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AUFBAU/542: Des Menschen bester Freund - Das Smartphone


aufbau Nr. 94, September/Oktober 2018
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Des Menschen bester Freund: Das Smartphone


DIGITALISIERUNG Immer bequemer, gleichzeitig schneller. Mit wenigen Klicks zur Information. Die heutige Leistungsgesellschaft erfordert Effizienz. Abhilfe gaukeln uns technische Geräte vor.


(agj) Zu jeder Tageszeit ist es zu beobachten, die Menschen hauen in die Tasten. Ob Smartphone oder Tablet, der elektronische Begleiter scheint kaum wegzudenken. Weniger oft anzutreffen sind hingegen die Schlagzeilen betreffend Datensammlung und Überwachung. Ganz zu schweigen von der Ausbeutung der Natur und der Menschen etwa im Kongo, was fast gar keine Erwähnung findet. Um besagte Geräte herzustellen ist der Abbau seltener Erze, unter anderem von Coltan und Kassiterit, notwendig und erfolgt erbarmungslos. Doch warum diese Faszination? Warum vertrauen wir Suchmaschinen? Warum verzichten wir auf Nähe und Intimität und wählen stattdessen den Weg der digitalen Kommunikation?


Google findet für uns

Ein Beispiel menschlicher Abhängigkeit von Technologie ist die Art, wie wir uns heutzutage Informationen beschaffen. Egal was, gesucht wird im Internet. Dabei wird vor allem Google zum ständigen "Ansprechpartner", der uns mittels bestimmten Algorithmen sogar weismacht, was wir zu suchen scheinen. In ihrem Buch "Die Vernetzung der Welt" beschreiben Schmidt und Cohen, beides Führungspersonen bei Google, ihre Vision folgendermassen: "Die herkömmlichen Suchmaschinen werden zu Vorschlagmaschinen um das Gesuchte schneller zu finden. Sie werden die Effizienz insbesondere steigern, indem sie unseren Denkprozess stimulieren und unsere Kreativität fördern statt hemmen."

In Sachen Effizienz wird ihnen kaum jemand widersprechen: Per Mausklick lassen sich schnell Informationen auf den Bildschirm zaubern. Etwas anders sieht es da aber bei der angesprochenen Kreativität und dem Denkprozess aus: Google liefert Information, Wissen aber kommt von Denkprozessen: sich mit Themen auseinandersetzen und sich eine eigene Meinung bilden, nicht sich bei vorformatierten Antworten bedienen. Meist ein langwieriger Prozess, doch ermöglicht er uns, selbstständig zu denken und durch die Welt zu gehen. Dies muss jedoch erlernt werden. Nicht programmierbar zu sein wie Roboter, sondern reflektiert und hinterfragend, Wissen nach eigenem Belieben aneignend, unabhängig der Reizüberflutungen und Datenströmen führender Internet-Unternehmen. Es hat aber durchaus Logik, weshalb in der kapitalistischen Gesellschaft nicht mehr Bildung und Medienkompetenz gefördert, sondern vermehrt der rein technische Umgang mit digitalen Hilfsmitteln angeeignet wird: Firmen wie Google schaffen es wie kaum andere, sich in der Leistungsgesellschaft als vermeintliche Helfer zu integrieren. Erfüllen sie für NutzerInnen doch die wichtige Funktion der sofortigen Befriedigung von (Informations)-Bedürfnissen. Da kann schnell vergessen gehen, dass unser Denken und unsere Vorstellungen dadurch von ebendiesen Unternehmen massgeblich beeinflusst werden. Die Entfremdung in Warnehmen der sinnlichen Realität und von natürlichen Beziehungen zwischen den Menschen schreitet voran. Die Verlagerung des Menschen von der physischen in die digitale Welt ist das Ziel. Die Wahrnehmung unserer Natur und Umwelt, wie auch die soziale Interaktion verändern sich grundlegend, vieles erscheint abstrakt, die Menschlichkeit entweicht durch die Digitalisierung, die Vereinzelung wird massiv vorangetrieben.


Facebook vernetzt uns

Nicht nur in der Informationsbeschaffung, sondern auch in anderen Bereichen verlassen wir uns auf Hilfeleistungen digitaler Unternehmen. Facebook und Konsorten vermitteln uns ein neues Bild zwischenmenschlicher Beziehungen, sozialer Interaktion und Kommunikation. "FreundInnen" können per Mausklick hinzugefügt und gelöscht werden, ein digitales Interface ersetzt die Begegnung von Mensch zu Mensch. Emotionen werden nicht mehr durch Worte und Mimik, sondern durch Emojis ausgedrückt. Digitale Schnittstellen und nicht mehr die sinnliche Wahrnehmung entscheiden, wie wir die Welt betrachten. Dabei bieten soziale Netzwerke vor allem eins an: Die Möglichkeit fernab von realen Beziehungen und dem Sein auf bequemste Weise auf die Wahrnehmung von Umwelt und seine eigene Außenwahrnehmung Einfluss zu nehmen. Man ist, was man postet. Man drückt sich durch wenige Zeichen oder "likes" aus. Und dabei spielt es gar nicht so eine Rolle, ob die gezeigten Bilder wirklich die Realität zeigen. Digitale "FreundInnen" aus aller Welt kennen mich so, wie ich es ihnen vermitteln will. Ob Essen, Körperkult, Graffiti, so ziemlich alles wird auf Facebook geteilt. Oftmals mit dem Ziel der Anerkennung, dem Drang möglichst viele Daumen Hochs zu generieren. Zum Problem kann es dann werden, wenn durch ausbleibende "likes" die eigene Freude am Erlebten getrübt, manchmal sogar verändert wird. Wir sind so damit beschäftigt, unser fotografiertes Erlebtes mit dem Internet zu teilen, dass wir den eigentlichen Moment gar nicht mehr wirklich wahrnehmen. Vermeintliche Anerkennung übertrumpft das Gefühl von Freude, das perfekte Foto wird wichtiger als das Erleben an sich. Der Mensch funktioniert zunehmend für seinen digitalen Fussabdruck, statt für sich und seine Mitmenschen. Er macht sich zum Objekt.


Das Smartphone unterhält uns

Treue Begleiter digitaler Interaktion werden von Firmen wie Samsung oder Apple produziert, weiterentwickelt und Version für Version (das heisst jährlich!) verscherbelt. Und zwar so erfolgreich, dass - obwohl die meisten hier über funktionstüchtige Apparate verfügen - bei jeder Neuerscheinung ein Hype ausbricht, der in stunden-, manchmal sogar nächtelangen Ansteh-Orgien gipfelt. Ein Leben ohne das Gerät scheint kaum vorstellbar, erfüllt es vermeintlich in fast allen Lebenslagen seinen Dienst. Informationen, E-Mails, News, alles wird mit dem stets griffbereiten Gerät erledigt. Selbst wenn mal gar nichts geht, kein Problem: Auf dem Smartphone hantieren, die Langeweile ist weg. Im Kapitalismus ist kein Platz für nichts tun. Langeweile wird behandelt, als käme sie vom Teufel selbst. Und das, obwohl sie nicht selten Anfangspunkt für Kreativität ist. Natürlich nicht eine, wie sie von den Bossen von Google und Co. vermarktet wird, sondern eine, wie wir sie doch immer wieder erleben. Als Moment in dem wir Zeit für uns hätten. Einen Moment, in dem jedeR selbst entscheiden kann, was mit der Zeit anfangen. Wir werden aber bereits so stark von der Leistungsgesellschaft getrimmt, dass sich in uns Unmut über vermeintlich tote Zeit breitmacht. Der Kapitalismus und seine einzelnen AkteurInnen finden verschiedene Wege, uns in gewünschte unreflektiert funktionierende Rollen zu zwingen. Uns aufzuerlegen, was wir zu tun und was zu lassen haben, wie wir die Welt, die Natur und die Gesellschaft warnehmen. Wie wir an vermeintliches Wissen rankommen, wie wir sozial miteinander agieren. Reizüberflutung, Desinformation und Abhängigkeit von digitalen Spielereien sind ein paar dieser Wege. Menschliche Bedürfnisse wie etwa Verbundenheit und Verwirklichung werden in Aussicht gestellt, Resultat ist aber doch eher Vereinzelung und Isolation. Von den Kontrollmöglichkeiten, die durch unsere digitale Vernetzung so ausgeübt werden, wollen wir gar nicht anfangen. Wir können uns der Digitalisierung nicht verschliessen. Wir können sie aber kritisch betrachten, sie nur gewählt und achtsam nutzen.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 94, September/Oktober 2018, Seite 4
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2018

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