aufbau Nr. 88, März/April 2017
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus
Ein Angriff auf Alleinerziehende
SOZIALHILFE Pünktlich zum neuen Jahr fand die zweite Etappe der SKOS-Revision statt; sie richtet sich vorwiegend gegen Frauen. Die SKOS-Revision ist ein Angriff auf Sozialhilfe-Beziehende und reiht sich ein in ein Sperrfeuer gegen die lohnabhängige Bevölkerung, sowohl materiell als auch ideologisch.
(az) In den Zeitungsnummern 77 und 80 haben wir bereits über die Sozialhilfe berichtet. Zwischen 2013 und 2015 ereignete sich eine eigentliche Schmutzkampagne gegen den vermeintlich "frechsten Sozialhilfebezüger der Schweiz", den mehrere bürgerliche Zeitungen in einer aargauischen Gemeinde verorteten. Die SKOS-Richtlinien seien zu grosszügig, monierten sie. Die SKOS-Richtlinien sind die Empfehlungen der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe. Jene setzt sich aus VertreterInnen von Gemeinden, Kantonen, vom Bund sowie von privaten Organisationen des Sozialbereichs zusammen. Diese Zusammensetzung gibt den Gemeinden "Empfehlungen" zur Höhe der Sozialhilfe und damit zum Lebensstandard jener Menschen, die aus verschiedenen Gründen ökonomisch nicht mehr verwertet werden können. Die ausgegebenen Richtlinien sind real seit jeher zu tief, um während längerer Perioden der schwachen wirtschaftlichen Konjunktur vielen Menschen ein halbwegs würdiges Leben zu garantieren. Konzipiert wurde die Sozialhilfe nämlich in einer Phase der Vollbeschäftigung, in der verhältnismässig wenige Menschen und oft nur vorübergehend auf diese Art der staatlichen Unterstützung angewiesen waren. Doch heute wird die SKOS von rechts angegriffen: Denn die Sozialhilfe sei zu grosszügig bemessen und erlaube den Menschen ein Leben auf der faulen Haut. Um den Druck auf die SKOS zu erhöhen, traten einige ländliche Gemeinden sogar aus dieser Konferenz aus; sie erklärten die SKOS-Ansätze als für sich nicht mehr bindend.
Angesichts des Umstandes, dass die staatlich-bürokratischen Mühlen für gewöhnlich langsam mahlen, ging es mit den SKOS-Revisionen vom Zeitpunkt der Schmutzkampagne an schnell voran. "Revision" ist auch im Bereich der Sozialhilfe die euphemistische Umschreibung von "Verschärfung"; und von solchen wurde per 1. Januar 2016 eine ganze Reihe installiert, speziell auch gegen Junge und Grossfamilien. Einige Verschärfungen seien hier erwähnt:
Ab 1. Oktober 2016 trat dann eine gravierende Verschärfung in Kraft. Wer beim Beantragen von staatlichen Leistungen "unwahre oder unvollständige Angaben macht oder Tatsachen verschweigt" wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft; AusländerInnen droht die Ausschaffung und dies unabhängig von der Höhe der Strafe, die SchweizerInnen für das gleiche Delikt erhalten würden. Mit Blick auf die komplizierten amtlichen Dokumente ist diese Verschärfung mehr als nur eine Hürde, den erniedrigenden Gang zum Sozialamt im Zweifelsfall tatsächlich auf sich zu nehmen.
Anfangs dieses Jahres ist nun die zweite Revision in Kraft getreten, dabei sind alleinerziehende Frauen besonders betroffen. Die Sozialämter erwarteten bis zum Dezember 2016 "die berufliche Integration" von Alleinerziehenden, wenn das jüngste Kind das dritte Lebensjahr vollendet hatte. Ab dem 1. Januar 2017 werden Alleinerziehende bereits zu Integrationsmassnahmen angehalten, wenn das Kind das erste Lebensjahr vollendet hat. In manchen wenigen Fällen stellen diese Alleinerziehenden auch Männer dar. Trotzdem richtet sich diese Revision in ihrem Wesen gegen Frauen.
Diese Revision verheisst letztlich, dass Alleinerziehende in vielen Fällen gezwungen werden, ihre Kinder früh fremd zu betreuen, obwohl Krippenplätze fehlen. Und dies oft zu Gunsten von Beschäftigungsprogrammen, welche für die konkrete Arbeitssuche umstritten sind. Viele Betroffene sprechen von einem System, aus dem sie nicht mehr hinaus kommen. Politisch und ökonomisch ist das gewollt: Die Schweiz hat mit Hilfe des Sozialstaates einen neuen Niedriglohnsektor geschaffen, der die untersten Löhne generell unter Druck zu setzen vermag (vgl. Aufbau Nr. 77).
In Zürich, Basel, Bern und St. Gallen haben sich Sozialarbeitende im Rahmen der KRISO (Kritische Soziale Arbeit, kriso.ch) gegen Verschärfungen im Sozialwesen organisiert. Und man könnte geneigt sein anzunehmen, dass der Sozialstaat eigentlich dann richtig benötigt würde, wenn aufgrund einer wirtschaftlichen Krise viele Menschen auf staatliche Leistungen angewiesen sind. Doch erstens ist der Sozialstaat nicht getrennt von der wirtschaftlichen Entwicklung und der Staatsverschuldung, der sogenannten "Sachzwänge" denkbar. Anderseits war der Sozialstaat schon immer auch ein Organ zur Kontrolle der Leute, zu ihrer Selektion in ökonomisch "Brauchbare" und "Unbrauchbare". Ideologisch wird mit den Verschärfungen gegen Sozialhilfebeziehende insbesondere die lohnabhängige Klasse als Gesamtes unter Druck gesetzt. Die Botschaft in der Krise lautet für alle mit und ohne Job: Wer nicht spurt, soll bluten.
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Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)
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Quelle:
aufbau Nr. 88, März/April 2017, Seite 10
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2017
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