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CORREOS/089: Guatemala - Landkonflikt mit freundlicher Begleitung aus der Schweiz


Correos des las Américas - Nr. 160, 21. Dezember 2009

GUATEMALA
Landkonflikt - mit freundlicher Begleitung aus der Schweiz

Von Barbara Müller


In Guatemala profitieren nicht nur die sogenannten Megaprojekte der transnationalen Unternehmen von laschen Bewilligungsverfahren und mangelhaften Umweltverträglichkeitsberichten. Im Fall des geplanten Zementwerks von San Juan Sacatepéquez geht es um die einheimische Cementos Progreso, an der mit 20% die Schweizer Holcim beteiligt ist. Ein Gespräch mit dem Wirtschaftswissenschaftler Francisco Solís zu Besuch in der Schweiz.


Die geplante Zementfabrik in San Juan Sacatepéquez gehört zu den umstrittensten Projekten von Cementos Progreso. Gebaut werden soll mit Kapital von Holcim (siehe Kasten) und der Citibank. Vorläufig finden «erst» Sondierungs- und Planierungsarbeiten statt, die eigentliche Fabrik wurde noch nicht gebaut und ist Gegenstand von juristischen Untersuchungen und sozialen Protesten.

Cementos Progreso, seit über hundert Jahren im Besitz der traditionsreichen Familie Novella, verfügt in Guatemala über das Zementmonopol. Im Jahr 2002 verkaufte es 20% der Aktien an Holcim. Das Ziel von Cementos Progreso ist es, die Zementproduktion in Guatemala zu erhöhen, um im Wettbewerb mit ausländischen Firmen (z. B. der mexikanischen CEMEX und Quetzal) mithalten zu können. Denn durch die Unterzeichnung der Freihandelsabkommen mit den USA und Mexiko sind einige ambitiöse Infrastrukturprojekte wie z. B. die Umfahrungsstrasse von Guatemala-Stadt oder die Ost-West-Verbindung Franja Transversal del Norte in die Wege geleitet worden. Projekte, in denen Unmengen Zement verbaut werden.

Seit 2006 begann Cementos Progreso Bäume abzuholzen und die Pflanzungen der Dörfer von San Juan Sacatepéquez zu zerstören (die Region ist bekannt für den Anbau von Schnittblumen für den Export). Die BewohnerInnen der betroffenen Dörfer verlangten Informationen über das geplante Zementwerk,sowohl vom Unternehmen wie von der Gemeinderegierung, erhielten jedoch keine Antwort. Im Mai 2007 führte die Bevölkerung eine Volksbefragung (consulta popular) durch, wobei sie sich auf das Abkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO berief, welches besagt, dass die von sogenannten Entwicklungsprojekten betroffene indigene Bevölkerung das Recht hat, über ein geplantes Projekt sowohl informiert zu werden wie auch bei Planung und Umsetzung mitbestimmen zu können. Bei der Volksbefragung in San Juan Saquetepéquez lehnten 98% der Bevölkerung das Zementwerk ab, nur etwa vier Personen stimmten dafür. Die Bevölkerung befürchtete eine Verschmutzung der Umwelt, eine Verknappung des Wassers und infolgedessen Dürre und Gesundheitsprobleme. Ausserdem sieht sie sich in ihren Rechten als indigene Bevölkerung beschnitten.

Gleichzeitig unterzeichnete die Gemeinderegierung mit dem Zementunternehmen ein Abkommen über den Baubeginn. Gemäss den Plänen soll die Fabrik den Betrieb im Jahr 2012 aufnehmen und jährlich 2.2 Mio. Tonnen Zement produzieren. Die vorhandenen Rohstoffe garantieren die Produktion während 50 Jahren.

Bis zum heutigen Tag kämpft die Bevölkerung von San Juan Sacatepéquez um ihr Land und ihre Rechte - das heisst gegen das Zementwerk. Ihr Widerstand wurde und wird unterdrückt, und im Jahr 2008 erklärte die guatemaltekische Regierung in der Region den Ausnahmezustand und militarisierte die Gemeinde. Mehr als 15 Personen wurden verhaftet und warten bis heute auf einen Prozess. Die Regierung versucht auf unterschiedlicheWeise,die Bewegung gegen das Zementwerk aufzulösen: Es wurden sogenannte Verhandlungstische einberufen, an denen u. a. auch der Schweizer Botschafter in Guatemala, Jean-Pierre Villard, teilnahm. Die Gespräche haben bis heute zu keinem konkreten Ergebnis geführt und ihr einziges Ziel ist, Zeit zu gewinnen. Weiter wurde auf dem Gelände der Zementfabrik und zu deren «Schutz» eine Militärkaserne errichtet. Der Widerstand der Bevölkerung wird kriminalisiert, indem Führungspersonen der Bewegung verfolgt werden.

Die Dorfbevölkerung ihrerseits prangert verschiedene Repressionsformen an: Verhaftungen, Erpressungen, körperliche Angriffe, Entführungen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Ausserdem weiss man von paramilitärischen Gruppen, von denen Drohungen und Terror ausgehen. VertreterInnen der Regierung vereinnahmten einige wichtige Persönlichkeiten innerhalb der Dorfgemeinschaften und organisierten BürgerInnenkomitees, die sich für das Zementwerk aussprechen.

Ende November haben zwei Vertreter der guatemaltekischen Bewegung gegen Minen und Megaprojekte die Schweiz - und den Hauptsitz von Holcim - besucht. Im folgenden Interview erläutert Fernando Solís einige Details zur Vorgeschichte und schildert eindrücklich, wie es der Regierung und dem Zementunternehmen gelungen ist, den Protest zu kriminalisieren und die Bevölkerung zu spalten. Solís ist Wirtschaftswissenschaftler der Universität San Carlos und Koordinator der Initiative El Observador, einer Alternativ-Zeitschrift zu aktuellen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Themen in Guatemala.


Interview mit Francisco Solís

Frage: Wie müssen wir uns die geographischen und politischen Verhältnisse in San Juan Saquatepéquez vorstellen?

Francisco Solís: Ursprünglich waren es zwei Fincas, San José Ocaño war die eine, die andere gehörte einem pensionierten Oberst der guatemaltekischen Armee, der in den 70er Jahren unter der Regierung Carlos Manuel Arana Osorio Erziehungsminister war. Als dieser Oberst erfuhr, dass Cementos Progreso in der Region ein Projekt plant, begann er die Leute in den anliegenden Dörfern gegen das Zementwerk aufzumischen. Zum einen wollte er sein Eigentum schützen und zog die Bevölkerung auf seine Seite, indem er ihr vorrechnete, was sie alles verlieren würde: unter anderem das Trinkwasser, dessen Quelle auf seinem Land lag. Auf der anderen Seite wollte er - wenn er schon verkaufen musste - einen möglichst guten Preis für sein Land erzielen.

Diese Geschichte spielt aber heute keine Rolle mehr. In der Zwischenzeit haben die Dörfer selber realisiert, mit welchem Problem sie konfrontiert sind. Denn obwohl die beiden erwähnten Fincas in der Nähe des Bauprojekts sind, wurde zuerst mit Bauarbeiten auf Gemeindeland begonnen. Und angesichts dieser Bauarbeiten, die vor allem in immensen Planierungsarbeiten und Umzäunungen bestanden, wurde sich die betroffene Bevölkerung des Ausmasses dieses Projekts sehr schnell bewusst.

Frage: Wie kommt ein privates Unternehmen plötzlich zu Gemeindeland?

Francisco Solís: Die Regierung vergab die Konzession für das Gebiet, und die Gemeindeverwaltung wehrte sich nicht dagegen. Entsprechend forderte die Bevölkerung auch in erster Linie Information von der Gemeindeverwaltung. Als die BewohnerInnen dann die Eingaben für eine Volksbefragung machte, verhinderte die Gemeinderegierung deren Durchführung drei Mal, ohne irgendwelche Erklärungen abzugeben. Daraufhin organisierte die Bevölkerung die Volksbefragung auf eigene Faust. Dabei wurde sie von der Vereinigung der Maya-AnwältInnen unterstützt. Die consulta fand just zu dem Zeitpunkt statt, als das Verfassungsgericht über die Rechtmässigkeit der consulta von Sipakapa befand - und diese bestätigte. Die Position der Regierung im Fall Sipakapa war und ist Ablehnung des consulta-Ergebnisses, im Fall San Juan vertrat entsprechend der Konjunktur die Gemeinderegierung diese Position. [A.d.R.In Sipakapa fand die erste im Kontext von sog. Megaprojekten durchgeführte Volksbefragung statt; es geht dabei um die Goldmine Marlin, die vom kanadischem Unternehmen Goldcorp ausgebeutet wird.]

Frage: Die Medien berichteten immer wieder, dass die Bevölkerung der Dörfer von San Juan Sacatepéquez gespalten ist. Und dass es bei diesen Auseinandersetzungen sogar zu einem Mord gekommen ist. Was steckt dahinter?

Francisco Solís: Die Dörfer spalteten sich genau in dem Moment, als Holcim und Cementos Progreso begannen,mit einzelnen ExponenntInnen und Bevölkerungsgruppen zu paktieren. Sie kamen und - das bestätigten sie auch bei unserem Besuch - «befragten» die Leute. Allerdings nur gewisse Schlüsselpersonen. Sie gingen da sehr strategisch vor.

Frage: Wer waren diese Schlüsselpersonen?

Francisco Solís: Sie kontraktierten Leute, die sowohl die Gegend, die Geschichte wie auch die Leute genau kennen. Unter dem Begriff «Bestandesaufnahme» oder «Situationsanalyse» organisierten sie mit diesen Leuten Workshops: «Was ist das Konfliktthema? Wer sind die AkeurInnen in diesem Konflikt?» Mit diesen Methoden bearbeiteten sie die Leute und zogen ihnen buchstäblich die Informationen aus der Nase. Alles völlig legal. So hat uns denn die Vertreterin von Holcim bei unserem Besuch auch gesagt, dass es unter diesen Schlüsselpersonen auch Menschen hatte, die anfänglich GegnerInnen des Zementwerks waren. Doch mit der Zeit und dadurch, dass diese Leute bezahlt wurden, änderten sie ihre Meinung: sie sprachen sich nicht mehr grundsätzlich gegen das Zementwerk aus und begannen zu argumentieren, dass es Arbeit, Infrastruktur, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, kurz Entwicklung bringen würde. Diese Gruppe von Leuten wurde später unter dem Namen «Gruppo Tepeu» bekannt. Juan Tepeu ist der Mann, der ermordet wurde. Über seine Ermordung kursieren zwei Versionen: Seine AnhängerInnen behaupten, dass er von den GegnerInnen des Zementwerks ermordet wurde, da sie in ihm einen Verräter sehen. Dieser Vorwurf kommt vor allem von den Leuten, die ursprünglich auch gegen das Zementwerk waren, sich aber in der Gruppe der Schlüsselpersonen zusammengeschlossen hatten. Die andere Version spricht davon, dass es der Staat und das Zementunternehmen waren, die Tepeu umbringen liessen mit dem Ziel, die Bevölkerung zu spalten und die Einheit des Widerstandes zu brechen. Endresultat dieser Geschichte sind zwei verhaftete Personen, die verschiedener Sabotage-Delikte angeklagt sind und in Verbindung mit der Ermordung von Juan Tepeu gebracht werden.

Frage: Der Fall hat auch deshalb an Bekanntheit gewonnen, weil sich die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú dafür einsetzt. Was sind ihre Beweggründe?

Francisco Solís: Amílcar Pop, der Präsident der Vereinigung der Maya-AnwältInnen ist Mitglied der Partei Winaq von Rigoberta Menchú. So hat das eine das andere ergeben, und so hat sich die Stiftung Rigoberta Menchú des Falles angenommen.

[Ad.R.: Die Stiftung nutzte den Namen der Nobelpreisträgerin u. a., um bei Holcim eine «Anfrage» einzureichen. In seiner Antwort kommt Holcim Exekutiv-Mitglied Thomas Knöpfel nach einer Seite Allgemeinplätzen über «Corporate Social Responsability» (CSR) auf die Situation von San Juan Sacatepéquez zu sprechen: «In Bezug auf diesen spezifischen Fall haben wir unseren Einfluss reduziert, da wir ein Minderheiten-«Shareholder» von Cementos Progreso sind. Trotzdem haben wir aus der Nähe die Entwicklungen des Projekts San Juan Sacatepéquez verfolgt. Unser CSR-Verantwortlicher reiste im Februar 2008 in die Region und hielt Treffen mit verschiedenen Gemeinde-Persönlichkeiten ab, machte eine Bedürfnisabklärung und besuchte verschiedene betroffene Dörfer. Aufgrund dieser Aktivitäten wurde von Cementos Progreso ein Aktivitätenkatalog erarbeitet.»]

Frage: Was geschah nach der Ermordung von Juan Tepeu?

Francisco Solís: Es wurden Leute verhaftet, und die Regierung rief den Ausnahmezustand aus. Es war eine Art militärischer Besetzung, die bis heute andauert. Auch wenn die Regierung nun Militär abzuziehen beginnt, will sie doch noch «Kontrolle und Sicherheit» in den zwölf Dörfern aufrecht erhalten. Das schafft natürlich ein Klima von Angst und Polarisierung.

Frage: Wie geht es der Gemeinde heute? Ist sie nach wie vor gespalten oder hat sie sich wieder zusammenfinden können?

Francisco Solís: Es gibt immer noch diese kleine Gruppe der AnhängerInnen von Juan Tepeu. Der Fall wurde bis heute nicht aufgeklärt. Es gibt zwar diese zwei Verhafteten, aber ihre Prozesse gehen nicht weiter. Auf der anderen Seite haben die GegnerInnen an Kraft gewonnen.

Die Regierung hat einen Verhandlungstisch eingeführt, doch diese Idee ist gescheitert. Die Leute haben es satt, sich mit der Regierung an einen Tisch zu setzen, weil überhaupt nichts herauskommt dabei. Im guatemaltekischen Jargon heisst das «mesitis» - frei übersetzt: die Krankheit der Runden Tische. Schlussendlich ist es eine Form, den Widerstand zu neutralisieren. Wenn wir uns das Setting des Rundtisches ansehen, werden wir uns dessen Absurdität bewusst: Die Regierung will verhandeln. Will über die Anwesenheit des Zementwerkes verhandeln. Die Bevölkerung will im besten Fall auch verhandeln. Aber sie hat in einer Volksbefragung längstens durchgegeben, dass sie kein Zementwerk will.

Frage: Und während all dem gehen die vorbereitenden Bauarbeiten weiter?

Francisco Solís: Dies fragten wir heute die Funktionärin von Holcim auch: «Geht das Projekt weiter oder nicht?» Ihre Antwort war: «Wir sind im Moment in der Defensive, doch wir bleiben vor Ort. Unsere Aufgabe besteht darin zu begleiten. Wir begleiten Cementos Progeso. Wir sind uns des Konflikts durchaus bewusst.» Ich antwortete ihr: «Der Konflikt kam auf, weil die Leute nicht miteinbezogen wurden. Das ist das Grundproblem, und darüber müssen wir gar nicht mehr diskutieren.»

Frage: Angefangen hat der ganze Prozess ja während der Regierung von Oscar Berger, was nicht weiter erstaunte.Aber weshalb führt die Regierung von Alvaro Colom diese Praxis weiter?

Francisco Solís: Das Verhalten von Colom überrascht überhaupt nicht. Colom kommt aus einer Famile von «Maquiladores» (auf den Export ausgerichtete Billiglohnfabriken). Colom war und ist ein Maquilador. Er wird sich den Minenprojekten - und das Zementwerk fällt darunter, da es auch auf Bodenschätzen baut - nie widersetzen, weil sie, und das hat er am 14. Oktober einmal mehr öffentlich gesagt, «Arbeitsplätze generieren». Und angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Situation kann er es sich schlicht nicht leisten, ein Unternehmen zum Teufel zu jagen, das Arbeitsplätze verspricht.

Frage: Aber es gibt doch in Guatemala ein Gesetz, ausgearbeitet unter Colom, das die Vergabe von neuen Lizenzen verbietet?

Francisco Solís: Ja, aber ein kürzlich veröffentlichter Bericht zeigt, wie mit dieser Frage umgegangen wird: Im ersten Satz wird auf das Recht der Bevölkerung eingegangen, bezugnehmend auf das Abkommen 169 der ILO, und danach folgen Seiten um Seiten von «Aber».

Frage: Wo kann denn die betroffene Bevölkerung überhaupt ihr Recht einfordern?

Francisco Solís: Beim Interamerikanischen Menschenrechtshof und bei der ILO selbst.

Frage: Wurde das nicht bereits gemacht?

Francisco Solís: Doch. Im Fall der ILO gibt es Hoffnung, weil es bereits einen ähnlichen paradigmatischen Fall gibt. Und das erwähnte Gutachten der Transparenzkommission bezieht sich implizit auch auf diesen Fall in der Hoffnung, dass ...


Am 23. Oktober 2009 veröffentlichte eine Spezialkommission, eingesetzt vom guatemaltekischen Kongress und zusammengesetzt aus VertreterInnen der Nationalen Kommission für Transparenz, der guatemaltekischen Vertretung von Transparency International und der Umweltorganisation CALAS, ihren Bericht über die Rechtmässigkeit des Bewilligungverfahrens für das Zementwerk von San Juan Sacatepéquez. Im ersten Satz des Berichts heisst es: «Die Mitglieder der Kommission wollen als erstes ihre Besorgnis darüber ausdrücken, dass der guatemaltekische Staat die Konvention 169 der ILO über die Rechte der indigenen Bevölkerung nicht eingehalten hat.» Damit hat es sich aber auch schon. Alles in allem verleiht der Bericht dem Zementwerk einen Persilschein. Die betroffene Bevölkerung lehnt diesen Bericht ab. Immerhin konnte auf dem Verhandlungsweg erreicht werden, dass sich die Regierung bis Ende November zum Abzug der Militäreinheiten verpflichtet.


Holcim

Holcim ist mit 86.700 Beschäftigten und einem Umsatz von über 25 Milliarden Schweizer Franken (2008) zusammen mit der französischen Lafarge-Gruppe der Weltmarktleader im Zementgeschäft. Von den fünf grossen Zementmultis Lafarge, Cemex, Heidelberg, CRH und Holcim, die in den meisten Ländern der Welt einen grossen Teil des Marktes beherrschen, ist Holcim das am globalsten aufgestellte Unternehmen mit rund 2.000 Betrieben in über 70 Ländern. Holcim verfolgt die Strategie, in den aufstrebenden Märkten Osteuropas, Südostasien und Lateinamerikas den Anteil an der Zementproduktion zu erhöhen, um so die Marktführerschaft zu erlangen. In Westeuropa und in den USA hingegen wurde in den letzten Jahren vor allem entlang der Produktionslinie investiert, um sich die Zuliefer- und Absatzkanäle zu sichern (Sand- und Kiesgewinnung, Betonproduktion). Diese Expansion geschah vorwiegend durch Übernahme von bestehenden lokalen Gesellschaften und war aggressiv: Innert fünf Jahren hat sich der Umsatz ziemlich genau verdoppelt und die Anzahl der Beschäftigten ist von rund 50.000 im Jahr 2002 auf 90.000 im Jahr 2007 gestiegen.

Mit Holcim untrennbar verknüpft ist die Schweizer Industriellenfamilie Schmidheiny. Stephan Schmidheiny erbte die Eternit AG und sieht einer Verurteilung wegen der Asbest-Todesfälle in Italien entgegen; Schmerzensgeld hat er den Asbestopfern bereits angeboten. Sein langjähriger Berater, der vorübergehend auch die Geschäfte des Beteiligungsvehikels Anova Holding übernommen hatte, war bis zu seiner Wahl in den Bundesrat Hans-Rudolf Merz. Thomas Schmidheiny übernahm das Zement-Konglomerat, bis er sich vor wenigen Jahren und nach einer 1.5 Mio. Euro-Busse im Fall der spanischen Rohstofffirma Asturiana de Zinc aus dem operativen Geschäft zurückzog. Sein Konglomerat erhielt schon Mitte der 90er Jahre eine CHF 25 Mio.-Busse der EU-Kommission, und 2003 wurde die Holcim-Tochter Alsen vom Kartellamt in Hamburg wegen illegaler Preisabsprachen zu 74 Mio. Euro Busse verurteilt. Holcim gilt als «Cash-Maschine». Erst die Weltwirtschaftskrise hat den Konzern 2008 gebremst. Die Absatzzahlen sind zurückgegangen und Personal wurde abgebaut. Dies vor allem in jenen Ländern, die stark von der Immobilienkrise und des darauf folgenden Rückgangs der Bautätigkeit betroffen waren, wie die USA und Spanien. Dort wurden auch insgesamt drei Zementwerke geschlossen. Mit weiteren Betriebsstillegungen und Restrukturierungen ist zu rechnen, auch wenn Holcim im Vergleich mit den anderen Baustoffkonzernen als finanziell gesund und geographisch breit abgestützt eingeschätzt wird.

(Quellen: www.multiwatch.ch und Bilanz)


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 160, 21. Dezember 2009, S. 15-17
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2010