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AUFBAU/296: Ungarn - "Sie wissen ganz genau, mit welchem Feuer sie spielen"


aufbau Nr. Nr. 66, September/Oktober 2011
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

RECHTSEXTREMISMUS
"Sie wissen ganz genau, mit welchem Feuer sie spielen"


In Ungarn setzte sich bei den Wahlen 2010 eine rechte Koalition, bestehend aus Fidesz und der KDNP, einer christdemokratischen Partei, durch. Daneben zog die rechtsextreme Jobbik mit 12 % Wähleranteil ins Parlament ein. Der schweizerisch-ungarische Journalist Klaus Rózsa erläutert im Gespräch die Hintergründe der ungarischen Rechtsentwicklung und berichtet vom Widerstand dagegen.


agw: Klaus, was waren die Inhalte der Kampagne, mit welcher die Rechten 2010 in den Wahlkampf zogen?

Klaus: Als 2008 die Wirtschaftskrise auch vor Ungarn nicht Halt machte, war die sozialdemokratische Partei an der Macht. Die Rechten konnten so im Wahlkampf die durch die Krise ausgelösten Verschlechterung der Lebensbedingungen den Sozialdemokraten in die Schuhe schieben.

agw: Was du beschreibst, ist die immer wiederkehrende Wahlfarce, welche den Unmut der Leute nicht auf das Kapital, als eigentlicher Krisenverursacher richtet, sondern gegen die jeweilige, zum Zeitpunkt des Krisenausbruchs sich an der Macht befindende Regierung. Waren es aber nicht auch bestimmte Inhalte, welche die Rechten bedienten, und die in Zeiten der Krise besonders fruchteten?

Klaus: Natürlich. Die Jobbik aber auch die Fidesz politisieren extrem mit den Emotionen und Ängsten der Leute. Es gibt da ein breite Bewegung, welche die Wiederherstellung der Grenzen von Grossungarn fordert, also dass Gebiete von Teilen der Slowakei, Kroatien, Serbien und Rumänien, welche nach dem ersten Weltkrieg von Ungarn unabhängig wurden, wieder eingegliedert werden sollen. Gerade in Krisenzeiten wird so die Hoffnung geweckt, dass .Ungarn wieder ein grosses und wirtschaftlich wichtiges Land werden könne. Ausserdem wird für die Krise auch das angeblich von den Juden kontrollierte Finanzkapital verantwortlich gemacht.

agw: Gerade dieses Argumentationsmuster, das alleine das sogenannte "raffende Finanzkapital" und vor allem seine ausführenden Akteure für die Krise verantwortlich macht, wurde ja auch schon von den Nazis während der Krise der 30er Jahre benutzt. Diese Verkürzte Sichtweise tritt aber auch momentan in vielen Ländern immer wieder auf. Gibt es abgesehen der Juden auch andere Bevölkerungsgruppen, gegen welche von den Rechten gehetzt wird?

Klaus: Ja auch die Zigeunerbevölkerung muss stark als Sündenbock herhalten. Da wird vor allem gesagt, dass diese keine richtigen Ungaren seien. Die Art und Weise wie dies geschieht, ähnelt sehr den Kampagnen der SVP.

agw: Wieso sind gerade viele ehemalige Ostblock-Staaten momentan so anfällig für rechtsextreme Bewegungen?

Klaus: Man muss sehen, dass die Demokratien nach westlichem Vorbild hier gerade einmal 20 Jahre alt sind. In Ungarn wurde bei jeder Wähl wieder eine neue Partei gewählt, das heisst, eine Partei kam so schnell, wie sie auch wieder ging. Die Leute sind auf der Suche und viele merken, dass auch nach der Wende vieles nicht besser wurde.

agw: Wie sieht die soziale Zusammensetzung der rechten Bewegung aus?

Klaus: Die Jobbik hat ihr Klientel vor allem in den untersten sozialen, schlecht gebildeten Schichten. Die Spitze wird aber von eher gut verdienenden, bildungsnahen Kreisen gestellt. Diese wissen ganz genau mit welchem Feuer sie spielen. Der Führer der Jobbik, Gabor Vona, ist beispielsweise ein Historiker.

agw: Im Jahr 2008 regte sich nach einem von Neonazis verübten Brandanschlag auf eine Ticketverkaufsstelle, Widerstand gegen die rechte Bewegung. Du und weitere Personen riefen zu einem Flashmob gegen die Faschisten auf. Wie viele Leute konntet ihr mobilisieren?

Klaus: Für den ersten Flashmob rechneten wir eigentlich nur mit etwa 30 Personen. Schlussendlich fanden sich aber etwa 350 Menschen ein, um gegen diese Entwicklung ein Zeichen zu setzten. Es war, als ob viele, nur darauf gewartet hätten, dass endlich etwas geschieht, um diese Rechten zu stoppen. Die Neonazis haben dann aber auch eine Demo für drei Tage später angekündigt, was wir mit einer weiteren Mobilisierung für den gleichen Zeitpunkt beantworteten. An dieser Demo waren wir bereits 4000 Leute, während die Neonazis gerade mal 1500 Leute mobilisieren konnten. Diese Demos waren aber noch nicht das Ende der Bewegung. Nachdem wenig später der alljährliche Schwulen- und Lesben-Umzug in Budapest von den Neonazis massiv angegriffen wurde, organisierten wir eine weitere Grossdemo an der sogar 10.000 Menschen teilnahmen.

agw: Wie war diese Bewegung zusammengesetzt?

Klaus: Es war eine breit abgestützte Bewegung. Verschiedenste Organisationen haben sich bei uns angemeldet. Darunter waren beispielsweise Attac, Amnesty International, die israelitische Kultusgemeinde und diverse Zigeunerorganisationen. An der ersten Grossdemo kam sogar der damalige Ministerpräsident vorbei. Da wir aber, aufgrund des Politikverdrusses vieler Menschen an der Demo keine politische Propaganda wollten, durfte auch er keine Rede halten, sondern kam lediglich als Privatperson.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich Jagj)


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Quelle:
aufbau Nr. 66, September/Oktober 2011, Seite 5
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2011