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AUFBAU/514: Kolumbien - Der zweite Anlauf


aufbau Nr. 90, September/Oktober 2017
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Der zweite Anlauf


KOLUMBIEN Vom 27. August bis 1. September fand in Bogotá der Nationalkongress der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) statt. Zum zweiten Mal in der über 50-jährigen Geschichte der Guerilla versuchen sich deren Mitglieder in eine legale Partei zu wandeln.


(gpw) Ziel des Kongresses, an dem um die 1200 Delegierte von verschiedenen Organisationen teilnahmen, war die Schaffung eines Parteiprogrammes. Damit soll nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg eine neue politische Partei geschaffen werden. Das Farc-Führungsmitglied Rodrigo Londoño, alias Timochenko, erklärte: "Mit diesem Kongress wandeln wir uns in eine neue, ausschliesslich politische Organisation um, die ihre Ziele auf legalem Wege verfolgt. Das heisst nicht, dass wir unser ideologisches Fundament verraten werden." Der Name der neuen Partei lautet: "Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común" (Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes). Der Kürzel Farc bleibt somit bestehen und soll den Bezug zur revolutionäre Geschichte der Organisation herstellen.

Trotz des marxistisch-leninistischen Selbstverständnisses der Farc vermeidet sie den Gebrauch des Wortes "Sozialismus". Die neue Partei trete nach wie vor für die Etablierung eines demokratischen politischen Systems ein, das Frieden, soziale Gerechtigkeit, die Achtung der Menschenrechte und eine auf das Gemeinwohl ausgelegte wirtschaftliche Entwicklung sicherstellt. Die politischen Leitlinien der neuen Partei hatte das Zentrale Oberkommando Ende Juli vorgezeichnet. In einer Pressemitteilung hiess es damals, dass die Partei für ein alternatives politisches und ökonomisches Modell stehen werde, das insbesondere diejenigen Kolumbianerinnen und Kolumbianer ansprechen wolle, die vom derzeitigen politischen System ausgeschlossen sind. Londoño fasste die Stossrichtung wie folgt zusammen: "Wir bauen eine Partei von unten auf, die auf Zusammengehen, Versöhnung und Einheit der demokratischen Kräfte durch den Frieden setzt. "Die neue Partei soll sich an den Interessen der armen Stadt- und Landbevölkerung orientieren und insbesondere die Frauen in den politischen Prozess einbinden. Durch den Friedensvertrag sind der neuen Partei auch für die nächsten beiden Legislaturperioden jeweils fünf Sitze in den beiden Parlamentskammern garantiert. Die Namen dieser ParteimitgliederInnen wurden noch nicht genannt.

Der erste Anlauf

Als Folge des Friedensprozesses der Farc mit dem damaligen Präsidenten Belsario Betancur wurde 1985 die Unión Patriótica (UP) gegründet. Nach Erfolgen bei Kommunalwahlen führte die Regierung einen perfiden Krieg gegen die UP. Mit Hilfe des Staates wurde die Partei durch rechte Paramilitärs und Mitglieder der Drogenkartelle regelrecht ausgerottet. 2012 hat selbst der Oberste Gerichtshof die Ermordung von rund 5.000 MitgliederInnen der Partei als Genozid anerkannt. Mit einem systematischen und zentralen Plan versuchte man gezielt die Oppositionspartei aus politischen Gründen zu eliminieren.

Die Ausgangslage heute ist nicht unähnlich. Die ehemaligen Farc Kämpferinnen und Kämpfer sind durch die Paramilitärs bedroht. Diese gewinnen an Stärke und dringen in die Gebiete vor, welche vorher von der Farc kontrolliert wurden. Mehrere Guerilla-MitgliederInnen wurden bereits ermordet. Deshalb stellt die neue Partei fest, dass die Umsetzung und Sicherung des Friedensvertrags nur mit den sozialen Bewegungen zu schaffen sei. "Der Umsetzungsprozess [des Friedensvertrags] stiess auf den erbitterten Widerstand der Ultrarechten, denen klar ist, dass ein Voranschreiten der Versöhnung ihrem reaktionären Diskurs den Atem raubt, das Land zurück in den Kriegszustand zu stürzen, von dem sie politisch und ökonomisch profitierten", hielt eine Erklärung des Oberkommandos der Farc fest. Seit Unterzeichnung des Friedensvertrags Ende 2016 wurden über 100 GewerkschafterInnen, AktivistInnen von Menschenrechtsorganisationen und MitgliederInnen sozialer Bewegungen sowie linker Parteien durch Paramilitärs ermordet.

Die Kolumbianisch Kommunistische Partei (PCC) strebt ein Bündnis mit der neuen Partei an. Bis in die 1980er Jahre war die Farc der bewaffnete Arm der PCC. Als die PCC sich dazu entschied, der legalen Arbeit den Vorrang zu geben, trennten sie sich. Trotzdem blieben sich die beiden Organisationen politisch nahe, da die Farc bis in die Gewerkschaften hinein als Schutzkraft gegen rechte Todesschwadronen geschätzt wurde. Gemeinsam wollen die beiden Parteien an den Wahlen im Mai 2018 teilnehmen. Einen Schritt weiter geht die Jugendorganisation "Juventud Rebelde", in dem sie die neue Partei an einem Kongress im Juli 2017 mit den Worten begrüsste: "Ihr könnt mit uns rechnen." Laut dem Bericht einer kolumbianischen Tageszeitung sollen die jungen Kommunistinnen und Kommunisten die Jugendorganisation der Farc werden.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 90, September/Oktober 2017, Seite 10
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2017

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