne geschrieben hat. Dazu führen sie aus: "Das Thema widerspiegelt die heute hauptsächliche Sorge vieler Führungspersonen, nämlich in einer zunehmend komplexeren Welt zu leben, die eine Aushöhlung der gemeinsamen Werte und Prinzipien durchmacht, was das öffentliche Vertrauen in die Führungskräfte, in das zukünftige Wirtschaftswachstum und die politische Stabilität untergräbt." Dem soll mit einer Global Redesign Initiative begegnet werden, die im Mai dieses Jahres einen ersten Kongress in Doha durchgeführt hat. Die Werte, die neu konzipiert werden sollen, sind zunächst die altbekannten Menschenrechte(2). Die sollen als bewährtes Bollwerk gegen politische AufwieglerInnen dienen, die mehr als papierene bürgerliche Freiheiten einfordern, nämlich das Recht auf Arbeit, Bildung, Gesundheit, Nahrung und Wasser! Bei den Werten besinnt sich das WEF neu darauf, dass 80 % der Weltbevölkerung einer Religion angehören und diese "Ressource" an der Propagierung von Werten besser ausgeschöpft werden sollte. Sind Kruzifixe in Schulzimmern und Kreationismus als Schulfach oder gar islamische Steinigungen und christliche Anschläge auf Kliniken für Schwangerschaftsabbrüche die richtigen Werte?


Von der Ökonomischen zur kulturellen Krise.

Man kann das WEF seit vielen Jahren als Seismograph des Bürgertums über die von ihm verursachte allgemeine kapitalistische Krise betrachten. Die Analyse der ökonomischen Krise gehörte schon immer zu seinen Kerngeschäften. Die Fokussierung auf Lösungen von Konflikten, insbesondere durch Anstossen von "Friedensprozessen" (Kurdistan, Palästina), war als Antwort auf die politische Krise zu verstehen. Desgleichen der Fokus auf das Fehlen adäquater internationaler und staatlicher Strukturen, um der Krise zu begegnen, bis hin zu den sogenannten "failing states", den versagenden Staaten. Das Thema der Jahrestagung 2011 ist also ihr Versuch, auf die politische und kulturelle Krise des globalen Kapitalismus eine Antwort zu geben. Sie kann nicht die unsrige sein.



WEF-Anlässe während des Jahres

Global Agenda Councils: Gegen 70 "Räte" mit jeweils 10-15 "Experten" aus aller Welt halten jeweils gegen Ende November ein dreitägiges Vorbereitungstreffen zum WEF in Dubai ab. Jeder Rat behandelt ein Thema. Die Aufzählung dieser Themen liest sich wie eine Liste aller möglichen Krisen- oder Katastrophenherde, welche in den Augen des WEF die Krise verschärfen können: Überalterung, Klimawandel, Migration, Terrorismus, Naturkatastrophen, Pandemien, Energie-, Wasser- und Nahrungssicherheit sind nur einige davon. Die Resultate sind in einem Bericht von mehreren hundert Seiten zusammengefasst und auf dem Internet abrufbar (s. Fussnote 1).

Global Redesign Initiative: Als Reaktion auf die Krise des Kapitalismus 2009 beschlossener "interaktiver Prozess" unter den WEF-Mitgliedern und den Experten der Global Agenda Councils, um Empfehlungen für die Bildung von Werten, die globale Sicherheit, das Wirtschaftswachstum etc. zu entwickeln. Sie steht unter dem Patronat der Regierungen von Katar, Singapur und der Schweiz. Ein Treffen fand im vergangenen Mai in Doha statt.

Regionale Treffen finden während des Jahres zu Lateinamerika, dem Mittleren Osten, Europa und Zentralasien, dem Fernen Osten und alle zwei Jahre zu Indien statt, das letzte im. November 2010. Auf dem Programm stand auch eine Veranstaltung zur "maoistischen Bedrohung", die bereits einen Drittel von ganz Indien betreffe. Es gelte, Möglichkeiten für eine Verhandlungslösung auszuloten. Dieser Programmpunkt ist inzwischen vom Internet entfernt worden.


Wer sind die G20

Zu den geforderten gemeinsamen Normen gehört auch, die Agenda der G-20 zu unterstützen, obschon die Legitimität und das Mandat dieses Zusammenschluss der 19 ökonomisch mächtigsten Staaten der Welt plus der EU als 20. Mitglied auch in den Augen des WEF zweifelhaft sind. Ein erstes Treffen auf der Ebene der Regierungschefs fand im November 2008 in Washington statt, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise. Die G-20 haben sich am Gipfel von Pittsburgh im September 2009 selbst als Nachfolger der G7/G8 ausgerufen. Pikant ist, dass die Schweiz als ehemals bedeutender Finanzplatz bis heute nicht dazu gehört. Seither haben weitere Treffen der Regierungschefs stattgefunden, das letzte im November 2010 in Seoul.

Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise konnte bezüglich der "Rettungspakete" und "Impulsprogramme" noch Einigkeit markiert werden. Es wurde auch eine Stimmrechts-Verschiebung im Internationalen Währungsfonds (IMF) zugunsten der "Schwellenländer" beschlossen - die Schweiz muss um ihren Sitz in der Exekutive bangen. Sonst ist es aber mit der Einigkeit längst vorbei: Die USA stehen mit China und Deutschland im Clinch wegen deren Exportüberschüssen. Seit der Euro-Krise(3) ist ein regelrechter Währungskrieg losgetreten worden, was nichts Anderes ist als eine aktuelle Form des Protektionismus: Jedes Land versucht, die eigene Währung zu schwächen, damit die "eigene" Industrie billiger exportieren kann. Von einer gemeinsamen Agenda der G-20 kann also keine Rede sein.


Anmerkungen:
(1) http://www.weforum.org/pdf/globalagenda.pdf, S. 316-318
(2) http://www3.weforum.org/docs/WEF_GRI_ValuesFramework_ReportExcerpt_2010.pdf, S. 3.
(3) s. "Das griechische Gespenst" in der letzten Nummer.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend (agj)


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Quelle:
aufbau Nr. 63, Dezember/Januar 2010/11, Seite 12
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2011