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AUFBAU/495: Trouble mit Gender Trouble?


aufbau Nr. 88, März/April 2017
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Trouble mit Gender Trouble?


ALLTAG Die Dekonstruktion der Geschlechter hat vieles aufgezeigt und vorangebracht. Als politische Praxis hingegen ist sie unzureichend, da die objektiven gesellschaftlichen und ökonomischen Zwänge darin unbeachtet bleiben.


(raw) Sexismus ist ein Bestandteil patriarchaler Herrschaft und in der kapitalistischen Gesellschaft überpräsent: Sexismus ist Teil des Alltags. Dieser zeigt sich in der Verbreitung der nach wie vor massiven geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden oder der omnipräsenten sexualisierten Gewalt. Der Sexismus wohnt jedoch auch Strukturen, Dingen und Aktivitäten inne, die wir auf den ersten Blick als ganz normaler Alltag und primär nicht als sexistisch begreifen. Fernab von einem offensichtlichen Sexismus, wie ihn beispielsweise Trump zelebriert und welcher (zu Recht!) Aufschrei um Aufschrei hervorruft, sind es genauso alltägliche Dinge, welche durch die Reduktion von Menschen auf ihr Geschlecht Erwartungen bezüglich des Frau- oder Mann-Seins produzieren. Hierbei gilt es nochmals zu betonen, dass das Frappante dabei ist, dass Ideen von Geschlechterunterschieden etabliert werden, welche schliesslich den Entwicklungen wie der Lohnungleichheit zwischen Frau und Mann den Weg ebnen. Dabei stören wir Frauen uns nicht nur an solchen harten Tatsachen, sondern an allen geschlechtsspezifischen Implikationen. Der Zwang von jungen Jahren bis ins Alter als Frau so und so sein zu müssen, hat dabei einen dermassen alltäglichen Charakter, dass grosse Teile der Frauen ein sexistisches Funktionieren von Alltag als normal wahrnehmen. Gerade der Kampf für die Einhaltung von Idealen zur äusserlichen Erscheinung ist dabei besonders zu betonen.

Was durch den Sexismus, also durch die Reduktion von Menschen auf ihr Geschlecht, produziert wird, sind Geschlechterrollen. Ein Rahmen, welcher gesellschaftlich vorgibt, wie sich eine Frau zu verhalten, anzuziehen oder zu sprechen hat. Der Rollendruck, der dabei entsteht, betrifft auch Männer. Doch der feine Unterschied liegt darin, dass die Rollenerwartungen an Frau und Mann nicht gleich sind. Das ist das Problem: Dass wir in unserer Gesellschaft Ansprüche und gewisse Werte formulieren, kann ganz ok sein. Doch wenn wir sie für Frau und Mann nicht nur anders sondern auch ungleich definieren, wird es unfair. Diese patriarchale Ungleichheit äussert sich insbesondere darin, dass die Normen, mit welchen wir Frauen uns konfrontieren müssen, mit quasi unlösbaren Widersprüchen gespickt sind. Wir Frauen können nie das Richtige tun: Die Rolle der Frau als Aushängeschild, Accessoire oder Mitagentin steht der Rolle als politisch Organisierte und beruflich Versierte entgegen. Die Komplikation dabei ist, dass beide Rollen als fehlerhaft oder mangelhaft markiert werden. Kümmern wir uns, wie erwartet, zu offensichtlich um unsere äussere Erscheinung, sind wir oberflächlich. Sind wir schüchtern oder nachdenklich, werden wir als Huschelis abgestempelt. Erheben wir die Stimme, sind wir laut und unanständig. Nehmen wir uns, was wir wollen, übergehen wir die Gefühle anderer. Organisieren wir uns, sind wir im besten Fall noch grusige Emanzen. Der aufkeimende Anti-Feminismus, welcher starke Frauen vor allem als hässlich, in diesem Sinne als "unweiblich" diffamiert und den politischen Forderungen des Feminismus die Relevanz abspricht, zeigt, wie massiv die patriarchale Gesellschaftsordnung bedroht wird, wenn Frauen kämpfen.

Die Befreiung der Geschlechter(rollen)

Eine Lösung für das Problem der ungleichen Geschlechterzuschreibung wäre, sich der Geschlechterrollen zu entledigen und so den Kampf für die Gleichheit zwischen Mann und Frau zu führen. Judith Butler zeigt in ihrem vielzitierten Buch Gender Trouble (1990) einen solchen Ansatz. Ihre Grundthese ist, dass nicht nur gender, sondern auch das vermeintlich "natürliche" biologische Geschlecht (sex) sozial konstituiert wird. Sie betont, dass mit dem Argument der "biologischen Natürlichkeit" immer wieder versucht wird, herrschende patriarchale Verhältnisse zu festigen. Die "natürlichen" Geschlechterrollen von Frau und Mann gilt es demnach umzudeuten, indem betont wird, dass diese eben nicht natürlich und daher formbar seien. Kein Geschlecht sei richtig oder falsch, sondern immer sozial hervorgebracht, also als richtig oder falsch markiert. Abweichende Geschlechtsidentität wird demnach mit Strafmassnahmen verbunden, was heisst, dass unsere Suche nach einer adäquaten Rolle als Frau oder Mann auch als Teil einer Überlebensstrategie gesehen werden kann. An diesem Punkt setzt Butler an und fordert für die Dekonstruktion der vorherrschenden, von Zwang behafteten Geschlechterrollen eine Subversion dieser. Butler spricht sich also für die Unterwanderung der Geschlechterrollen aus und schlägt vor, dass dem Zwang Frau oder Mann zu sein mit Geschlechterparodie entgegnet wird. Die Parodie erlaube es, durch den Verlust von Geschlechterrollen das Feld für neue, andere Identitäten zu öffnen. Sie möchte mit der Geschlechterparodie ein Klima schaffen, in dem es auch ok ist, wenn ein Heteromann mit rot lackierten Fingemägeln rumläuft. Die Idee der Geschlechterparodie sieht Butler als Strategie, die Geschlechterrollen umzudeuten und den geschlechtsspezifischen Zwang zu eliminieren. Denn die Geschlechterzuweisungen und somit die Geschlechterungleichheit seien eben nicht natürlich, sondern willkürlich, was das Mittel der Parodie auf besondere Weise sichtbar mache.

Die Wirkung der Parodie als Teil politischer Praxis im Frauenkampf ist beschränkt. Zwar zeigt diese Form der Subversion der Geschlechter die Möglichkeit, die Unnatürlichkeit unserer Geschlechterrollen und der Geschlechterungleichheit zu enttarnen, doch sie bietet keine politische Lösung. Dies, weil die Idee der Subversion der Geschlechterrollen, der "gender trouble", die objektiven Rahmenbedingungen keineswegs mitdenkt. Butler etabliert die Geschlechterrollen als etwas, das quasi aus dem nichts hergestellt und durch Subversion wieder überschrieben werden kann und nicht mit der äusseren Umwelt korrespondiert. Gesellschaftliche, politische und ökonomische Analysen finden in ihrer Überlegung zur Geschlechtersubversion keinen Eingang. Dabei ist es zentral, die Mechanismus des Kapitalismus und die Folgen auf die Bedingungen menschlicher Umwelt mitzudenken. Dass das Sein das Bewusstsein mitbestimmt, wie Marx einst notierte, hat auch im Bezug auf die Herstellung von Geschlechterrollen und den damit verschränkten Sexismus eine grosse Berechtigung: Unsere Rollen als Frau oder Mann sind nicht frei gestaltbar, sondern unterliegen bestimmten strukturellen Bedingungen. Dass sich eine Frau beispielsweise im Spannungsfeld zwischen Beruf und Mutterschaft gefangen sieht, ist nicht, weil sie auf individueller Ebene versagt, sondern weil der Widerspruch zwischen Reproduktion und Produktion dies mit sich bringt.

Genau hieraus ergibt sich eine Kritik an Butlers poststrukturalistischer Intervention. Die Geschlechterrollen neu zu schreiben, wenn dies denn möglich wäre, ist keine Praxis, welche in irgendeiner Form das Spannungsfeld, wie es der Kapitalismus für die verschiedenen Geschlechter produziert, angreift. Vielmehr dienen die flexibilisierten Geschlechterrollen, wie sie Butler vorschlägt, dazu, die Spannung zwischen den Erfordernissen der Güterproduktion und derjenigen der sozialen Produktion zu dämpfen. Oder anders formuliert: Der Widerspruch des Kapitalismus zwischen Reproduktion und Produktion wird durch ein flexibles Verhältnis zum eigenen Geschlecht abgefedert, dies insbesondere von Frauen. Im Kapitalismus wird profitiert, wenn wir Frauen mehr sind als nur das Weib am Herd. Der Geschlechtersegregation besteht demnach darin, dass es vermehrt Frauen sind, welche diesem Druck durch mehrfaltige Rollenerwartungen ausgesetzt sind und eine Doppelbelastung durch Arbeit und Familie tragen müssen. Dabei wird suggeriert, gerade auch durch das Konzept von Gender Trouble, dass das Nicht-Bestehen der verschiedenen Rollen ein individuelles Problem sei und nicht ein Strukturelles. Dass die poststrukturalistische Genderdebatte die objektiven Bedingungen nicht mitdenkt, lässt in der Folge die strukturellen Schwierigkeiten, wie sie der Kapitalismus bezüglich der Geschlechterverhältnisse etabliert, als Effekt des eigenen Rollenverhaltens erscheinen. Die historisch entstandene Arbeitsteilung wird also zu einer Frage von Geschlechtsidentitäten interpretiert. Dies hat zur Folge, dass Frauen ein strukturelles Missverhältnis gar nicht als objektives Problem betrachten, für dessen Veränderung es sich zu kämpfen lohnt, sondern der Stress durch Doppelbelastung und Rollendruck wird als individuelles Unvermögen gewertet.

Revolutionäre Perspektiven gegen Sexismus und Geschlechternorm

Die Idee der Subversion der Geschlechterrollen ist auf breite Anerkennung gestossen, weil sie politische Veränderung auf einer einfach zugänglichen Ebene formuliert: Bei dem eigenen Geschlecht und in der eigenen Geschlechteridentität. Sicherlich ist es notwendig, dass wir Bewusstsein darüber schaffen, wieso und wie wir uns als ein gewisses Geschlecht begreifen, welche Wünsche und Bedürfnisse damit verbunden sind und welchen Zwang dies potentiell auf uns ausübt. Doch ist es eine Illusion, die Ungleichheit der Geschlechter alleinig damit bekämpfen zu wollen. Denn die Wurzeln des Patriarchats liegen nicht in einer "gender role", sondern in der Struktur einer kapitalistischen Gesellschaft, welche Reproduktionsarbeit zur privaten Angelegenheit erklärt. Der zentrale Punkt der Befreiung der Geschlechter liegt hier: In der Kollektivierung der Reproduktionsarbeit. Wir können uns noch so viel Mühe geben, Beispiele des sexistischen Alltags anzugreifen und unsere Energie auf die Ablehnung geschlechtsnormierender Mechanismen zu verwenden; solange wir die Bedingungen der Gesellschaft nicht ändern, ist es ein Kampf ins Leere. Es ergibt sich hierin jedoch eine revolutionäre Perspektive, wenn in Geschlechterfragen einen Fokus auf die Bedingungen der Herstellung von Geschlechterrollen gesetzt wird, sprich der Kampf gegen den Kapitalismus geführt wird. Wir können uns noch so lange abmühen, die Ungleichheit der Geschlechter aufzuheben, indem wir Konzepte über egalitäre Liebe, Elternschaft, Arbeitsteilung heiss reden, wenn es schliesslich die äusseren Bedingungen sind, welche darüber mitbestimmen, ob unsere Modelle funktionieren. Deshalb bedeutet Frauenkampf eben Klassenkampf. Dabei gilt es, im Kollektiv die Organisierung gegen Sexismus und Patriarchat voranzutreiben. Den Kampf gegen die Barbarei des Kapitalismus führen wir gemeinsam - unabhängig davon, welchem Dresscode wir folgen.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 88, März/April 2017, Seite 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2017

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