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CORREOS/136: Der Sandinismus besiegt die Ultrarechte


Correos des las Américas - Nr. 168, 23. November 2011

Der Sandinismus besiegt die Ultrarechte
Vom «christlich-sozialistsch-solidarischen» Wahlsieg des
Frente Sandinista de Liberación Nacional zur assoziativen Ökonomie.

von Sergio Ferrari


(Managua, 8.11.11) Mit mehr als 62 Prozent der Stimmen - weit mehr als die 31 Prozent des von (neo-)liberalen und dissidenten sandinistischen Kräften gebildeten zweitplazierten liberalen Bündnis PLI-MRS - wird der FSLN mit Präsident Daniel Ortega das Land für fünf weitere Jahre regieren. Die grosse, im nachrevolutionären Nicaragua nie gesehene Stimmendifferenz gibt dem FSLN mit 60 von 90 Abgeordneten auch ein qualifiziertes Mehr im Parlament.

Die Wahlen stellen zudem das politische Ende des Ex-Präsidenten Arnoldo Alemán dar, der keine 6 Prozent machte. Die Wahlbegleitungsmissionen fällten verschiedene Urteile. Diejenige der Organisation der Amerikanischen Staaten hält den Urnengang für ziemlich positiv. Die EU-Mission kritisiert eine mangelnde Transparenz in verschiedenen Bereichen des Wahlprozesses, beurteilt aber den Wahlgang selbst in 85 Prozent der beobachteten 559 Wahltische positiv. Die Beobachtungsmission von Vía Campesina mit 72 TeilnehmerInnen unterstreicht die Verbesserung des Prozesses, die massive Beteiligung und die Ruhe bei den Wahlen.


«Sie akzeptieren die Niederlage nicht»

Die vom Radiounternehmer Fabio Gadea angeführte liberale Allianz mit einigen ehemaligen Sandinistas akzeptierte die Wahlresultate nicht. Sie sagen, es habe ein «allgemeiner Betrug» stattgefunden und rufen zur Mobilisierung auf der Strasse gegen die Wahlen auf. Ex-Sandinistas wie Dora María Téllez und Mónica Baltodano rufen nach einer intensivierten Mobilisierung gegen die «ortegistische Diktatur» auf.

Ein Grossteil der internationalen Medien übernahm die Betrugsbeschuldigungen der Opposition, ohne dafür Beweise vorzulegen. Doch zum Beispiel akzeptierten die Wahlbehörden eine Auswechslung von 19.000 ParteivertreterInnen der Rechten an den Urnen, obwohl die legale Frist dafür schon abgelaufen war. «Sie sind unfähig, die Niederlage so zu akzeptieren, wie wir das 1990 gemacht haben», meinte Präsident Ortega an seinem ersten öffentlichen Nachwahl-Auftritt.


Das Gemachte vertiefen

Ortega betonte dabei, dass er in der neuen Periode (2012-2016) mit dem aktuellen Regierungsprogramm fortfahren werde. Und dass die neue parlamentarische Mehrheit nicht für die Durchsetzung radikaler Veränderungen gebraucht würde. Er hielt fest, dass dieser Triumph eine Stärkung der progressiven Kräfte im Kontinent bedeute. «Was ist die Raison d'être eines Landes», fragte er, «wenn nicht die Suche nach Fortschritt für die Familien, die es bewohnen? Welches der Sinn einer Regierung, wenn nicht der, die Anstrengungen aller Sektoren zu unterstützen, damit sie die Bedürfnisse nach Gesundheit, Erziehung und Produktion stillen kann?» Man könne jedoch, fuhr er fort, nicht versuchen, auf jede beliebige Weise zu produzieren, denn eine seelenlose Produktion bedeute wilden Kapitalismus, während eine Produktion mit Seele «christlich, sozialistisch und solidarisch» sei, das neue Konzept, das das sandinistische Programm der aktuellen Etappe charakterisiere.

Der Präsident erinnerte daran, dass das Land zwischen dem 26. Oktober 2010 und dem 26. Oktober 2011 Exporte im Wert von beinahe $2 Mrd. getätigt habe, verbunden mit einem steten Wirtschaftswachstum. Diese Zahlen, sagte Ortega, sind das Resultat der Anstrengungen aller Nicas. Seit zwei Jahren wachse Nicaragua mehr als 4 Prozent, eine der höchsten Raten im Kontinent. Ortega fügte an: «Wer produziert den Reichtum, wenn nicht die Arbeiter? Es gibt keine produktive Aktivität ohne Arbeiter, ohne Bauern, ohne Kooperativen, kleine, mittlere und grosse Produzenten». Der Präsident unterstrich damit, was für den Sandinismus die Basis jeder Allianz sein werde.


Drei Herausforderungen

Im Gespräch sagte Orlando Nuñez, einer der luzidesten Analytiker von Nicaragua: «Ich sehe drei Grundherausforderungen für den Sandinismus. Eine besteht darin, das Land aus der in einen sehr aggressiven kapitalistischen Markt eingebundenen Armut herauszuführen, in dem das Kapital keine Arbeitskräfte braucht». Was eine grosse Vorsicht gebiete, denn «Wirtschaftswachstum überwindet nicht automatisch die Armut und die strukturellen Ungleichgewichte», wie Nuñez analysierte. «Der Kampf gegen die Armut bedeutet die Priorisierung anderer sozioökonomischer AkteurInnen, wie die selbstständigen ArbeiterInnen, die heute Erträge generieren.»

Mehr noch, präzisierte der Analytiker, «wir müssen heute in Bahnen denken, die uns erlauben, aus dem System auszubrechen. Strategische Alternativen. Eine neue Form nichtstaatlichen Sozialismus. Eines assoziativen, von unten erbauten Sozialismus. Die assoziative Organisationsform der AkteurInnen der Sozialwirtschaft von unten kann sich in eine reale Kontrolle des wilden, verbrauchten und im Rückschritt befindlichen Kapitalismus wandeln. Deshalb habe ich grosses Vertrauen in die selbstständigen ArbeiterInnen. In Nicaragua stellen sie nicht nur den grössten Sektor dar, sondern sie generieren auch den grössten Teil der Arbeitsplätze und des Wirtschaftsprodukts. Sie kontrollieren Handel, Verkehr, die Herstellung von Nahrungsmitteln sich bewusst, dass sie dies nur in assoziativer und selbstverwalteter Form schaffen.»

Die andere wichtige Herausforderung dieser Phase ist die Eingliederung in einen regionalen Block, «denn in Lateinamerika gibt es keine individuelle Autonomie. Die Macht der USA und von Europa ist derart gross, dass uns nur die Möglichkeit bleibt, die kontinentale Solidarität zu stärken.» Für Nuñez ist klar: «Wir müssen uns zusammenschliessen, es ist eine Frage von Tod oder Leben.»

Die dritte Herausforderung ist kultureller Art. Nicht auf die europäischen oder US-Muster starren, sondern eine auf neuen Werten aufbauende alternative Kultur schöpfen, «Angesichts einer kollabierenden dominieren Zivilisation...», meint Nuñez.


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Quelle:
Correos de Centroamérica Nr. 168, 23. November 2011, S. 3
Herausgeber: Zentralamerika-Sekretariat, Zürich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2011