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CORREOS/082: Kuba - Hintergründe zur Absetzung von Spitzenpolitikern


Correos des las Américas - Nr. 159, 28. Oktober 2009

Hintergründe zur Absetzung von Spitzenpolitikern

Von Marco De Carli


Raúl Castro entliess Ministerpräsident Carlos Lage, Aussenminister Felipe Roque und andere Regierungskader und ersetzte sie teilweise mit Militärs. Zivile Posten mit Militärs zu besetzen, ist kritisierbar, unter den gegebenen Umständen jedoch verständlich.

Nach knapp einem Jahr im Amt hat Raúl Castro 11 Ministerien neu besetzt. Er betont, Minister in seiner Regierung haben zu wollen, die ihren Job zuverlässig erledigen und zur gegebenen Zeit Rechenschaft ablegen und nicht alle 2 Minuten fragen, was zu tun sei. Er beabsichtigt die Effizienz zu erhöhen, die Dezentralisation von Funktionen und Entscheidungsabläufen einzuführen und besteht auf einer genauen Prüfung der zu fällenden Entscheide.

Militärs an hohe zivile Posten zu setzen, ist damit begründet, dass sie weitgehend korruptionsresistent, verwaltungserfahren und effizient sind. So wurde z.B. der General José Amado Guerra zum Ministerpräsidenten ernannt und löst Carlos Lage ab, der vor einem Jahr meinte, das Amt des Vizepräsidenten übernehmen zu können. Das wurde jedoch José Machado Ventura, einem Comandante der Revolutionn übergeben. Der neue Aussenminister Bruno Rodríguez war bis 2003 kubanischer Botschafter bei den Vereinten Nationen und ersetzt Felipe Pérez Roque, dem ideologisches Hardlinertum nachgesagt wird.

Mitglieder der Partei interpretieren diese Massnahmen dahingehend, dass die sogenannten «Reagenzglas-Kader» (Leute, die aus den Jugendorganisationen direkt in hohe Machtpositionen gehievt wurden) ausgeschlossen werden sollen. Lage und Roque wie auch Carlos Aldana, der ehemalige Chefideologe, und Roberto Robaina, der frühere Aussenminister - beide vor einigen Jahren wegen Korruption aus ihren Ämter entlassen - gehören dieser Politikergeneration an.

Noch im März veröffentlichte die Parteizeitung Granma Briefe von Lage und Roque, in denen sie die Meinung des Politbüros über ihr Fehlverhalten teilen. Näheres dazu wurde bis Juli nicht bekannt. Dann wurden den Mitgliedern der Partei und der Jungendorganisationen Videoaufnahmen vorgeführt, die Lage, Roque und andere ehemalige Kader auf Ministerebene kompromittieren. Dass die Videoaufnahmen gezeigt wurden, ist auf die Forderung verschiedener Sektoren der Bevölkerung zurückzuführen, die auf dem Recht auf Information bestanden. Auch wenn die Behörden monatelang die Verbreitung des Materials verhinderten, ist anzunehmen, dass die Regierung mit der Vorführung des Beweismaterials beabsichtigte, den Inhalt des Films einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Während Details des Skandals von Mund zu Mund weitergegeben wurden, berichtete man jedoch wenig über die Lehre, die daraus resultiert. Ohne Zweifel ist diese Angelegenheit eine der unangenehmsten, mit der die Regierung nach der Erkrankung im Juni 2006 von Ex-Präsident Fidel Castro konfrontiert war.

Den Angeklagten wird Vertrauensbruch, Unehrlichkeit, Machtmissbrauch und Chaos in der Amtsführung angelastet. Einige von ihnen, die in der Sitzung des Politbüro vom 2. März vom Staatspräsidenten beschuldigt wurden, sind in den Filmaufnahmen zu erkennen. Entgegen den Erwartungen der Contras der kubanischen Revolution wurden keine harten Strafen erlassen. Nicht wenige bezeugen, dass Lage zu Hause ist. Pérez Roque arbeitet als Elektroingenieur in einer Fabrik, Ex-Ministerin Lomas in einem Labor der Pharmaindustrie und Ex-Minister Valenciaga in der Nationalbibliothek.

Bilder von Besprechungen und Festen auf der Finca eines Freundes von Carlos Lage, Aufzeichnungen von Telefongesprächen und andere Dokumente zeigen die Beziehungen mit dem Handelsvertreter der baskischen Gesellschaft "Sociedad para la Promoción y Reconversión Industrial (SPRI)", Conrado Hernández (ein Jugendfreund von Lage), dem italienischen Unternehmer Alfonso Lavarello und dem frustrierten Cousin von Lage. Unabhänging von seiner Arbeit als Handelsvertreter wird Hernández der Zusammenarbeit mit dem spanischen Geheimdienst (CNI) beschuldigt. Er lieferte dem CNI Informationen über dringliche Finanzgeschäft, über die Gesundheit der Castro-Brüder und über die kubanische Prognose zu den Wahlen im Baskenland von Februar 2008. Hernández wurde Mitte Februar vor seiner Abreise nach Spanien verhaftet.

Weiter ist Lage ernsthaft wegen seinem Cousin Raúl Castellanos Lage kompromittiert. Cousin Raúl war bis zu seiner Absetzung im Jahr 1992 Mitglied der Arbeitsgruppe von Carlos Aldana, dem damaligen Chef des "Ideologiedepartements" des ZK der KP Kuba. Aldana hatte als drittwichtigster Mann des Landes gegolten. Sauer wegen seiner Absetzung und trotz seiner Mitgliedschaft im Führungsstab des kubanischen Instituts für Kardiologie und Herzchirurgie äusserte sich Raúl öffentlich gegen die Revolution. Seine Äusserungen führten zu einer Anzeige und dieser folgte eine Ermittlung. Unter den vom Präsidenten Castro angeführten Beweismitteln befand sich eine Aufnahme eines Gesprächs, in dem die historische Generation der Revolution verulkt wurde. Castellano Lage liess sich dazu hinreissen, den Tod des Vizepräsidenten zu wünschen.

Ein für die nationale Sicherheit bedeutender Vorfall, jener des Falls Crucero, ist haarsträubend. Wäre dieses Geschäft abgeschlossen worden, wären die Betriebsrechte aller kubanischen Häfen für 20 Jahre ins Ausland vergeben worden. Auch wenn die Zustimmung von Lage für dieses Geschäft nicht zu beweisen ist, bestätigen Mitglieder der Partei, dass eine Reihe von Sachverhalten glauben liessen, dass der beteiligte italienischen Unternehmer vertrauenswürdig war und dass Lage das Geschäft bewilligt habe. So segneten, ohne die üblichen Prüfungen und Kontrollen, verschiedene Minister den Vertrag ab, der von kubanischer Seite nachträglich gekündigt wurde. Jetzt steht eine Forderung von mehreren 10 Millionen Dollar ins Haus.

Schmerzlich ist, dass die Ablösung der historischen Führung der Revolution durch fähige und politisch integre PolitikerInnen vorerst mal wieder gescheitert ist..


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 159, 28. Oktober 2009, S. 35
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2009