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AUFBAU/501: Das Tablet ist politisch


aufbau Nr. 89, Mai/Juni 2017
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Das Tablet ist politisch


DIGITALISIERUNG Die Einführung von Tablets im öffentlichen Verkehr ist nicht nur eine technische Frage. Sie ist denn auch in Berlin, in Basel und in Zürich auf Widerstand gestossen.


(az) Am 10. März liess die Führung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) verlauten, sie habe endlich eine Einigung im Schlichtungsverfahren um den kommenden Tarifvertrag mit der Deutschen Bahn errungen. Noch im Dezember hatte die GDL-Führung die Verhandlungen für gescheitert erklärt und läutete eine Mediation durch eine Schlichtungskommission ein. Ein Verfahren, das schon mal angewandt wurde und sich wohl durchsetzen wird. Es ist zu erwarten, dass das komplett hinter verschlossenen Türen ausgehandelte Ergebnis auch gegenüber der Basis durchgesetzt wird. Abseits des öffentlichen Fokus um solche grossen Tarifeinigungen, schwelt aber bei der S-Bahn Berlin ein anderer Konflikt, nämlich der, um die Einführung von Tablets in den Führerständen. Und das ist kein Zufall. Denn die Frage der Digitalisierung hat auch im städtischen Verkehr in Basel und in Zürich zu Arbeitskonflikten geführt. Grund genug, einen Blick auf dieses Konfliktfeld zu werfen.

Digitalisierung: Ein trojanisches Pferd

Während auf Bundesebene der GDL-Tarifvertrag verhandelt wurde, entwickelte sich auf regionaler Ebene bei der kämpferischsten Sektion der GDL - nämlich bei der S-Bahn Berlin - ein Widerstand gegen eine Betriebsvereinbarung. Die Geschäftsleitung wollte für 1100 LokomotivführerInnen Tablets einführen. Damit sollen Schichtpläne und Einsatzinformationen digitalisiert kommuniziert werden und auf Papier verzichtet werden. Eine Massnahme, die auf den ersten Blick Sinn macht. Es wäre jedoch naiv zu denken, es ginge hier darum, den Angestellten Arbeit abzunehmen. Aus Sicht des Managements geht es um das Vorantreiben des enterprise resource planning, also darum, Ressourcen zeitlich und räumlich exakter zu planen, um die Rentabilität und Arbeitsdichte zu erhöhen.

Und unter Ressourcen ist im öffentlichen Verkehr neben den Fahrzeugen natürlich vor allem die Arbeitskraft gemeint. Es geht darum, dass die FahrerInnen zur richtigen Zeit am richtigen Ort eingesetzt werden. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Digitalisierung der Dienstpläne und hier liegt der Hund begraben. Den ArbeiterInnen werden digitalisierte Dienstpläne gerne als bessere Lösung verkauft, um Wunschdiensten gerecht zu werden. Die Praxis zeigt aber, dass es für die Unternehmen enorm schwer ist, einen Logarithmus zu finden, der die komplexen Schichteingaben und -wünsche zusammenrechnet. Was in so einem Logarithmus - also einer Rechenformel - zum Ausdruck kommt, ist denn auch eigentlich der aktuelle Stand der umkämpften Arbeitsbedingungen. Die Einführung digitaler Dienstpläne geht deshalb implizit einher mit der Forderung nach flexibleren Arbeitsverträgen und weniger gesetzlichen oder tariflichen Einschränkungen.

Co-Management bei der S-Bahn Berlin

Und weil sich auch in der Digitalisierung die Kräfteverhältnissen im Betrieb widerspiegeln, ist die Einführung von Tablets bei der S-Bahn Berlin auch umkämpft. Ein offener Brief eines anonymen GDL Lokführers bringt die Arbeitsverdichtung, die mit der Digitalisierung einhergehen würde, klar auf den Punkt. Er legt offen, dass das Management die Kosten für die Tablets reinholen will, indem die Vorbereitungszeiten für die Schichten gestrichen werden sollen. Bisher bereiten die LokführerInnen ihre Schicht auf Arbeitszeit vor. In Zukunft wird erwartet, dass die LokführerInnen ihre Schichtpläne dann in den Pausen - also gratis - vorbereiten und das macht ungerechnet bezahlte 21 Stunden pro Jahr aus. Und trotz gegenteiliger Beteuerungen des Managements zeigen interne Informationen, dass die Meldestellen, an welcher alle Lokführer einer Region jeweils vor Dienstantritt zusammenkommen, geschlossen werden sollen. Mit dem Tablet lässt sich also Stellenabbau betreiben. Nicht umsonst will das Management deshalb zuerst eine Betriebsvereinbarung über die Arbeitszeiten unter Dach und Fach bringen und dann erst eine Vereinbarung über die Tablet-Einführung verhandeln. Der anonyme Lokführer vermutet hier ein taktisches Manöver, das die Tablet-Einführung als reine technische Angelegenheit verschleiert.

Der Konflikt hat sich mittlerweile auch auf den Betriebsrat ausgeweitet. Dieser - bestehend aus fünf gewählten VertreterInnen der verschiedenen Gewerkschaften - ging mit einem klaren Mandat von der Basis, die Streichung der betrieblichen Vorbereitungszeiten nicht zu akzeptieren, in die Verhandlungen mit dem Management. Das Management wiederum behauptete, dieses Traktandum sei nicht Gegenstand der Verhandlungen, worauf vier Betriebratsmitglieder einknickten und ihre Rolle als Co-Manager offenlegten. Es bleibt also nur ein Betriebsrat-Kollege der GDL übrig, welcher weiterhin konsequent die Forderungen der Basis vertritt. Obwohl auch diese Verhandlungen hinter geschlossenen Türen stattfinden sollten, wurde der Verrat der vier Betriebsratsmitglieder geleakt und die Information ging per Whats-App-Nachricht wie ein Lauffeuer bei den LockführerInnen herum. Inzwischen hat die Information auch bundesweit bei LockführerInnen die Runde gemacht und viele stärken dem konsequent gebliebenen Betriebsrat der GDL den Rücken. Denn die Haltung ist klar: Ein Betriebsrat hat keine Berechtigung mehr, wenn er statt des Mandats der LokführerInnen umgekehrt die Bedürfnisse des Managements gegenüber den ArbeiterInnen vertritt. Natürlich reagierte der verräterische Rest-"Betriebsrat" mit Beschimpfungen und Drohungen. Dafür steht die GDL-Sektion der S-Bahn Berlin jedoch hinter ihrem Betriebsrat und vermag dies auch gegenüber der bundesweiten GDL-Führung durchzusetzen. Und gegen die Einführung der Tablets werden mittlerweile Flyer und Kleber unter den LokführerInnen ausgetauscht.

Kampf um Zeitpauschalen bei der VBZ

Es ist zentral, technische Neuerungen wie die Einführung von Tablets als betriebspolitische Frage zu betrachten, die eben auch Gegenstand eines Betriebsrats ist. Dass diese technische Neuerung eben auch eine Frage des Mehrwerts ist - also eine Frage der Ausbeutung und damit eine Verhandlungsfrage - zeigt sich auch darin, dass sie auch an anderen Orten im öffentlichen Dienst zu Konflikten führt. Schon in unserer Sonderzeitung zum Sparherbst 2016 hat ein Kollege der Energiewerke der Stadt Zürich (EWZ) vor der Überwachungsgefahr durch die Einführung der Tablets gewarnt und kurzerhand geraten, diese ab und zu herunterfallen zu lassen, um die Einführung zu sabotieren. 2015 stiess die einseitige Einführung von Tablets bei 1300 FahrerInnen der Stadtzürcher Verkehrsbetriebe (VBZ) auf Widerstand. Die VPOD-Betriebsgruppe erkannte schnell, dass die Geschäftsleitung mit der Einführung der Tablets auch den Anspruch erhob, dass die FahrerInnen in ihrer Freizeit oder in ihren Pausen die kommenden Schichten vorbereiteten. So sollten die 2-minütigen Zeitpauschalen pro Tag für das Lesen von dienstlichen Informationen gestrichen werden. Wenn es auch nur um 2 Minuten pro Tag geht - um die ansonsten ja auch über jede Rauchpause hart verhandelt werden muss -, verstand die Betriebsgruppe den prinzipiellen Charakter dieses Digitalisierungsschrittes in Richtung Verlagerung von Arbeitsinhalten in die Freizeit hinein. Die Verhandlungen mit 3 Geschäftsleitung führten immerhin zu einer Revision und dazu, dass die Tablets nur auf individueller und freiwilliger Basis bezogen werden müssen. Falls sich herausstellen würde, dass bis Ende letzten Jahres mehr, als zwei Drittel dieses Angebot angenommen hat, sieht sich die Betriebsgruppe aber gezwungen die allgemeine Einführung zu akzeptieren.

BVB: Der Feldweibel aus Zürich

Mehr öffentliches Aufsehen erregte 2013 die Einführung von Tablets und des Individuellen Dienstplans (IDP) im Zuge der Skandale bei der Basler Verkehrsbetrieben (BVB). Die ganze Clique um Direktor Jürg Baumgartner hatte sich damals die Hände verbrannt. Baumgartner musste im Dezember 2013 seinen Posten räumen, nachdem er weiblichen Angestellten anzügliche Fotos per Handy geschickt hatte. Sein Vizedirektor Franz Brunner wurde ein Jahr später unter Korruptionsverdacht gefeuert, weil er ohne Ausschreibungen millionenschwere Aufträge über Jahre hinweg an IT-Firmen vergab und auf Dienstreisen zu IT-Unternehmen im Rotlicht-Milieu landete. Und die unprofessionelle Nähe zu IT-Unternehmen könnte auch der Grund gewesen sein, weshalb die Einführung von Tablets damals in einem Desaster endete. Die Leiterin des Bereichs Betrieb - Béatrice Thomet - hatte die ganze Belegschaft gegen sich aufgebracht, indem sie das "papierlose" Verkehrskonzept per Tablets und die Digitalisierung der Dienstpläne überstürzt einführen wollte. Dies sollte eine bessere Planung und schnellere und direktere Kommunikation mit den Angestellten ermöglichen. Damit wurde aber das bisherige Belohnungssystem für dienstältere FahrerInnen faktisch abgeschafft und FahrerInnen, die sowohl Busse als auch Trams - fahren, wurden benachteiligt. Und Schichten wurden vom Programm vermehrt mit langen statt kurzen Pausen eingeplant. Schliesslich verursachten Umstellung auf Computer und eine fehlerhafte Software auch noch einen enormen Mehraufwand für die Angestellten. Und noch desaströser war die Einführung von 700 Tablets. Zwar wurden gedruckte Dienst- und Routenpläne abgeschafft, doch die versprochenen Tablets wurden viel zu spät eingeführt. So wurden die Depots überrannt, weil die FahrerInnen dort auf viel zu wenigen Druckern die Dienstpläne ausdrucken mussten. Und auch hier war danach nicht geregelt, wie viel Zeit die FahrerInnen aufschreiben konnten für die Wegzeiten hin zum entsprechenden Tram oder Bus oder das lesen der dienstlichen Informationen auf den Tablets. Béatrice Thomet wurde aber auch sonst zum Feind bei den Angestellten. In ihr verband sich stupider Modernisierungsfetisch mit autoritärem Gehabe. Zuvor sorgte sie schon bei der VBZ für Unruhe. Ihr Wechsel zur BVB wurde bei VBZ-ArbeiterInnen einer Legende nach, mit Korkenknall bejubelt. Sie verdiente sich dort den Übernahmen "Feldweibel". Und so wollte sie auch bei der BVB Neuerungen einführen wie die Kontrolle der Sockenfarben oder das Verbot, im Führerstand Radio zu hören. Die Belegschaft der BVB wehrte sich erfolgreich gegen diese Schikanen. Und auch die Einführung der Tablets musste auf ein Pilotprojekt zurückgestuft werden. Schliesslich kostete dies dem Feldweibel Thomet den Kopf.

Wie jede technische Neuerung bei der Arbeit - im Kapitalismus, also unter Ausbeutungs- und Kapitalverwertungsbedingungen - so sind auch die Einführung von Tablets und die Digitalisierung von Dienstplänen etwas Widersprüchliches. Und so betonen die Unternehmer, dass deren Einführung den individuellen Interessen der ArbeiterInnen zugutekommt, während sie eigentlich aber an der Arbeitsverdichtung schrauben. In der gewerkschaftlichen Arbeit gilt es deshalb, diese Fragen politisch zu verstehen, das heisst als Arbeitskampf.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 89, Mai/Juni 2017, Seite 9
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2017

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