Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

AUFBAU/295: Perspektiven gegen Atomkraft


aufbau Nr. Nr. 66, September/Oktober 2011
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

STROMVERSORGUNG
Perspektiven gegen Atomkraft


Atomkraftwerke sind nicht nur an sich gefährlich, sondern auch und besonders wenn sie im Kapitalismus betrieben werden.


(rabs) Dass die Atomkraft eine zu gefährliche Technologie ist, um sie für die Energieproduktion einzusetzen, ist wohl seit vergangenem März den meisten klar geworden.

Neben der im Wesen der Sache liegenden Gefahr spielt bei der Reaktorsicherheit natürlich auch das wirtschaftliche Umfeld, in dem ein AKW genutzt wird, eine Rolle.

Jedes Produkt, das im Kapitalismus hergestellt wird, ist unter dem Aspekt anzuschauen, ob und wie viel Profit damit erzeugt werden kann. Was produziert wird, ist dem Kapitalisten letztlich gleichgültig. Der Druck, möglichst viel Profit aus einem Unternehmen heraus zu holen, bleibt nicht ohne Folgen. So wird laufend überprüft, wo Geld eingespart werden kann. Einerseits stehen so die Löhne der ArbeiterInnen ständig unter Druck, andererseits leidet auch die Umwelt darunter. Gespart wird zum Beispiel bei der sicheren Entsorgung von Abfällen oder bei den Sicherheitsmassnahmen im Betrieb. Gerade das spielt bei den AKWs eine grosse Rolle.

Ein AKW ist für eine Betriebsdauer von 40 bis 60 Jahren ausgerichtet. In dieser Zeit kann eine bestimmte Menge Elektrizität produziert und verkauft werden. Da die Bau- und Rückbaukosten eines AKWs sehr gross sind, muss sich das Unternehmen dafür einsetzen, die Anlage möglichst lange benützen zu können, damit sich diese Kosten auf möglichst viele Kilowattstunden verteilen und pro KWh entsprechend tiefer sind. Wird nun ein AKW frühzeitig ausgeschaltet, muss der Betreiber nicht nur auf den Gewinn verzichten, den er in weiteren Betriebsjahren noch hätte einfahren können, er muss auch für die Differenz aufkommen, um die er den Strom in den vergangenen Jahren zu billig verkauft hat.

Gerade die älteren Kraftwerke Mühleberg und Beznau entsprechen längst nicht mehr den Sicherheitsstandards. Um diese wieder zu erfüllen, wären millionenschwere Investitionen nötig. Statt diese zu tätigen - was sich verständlicherweise in der momentanen Situation erst recht nicht lohnt, da unklar ist, ob der Druck der Bevölkerung nicht doch noch zur unverzüglichen Stilllegung der Werke führt - wird an den Reaktoren "herumgebastelt", um der kritischen Bevölkerung ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.

Als im Mantel des Reaktors des AKW Mühlebergs Risse entdeckt wurden, wurden diese mit Zuganker "gesichert", statt dass der Kernmantel ersetzt worden wäre. Dass diese Zuganker nichts zur Sicherheit des Reaktors beitragen, bewies die renommierte technische Prüfanstalt Tüv Nord, wie ein geheimes von der WoZ publiziertes Dokument zeigte: "Aufgrund dieser Erkenntnisse kommen wir zu dem Ergebnis, dass der Erhalt der Integrität der Kernmantel-Zugankerkonstruktion im Betrieb und bei Störfällen nicht uneingeschränkt vorausgesetzt werden kann. Es ist daher nach unserer Einschätzung das Versagen eines oder mehrerer Zuganker nicht auszuschliessen."[1]

Ende Juni nahm die BKW das AKW Mühleberg vom Netz, um eine zweite Wasserfassung zu bauen, die das Werk mit Kühlwasser versorgen könnte, wenn die erste durch Geschiebe verstopft würde. Laut Markus Kühni von Fokus Anti-Atom ist jedoch nicht nachvollziehbar, "warum [diese] bei einer Flut weniger verstopft werden soll als die bestehende Röhre."[2] Auch hier geht es also vor allem darum, die Bevölkerung zu beruhigen und Zeit zu gewinnen, damit Gras über die Fukushima-Katastrophe wächst.

Grundlegende Verbesserungen der Sicherheit hätten zur Folge, dass während der Revision das Kraftwerk abgestellt werden müsste, was einen Einkommensverlust bedeuten würde. Weiter sind auch die Kosten der Revision zu berücksichtigen, die - gerade bei Mühleberg, wo der Reaktormantel Risse aufweist - sehr teuer wären.

Genau dies sind jedoch Elemente, die in einer Gesellschaft, in der Profit nicht über dem Gemeinwohl steht, keine Rolle spielen dürften. Bei der Entscheidung um Weiterbetrieb, Beheben der Sicherheitsmängel oder Abstellen würde nicht der Profit der verschiedenen Szenarien miteinander verglichen, sondern die möglichen Folgen der Szenarien im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Allgemeinheit. Die Frage "Wie kann am meisten Profit generiert werden?" würde durch Fragen ersetzt wie: "Wie viel Strom brauchen wir?", "Was sind die effizientesten Möglichkeiten, Strom zu produzieren?", "Wie viel zusätzliche Arbeitskraft ist es uns wert, damit wir die schädlichen Auswirkungen der einen oder anderen Methode, Strom ±u produzieren, minimieren können?".

Bei der gemeinschaftlichen, demokratischen Beantwortung dieser Fragen wäre es wohl unumgänglich, festzustellen, dass
- die Folgen eines (auch kleineren) Unfalls sehr schwer wiegende Folgen für die Bevölkerung hätten,
- solche Unfälle auch bei den grössten Vorsichtsmassnahmen nicht ausgeschlossen werden können,
- es äusserst schwierig ist, die Sicherheit eines "Endlagers" zu gewährleisten, bis die Brennstäbe ungefährlich sind (nämlich 1 Mio. Jahre[3]),
- die negativen Folgen für die Bevölkerung auch bei Normalbetrieb beträchtlich sind[4].

Entsprechend ist klar, dass in einer Gesellschaft, in der das Allgemeinwohl berücksichtigt werden würde und nicht die Profite privatisiert und die Risiken sozialisiert werden, keine AKWs betrieben würden.


Welche Energieperspektive eröffnet sich uns?

Längst haben die KapitalistInnen die erneuerbare Energie als Möglichkeit entdeckt, Profit zu generieren. Dabei wird vor allem auf Grosskraftwerke gesetzt (Stichworte Desertec oder der Solarturm bei Sevilla).

Immer wieder hört man vom Green New Deal, der Idee, dass die Klimaveränderung mit Hilfe der Wirtschaft aufgehalten werden kann, wenn sich deren Wachstum auf "nachhaltige" Technologien und erneuerbare Energien verschiebt. Immer neue Ideen werden präsentiert, wie der CO2-Ausstoss oder der Energieverbrauch verringert werden kann. Dabei geht jedoch vergessen, dass alle diese Sparmassnahmen durch das Wachstum wieder vernichtet werden. Wachstum ist an sich ja durchaus positiv. Es darf aber nicht vergessen gehen, dass dieses Wachstum immer auch nachhaltig sein muss, d.h. dass nicht nur unsere Generation, sondern auch die kommenden ihre Bedürfnisse befriedigen können. Es wäre also ein Wachstum anzustreben, bei dem es darum ginge, mit den vorhandenen Ressourcen immer mehr Bedürfnisse von immer mehr Menschen zu befriedigen. Im Gegensatz dazu heisst Wachstum im Kapitalismus, Wachstum des Profits, der Ausbeutung, Erschliessung neuer Märkte. Dies ist auch das Hauptziel des Green New Deal.


Wieso ist ein Kapitalismus ohne Wachstum nicht denkbar?

Der Kapitalismus lebt von der Akkumulation des Kapitals, dem "Hinzufügen eines Teils des Mehrwerts zum Kapital oder Verwandlung von Mehrwert in Kapital."[5] Das heisst, dass ein Unternehmen, um langfristig zu überleben, wachsen muss, um konkurrenzfähig zu bleiben. Wachstum ist im Kapitalismus auch nötig, weil jedes Unternehmen und jeder Staat ständig die Zinsen der aufgenommenen Kredite bezahlen muss und diese ja ebenfalls immer grösser werden.

Wenn das Wachstum in den Krisen jeweils wieder zusammenbricht, geschieht dies immer in erster Linie zu Lasten des Proletariats, sei es, weil die Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, sei es weil das Kapital durch Krieg vernichtet wird.

Wenn die Produktionsmittel (sprich die Fabriken, Kraftwerke, der landwirtschaftliche Boden usw.) in den Besitz der Allgemeinheit übergehen und diese auf demokratische Art und Weise über die Produktion bestimmt, kann aus diesem Teufelskreis des Wachstums ausgebrochen werden. Produziert würde, was und wie viel benötigt wird. Zum Beispiel könnte es gesamtgesellschaftlich gesehen sinnvoller sein, weniger Strom zu produzieren und dafür sparsamere Geräte herzustellen.

Die Gesellschaft müsste als Ganzes die Energieversorgung planen, indem längerfristig festgelegt wird, wie viel Energie wo zur Verfügung gestellt werden muss. Um diese Menge zu bestimmen, müssten ökologische, soziale und wirtschaftliche Argumente gegeneinander abgewogen werden. Beispielsweise müsste diskutiert werden, ob wir an unserem sehr hohen Lebensstandard festhalten könnten, da es beim momentanen Stand der Technik unweigerlich zum ökologischen Kollaps kommen würde, wenn alle Menschen der Welt diesen Lebensstandard hätten.

So wird es nicht ohne ein grundsätzliches Umdenken bei unserem Energieverbrauch gehen. Es sollte konsequent darauf gesetzt werden, die hochwertige[6] Energie Elektrizität nur für die Zwecke benutzen, für die sie die einzig sinnvolle ist. Um Wärme zu produzieren sollten wir nicht auf Strom, sondern auf Sonnen-, Erd- oder Verbrennungswärme setzen. Der Stromverbrauch von Elektrogeräten muss konsequent niedrig gehalten und ihr Einsatz minimiert werden.


ANMERKUNGEN

[1] vgl. WoZ Nr. 16, 21. April 2011.
[2] Zitiert auf http://www.tagesanzeiger.ch/ (23.8.2011)
[3] Schweizerische Energie-Stiftung, Strom von gestern.
Die Mär vom sauberen Atomstrom, S. 12.
[4] AKWs schädigen Embryonen und verursachen Kinderleukämie. Vgl. WoZ Nr. 46, 18. Nov. 2010.
[5] http://www.politische-oekonomie.org/Lehrbuch/kapitel_10.html
[6] hochwertig weil sie für alles eingesetzt werden kann.


*


Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich Jagj)


*


Quelle:
aufbau Nr. 66, September/Oktober 2011, Seite 4
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org

aufbau erscheint fünfmal pro Jahr.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
aufbau-Jahresabo: 30 Franken, Förderabo ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2011