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AUFBAU/366: Mexiko - EZLN, 30 Jahre Widerstand


aufbau nr. 74, sept/okt 2013
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

EZLN, 30 Jahre Widerstand



MEXIKO Fast zwanzig Jahre nach dem bewaffneten Aufstand der EZLN in Chiapas hat sich in sozialer und politischer Hinsicht für die ausgebeuteten indigenen Bauern viel verändert. Vieles ist aber auch gleich geblieben.


(agafbs) Tausende maskierte indigene KämpferInnen besetzten am 1. Januar 1994 fünf der wichtigsten Ortschaften des Bundesstaates Chiapas in Mexiko im Morgengrauen und überrumpelten nicht nur die Sicherheitskräfte sondern auch die korrupte politische Klasse und die kapitalistischen Kreise. Die EZLN (Ejercito Zapatista de Liberación Nacional, Zapatistische Armee zur nationalen Befreiung) wurde 1983 gegründet, trat aber erst mit diesem bewaffneten Aufstand öffentlich in Erscheinung. Die Elite des Landes hatte sich nach der Unterzeichnung des nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA zwischen den USA, Kanada und Mexiko, der massiven Liberalisierung der Wirtschaft und des Aussenhandels, freie Bahn für eine neoliberale Politik erhofft.


Die Ursprünge der EZLN

Dieser ab den 1980er Jahren beginnende Prozess verschärfte die prekäre Lage der durch die Grossgrundbesitzer ausgebeuteten indigenen Landbevölkerung Chiapas'. Marginalisierung, Rassismus, Hunger, fehlende Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, illegaler Landraub und Zwangsvertreibungen durch die weisse Oberschicht sowie eine massive und brutale Repression führten zu einer Intensivierung des politischen Widerstandes. Aus diesem, der in den 1970er Jahren in Gestalt von Bauernorganisationen und kleinen linken Parteien(1) entstand, kristallisierte sich die spätere Basis der Guerilla. Erste bewaffnete Gruppen entstanden in dieser Zeit, gegründet durch ExponentInnen der urbanen Linken, die sich dem Maoismus und Marxismus-Leninismus und der "Fokustheorie"(2) verschrieben. Sie konnten jedoch nur wenige Erfolge erzielen und wurden bald von den Sicherheitskräften zerschlagen. Aus den Überbleibseln dieser Guerilla(3) entstand die EZLN, die anders als ihre Vorgänger eine Brücke zwischen den linken Theorien und der alten indigenen Kultur zu bilden vermochte, und von dieser massgeblich beeinflusst wurde. Die indigenen Prinzipien der lokalen Selbstverwaltung und der radikalen, partizipativen Demokratie, die starke Ähnlichkeiten mit dem Rätesystem aufweist, wurden in die politische Theorie der EZLN eingebunden.


Zwölf Tage Bürgerkrieg

Der bewaffnete Aufstand im Januar 1994 mündete in zum Teil blutigen Gefechten mit der mexikanischen Bundesarmee. Die Kämpfe waren besonders in der Ortschaft Ocosingo sehr brutal, wo laut Berichten von Menschenrechtsorganisationen zahlreiche gefangene ZapatistInnen exekutiert wurden. Die Armee konnte jedoch trotz ihrer technischen Überlegenheit die Guerilla nicht schlagen. In den folgenden Tagen wurden in den grössten Städten des Landes zahlreiche Demonstrationen durchgeführt, die das Ende des Krieges und der Repression in Chiapas forderten. Die EZLN verkündete daraufhin einen Waffenstillstand und erklärte sich zu Gesprächen mit der Regierung bereit. Diese scheiterten jedoch, weil die Regierung sich im folgenden weigerte, die im Abkommen gefällten Beschlüsse in die Tat umzusetzen. Nach einer Befragung ihrer Basis beschloss die EZLN daraufhin den Übergang zum politischen Kampf, obwohl sie nach wie vor ihre militärische Struktur und die Bewaffnung beibehielten. Dies hat sich auch bis heute nicht geändert. Die politischen Aktionen der ZapatistInnen gestalten sich vor allem in Form von Besetzungen von Land der Grossgrundbesitzer und in grossen medienwirksamen Kampagnen und Demonstrationen, die ihnen landesweit viele Sympathien einbringen.


Gehorchend Befehlen

Eines der wichtigsten Merkmale der EZLN ist, dass sie sich nicht als eine Avantgarde-Organisation sieht, sondern nur als einen Teil des mexikanischen und weltweiten Widerstandes gegen den Kapitalismus. Wie schon erwähnt, sind die indigenen Traditionen für die Organisation sehr wichtig. Zu diesen gehört das Prinzip des "gehorchend Befehlens", das die ideologische Basis des indigenen Rätesystems bildet.

Jede zapatistische Gemeinde wird dabei von einem Volksrat regiert, dessen Mitglieder für einen begrenzten Zeitraum gewählt werden. Sie erhalten für diese Arbeit weder Privilegien noch Bezahlung. Während ihrer Amtszeit, in der sie jederzeit abwählbar sind, kümmert sich die Gemeinde um ihren Lebensunterhalt. Sie müssen jede ihrer Entscheidungen von der Bevölkerung in kollektiven Sitzungen absegnen lassen. Nach dem Verstreichen des Mandats wird der komplette Rat mit neuen Mitgliedern besetzt. Die Gemeinderäte entsenden wiederum VertreterInnen in die Räte der "Caracoles", der regionalen Verwaltungszentren, die die zivile Regierung der zapatistischen Gebiete bilden und nach dem gleichen Prinzip funktionieren.

In Bezug auf den Frauenkampf konnte die EZLN, vor allem durch den zähen Kampf der Frauenkollektive, innerhalb der Guerilla die frauenfeindlichen Einstellungen, die in der indigenen Kultur vorherrschend waren, beseitigen. Die Frauenkollektive konnten in diesem Prozess die so genannten revolutionären Frauengesetze durchsetzen, die in jeder zapatistischen Gemeinde als verbindlich gelten und die komplette Gleichstellung von Mann und Frau vorschreiben. Weiter verbieten die Gesetze den Konsum von Alkohol und jeglicher Drogen in den Gemeinden, da diese in der Vergangenheit oft Ursache von Misshandlungen der Frauen durch Männer waren.


Repression

In den Jahren nach 1994 intensivierte sich die Repression des Staates gegen die ZapatistInnen. Bis 1997 wurden zwei Militäroffensiven gegen zapatistische Gebiete durchgeführt, gleichzeitig wurde die militärische Präsenz im Bundesstaat massiv erhöht und verschiedene paramilitärische Gruppen vom Staat und von der lokalen Elite ins Leben gerufen. Morde gegen lokale ExponentInnen der EZLN oder von mit ihnen sympathisierenden sozialen Bewegungen, Massenverhaftungen und Folter bildeten den Kern des "Kriegs niedriger Intensität". Diese in den USA entwickelte Strategie der Aufstandsbekämpfung kombiniert brutale Repression durch offiziell nicht-staatliche Akteure mit selektiven sozialen Massnahmen um die Bevölkerung zu spalten. Die Spirale der Repression fand 1997 im Massaker von Acteal ihren Höhepunkt, als 45 Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, von Paramilitärs ermordet wurden.

Die Repression ist bis heute allgegenwärtig, obwohl wegen der hohen Präsenz internationaler MenschenrechtsbeobachterInnen, auf eher indirekte Methoden gesetzt wird. Sie prägt das Leben in den zapatistischen Gemeinden nach wie vor und versetzt die Menschen dort in allgegenwärtige Angst und Unsicherheit. Neben der hohen Militärpräsenz in der Nähe zapatistischer Dörfer wird von Seiten des Staates die nicht-zapatistische Bevölkerung gegen die zapatistische aufgewiegelt. So wurden beispielsweise die zapatistischen BewohnerInnen des Dorfes San Marcos Aviles im Jahr 2010 Opfer einer Zwangsvertreibung, die jedoch nicht von den Sicherheitskräften, sondern von den eigenen NachbarInnen durchgeführt wurde, mit denen bis dahin eine gute Beziehung bestanden hatte.


Die Bewegung heute

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die EZLN keine marxistische Organisation ist, sich jedoch nach wie vor an revolutionären Zielen orientiert. Sie konnte ihre autonomen Gebiete halten und effektiven Widerstand gegen die neoliberalen Projekte der Regierung im Bundesstaat betreiben. Das indigene Rätesystem geniesst grosse Beliebtheit auch in nicht-zapatistischen Gemeinden, die oft in den "Caracoles" die Schulen und Krankenhäuser aufsuchen. Sehr oft entsenden diese Gemeinden auch VertreterInnen in die Verwaltungszentren der ZapatistInnen, um Schiedssprüche und Rat einzuholen.

Die Bewegung hat jedoch infolge der Repression und von Spaltungsversuchen der Regierung viele AnhängerInnen verloren, gerade auch in Regionen, die früher zu den Kerngebieten der ZapatistInnen gehörten. Zwar stimmt es, dass sich die Situation der Frauen erheblich verbessert hat, die revolutionären Frauengesetze werden aber in der Tat nicht überall umgesetzt. Schliesslich haben die autonomen Schulen in den "Caracoles" zu einer Verbesserung der Bildung geführt, die aber jedoch längst nicht alle zapatistischen Gemeinden erreichen kann und unter Umständen zum Emporkommen einer neuen Elite führen könnte.


Anmerkungen

(1) Beispiele sind die OCEZ (Bauernorganisation Emiliano Zapata, Organización Campesina Emiliano Zapata) und die maoistische Partei Unión del Pueblo (Union des Volkes)

(2) Diese Theorie von Ernesto "Che" Guevara geht von einer anfangs kleinen Guerilla von Berufsrevolutionären aus, die nach und nach durch den bewaffneten Kampf die Massen um sich scharen soll.

(3) FALN, Fuerzas Armadas de Liberació n Nacional: Bewaffnete Kräfte zur nationalen Befreiung und FLN, Fuerzas de Liberación Nacional: Kräfte zur nationalen Befreiung.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau nr. 74, sept/okt 2013, Seite 13
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Basel@aufbau.ch
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2013