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AUFBAU/283: Der gemachte Mann


aufbau Nr. Nr. 64, März/April 2011
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Der gemachte Mann

MÄNNERFORSCHUNG - Einige behaupten, dass auch Männer an emanzipierten Geschlechterverhältnissen ein Interesse haben. Andere sagen, dass sie vielmehr Privilegien zu verlieren haben. Wir meinen, beides stimmt, doch ersteres weist in die Zukunft.


(akfk) Nicht zufällig spricht man heute in vielen Medien - und auch wir - über Männlichkeiten. Am häufigsten finden sich jene Positionen, die die Beschädigungen der traditionellen Männerrolle auf Körper und Psyche des Mannes therapieren wollen und meist systemimmanente Lösungen vorschlagen. Bedrohliche Positionen finden wir bei Maskulinisten und Biologisten, die das Rad der Geschichte rückwärts drehen wollen, wie z.B. der Verein der Antifeministen (IGAF) um den Ex-SVP-ler René Kuhn.

Auf der anderen Seite der Barrikade finden sich junge Männer, die sich an der alljährlich stattfindenden 8.-März-Frauendemonstration in Zürich beteiligen wollen - gegen den Widerstand vieler Frauenkämpferinnen. Argumente lassen sich für beide Seiten finden, die widersprüchliche Situation fordert differenzierte Analysen. Einen interessanten Beitrag dazu liefert das Buch "Der gemachte Mann" des Australiers Robert A. Connell(1), da er nicht nur Geschlechterdifferenzen untersucht, sondern diese mit Faktoren wie Klasse und Hautfarbe/Nationalität verbindet. Viele neuere Männerforschungen beziehen sich auf ihn, insbesondere auf seinen Begriff der "hegemonialen Männlichkeit". Wir wollen hier seine zentralen Thesen skizzieren.


Soziales Geschlecht

Um die Struktur des sozialen Geschlechts darzustellen, unterscheidet Connell drei Kategorien: Macht, Produktion und emotionale Bindung.

Machtbeziehungen: In der derzeitigen westlichen Geschlechterordnung ist die allgegenwärtige Unterordnung von Frauen und die Dominanz von Männern die wichtigste Achse der Macht. Zahlreiche Ausnahmen und mannigfache Widerstände bedeuten für die patriarchale Macht permanente Schwierigkeiten, die auch Fragen nach der Legitimität aufwerfen.

Produktionsbeziehungen: Ein kapitalistisches System, das aufgrund geschlechtlicher Arbeitsteilung funktioniert, bringt zwangsläufig auch einen geschlechtsbezogenen Akkumulationsprozess mit sich. Es ist deshalb kein Zufall, sondern Teil der sozialen Konstruktion von Männlichkeit, dass Männer und nicht Frauen die grossen Firmen leiten und die grossen Privatvermögen besitzen. Diese Akkumulation des Reichtums wird über das gesellschaftliche Geschlechterverhältnis in direktem Zusammenhang mit dem Reproduktionsbereich vermittelt.

Emotionale Bindungsstruktur: Auch in der Sexualität reproduziert sich das soziale Geschlecht. In der feministischen Analyse von Sexualität geht es vor allem um den Zusammenhang zwischen der Heterosexualität und der gesellschaftlichen Dominanz der Männer - Homosexualität ist untergeordnet und/oder wird unterdrückt.


Männlichkeiten

Männlichkeit ist keine essentielle Grösse, kein Charakterzug, sondern eine Position im Geschlechterverhältnis. Connell unterstreicht, dass Männlichkeiten historisch und kulturell unterschiedlich sind und es in einer Kultur immer mehr als nur ein Konzept von Männlichkeit gibt. Diese Konzepte unterliegen einem permanenten Konstruktionsprozess. Er unterscheidet vier Beziehungen zwischen Männlichkeiten: Hegemonie, Unterordnung, Komplizenschaft und Marginalisierung. Soziales Geschlecht, Hautfarbe und Klasse spielen dabei eine wesentliche Rolle. Zentral bei seiner Betrachtungsweise ist die prozesshafte Relation zu gesamtgesellschaftlichen Bedingungen und Veränderungen, in denen die Vielfalt an Männlichkeiten nicht zu blossen Charaktertypologien erstarren, sondern sich in gegebenen gesellschaftlichen Strukturen anpassen und verändern.


Hegemonie

Das Konzept der "Hegemonie" stammt aus der Analyse der Klassenbeziehungen von Antonio Gramsci und bezieht sich auf die gesellschaftliche Dynamik, mit welcher eine Gruppe eine Führungsposition im gesellschaftlichen Leben einnimmt und aufrecht erhält. Die Hegemonie in den Führungsebenen von Wirtschaft, Militär und Politik zeichnet sich durch Autorität, technisches Know-How und wenn nötig durch Gewalt und Macht aus und ist an den Besitz von ökonomischem, sozialem oder kulturellem Kapital geknüpft. Diese Macht definiert sich nicht bloss in Relation zum anderen Geschlecht, sondern auch zu untergeordneten Männern. Zu den untergeordneten Männern zählt Connell die "homosexuellen Männlichkeiten", denen er einen grossen Teil im Buch einräumt. Die Mehrheit der männlichen Bevölkerung sei zu den komplizenhaften Männlichkeiten zu rechnen, da sie von der hegemonialen Männlichkeit profitieren und sie daher stützen. Durch die Komplizenschaft gewinnen Männer an Prestige, Befehlsgewalt und materiellem Vorteil. Bei den marginalisierten Männlichkeiten kommt die Beziehung zu anderen gesellschaftlichen Herrschaftsmechanismen wie Kapitalismus und Rassismus am deutlichsten zum Vorschein. Sie finden sich in untergeordneten Klassen- oder ethnischen Verhältnissen.

Connell räumt mit einem verbreiteten Missverständnis auf: Nicht Männlichkeit und damit Strukturen und Institutionen des Patriarchats sind gegenwärtig in der Krise, sondern lediglich ihre Legitimation. Es geht jedoch um mehr, als die Bilder einer modernen Männerrolle oder die Erneuerung einer Tiefenstruktur von Männlichkeit. Es geht ebenso um die Familien und intimen Bindungen, sowie um Wirtschaft, Staat und globale Beziehungen.

Die Veränderungen im Geschlechterverhältnis verwandeln in vielerlei Hinsicht auch die Lebensbedingungen von Frauen und Männern. Wir alle sind nicht unbeteiligte Zuschauer dieser Prozesse, sondern an der Konstruktion einer Welt der Geschlechterbeziehungen beteiligt. Wie dies geschieht, welche Strategien die verschiedenen Gruppen verfolgen, das sind politische Fragen. Weder Frauen noch Männer sind mehr den überkommenen Geschlechtsmustern ausgeliefert (zumindest in den Industriemetropolen). Aber eine politische Entscheidung für neue Beziehungen zwischen den Geschlechtern ereignet sich immer unter konkreten gesellschaftlichen Umständen, welche die Handlungsmöglichkeiten einschränken.

Wenn es um die Veränderung von Männlichkeit geht, hat man oft berufstätige Männer aus der Mittelschicht im Auge, die es sich finanziell leisten können, bspw. die Hausarbeit mit der Partnerin zu teilen. Doch Connels Studien ergaben, dass gerade in der ArbeiterInnenklasse neue Familienformen geprägt wurden, wenn auch oft aus pragmatisch/wirtschaftlichen Gründen. Ebenso haben ArbeiterInnenparteien in der Geschlechterpolitik die progressivsten Richtungen eingeschlagen, auch wenn sich ebenfalls Beispiele für das Gegenteil finden lassen.


Geschichte der Männlichkeit

Connell deckt auf, wie die heutigen Männlichkeitsformen durch die Geschichte von Kolonisierung und Imperialismus geprägt wurden. Das beispiellose Wachstum europäischer und nordamerikanischer Macht, das Entstehen von Weltreichen und eines weltumspannenden Kapitalismus, die imperialistische Expansion hat Männlichkeiten allerdings nicht nur geformt, sondern diese waren aktiv und gestaltend an diesem Prozess beteiligt.

Das zunehmende Interesse für Männlichkeit zu diesem historischen Zeitpunkt ist kein Zufall. Zwar hat eine Minderheit von Männern in den führenden Industrienationen wie keine Klasse der Menschheit je zuvor die Macht in den Händen, die Zukunft zu gestalten, akkumulierte Ressourcen, naturwissenschaftliche und Sozialtechniken.

Jedoch gibt es (im Gegensatz zur Bourgeoisie als Klasse) kein Hauptquartier des Patriarchats mit Flaggen und Limousinen, wo die Strategien ausgearbeitet werden, kein WEF, keine Weltbank oder IWF, keine NATO, etc. Hier zeigt sich der grundlegende qualitative Unterschied für die Bedeutung der gesellschaftlichen Struktur zwischen Klasse und Geschlecht. Der Unterschied zwischen den Klassen ist für die derzeitige Produktionsweise überlebenswichtig. Der Unterschied zwischen. den Geschlechtern kann bei Bedarf modifiziert, abgeschwächt werden. So wurde es für den Kapitalismus zum Vorteil, die Frauenforderungen ins System zu integrieren. Die populären Methoden der Männlichkeitstherapien führen zu einer Adaption der patriarchalen Strukturen durch eine Modernisierung von Männlichkeit.

Connells Analyse ist einiges differenzierter als es hier stichwortartig erscheint - sein Buch umfasst 300 Seiten mit beachtlichen auch empirischen Studien aus der Arbeiterklasse. Kritik haben wir an seiner Gewichtung bez. des sozialen Geschlechts und seiner Veränderung als revolutionärer Triebkraft im Verhältnis zum Klassenwiderspruch. Ebenso hegt er zu viel Hoffnung auf die Sprengkraft der Schwulenbewegung, die bereits im Verlauf der 80er Jahre begann, sich ins System zu integrieren.


Was tun damit?

Connell verfolgt mit seinen Forschungen einen emanzipatorischen Ansatz und möchte zu einem Wandel der hegemonialen Männlichkeit und des nach wie vor hierarchischen Geschlechterverhältnisses beitragen. Für uns ist klar, dass eine Geschlechterrevolution sich nur innerhalb einer allgemein sozialen (proletarischen) Revolution vollziehen kann. Nur wenn die Arbeit vom Kapital befreit wird, können die für die Geschlechterordnung relevanten Trennungen zwischen privater Reproduktion und öffentlicher Produktion, zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, zwischen Politik und Ökonomie, zwischen Kopf- und Handarbeit, u.a." vollzogen werden. Connells Beitrag bestätigt diese Verflechtungen und vertieft unser Verständnis der Zusammenhänge, was anregt für weitere Analysen und Debatten.

Praktisch haben dieses Jahr die Genossen in Zürich die Gelegenheit, sich nicht nur an Haus- und Familienarbeit zu beteiligen, sondern auch an geschlechtergemischten Aktionen zum Internationalen Frauenkampftag (seht auf www.aufbau.org).


Anmerkungen:
(1) Robert A. Connell: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, deutsche Übersetzung 1999 bei Leske + Budrich, Opladen


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend (agj)


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Quelle:
aufbau Nr. 64, März/April 2011, Seite 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Bern, Postfach 87, 3174 Thörishaus
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2011